Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1C_327/2012 
 
Urteil vom 27. Februar 2013 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Karlen, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Geisser. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Oskar Müller, 
 
gegen 
 
Sicherheit und Justiz, Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus, Abteilung Administrativmassnahmen, Postgasse 29, 8750 Glarus. 
 
Gegenstand 
Entzug des Führerausweises, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 23. Mai 2012 des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus, I. Kammer. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ fuhr am 28. März 2011 um ca. 10.30 Uhr mit einem Lastwagen in Näfels auf der Hauptstrasse in Richtung Glarus. Auf der Höhe des Freulerpalasts bog er nach links in die Bahnhofstrasse ab. Dazu überquerte er zunächst die Gegenfahrbahn und schwenkte dann um die Verkehrsinsel herum in die Bahnhofstrasse ein. Dabei stiess er mit Y.________ (Jg. 1920) zusammen, der die Bahnhofstrasse auf dem Fussgängerstreifen von links nach rechts überquerte. X.________ stürzte und erlitt schwere Kopfverletzungen, denen er tags darauf erlag. 
 
B. 
Die Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus verurteilte X.________ am 20. September 2011 wegen fahrlässiger Tötung gemäss Art. 117 StGB zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 100.-- und einer unbedingten Busse von Fr. 1'000.--. Der Strafbefehl erwuchs unangefochten in Rechtskraft. 
Am 5. Januar 2012 entzog die Staats- und Jugendanwaltschaft, Abteilung Administrativmassnahmen, (im Folgenden: Administrativbehörde) X.________ in Anwendung von Art. 16c Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. c SVG den Führerausweis für die Dauer von 12 Monaten. 
Die von ihm dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus am 23. Mai 2012 ab. 
 
C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und den Führerausweisentzug in Anwendung von Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG auf einen Monat zu reduzieren; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Administrativbehörde zurückzuweisen. Die Kosten des Verfahrens vor den kantonalen Instanzen und vor Bundesgericht seien auf die Staatskasse des Kantons Glarus zu nehmen; ihm sei eine angemessene Parteientschädigung auszurichten. Der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
 
D. 
Am 19. Juli 2012 hat der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
E. 
Das Verwaltungsgericht, die Administrativbehörde sowie das Bundesamt für Strassen beantragen in ihren Vernehmlassungen die Abweisung der Beschwerde. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Der angefochtene Entscheid betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Dagegen ist die Beschwerde nach Art. 82 lit. a BGG zulässig. Ein Ausschlussgrund gemäss Art. 83 BGG besteht nicht. Der angefochtene Entscheid ist kantonal letztinstanzlich. Die Beschwerde ist nach Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer hat vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen. Er ist durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung. Er ist somit gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt. 
 
1.2 Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt falsch bzw. willkürlich festgestellt, ist darauf nicht einzutreten. Der Beschwerdeführer setzt sich diesbezüglich nicht mit dem angefochtenen Entscheid auseinander. Er begründet in keiner Weise, inwiefern die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz willkürlich zustande gekommen sein soll. Damit genügt er den Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG nicht (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.). 
 
1.3 Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist somit unter dem erwähnten Vorbehalt (E. 1.2) einzutreten. 
 
2. 
Umstritten ist, ob der Beschwerdeführer eine mittelschwere oder schwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsregeln begangen hat. 
 
2.1 Das Gesetz unterscheidet zwischen der leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung (Art. 16a-c SVG). Gemäss Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft. Nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG begeht eine mittelschwere Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Gestützt auf Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. 
Die mittelschwere Widerhandlung nach Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG stellt einen Auffangtatbestand dar. Sie liegt vor, wenn nicht alle privilegierenden Elemente einer leichten Widerhandlung gemäss Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG und nicht alle qualifizierenden Elemente einer schweren Widerhandlung nach Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG gegeben sind (Urteil 6A.16/2006 vom 6. April 2006 E. 2.1.1, in: JdT 2006 I S. 442; Botschaft vom 31. März 1999 zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes, BBl 1999 4487). Die Annahme einer schweren Widerhandlung setzt kumulativ eine qualifizierte objektive Gefährdung und ein qualifiziertes Verschulden voraus. Ist die Gefährdung gering, aber das Verschulden gross, oder umgekehrt die Gefährdung gross und das Verschulden gering, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor (Botschaft, a.a.O., 4489; CÉDRIC MIZEL, Die Grundtatbestände der neuen Warnungsentzüge des SVG und ihre Beziehung zum Strafrecht, ZStrR 124/2006 S. 31 ff., insbesondere S. 63 f.). 
 
2.2 Gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG hat der Lenker sein Fahrzeug ständig so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Er muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]). Das Mass der Sorgfalt, das vom Fahrer verlangt wird, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen (BGE 129 IV 282 E. 2.2.1 S. 285; 127 II 302 E. 3c S. 303; je mit Hinweisen). 
Nach Art. 33 Abs. 2 SVG hat der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriff sind, diesen zu betreten. Der Lenker muss vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung jedem Fussgänger, der sich bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will, den Vortritt lassen. Damit er dieser Pflicht nachkommen kann, muss er die Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten (Art. 6 Abs. 1 VRV). Bei diesen Bestimmungen handelt es sich um grundlegende Verkehrsregeln, deren Missachtung regelmässig zu schweren Unfällen führt (Urteil 6B_377/2007 vom 6. Februar 2008 E. 2.4; 6A.80/2006 vom 24. Januar 2007 E. 3.3). 
 
2.3 Die Abzweigung von der Haupt- in die Bahnhofstrasse von Näfels, welche der Beschwerdeführer einschlug, erfordert besondere Aufmerksamkeit. Der Lenker hat zunächst die Gegenfahrbahn zu überqueren. Danach muss er um die Verkehrsinsel herum nach links abbiegen, um wenige Meter hinter der Spitze der Insel auf einen Fussgängerstreifen ohne Lichtsignal zu treffen. 
Nach eigenen Angaben war dem Beschwerdeführer bei der Anfahrt auf die Verkehrsinsel zudem die Sicht auf den dort wartenden Fussgänger und Teile des Streifens verdeckt. Seinen Blick behinderten im Wesentlichen der Kandelaber auf der Verkehrsinsel und ein Lieferwagen am Ende der rechten Fahrbahn der Bahnhofstrasse. 
Unter den gegebenen Umständen hätte der Beschwerdeführer, nachdem er die Gegenfahrbahn überquert hatte, seine volle Aufmerksamkeit dem Verkehr von Passanten zuwenden müssen. Der Fussgängerstreifen war für ihn erst kurz davor ganz überblickbar. Bei solchen Verhältnissen muss der Lenker so fahren, dass er vor Fussgängern, mit denen er zu rechnen hat, innerhalb der überblickbaren Strecke bremsen kann (BGE 93 IV E. 2 S. 61 ff.; für ähnlich gelagerte Fälle vgl. Urteil 1C_402/2009 vom 17. Februar 2010 E. 4.3 f.; 6A.78/2006 vom 28. Dezember 2006 E. 2). Der Beschwerdeführer hätte sein Abbiegemanöver daher mit besonderer Vorsicht und rechtzeitig erstellter Bremsbereitschaft durchführen müssen. Bremsbereitschaft heisst entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht in jedem Fall, den Fuss auf das Bremspedal zu setzen; es kann - wie hier beim Anfahren aus dem Stand - genügen, sich darauf einzustellen, sofort vom Gas- auf das Bremspedal zu wechseln, um bei Gefahr unverzüglich bremsen zu können (Philippe Weissenberger, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz, 2011, N. 11 zu Art. 33 SVG). 
Diesem Sorgfaltsmassstab genügte der Beschwerdeführer nicht. Den linken Bereich des Fussgängerstreifens, wo sich der Passant befand, konnte er bis auf wenige Meter davor nicht einsehen. Trotz der ungünstigen Sichtverhältnisse bog er in die Bahnhofstrasse ein, ohne rechtzeitig Bremsbereitschaft erstellt zu haben und auf den Fussgängerverkehr besonders achtzugeben. Der Beschwerdeführer räumte an der polizeilichen Einvernahme denn auch ein, den Betroffenen erst unmittelbar vor dem Zusammenstoss bemerkt zu haben. Ihm ist damit vorzuwerfen, den Fussgänger sorgfaltswidrig übersehen zu haben. Mit seiner unvorsichtigen Fahrweise ging er leichthin davon aus, der Streifen sei frei. Innerorts und zu gegebener Zeit war aber mit Fussgängern zu rechnen. Sein Verschulden wiegt umso schwerer, als er als ortsansässiger Berufsfahrer um die Unübersichtlichkeit dieser Abzweigung wissen musste. Der Beschwerdeführer hat demnach gegen die grundlegende Regel verstossen, vor Fussgängerstreifen erhöhte Vorsicht walten zu lassen und seine Fahrweise der zuverlässig überblickbaren Strecke anzupassen, um gegebenenfalls rechtzeitig anhalten zu können. Damit hat er die Sicherheit anderer ernstlich gefährdet, wobei ihn ein grosses Verschulden trifft. Die Vorinstanz verletzt daher kein Bundesrecht, wenn sie objektiv und subjektiv von einer schweren Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG ausgeht. 
 
3. 
Dem Beschwerdeführer war der Führerausweis bis zum 16. Februar 2008 - d.h. innert 5 Jahren bis zum vorliegenden Regelverstoss vom 28. März 2011 - bereits einmal wegen schwerer Widerhandlung entzogen. Folglich ist ihm der Ausweis, wie die Vorinstanz zu Recht bestätigt, nun für die Dauer von mindestens 12 Monaten zu entziehen (Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG; vgl. BGE 136 II 447 E. 5.3 S. 455 zur Fristberechnung). Eine Unterschreitung dieser Entzugsdauer ist auch bei Personen ausgeschlossen, die beruflich auf den Führerausweis angewiesen sind (Art. 16 Abs. 3 SVG; BGE 135 II 334 E. 2.2. S. 336 f.). 
 
4. 
Die Beschwerde ist danach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus, Abteilung Administrativmassnahmen, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus, I. Kammer, und dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 27. Februar 2013 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Geisser