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[AZA 7] 
U 269/98 Ge 
 
 
III. Kammer 
 
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer; 
Gerichtsschreiber Grünvogel 
 
 
Urteil vom 15. März 2001 
 
in Sachen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Luzern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
F.________, 1948, Beschwerdegegner, vertreten durch 
Rechtsanwalt D.________, 
 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz 
 
 
 
A.- Der 1948 geborene F.________ erlitt am 13. September 
1995 einen Unfall, wofür die Schweizerische 
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihre Leistungspflicht 
anerkannte. Mit Verfügung vom 21. August 1997 stellte sie 
die bisher erbrachten Versicherungsleistungen ein, weil die 
noch geltend gemachten Beschwerden in keinem Kausalzusammenhang 
zum Unfallereignis (mehr) stünden. Dagegen erhoben 
sowohl F.________ mit Eingabe vom 24. September 1997 
wie auch die SWICA Gesundheitsorganisation (nachfolgend 
SWICA) als Krankenversicherer am 29. August 1997 Einsprache. 
 
Mit Schreiben vom 6. März 1998 teilte die SUVA dem 
Rechtsvertreter des F.________ mit, dass die Einsprache den 
durch die guten Sitten gebotenen Anstand verletze, weshalb 
sie zur Verbesserung zurückgewiesen werde; bis zur Behebung 
dieses Mangels werde die Einsprache nicht an die Hand 
genommen. Nachdem sich der Versicherte schriftlich am 
10. März 1998 geweigert hatte, die fragliche Einsprache zu 
verbessern, hielt die Anstalt mit Schreiben vom 18. März 
1998 an ihrem Standpunkt fest. Die von der SWICA eingelegte 
Einsprache unterzog die SUVA dagegen einer materiellen Prüfung 
und wies sie mit Entscheid vom 21. April 1998 ab, soweit 
darauf einzutreten sei. 
 
B.- a) Am 30. April 1998 gelangte F.________ an das 
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit dem Antrag, in 
Gutheissung der Rechtsverweigerungsbeschwerde im Sinne von 
Art. 106 Abs. 2 UVG seien ihm die gesetzlichen Leistungen 
zu gewähren. Einen verfahrensleitenden Antrag der SUVA, die 
Beschwerde wegen Verletzung des gebotenen Anstandes zur 
Verbesserung zurückzuweisen und dem Rechtsvertreter von 
F.________ eine Ordnungsbusse aufzuerlegen, wies die Gerichtsleitung 
mit Zwischenbescheid vom 1. Juli 1998 ab, was 
auf Gesuch hin vom Gericht mit Entscheid vom 19. August 
1998 bestätigt wurde. Gleichzeitig hiess es die Beschwerde 
insofern gut, als dass die SUVA angewiesen wurde, die 
Einsprache vom 24. September 1997 unter Berücksichtigung 
der nachgereichten Beweismittel im Sinne der Erwägungen an 
die Hand zu nehmen. 
 
b) Zwischenzeitlich hatte die SWICA am 22. Juli 1998 
gegen den Einspracheentscheid vom 21. April 1998 ebenfalls 
beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz Beschwerde erhoben 
(Geschäfts-Nummer 422/98). Der Entscheid ist noch ausstehend. 
 
 
C.- Die SUVA führt gegen den Entscheid vom 19. August 
1998 Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, dieser 
sei aufzuheben und die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen, 
damit diese die Sache in Nachachtung des Gebots 
der Verfahrenskoordination neu entscheide; weiter sei 
die Vorinstanz zu verpflichten, die Beschwerdeschrift vom 
30. April 1998 zur Verbesserung zurückzuweisen mit der Androhung, 
dass sie sonst unbeachtet bleibe, und den Verfasser 
mit einer Ordnungsbusse zu belegen; endlich sei festzustellen, 
dass die SUVA berechtigt war, auf die Einsprache 
vom 24. September 1997 nicht einzutreten bzw. diese nicht 
an die Hand zu nehmen. 
Während sich das Bundesamt für Sozialversicherung 
nicht vernehmen lässt, beantragt F.________ Gutheissung der 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit sie die Rückweisung 
an die Vorinstanz zum Sachentscheid umfasse. Das kantonale 
Verwaltungsgericht schliesst auf Abweisung der 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Da es sich beim angefochtenen Rückweisungsentscheid 
nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen 
handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht 
nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht 
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung 
oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche 
Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig 
oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen 
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung 
mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
b) Mit dem kantonalen Recht hat sich das Eidgenössische 
Versicherungsgericht grundsätzlich nicht zu befassen 
(Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 
Abs. 1 VwVG). Es hat nur zu prüfen, ob die Anwendung der 
einschlägigen kantonalen Bestimmungen oder - bei Fehlen 
solcher Vorschriften - die Ermessensausübung durch das 
kantonale Gericht zu einer Verletzung von Bundesrecht 
(Art. 104 lit. a OG), insbesondere des Willkürverbots oder 
des Verbots des überspitzten Formalismus, geführt hat 
(BGE 120 V 416 Erw. 4a, 114 V 205 Erw. 1a mit Hinweisen). 
 
2.- a) Nach Art. 10 Ziff. 1 EMRK hat jedermann Anspruch 
auf freie Meinungsäusserung. Soweit es um den Begriff 
der "Meinung" geht, hat die Bestimmung keine weitergehende 
Bedeutung als die vom Verfassungsrecht des Bundes 
garantierte Meinungsäusserungsfreiheit. Darunter fallen die 
Ergebnisse von Denkvorgängen sowie rational fassbar und 
mitteilbar gemachte Auffassungen und dergleichen (BGE 119 
Ia 73 Erw. 3a, 117 Ia 477 Erw. 3b, 108 Ia 318 Erw. 2a). 
Nach der Rechtsprechung steht dem Anwalt in der Kritik an 
der Rechtspflege von Verfassungs wegen weitgehende Freiheit 
zu, soweit er diese Kritik in den verfahrensmässigen Formen 
vorträgt. Diese Freiheit ergibt sich vorab aus dem Verteidigungsrecht 
der von ihm vertretenen Partei; sie ist darüber 
hinaus im Interesse der Sicherung einer integren, den 
rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechenden Rechtspflege 
unentbehrlich. Im Hinblick auf dieses öffentliche Interesse 
ist es geradezu Pflicht und Recht des Anwalts, Missstände 
aufzuzeigen und Mängel des Verfahrens zu rügen. Der Preis, 
der für diese unentbehrliche Freiheit der Kritik an der 
Rechtspflege zu entrichten ist, besteht darin, dass auch 
gewisse Übertreibungen in Kauf zu nehmen sind. Wenn dem 
Anwalt unbegründete Kritik verboten ist, so kann er auch 
eine allenfalls begründete nicht gefahrlos vorbringen. Die 
Wirksamkeit der Kontrolle der Rechtspflege wäre damit in 
Frage gestellt. Erweisen sich die erhobenen Rügen bei näherer 
Abklärung als unbegründet, so kann das für sich allein 
kein Grund für eine Sanktion sein. Standeswidrig und 
damit unzulässig handelt der Anwalt bei der Äusserung von 
Kritik in den verfahrensmässigen Formen nur, wenn er eine 
Rüge wider besseres Wissen oder in ehrverletzender Form erhebt, 
statt sich auf Tatsachenbehauptungen und Wertungen zu 
beschränken (BGE 106 Ia 107 Erw. 8b). 
 
b) Wie jedes Grundrecht gilt auch die Meinungsfreiheit 
(welche bis Ende 1999 von der Rechtsprechung als ungeschriebenes 
Verfassungsrecht des Bundes anerkannt war und 
heute ausdrücklich in Art. 16 BV verankert ist, wobei sich 
ihr Gehalt nicht verändert hat) nicht unbegrenzt. Einschränkungen 
sind zulässig, sofern sie auf einer genügenden 
gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse 
liegen und verhältnismässig sind. So sieht etwa Art. 30 
Abs. 2 und Abs. 3 OG für die Bundesrechtspflege vor, dass 
bei ungebührlichen Eingaben eine Frist zur Behebung des 
Mangels anzusetzen ist mit der Androhung, dass die Rechtsschrift 
sonst unbeachtet bleibe. Allerdings ist in dieser 
Regelung entgegen der von der SUVA vertretenen Auffassung 
kein allgemeiner Rechtsgrundsatz zu sehen. Mangelt es für 
das kantonale Beschwerdeverfahren oder das Verwaltungsverfahren 
der Unfallversicherer an einer derartigen Bestimmung, 
fehlt es an einer genügenden gesetzlichen Grundlage 
zur Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit (zum 
Ganzen: nicht veröffentlichtes Urteil P. vom 28. November 
2000 [U 279/00]). 
 
c) Während das Prozessrecht des Kantons Schwyz für die 
Beschwerdeverfahren vor dem kantonalen Verwaltungsgericht 
eine inhaltlich weitgehend mit Art. 30 Abs. 2 und Abs. 3 OG 
übereinstimmende Bestimmung kennt (§ 86 Abs. 1 und Abs. 2 
des kantonalen Gerichtsorganisationsgesetzes [GO]), findet 
sich für das Verwaltungsverfahren der Unfallversicherer wie 
auch für das verwaltungsinterne Verfahren allgemein (vgl. 
Art. 52 VwVG) keine vergleichbare Regelung. Damit fehlt es 
im Einspracheverfahren, wie von der Vorinstanz richtig 
erkannt, an einer gesetzlichen Grundlage für das Nichteintreten 
auf eine ungebührliche Eingabe, welche auch nicht 
durch selbstständig aufgestellte Formvorschriften von Seiten 
des Unfallversicherers geschaffen werden können. 
Das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage im anwendbaren 
Prozessrecht bedeutet indessen nicht, dass es dem Richter 
oder der Verwaltung angesichts von renitenten Parteien 
grundsätzlich verwehrt wäre, schärfere Rechtsfolgen anzudrohen. 
Ein solches Vorgehen ist jedoch nur bei rechtsmissbräuchlichem 
Verhalten möglich. So geht es beispielsweise 
nicht an, dass ein Beschwerdeführer systematisch immer 
wieder Rechtsschriften beleidigenden und in ungebührlichem 
Ton gehaltenen Inhalts einreicht im Vertrauen darauf, dass 
ihm eine Verbesserungsfrist angesetzt werde und er somit 
keinen Rechtsnachteil erleide. Aus dem auch im öffentlichen 
Recht anwendbaren Art. 2 Abs. 2 ZGB hat das Bundesgericht 
abgeleitet, auf missbräuchlich erhobene Rechtsmittel brauche 
nicht eingetreten zu werden (vgl. BGE 111 Ia 150 Erw. 4 
mit Hinweisen; zum Ganzen: nicht veröffentlichtes Urteil P. 
vom 28. November 2000 [U 279/00]). 
 
d) Daraus erhellt zweierlei. Einerseits beruht der 
Entscheid der Vorinstanz, die Rechtsverweigerungsbeschwerde 
vom 30. April 1998 entgegen zu nehmen und von einer Rückweisung 
gemäss § 86 Abs. 2 GO zur Umänderung abzusehen 
genau so wie der Verzicht, gestützt auf § 23 Abs. 3 der 
kantonalen Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege eine 
Busse auszusprechen, auf selbstständigem kantonalem Recht, 
weshalb das Eidgenössische Versicherungsgericht diesen im 
Wesentlichen nur unter dem eingeschränkten Blickwinkel der 
Willkür überprüfen kann (Erw. 1b hievor). Eine derartige 
Bundesrechtsverletzung ist indessen nicht erkennbar, zumal 
allein das Vorliegen von Gründen, die auch ein anderes 
Vorgehen der Vorinstanz gerechtfertigt hätten oder gar als 
näher liegend erscheinen lassen, nicht genügen (vgl. 
BGE 125 I 168 Erw. 2a, 125 II 15 Erw. 3a, 124 I 316 
Erw. 5a, 124 V 139 Erw. 2b, je mit Hinweisen). 
 
Andererseits wies das kantonale Gericht die SUVA mangels 
entsprechender gesetzlicher Grundlage für das Nichteintreten 
auf eine ungebührliche Eingabe zu Recht an, die 
Einsprache des Beschwerdeführers vom 24. September 1997 an 
die Hand zu nehmen. Von Rechtsmissbrauch kann mit Bezug auf 
die Eingaben des Beschwerdegegners - soweit erkennbar - 
nicht die Rede sein. Indessen sei hier angefügt, dass die 
Regel, wonach in einem Verfahren der gebotene Anstand zu 
wahren ist, nicht nur gilt, wenn und weil sie in einem 
Gesetz festgeschrieben ist, sondern vielmehr bereits Ausfluss 
dessen ist, was in einer Gesellschaft als Mass des 
zwischenmenschlichen Verhaltens erwartet wird (Brockhaus-Enzyklopädie, 
Stichwort Anstand). Im Übrigen weist die 
Vorinstanz zutreffend auf Möglichkeiten hin, welche einer 
Verwaltungsbehörde zur Verfügung stehen, die sich nicht auf 
eine ausdrückliche Vorschrift wie Art. 30 Abs. 3 OG berufen 
kann. 
Was den Einwand der SUVA anbelangt, die Vorinstanz 
verunmögliche durch ihren Entscheid eine Koordination der 
Einsprachen des Krankenversicherers sowie des Beschwerdegegners, 
so hat das kantonale Gericht in der Vernehmlassung 
vom 12. Oktober 1998 ausgeführt, dass das Beschwerdeverfahren 
SWICA gegen SUVA, Geschäftsnummer 422/98, bis zum Erlass 
des noch ausstehenden Einspracheentscheides materiell 
nicht behandelt werde. Sodann ist der im Beschwerdeverfahren 
SWICA gegen SUVA angefochtene Einspracheentscheid vom 
21. April 1998 nach Aussage der Vorinstanz nach wie vor 
einer Wiedererwägung zugänglich, weshalb eine Koordination 
der Einspracheentscheide sehr wohl noch möglich ist. Eine 
rechtliche Pflicht, die Rechtsverweigerungsbeschwerde nicht 
mit einer Rückweisung, sondern einem materiellen Entscheid 
in der Sache selbst abzuschliessen, bestand für das kantonale 
Gericht entgegen der vom Beschwerdegegner vertretenen 
Auffassung nicht. Insbesondere entstand für ihn durch diese 
Vorgehensweise nicht ein Nachteil im Sinne von Art. 99 
Abs. 2 UVG (vgl. hiezu SVR 1997 UV Nr. 66 S. 227 
Erw. 4b/bb; weiter RKUV 1993 Nr. U 175 S. 200 Erw. 4). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin 
auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss 
verrechnet. 
 
III. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt hat dem 
Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen 
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung 
von Fr. 2500.- (einschl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht 
des Kantons Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherung 
zugestellt. 
 
Luzern, 15. März 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
 
 
 
Der Gerichtsschreiber: