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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
13Y_1/2019  
 
 
Urteil vom 22. Oktober 2019  
Rekurskommission 
 
Besetzung 
Bundesrichter Marazzi, Präsident, 
Bundesrichterinnen Aubry Girardin, Heine, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________ und B.A.________, 
Gesuchsteller, 
 
gegen  
 
Generalsekretär des Schweizerischen Bundesgerichts, Schweizerisches Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, 
Gesuchsgegner. 
 
Gegenstand 
Ausstand; Akteneinsicht, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 30. Juli 2019. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.A.________ und B.A.________ verlangten mit Eingaben vom 26. Juni, 7. und 11. Juli 2019 Einsicht in die Akten der bundesgerichtlichen Verfahren 8C_392/2018, 8C_396/2018, 1B_295/2018, 1B_328/2018, 5D_164/2018, 6B_296/2019, 1F_8/2019, 1F_9/2019 und 5D_43/2018 für den Weiterzug der Verfahren an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Mit Schreiben vom 10. und 12. Juli 2019 teilte ihnen das Generalsekretariat des Bundesgerichts mit, dass ein schutzwürdiges Interesse an der Einsichtnahme in diejenigen Dossiers mit abgelaufener Frist für eine Beschwerde an den EGMR nicht nachgewiesen sei. Dementsprechend gewährte es nur Einsicht in die Verfahrensakten 5D_164/2018, 6B_296/2019, 1F_8/2019 und 1F_9/2019. 
 
B.   
Nachdem A.A.________ und B.A.________ mit Eingaben vom 13. und 18. Juli 2019 erneut um Akteneinsicht auch in die Dossiers mit abgelaufener sechsmonatiger Frist für den Weiterzug an den EGMR ersucht hatten, verweigerte das Generalsekretariat mit Verfügung vom 30. Juli 2019 die Einsicht in die Dossiers 8C_392/2018, 8C_396/2018, 1B_295/2018, 1B_328/2018 und 5D_43/2018. 
 
C.   
Am 21. August 2019 führen A.A.________ und B.A.________ dagegen Beschwerde bei der Rekurskommission des Bundesgerichts und erneuern ihr Begehren um Akteneinsicht. Überdies stellen sie ein Ablehnungsgesuch gegen sämtliche Mitglieder der Rekurskommission. 
Am 1., 4. und 30. September sowie am 3., 4. und 21. Oktober 2019 reichen A.A.________ und B.A.________ weitere Schreiben ein. Die E-Mail vom 4. Oktober 2019, 09 Uhr 29, ist nicht mit elektronischer Signatur versehen und kann deshalb nicht berücksichtigt werden, wie dies den Beschwerdeführern mit Schreiben vom 29. August 2019 erläutert wurde. Sie ist folglich aus den Akten zu weisen. Die Schreiben vom 30. September, 3., 4. und 21. Oktober 2019 sind nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingetroffen und daher verspätet. 
Am 3. Oktober 2019 haben A.A.________ und B.A.________ Einsicht in die Akten des vorliegenden bundesgerichtlichen Verfahrens genommen. Am gleichen Tag haben sie ein neues Ausstandsbegehren gegen Gerichtsschreiberin Polla und gegen die Kanzleichefin B.________ eingereicht. 
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2019 ersuchen A.A.________ und B.A.________ erneut um Akteneinsicht im vorliegenden Verfahren. Diese wurde ihnen am 21. Oktober 2019 gewährt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Rekurskommission prüft die Beschwerdevoraussetzungen von Amtes wegen: 
 
1.1. Gemäss Art. 55 Bst. c des Reglements vom 20. November 2006 für das Bundesgericht (BGerR; SR 173.110.131) beurteilt die Rekurskommission Streitigkeiten nach Art. 16 der Verordnung des Bundesgerichts vom 27. September 1999 zum Archivierungsgesetz (SR 152.21 - fortan: VO). Art. 16 der VO erfasst namentlich die Verweigerung der Einsicht in archivierte Verfahrensakten des Bundesgerichts, die vom Generalsekretär verfügt wurde (Art. 13 VO). Um eine solche Verfügung geht es hier. Die Rekurskommission ist daher zur Beurteilung der dagegen erhobenen Beschwerde zuständig (vgl. Urteil 13Y_2/2018 vom 3. August 2018 E. 1.1).  
 
1.2. Gemäss Art. 16 Abs. 2 der VO und Art. 56 BGerR richtet sich das Beschwerdeverfahren nach den Vorschriften des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021), insbesondere nach dessen Art. 44 ff. Gemäss Art. 50 Abs. 1 VwVG beträgt die Beschwerdefrist 30 Tage. Diese Frist wurde mit der Postaufgabe der Beschwerde am 21. August 2019 gewahrt (Art. 21 Abs. 1 VwVG).  
 
2.  
 
2.1. Die am Bundesgericht tätigen Gerichtspersonen (Richter und Gerichtsschreiber) treten von Amtes wegen in den Ausstand, wenn einer der in Art. 34 Abs. 1 lit. a-e BGG genannten Gründe erfüllt ist. Gemäss Art. 34 Abs. 2 BGG bildet die Mitwirkung in einem früheren bundesgerichtlichen Verfahren für sich allein keinen Ausstandsgrund (ausführlich BGE 143 IV 69 E. 3.1 S. 73 f.).  
Grundsätzlich darf die abgelehnte Gerichtsperson am Ausstandsentscheid, der sie betrifft, nicht selber mitwirken (BGE 114 Ia 153 E. 3a/aa). Im bundesgerichtlichen Verfahren ist dies jedoch dann nicht der Fall, wenn kein nach Massgabe des Gesetzes geeigneter Ausstandsgrund geltend gemacht wird, insbesondere wenn das Ausstandsbegehren primär mit früheren, zuungunsten der Partei ausgefallenen Erkenntnissen, an denen die abgelehnte Gerichtsperson mitgewirkt hat, oder sonst wie mit nicht nachvollziehbaren Motiven begründet wird, oder wenn das Ausstandsgesuch als rechtsmissbräuchlich erscheint (BGE 114 Ia 278 E. 1). Diesfalls kann das Ausstandsgesuch ohne Durchführung eines Verfahrens gemäss Art. 37 BGG und somit unter Mitwirkung der abgelehnten Gerichtspersonen beurteilt werden (Urteile 5A_533/2016 vom 7. September 2016 E. 1.1 ff., publ. in RTiD 2017 I 157; 5A_605/2013 vom 11. November 2013 E. 3.5; 9C_248/2018 vom 19. September 2018 E. 1; 5A_965/2018 vom 15. Mai 2019 E. 2.1 je mit weiteren Hinweisen). 
 
2.2. Die Gesuchsteller begründen das Ausstandsgesuch einerseits mit der Mitwirkung der Mitglieder der Rekurskommission an früheren bundesgerichtlichen Verfahren, in welchen sie nicht nur Fehler begangen haben sollen, sondern geradezu willkürlich gegen die Beschwerdeführer entschieden hätten. Andererseits führen sie zur Begründung an, die betroffenen Richterinnen und Richter hätten sich über mehrere Instanzen hinweg verbunden, um den Beschwerdeführern zu schaden oder um ihre eigenen, vermeintlich rechtswidrigen Handlungen bzw. Versäumnisse und Mängel in der Verfahrensführung (wie namentlich Urkundenfälschungen, das Verschwinden oder Beseitigen von Aktenstücken) zu vertuschen.  
Derart allgemeingehaltene, ohne Bezugnahme zu konkreten Vorkommnissen vorgetragene Vorwürfe vermögen das Ablehnungsgesuch nicht zu begründen. Dieses Begehren erscheint überdies insofern als rechtsmissbräuchlich, als der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, dass dieses letztlich (auch) auf die Lahmlegung der Rekurskommission gerichtet ist. Soweit auf das schwer verständliche Ausstandsgesuch überhaupt eingetreten werden kann, erweist es sich als offensichtlich unbegründet. Daran ändern die weiteren Eingaben, soweit sie nicht ohnehin verspätet und daher unbeachtlich sind, nichts. 
Das gegen die Gerichtsschreiberin Polla gerichtete Ausstandsbegehren enthält ebenfalls keine über allgemeingehaltene Anschuldigungen hinausgehende Begründung. Namentlich der nicht näher substanziierte Vorwurf, zahlreiche gefälschte Urkunden bei zwei früheren Urteilen verschwiegen zu haben, begründet das Begehren nicht hinreichend: Es wird aus dem Begehren weder ersichtlich, um welche Dossiers es sich handeln soll, noch werden dort die angeblich gefälschten Urkunden bezeichnet. Auf das Gesuch kann nicht eingetreten werden. 
Soweit sich das Ausstandsbegehren gegen die Kanzleichefin B.________ richtet, ist darauf hinzuweisen, dass das Kanzleipersonal von den Ausstandsbestimmungen nicht erfasst wird, da es an der Entscheidfindung nicht beteiligt ist (vgl. E. 2.1 hievor), weshalb hierauf ebenfalls nicht einzutreten ist. 
 
3.   
Zu prüfen bleibt die beantragte Akteneinsicht. 
 
3.1. Auf die Einholung einer Vernehmlassung des Generalsekretärs und der vorinstanzlichen Akten wird verzichtet, weil die Beschwerde auch in diesem Punkt offensichtlich unbegründet bzw. unzulässig ist (Art. 57 Abs. 1 VwVG), wie sich aus den nachstehenden Erwägungen ergibt.  
 
3.2.  
 
3.2.1. In der Verordnung des Bundesgerichts vom 27. September 1999 zum Archivierungsgesetz (VO; SR 152.21) hat das Bundesgericht die Archivierung seiner Akten gestützt auf Art. 1 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1998 über die Archivierung (BGA; SR 152.1) selbständig geregelt. Art. 3 Abs. 1 und 2 der VO definieren, was aus den Akten eines Rechtsmittelverfahrens vor Bundesgericht zu archivieren ist, unter Vorbehalt weiter gehender Anordnungen der Präsidenten der jeweiligen Spruchkörper (Art. 3 Abs. 4 der VO). Gemäss Art. 6 Abs. 2 der VO unterliegen Prozessakten des Bundesgerichts in der Regel einer Schutzfrist von 50 Jahren. Nach Ablauf der Schutzfrist hat grundsätzlich jede Person das Recht auf Einsicht in die Prozessakten (vgl. Art. 11 Abs. 1 der VO). Einsicht kann in bestimmten Fällen (z.B. bei vorliegender Einwilligung) schon während der Schutzfrist gewährt werden (Art. 8 Abs. 1 der VO); dabei ist aber der Persönlichkeits- und Geheimnisschutz zu wahren (Art. 8 Abs. 2 der VO). Wer während der Schutzfrist in archivierte Verfahrensakten des Bundesgerichts Einsicht nehmen will, hat im Gesuch an den Generalsekretär den Grund der Einsichtnahme anzugeben (Art. 12 Abs. 2 Bst. c der VO). Die Interessenabwägung erfordert, dass der Gesuchsteller in der Gesuchsbegründung sein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Einsichtnahme darlegt.  
 
3.2.2. Nichts anderes ergibt sich aus der verfassungskonformen Auslegung der VO. Zwar räumt Art. 29 Abs. 2 BV den Prozessparteien als allgemeine Verfahrensgarantie und Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör einen verfassungsmässigen Anspruch auf Akteneinsicht ein, der auch die Akten eines abgeschlossenen Verfahrens erfasst. Dieser Anspruch hängt aber davon ab, dass der Rechtsuchende ein besonderes schutzwürdiges Interesse glaubhaft machen kann. Dieses Interesse kann sich aus der Betroffenheit in einem spezifischen Freiheitsrecht wie etwa der persönlichen Freiheit oder aus einer sonstigen besonderen Sachnähe ergeben (BGE 129 I 249 E. 3). Auch bei verfassungskonformer Auslegung der VO muss der Gesuchsteller daher ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht in die Akten des abgeschlossenen bundesgerichtlichen Verfahrens darlegen (Urteil 13Y_2/2018 vom 3. August 2018 E. 2).  
 
4.   
Die Beschwerdeführer begründeten ihre Gesuche um Akteneinsicht stets mit ihrer Absicht, gegen die jeweils mit Urteil abgeschlossenen bundesgerichtlichen Verfahren mittels Beschwerde an den EGMR gelangen zu wollen. Das Generalsekretariat hat diese Begründung als Nachweis eines rechtsgenüglichen Interesses gelten lassen. Unbestritten ist, dass die Beschwerde an den EGMR spätestens sechs Monate nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung einzureichen ist (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Daher ist es nicht zu beanstanden, wenn für jene bundesgerichtlichen Verfahren, die im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung seit mehr als sechs Monaten abgeschlossen waren, ein rechtsgenügliches Interesse verneint wurde, da der genannte Grund in diesen Fällen nicht mehr zum Tragen kommen kann. Mit den diesbezüglichen Darlegungen im angefochtenen Entscheid setzen sich die Beschwerdeführer in ihren schwer verständlichen Ausführungen gar nicht oder nicht hinreichend auseinander. 
Nicht weiter einzugehen ist ferner auf die wiederholten Ausführungen zu Geschehnissen in früheren, abgeschlossenen kantonalen Verfahren, da sie an der Sache vorbeizielen. Die Rekurskommission hat sich in diesem Verfahren einzig mit der Anfechtungsgegenstand bildenden Verfügung des Generalsekretariats vom 30. Juli 2019 zu befassen. Insoweit und insofern die Beschwerdeführer schliesslich bemängeln, gewisse Aktenstücke seien in den Dossiers nicht mehr auffindbar, ist anzumerken, dass die bundesgerichtlichen Dossiers nicht in ihrer Gesamtheit archiviert werden, sondern die Akten nach Abschluss des Verfahrens zum Teil wieder an die Vorinstanz, zum Teil an die Parteien, zurückgeschickt werden. Falls die Beschwerdeführer selber Aktenstücke verloren haben sollten, fehlt es an einer Begründung, weshalb durch diesen Umstand Akteneinsicht zu gewähren wäre. Falls schliesslich Akten an andere Beteiligte zurückgeschickt wurden, kann das Bundesgericht sie nicht mehr zur Einsicht vorlegen, sondern diese müssten allenfalls bei den Urhebern einverlangt werden. 
Die Beschwerde ist daher unbegründet und folglich abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten ist. 
 
5.   
Auf die Erhebung von Verfahrenskosten wird ausnahmsweise verzichtet (Art. 63 Abs. 1 Satz 3 VwVG). Da die Beschwerdeführer zum ersten Mal an die Rekurskommission gelangen, kann noch nicht von einer mutwilligen Verfahrensführung gesprochen werden, welche rechtsprechungsgemäss die Erhebung einer Spruchgebühr rechtfertigt (BGE 133 II 209 E. 5). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 64 VwVG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Das Gesuch um Ablehnung von Bundesrichter Marazzi, Präsident der Rekurskommission, von Bundesrichterin Aubry Girardin sowie von Bundesrichterin Heine, Mitglieder der Rekurskommission, wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Auf das Gesuch um Ablehnung von Gerichtsschreiberin Polla und von Kanzleichefin B.________ wird nicht eingetreten. 
 
3.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
4.   
Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird verzichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und dem Generalsekretär des Bundesgerichts schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. Oktober 2019 
 
Im Namen der Rekurskommission des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Marazzi 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla