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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.413/2004 /bnm 
 
Urteil vom 13. Mai 2005 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Marazzi, 
Gerichtsschreiber Gysel. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Birgitta Zbinden, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Schaffhausen, Postfach 568, 8201 Schaffhausen. 
 
Gegenstand 
Art. 9 und 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Prozessführung im Ehescheidungsverfahren), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 17. September 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Zwischen X.________ (Ehemann) und Y.________ (Ehefrau) ist seit dem 29. August 2003 beim Kantonsgericht Schaffhausen ein Ehescheidungsverfahren hängig. Während das Kantonsgericht ein Gesuch der Ehegattin um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Vertretung mit Verfügung vom 30. September 2003 einstweilen guthiess, wies es am 6. April 2004 ein gleichlautendes Begehren von X.________ ab. Ebenso wies das Kantonsgericht von beiden Ehegatten für das weitere Verfahren gestellte Armenrechtsgesuche ab, dasjenige der Ehefrau gestützt auf die eheliche Beistandspflicht. 
B. 
X.________ rekurrierte mit Eingabe vom 22. April 2004 an das kantonale Obergericht, verbunden mit dem Begehren, ihm für das Rekursverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Das Obergericht wies am 17. September 2004 sowohl den Rekurs als auch das Armenrechtsgesuch ab (Dispositiv-Ziffer 1) und auferlegte X.________ die Kosten des Rekursverfahrens (Dispositiv-Ziffer 2). 
C. 
Mit Eingabe vom 3. November 2004 führt X.________ staatsrechtliche Beschwerde und verlangt, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht, allenfalls an das Kantonsgericht, zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er darum, ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
 
In seiner Vernehmlassung vom 6. Dezember 2004 schliesst das Obergericht sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgericht prüft die Rechtsmittelvoraussetzungen frei und von Amtes wegen, ohne an die Auffassungen der Parteien gebunden zu sein (BGE 130 III 76 E. 3.2.2 S. 81 f.; 130 II 249 E. 2 S. 250, mit Hinweisen). 
1.1 Gegen (Zwischen-)Entscheide, mit denen das Armenrecht verweigert wird, steht gemäss ständiger Rechtsprechung im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG die staatsrechtliche Beschwerde offen (dazu BGE 126 I 207 E. 2a S. 210 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde, die von dem durch die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege persönlich betroffenen Beschwerdeführer (Art. 88 OG) gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid des Obergerichts (Art. 86 Abs. 1 OG) rechtzeitig (Art. 89 OG) eingelegt worden ist, ist aus dieser Sicht deshalb ohne weiteres einzutreten. 
1.2 Im Bereich der Verfassungsbeschwerde gilt der Grundsatz der richterlichen Rechtsanwendung nicht (BGE 125 I 71 E. 1c S. 76). Das Bundesgericht prüft nur gestützt auf (im Sinne von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen, ob ein kantonaler Entscheid verfassungswidrig ist (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f. mit Hinweisen). Auf appellatorische Kritik, wie sie allenfalls im Rahmen eines Berufungsverfahrens zulässig ist, wird nicht eingetreten (BGE 128 I 295 E. 7a S. 312; 117 Ia 10 E. 4b S. 11 f.). 
 
Wird die Beweiswürdigung und die Sachverhaltsermittlung beanstandet, fällt Willkür nur dann in Betracht, wenn die kantonale Instanz Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt, ohne triftigen Grund ein wichtiges Beweismittel, das geeignet gewesen wäre, zu einem andern Entscheid zu führen, unberücksichtigt gelassen oder aus den zusammengetragenen entscheidrelevanten Elementen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat. Willkür liegt sodann nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern nur dann, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9 mit Hinweisen). Die Aufhebung eines kantonalen Entscheids rechtfertigt sich in jedem Fall nur dort, wo nicht nur die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 129 I 49 E. 4 S. 58; 128 I 81 E. 2, S. 86, und 177 E. 2.1 S. 182, mit Hinweisen). 
1.3 Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde gilt im Übrigen das grundsätzliche Verbot, neue Tatsachenbehauptungen sowie rechtliche Argumente vorzubringen und neue Beweisanträge zu stellen (dazu BGE 128 I 354 E. 6c S. 357). 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht sowohl einen Verstoss gegen Art. 29 Abs. 3 BV als auch eine willkürliche Anwendung von Art. 130 Abs. 1 der Schaffhauser Zivilprozessordnung (ZPO) vor. Er geht selbst nicht davon aus, dass die unentgeltliche Rechtspflege nach dem kantonalen Recht unter leichteren Bedingungen gewährt werden könne, als es auf Grund der Verfassungsbestimmung der Fall ist. Die Beschwerde ist daher ausschliesslich unter dem Gesichtswinkel von Art. 29 Abs. 3 BV zu beurteilen, zumal in diesem Fall das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei prüfen kann, ob der Anspruch auf Gewährung des Armenrechts missachtet worden sei. Auf Willkür beschränkt ist die Prüfungsbefugnis indessen, soweit tatsächliche Feststellungen der kantonalen Instanz beanstandet werden (BGE 130 I 180 E. 2.1 S. 181 f. mit Hinweisen). 
2.2 Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Falls es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. 
3. 
3.1 Die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege beruht hier ausschliesslich auf der Verneinung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers. Mit der Frage der Erfolgsaussichten und der Notwendigkeit einer anwaltlichen Verbeiständung hat sich das Obergericht nicht befasst. 
3.2 Als bedürftig im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV gilt eine Person dann, wenn sie die Kosten eines Prozesses nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, die für die Deckung des eigenen notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen ihrer Familie erforderlich sind (BGE 128 I 225 E. 2.5.1 S. 232 mit Hinweisen); in Betracht zu ziehen sind dabei nicht nur die Einkommens-, sondern auch die Vermögensverhältnisse (BGE 124 I 97 E. 3b S. 98 mit Hinweisen). Zum angesprochenen Grundbedarf gehört, was zur Führung eines bescheidenen, aber menschenwürdigen Lebens benötigt wird. Bei der Prüfung der Frage der Bedürftigkeit sind sämtliche Umstände im Zeitpunkt der Einreichung des Armenrechtsgesuchs zu würdigen, wobei nicht schematisch auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum abzustellen ist; vielmehr sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (BGE 124 I 1 E. 2a S. 2 mit Hinweisen). 
4. 
4.1 Das Obergericht hat verfügbaren Mitteln des Beschwerdeführers (IV-Rente, BVG-Rente und Verbilligung der Krankenkassenprämie) von monatlich Fr. 3'107.-- einen Notbedarf von monatlich Fr. 2'742.-- (darunter Wohnkosten von Fr. 585.-- und Arztkosten von Fr. 130.--) gegenübergestellt und gelangte damit auf einen Freibetrag von monatlich Fr. 365.--. Praxisgemäss sei unter diesen Umständen eine Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ausgeschlossen. Trotz zur Zeit höherer steuerlicher Belastung sei dem Beschwerdeführer zuzumuten, die mutmasslichen Kosten des Scheidungsprozesses und seiner anwaltlichen Vertretung, wenn auch ratenweise, selbst zu bezahlen. Für das Jahr 2005 gelte dies um so mehr, als die Steuerbelastung mangels weiterer IV-Nachzahlungen voraussichtlich wieder sinken dürfte. Bei diesem Ergebnis könne offen bleiben, inwieweit die erhaltene IV-Renten-Nachzahlung (von rund Fr. 44'000.--) als Vermögenszuwachs zu Lasten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen wäre. 
4.2 Einerseits beanstandet der Beschwerdeführer die Höhe des ihm zugestandenen Notbedarfs, indem er als Wohnkosten Fr. 835.-- und als Arztkosten Fr. 200.-- sowie ferner einen zusätzlichen Betrag von Fr. 100.-- für den Krankenkassenselbstbehalt beansprucht, wodurch ein Fehlbetrag von monatlich Fr. 55.-- entstehe. Er rügt andererseits aber auch die Auffassung des Obergerichts, es sei ihm bei einem Freibetrag von Fr. 365.-- im Monat zuzumuten, Gerichts- und Anwaltskosten zu zahlen; die bereits aufgelaufenen und die in nächster Zeit noch absehbaren Gerichts- und Anwaltskosten würden ihn während mindestens zwei Jahren mit Ratenzahlungen belasten, was gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu lang sei. 
4.3 In seiner Vernehmlassung zur Beschwerde führt das Obergericht zu den Wohnkosten sinngemäss aus, der Beschwerdeführer hätte sich nicht mit der pauschalen Behauptung begnügen dürfen, er trage einfach die Hälfte an die Lebenshaltungskosten mit seiner Partnerin bei; vielmehr hätte er die tatsächlich anfallenden Wohnkosten ausscheiden müssen. Im Übrigen habe es die Bilanzen des Unternehmens der Partnerin, wonach für den zu Hause eingerichteten Geschäftsbetrieb lediglich eine Büromiete von Fr. 100.-- bzw. Fr. 50.-- abgeliefert werde, sehr wohl - wenn auch stillschweigend - berücksichtigt; in Ausübung seines pflichtgemässen Ermessens habe es aber diese Angaben als absolut unrealistisch gewürdigt und deshalb nicht übernommen. Sodann räumt das Obergericht ein, es sei im angefochtenen Entscheid versehentlich festgehalten worden, dass im strittigen Rekursverfahren ein Novenverbot bestanden habe; dennoch gelte aber, dass nur die Verhältnisse zur Zeit der Gesuchstellung hätten massgebend sein können; allfällige später angefallene Kosten müssten deshalb grundsätzlich ausser Acht bleiben, soweit sie zu jenem Zeitpunkt nicht schon bekannt oder absehbar gewesen seien. Ferner erklärt die kantonale Instanz, dass allenfalls die im angefochtenen Entscheid offen gelassene Frage der Berücksichtigung der Rentennachzahlung als Vermögenszuwachs geprüft werden müsste. 
5. 
5.1 Schon vor Obergericht hatte der Beschwerdeführer geltend gemacht, dass zu Lasten seines Notbedarfs als (zusätzliche) Arztkosten nicht nur Fr. 130.--, sondern Fr. 200.-- im Monat und ferner Fr. 100.-- im Monat (als Anteil des von ihm gegenüber der Krankenkasse zu tragenden Selbstbehaltes) zu berücksichtigen seien. Die kantonale Rekursinstanz trat auf diese Vorbringen nicht ein mit der Begründung, sie seien neu und deshalb unzulässig und überdies nicht belegt. Wie der Beschwerdeführer mit Recht vorbringt und das Obergericht in seiner Vernehmlassung zur Beschwerde unter Hinweis auf die Art. 361 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 349 Abs. 2 sowie auf Art. 177 Abs. 2 ZPO denn auch selbst anerkennt, kommt das Novenverbot in einem Fall der vorliegenden Art indessen nicht zum Tragen. Die vom Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den beanspruchten zusätzlichen Gesundheitskosten erhobene Rüge der willkürlichen Anwendung kantonalen Zivilprozessrechts ist mithin begründet. Es geht sodann auch nicht an, die geltend gemachten Posten pauschal als unglaubhaft abzutun, zumal die wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers ohnehin äusserst knapp an der Grenze der Bedürftigkeit liegt und deshalb kleinste Abänderungen von Bedeutung sind. 
5.2 Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid ferner dafür gehalten, dass in Anbetracht des von ihm ermittelten Freibetrags von monatlich Fr. 365.-- die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege "praxisgemäss" ausgeschlossen sei. Indessen hat es unterlassen, die von ihm angerufene Praxis darzulegen. Auch seine Vernehmlassung enthält dazu keine näheren Angaben, obschon der Beschwerdeführer vorgebracht hat, eine Praxis, wonach sogar bei einem Freibetrag von wesentlich weniger als Fr. 500.-- bzw. von weniger als Fr. 400.-- im Kanton Schaffhausen das Armenrecht verweigert werde, sei ihm nicht bekannt. Es fehlt in diesem Punkt die aus der Sicht von Art. 29 Abs. 3 BV gebotene Auseinandersetzung der kantonalen Instanz mit den Umständen des konkreten Falles. 
6. 
Die Dispositiv-Ziffern 1 und 2 des angefochtenen Entscheids sind nach dem Gesagten aufzuheben, ohne dass die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers, namentlich die im Zusammenhang mit den eingesetzten Wohnkosten erhobenen Rügen, zu erörtern wären. An diesem Ergebnis vermag die Bemerkung des Obergerichts, es wäre allenfalls auch die Frage eines Vermögenszuwachses durch die vom Beschwerdeführer empfangene Nachzahlung von Renten zu prüfen, nichts zu ändern. Weder aus dem angefochtenen Entscheid noch aus der Vernehmlassung ergeben sich hierzu genauere Angaben. So ist nicht bekannt, wann der Betrag ausbezahlt wurde und ob und allenfalls wie viel davon im massgeblichen Zeitpunkt noch verfügbar war. 
7. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist keine Gerichtsgebühr zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG), der Kanton Schaffhausen jedoch zu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 159 Abs. 2 OG). Da der Beschwerdeführer diese ohne Zweifel ausbezahlt erhalten wird, wird sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und die Dispositiv-Ziffern 1 und 2 des Entscheids des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 17. September 2004 werden aufgehoben. 
2. 
Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben. 
3. 
Der Kanton Schaffhausen wird verpflichtet, den Beschwerdeführer für seine Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 13. Mai 2005 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: