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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_932/2010 
 
Urteil vom 11. Januar 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
D.________, geboren 2003, 
handelnd durch ihre Eltern, 
Beschwerdegegnerin, 
 
IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (medizinische Massnahme), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz 
vom 27. September 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 2003 geborene D.________ wurde durch ihre Eltern im März 2007 erstmals bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Die IV-Stelle Schwyz erteilte am 18. April 2007 Kostengutsprache für heilpädagogische Früherziehung. Unter Hinweis auf ein Geburtsgebrechen (Ziffer 404 GgV Anhang) beantragten die Eltern von D.________ im Oktober 2009 medizinische Massnahmen. Nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 17. März 2010 ab. 
 
B. 
In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 27. September 2010 die Verfügung vom 17. März 2010 auf und stellte fest, dass die Versicherte unter dem Geburtsgebrechen Ziff. 404 GgV Anhang leide und die Invalidenversicherung für die zu dessen Behandlung notwendigen medizinischen Massnahmen leistungspflichtig sei. 
 
C. 
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, den Entscheid vom 27. September 2010 aufzuheben und die Sache zur weiteren Abklärung an die Verwaltung zurückzuweisen. 
Die Eltern von D.________ schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Die IV-Stelle und das kantonale Gericht verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2. 
2.1 Nach Art. 13 IVG haben Versicherte bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen notwendigen medizinischen Massnahmen (Abs. 1). Der Bundesrat bezeichnet die Gebrechen, für welche diese Massnahmen gewährt werden; er kann die Leistung ausschliessen, wenn das Gebrechen von geringfügiger Bedeutung ist (Abs. 2). 
Als Geburtsgebrechen im Sinne von Art. 13 IVG gelten Gebrechen, die bei vollendeter Geburt bestehen; die Geburtsgebrechen sind in der Liste im Anhang aufgeführt (Art. 1 der Verordnung vom 9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen [GgV]). Als medizinische Massnahmen, die für die Behandlung eines Geburtsgebrechens notwendig sind, gelten sämtliche Vorkehren, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft angezeigt sind und den therapeutischen Erfolg in einfacher und zweckmässiger Weise anstreben (Art. 2 Abs. 3 GgV). 
 
2.2 Ziff. 404 GgV Anhang umschreibt folgendes Geburtsgebrechen: Kongenitale Hirnstörungen mit vorwiegend psychischen und kognitiven Symptomen bei normaler Intelligenz (kongenitales infantiles Psychosyndrom, kongenitales hirndiffuses psychoorganisches Syndrom, kongenitales hirnlokales Psychosyndrom; POS), sofern sie mit bereits gestellter Diagnose als solche vor Vollendung des 9. Altersjahres behandelt worden sind. Solange nicht Oligophrenie (vgl. Ziff. 403 GgV Anhang) diagnostiziert ist, kann ein infantiles POS bei einem Kind mit einem IQ von weniger als 75, sofern die übrigen Voraussetzungen (vgl. BGE 122 V 113) erfüllt sind, als Geburtsgebrechen gemäss Ziffer 404 GgV Anhang anerkannt werden (Urteile I 309/05 vom 1. Dezember 2005 E. 2.2.3; I 373/01 vom 2. Mai 2002 E. 3b/dd). 
Nach der Verwaltungspraxis gelten die Voraussetzungen von Ziff. 404 GgV Anhang als erfüllt, wenn vor Vollendung des 9. Altersjahres mindestens Störungen des Verhaltens im Sinne krankhafter Beeinträchtigung der Affektivität oder der Kontaktfähigkeit, des Antriebes, des Erfassens (perzeptive, kognitive oder Wahrnehmungsstörungen), der Konzentrationsfähigkeit sowie der Merkfähigkeit ausgewiesen sind. Diese Symptome müssen kumulativ nachgewiesen sein, wobei es genügt, wenn sie nicht alle gleichzeitig, sondern erst nach und nach auftreten. Werden bis zum 9. Geburtstag nur einzelne der erwähnten Symptome ärztlich festgestellt, sind die Voraussetzungen für Ziff. 404 GgV Anhang nicht erfüllt (Rz. 404.5 des vom BSV herausgegebenen Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung [KSME] in der ab 1. Januar 2010 gültigen Fassung). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat gestützt auf die ständige Rechtsprechung zu den früher gültigen Verordnungsbestimmungen und Verwaltungsweisungen einerseits die Gesetzmässigkeit der Ziff. 404 GgV Anhang (in der seit 1. Januar 1986 geltenden Fassung) und anderseits die Verordnungskonformität der seit 1. Juni 1986 im Wesentlichen unveränderten Verwaltungsweisungen (Rz. 404.5 KSME) bestätigt (BGE 122 V 113 E. 1b S. 114 f.; SVR 2005 IV Nr. 2 S. 8, I 756/03 E. 3.1). 
 
3. 
Die Vorinstanz ist von einem Geburtsgebrechen im Sinn von Ziff. 404 GgV Anhang ausgegangen und hat die Leistungspflicht der IV-Stelle für die notwendigen medizinischen Massnahmen bejaht. Sie hat festgestellt, in den medizinischen Akten sei von "Oligophrenie" nirgendwo die Rede und die Diagnose "POS" sei vor Vollendung des 9. Lebensjahres der Versicherten gestellt worden. Weiter lägen Störungen des Verhaltens im Sinne krankhafter Beeinträchtigung der Affektivität oder Kontaktfähigkeit, des Antriebs, des Erfassens (perzeptive, kognitive oder Wahrnehmungsstörungen), der Konzentrations- sowie der Merkfähigkeit vor. 
 
4. 
Dass die vorinstanzlichen Feststellungen offensichtlich unrichtig sein sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Sie beruhen auch nicht auf einer unvollständigen Sachverhaltsabklärung (vgl. Art. 61 lit. c ATSG [SR 830.1]): Das kantonale Gericht hat seine Feststellungen auf den Antrag der Heilpädagogin vom 8. März 2007, den undatierten Bericht der Kindergärtnerin, den Verlaufsbericht der Ergotherapeutin vom 18. Juli 2009 und insbesondere die Berichte des Kinderspitals X.________ vom 23. September 2009 und 4. Januar 2010, welche beide die Ergebnisse der durch die Kinderärztin veranlassten Abklärung der Frage nach "ADHS/POS" wiedergeben, sowie das Schreiben des Kinderspitals X.________ vom 5. März 2010 abgestützt. Bereits im ersten Bericht des Kinderspitals X.________ wurde einleuchtend begründet (vgl. BGE 125 V 251 E. 3a S. 252), dass der darin genannte Wert des "Gesamt-IQ" von 62 nicht genau das kognitive Potential der Versicherten widerspiegle und die Grundintelligenz im Bereich einer Lernbehinderung (IQ 75-85) eingeschätzt werde, was denn auch durch das Ergebnis eines weiteren Tests bestätigt wurde (Schreiben des Kinderspitals X.________ vom 5. März 2010). Das Erfordernis der Krankhaftigkeit (vgl. zum Krankheitsbegriff Art. 3 Abs. 1 ATSG) bezieht sich nach dem Wortlaut des KSME nur auf Beeinträchtigungen der Affektivität oder der Kontaktfähigkeit. Es wurde durch die Experten des Kinderspitals - mit der Bejahung der "Kriterien für eine IV-Anmeldung unter POS" zumindest implizite - u.a. aufgrund eigener Beobachtung der Intensität der vom BSV als "unspezifisch" bezeichneten Symptome anerkannt. Dass sie dabei nicht lege artis vorgegangen sein und anerkannte Tests nicht oder ungenügend durchgeführt haben sollen, ist nicht nachvollziehbar. Unter diesen Umständen hat das kantonale Gericht in pflichtgemässer antizipierender Beweiswürdigung auf weitere Abklärungen verzichtet (BGE 122 V 157 E. 1d S. 162, Urteil 9C_694/2007 vom 10. Dezember 2007 E. 3.1 mit Hinweisen). Nach dem Gesagten sind die vorinstanzlichen Feststellungen für das Bundesgericht verbindlich (E. 1). Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
5. 
Dem mit seiner Beschwerde unterliegenden BSV sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle Schwyz und dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 11. Januar 2011 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Meyer Dormann