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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
2C_272/2020  
 
 
Urteil vom 23. April 2020  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Donzallaz, Beusch, 
Gerichtsschreiber Kocher. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.A.________, 
2. B.A.________, 
handelnd durch A.A.________, 
Beschwerdeführer, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Glaus, 
 
gegen  
 
Kantonales Steueramt Zürich, 
Dienstabteilung Recht, Bändliweg 21, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Direkte Bundessteuer, Steuerperiode 2011, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 
2. Abteilung, vom 19. Februar 2020 (SB.2019.00063). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Eheleute A.A.________ und B.A.________ geb. C.________ (nachfolgend: die Steuerpflichtigen) erhoben am 9. Mai 2018 in Bezug auf die direkte Bundessteuer, Steuerperiode 2011, Beschwerde an das Steuerrekursgericht des Kantons Zürich. Dabei liessen sie sich durch D.________ (nachfolgend: der Steuervertreter) vertreten, dessen Domizil sich damals in U.________/ZH befand. Das Steuerrekursgericht wies die Beschwerde mit Entscheid 1 DB.2018.90 vom 26. März 2019 ab und versandte den Entscheid am 3. April 2019 mit eingeschriebener Briefpost an den Steuervertreter. Am 4. April 2019 nahm die Post in V.________/ZH eine "nicht erfolgreiche Zustellung" vor. Aufgrund eines Nachsendeauftrags, den der Steuervertreter erteilt hatte, leitete die Post CH AG den Einschreibebrief am 8. April 2019 nach W.________/BE weiter, wohin der Steuervertreter sich abgemeldet hatte, ohne allerdings das Steuerrekursgericht darüber in Kenntnis zu setzen. Für den Zeitraum um den 8. April 2019 hatte der Steuervertreter die Poststelle in W.________/BE überdies angewiesen, die Post bis zum 16. April 2019 zurückzubehalten. Aus diesem Grund retournierte die Post CH AG den Einschreibebrief am 9. April 2019 postwendend nach Zürich Mülligen, ohne den Steuervertreter vom Eintreffen der Sendung zu unterrichten.  
 
1.2. Das Steuerrekursgericht des Kantons Zürich nahm am 29. Mai 2019 einen Zweitversand vor, wobei dieser wiederum an den Steuervertreter gerichtet war, nunmehr aber mit uneingeschriebener Briefpost erging. Namens und auftrags der Steuerpflichtigen erhob der Steuervertreter am 1. Juli 2019 Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Darin machte er geltend, er sei am 20. Juni 2018 nach W.________/BE umgezogen und habe der Poststelle U.________/ZH einen Nachsendeauftrag erteilt. Im streitbetroffenen Zeitraum sei er ferienabwesend gewesen. Aus diesem Grund habe er der Poststelle in W.________/BE einen bis zum 16. April 2019 befristeten Zurückbehaltungsauftrag erteilt. In Missachtung dieses Auftrags habe die Post CH AG den Einschreibebrief vom 3. April 2019, ohne dass er davon unterrichtet worden wäre, an das Steuerrekursgericht retourniert. Erst nach erfolgter Rückkehr aus dem Ausland, am 3. Juni 2019, habe er vom Entscheid vom 26. März 2019 erfahren.  
 
 
1.3.  
 
1.3.1. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich trat auf die Beschwerde vom 1. Juli 2019 nicht ein (Beschluss SB.2019.00063 vom 19. Februar 2020). Die tatsächlichen Darlegungen der Steuerpflichtigen deckten sich, so das Verwaltungsgericht, zwar mit der elektronischen Sendungsverfolgung "Track&Trace" der Post CH AG. Der Umstand, dass die Poststelle W.________/BE keine Abholungseinladung hinterlegt habe, entspreche aber der neueren Praxis der Post.  
 
1.3.2. Einschlägig hierzu sei die Information der Post CH AG vom 22. Dezember 2014 betreffend "Prozessverbesserung für die Dienstleistung 'Post zurückhalten' beim Empfang von Gerichtsurkunden", die an die Mitglieder des Schweizerischen Anwaltsverbandes (SAV) gegangen sei. Danach verfahre die Post CH AG, wenn der Auftrag "Post zurückhalten" beim Eintreffen von Gerichtsurkunden noch länger als sieben Tage dauere, wie folgt:  
 
- Kein Zustellungsversuch; 
- Rücksendung der Gerichtsurkunde an den Absender; 
- Versand eines A-Post-Briefes an den Empfänger mit der Mitteilung, dass für ihn eine Gerichtsurkunde vorlag; 
- Angaben zur Gerichtsurkunde: Datum des Eingangs bei der Zustellstelle der Post, Absender, Empfänger, Grund und Sendungsnummer; 
- keine Abholungseinladung. 
Sodann ergebe sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post CH AG zum Verfahren "Post zurückbehalten", dass Betreibungs- und Gerichtsurkunden auch in den übrigen Fällen höchstens sieben Tage zurückbehalten würden. 
1.3.3 Beim Eintreffen der Gerichtsurkunde in W.________/BE am 8. April 2019 habe ein Zurückbehaltungsauftrag bis zum 16. April 2019 bestanden, also für weitere acht Tage. Entsprechend habe die Post CH AG den Einschreibebrief umgehend an den Absender retourniert. Die Sendung habe, gestützt auf die Zustellungsfiktion, am 15. April 2019 als zugestellt zu gelten. Dass keine Abholungseinladung hinterlegt worden sei, ändere - so das Verwaltungsgericht weiter - nichts, da der Empfänger das Risiko besonderer Abmachungen mit der Post trage. Die Beschwerdefrist habe daher am 16. April 2019 zu laufen begonnen, worauf sie am 15. Mai 2019 ungenutzt verstrichen sei. 
 
 
1.4. Mit Eingabe vom 1. April 2020 erheben die Steuerpflichtigen beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragen, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Steuerpflichtigen rügen hauptsächlich eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), eine Verletzung des allgemeinen Willkürverbots bzw. allgemeinen Gebots von Treu und Glauben (Art. 9 BV) und einen Verstoss gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schweizerischen Post.  
 
1.5. Mit Beschwerdeergänzung vom 7. April 2020 ersuchen die Steuerpflichtigen um die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (Art. 103 BGG).  
Der Abteilungspräsident alsInstruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG) hat von Instruktionsmassnahmen, insbesondere dem Schriftenwechsel (Art. 102 Abs. 1 BGG), abgesehen. 
 
2.  
 
2.1. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten liegen vor (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 146 DBG [SR 642.11]). Auf die Beschwerde ist einzutreten.  
 
2.2. Das Bundesgericht prüft das Bundesrecht von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 145 V 326 E. 1 S. 328) und mit uneingeschränkter (voller) Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 145 I 239 E. 2 S. 241).  
 
2.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 145 V 326 E. 1 S. 328).  
 
3.  
 
3.1. Verfügungen und Entscheide gelten als eröffnet, sobald sie ordnungsgemäss zugestellt sind und die betroffene Person davon Kenntnis nehmen kann. Dass sie davon tatsächlich Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich (BGE 142 III 599 E. 2.4.1 S. 603; 122 I 139 E. 1 S. 143). Versendet eine Verwaltungsbehörde ein Schriftstück durch eingeschriebene Briefpost und wird die Postsendung nicht entgegengenommen oder abgeholt, so gilt die Zustellung am siebenten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt (Zustellungsfiktion; fiction de la notification de la citation). Praxisgemäss greift die Zustellfiktion auch, wenn der Post CH AG für eine gewisse Dauer ein Zurückbehalteauftrag erteilt wurde. Der Eingang der Sendung bei der Poststelle am Wohnort des Empfängers gilt auch diesfalls als Zustellung. Ein Zurückbehalteauftrag vermag den ordentlichen Fristenlauf weder zu hemmen noch zu verlängern (BGE 141 II 429 E. 3.1 S. 432). Gleiches trifft auf den Nachsendeauftrag zu (Urteil 2C_1015/2016 vom 14. November 2016 E. 3.2).  
 
3.2. Vorauszusetzen ist aber in jedem Fall, dass der Empfänger mit der Zustellung zu rechnen hatte. Das Bundesgericht erachtet eine Aufmerksamkeitsdauer von bis zu einem Jahr seit der letzten verfahrensrechtlichen Handlung der Behörde als vertretbar. Das relevante Prozessrechtsverhältnis setzt mit der Rechtshängigkeit der Streitsache ein (zum Ganzen: Urteil 2D_45/2019 vom 14. Oktober 2019 E. 2.2.). Wer an einem solchen Prozessrechtsverhältnis beteiligt ist, unterliegt der Pflicht, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass behördliche Akte, die das Verfahren betreffen, auch tatsächlich zugestellt werden können (BGE 141 II 429 E. 3.1 S. 431 f.). Von einer verfahrensbeteiligten Person wird namentlich verlangt, dass sie für die Nachsendung ihrer an die bisherige Adresse gelangenden Korrespondenz besorgt ist, dass sie der Behörde gegebenenfalls längere Ortsabwesenheiten mitteilt oder eine Stellvertretung ernennt (BGE 139 IV 228 E. 1.1 S. 230). Ein Rückbehaltungsauftrag stellt keine genügende Massnahme in diesem Sinne dar (BGE 141 II 429 E. 3.1 S. 432).  
 
3.3. Für die ordnungsgemässe Zustellung - und ebenso die Voraussetzungen der Zustellfiktion - ist die Verwaltungs- bzw. Gerichtsbehörde beweisbelastet (BGE 142 III 599 E. 2.2 S. 601). Dabei ist folgendes von Bedeutung: Erteilt die rechtsunterworfene Person der Post CH AG einen Nachsendeauftrag, einen Rückbehaltungsauftrag oder eine ähnliche Anweisung, die in den üblichen Zustellvorgang eingreift, so hat sie etwaige Fehlleistungen der Post CH AG, welche diese nach Abschluss des ordentlichen Eintreffens des Schreibens bei der Poststelle erbringt, selber zu vertreten (Art. 101 OR per analogiam). Wird die Post CH AG als Hilfsperson der rechtsunterworfenen Person tätig, so hat diese das etwaige Fehlverhalten der Post CH AG zu vertreten (BGE 114 Ib 67 E. 3e S. 74). Nichts Anderes ergibt sich, wenn die rechtsunterworfene Person sich einer Rechtsvertretung bedient. Während die Vertretung sich das Verhalten der Post CH AG anrechnen lassen muss, hat die rechtsunterworfene Person sich das Verhalten ihrer Vertretung zuzurechnen. Die beauftragende Person trifft eine Sorgfaltspflicht betreffend das Auswählen, die Instruktion und die Beaufsichtigung ihrer Hilfsperson (sog. cura in eligendo, instruendo und custodiendo; BGE 144 IV 176 E. 4.5.1 S. 186; 135 III 198 E. 2.3 S. 201).  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz geht davon aus, dass die Beschwerdefrist am 16. April 2019 zu laufen begonnen habe, worauf sie am 15. Mai 2019 ungenutzt verstrichen sei (vorne E. 1.3.3). Damit konnten die Steuerpflichtigen die 30-tägige Beschwerdefrist (Art. 145 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 140 Abs. 1 DBG) mit ihrer Eingabe vom 1. Juli 2019 nicht mehr wahren.  
 
4.2. Nach der Information vom 22. Dezember 2014 (vorne E. 1.3.2), deren Anwendung die Steuerpflichtigen nicht in Frage stellen, hätte zweierlei erfolgen müssen: Zum einen wäre die Gerichtsurkunde an das Steuerrekursgericht zurückzusenden gewesen, zum anderen hätte die Post CH AG dem Steuervertreter mit einem A-Post-Brief mitteilen müssen, dass für ihn eine Gerichtsurkunde vorgelegen habe. Wie sich aus den Akten ergibt, die sachverhaltsergänzend herangezogen werden dürfen (Art. 105 Abs. 2 BGG), trägt das retournierte Schreiben vom 3. April 2019 einen Eingangsstempel des Steuerrekursgerichts des Kantons Zürich, dies mit Datum vom 9. April 2019. Ob der A-Post-Brief ergangen ist, kann im vorliegenden Verfahren offenbleiben. Dadurch, dass der Steuervertreter die Post CH AG angewiesen hatte, seine Post bis zum 16. April 2019 zurückzubehalten (vorne E. 1.1), machte er diese zu seiner Hilfsperson. Dass er von der Gerichtsurkunde keine Kenntnis erlangte - sei es aufgrund eines standardisierten Verfahrens oder eines Fehlers im Einzelfall -, wäre vermeidbar gewesen: Zum einen musste der Steuervertreter wissen, dass die Frist weder durch den Nachsendeauftrag noch durch den später erteilten Rückbehaltungsauftrag gehemmt oder verlängert würde (vorne E. 3.1). Zum andern hätte die prozessuale Sorgfalt geboten (vorne E. 3.2), dass er das Steuerrekursgericht über den Umzug in Kenntnis gesetzt und dafür gesorgt hätte, dass der Briefkasten oder das Postfach regelmässig geleert wird. Dies hätte den Zurückbehaltungsauftrag erübrigt.  
 
4.3. Das Steuerrekursgericht des Kantons Zürich nahm am 29. Mai 2019 einen Zweitversand vor, nunmehr aber mit uneingeschriebener Briefpost (vorne E. 1.2). Dies entspricht einer gängigen Praxis, beruht aber auf keiner Rechtspflicht. Ein etwaiger zweiter Versand und die spätere Entgegennahme der Sendung vermögen an der eingetretenen Zustellfiktion nichts zu ändern (BGE 119 V 89 E. 4b/aa S. 94; zuletzt etwa Urteile 4A_53/2019 vom 14. Mai 2019 E. 4.2; 8C_394/2018 vom 11. März 2019 E. 4.2.2; 2C_1038/2017 vom 18. Juli 2018 E. 5.3.2). Entsprechend ginge der Vorwurf ins Leere, wenn vorgebracht würde, das Steuerrekursgericht habe mit dem zweiten Versand zulange zugewartet, als dass die Frist noch hätte gewahrt werden können.  
 
4.4. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet. Sie ist abzuweisen. Mit dem vorliegenden Entscheid wird das Gesuch um Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an die Beschwerde (Art. 103 Abs. 3 BGG) gegenstandslos (BGE 144 V 388 E. 10 S. 410).  
 
5.  
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens sind nach dem Unterliegerprinzip zu verlegen (Art. 65 in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die beschwerdeführenden Steuerpflichtigen tragen ihren Anteil zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftbarkeit (Art. 66 Abs. 5 BGG). Dem Kanton Zürich, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, steht keine Entschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt. Diese tragen ihren Anteil zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftbarkeit. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. April 2020 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Kocher