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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_429/2019  
 
 
Urteil vom 23. September 2019  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Muschietti, 
Gerichtsschreiberin Dambeck. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Schütz, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Verlängerung der Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 22. August 2019 
(SK 19 294+295 LUD). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ wurde mit Urteil des Kantonalen Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern vom 29. Mai 2019 wegen gewerbsmässigen Betrugs, Urkundenfälschung und qualifizierter Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten, unter Anrechnung von Untersuchungs- und Sicherheitshaft im Umfang von 1'161 Tagen, sowie zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je Fr. 30.-- verurteilt. Gegen dieses Urteil erhob A.________ Berufung an das Obergericht des Kantons Bern. 
Ebenfalls am 29. Mai 2019 beschloss das Kantonale Wirtschaftsstrafgericht, A.________, vorbehältlich des vorherigen Eintritts der Rechtskraft des Urteils, bis längstens zum 28. August 2019 in Sicherheitshaft zu behalten. Das Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, stellte mit Beschluss vom 22. August 2019 entsprechend fest, dass die gegenüber A.________ angeordnete Sicherheitshaft gemäss Beschluss des Kantonalen Wirtschaftsstrafgerichts bis zum 28. August 2019 befristet sei (Ziffer 7 des Beschlusses) und ordnete an, dass er über den 28. August 2019 hinaus in Sicherheitshaft bleibe (Ziffer 8 des Beschlusses). 
 
B.   
Gegen diesen Beschluss gelangt A.________ mit Beschwerde vom 3. September 2019 an das Bundesgericht und beantragt die Aufhebung von Ziffer 8 des obergerichtlichen Beschlusses. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen und er sei unverzüglich aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Für die zu Unrecht in Sicherheitshaft verbrachte Zeit ab dem 29. August 2019 sei ihm eine Entschädigung zu gewähren. Weiter ersucht er um Einsetzung seines Rechtsvertreters als amtlicher Verteidiger im bundesgerichtlichen Verfahren. 
Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern beantragt im Rahmen ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne, sowie des Gesuchs um Erteilung der aufschiebenden Wirkung. Auch die Vorinstanz liess sich vernehmen. Der Beschwerdeführer wurde über die Vernehmlassungen in Kenntnis gesetzt und nahm dazu Stellung. 
 
C.   
Der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts wies das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung mit Verfügung vom 11. September 2019 ab. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der angefochtene Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern betrifft die Verlängerung der Sicherheitshaft (Art. 220 Abs. 2 StPO). Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG gegeben. Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und befindet sich nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, so dass auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.  
 
1.2. Mit der Beschwerde in Strafsachen kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Dieses wendet das Bundesgericht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten wird vom Bundesgericht allerdings nur insofern geprüft, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Hierzu gelten qualifizierte Begründungsanforderungen: In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern die angerufenen Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 142 V 577 E. 3.2 S. 579 mit Hinweis).  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Er habe keine Möglichkeit erhalten, sich zur geplanten Verlängerung der Sicherheitshaft zu äussern. Seitens der Vorinstanz seien weder eine Stellungnahme eingeholt noch Gründe dargelegt worden, weshalb eine weitere Verlängerung der Sicherheitshaft geplant worden sei. Eine Heilung dieser Verletzung sei aufgrund der eingeschränkten Kognition des Bundesgerichts sowie der Schwere der Verletzung vorliegend ausgeschlossen. Der vorinstanzliche Beschluss sei daher umgehend aufzuheben und er sei aus der Sicherheitshaft zu entlassen.  
 
2.2. Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur. Seine Verletzung führt in der Regel ungeachtet der materiellen Begründetheit der Beschwerde zu deren Gutheissung und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 144 IV 302 E. 3.1 S. 304 mit Hinweisen). Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. c sowie Art. 107 StPO haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Im Haftprüfungsverfahren finden Art. 31 Abs. 4 BV bzw. Art. 5 Ziff. 4 EMRK Anwendung. Der Anspruch auf rechtliches Gehör dient der Sachaufklärung und garantiert den Verfahrensbeteiligten ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht. Sie haben insbesondere Anspruch auf Äusserung zur Sache vor Erlass eines in ihre Rechtsstellung eingreifenden Entscheids (BGE 144 II 427 E. 3.1 S. 434; 140 I 99 E. 3.4 S. 102 f.; je mit Hinweisen). Der beschuldigten Person ist vor der Fortsetzung der Sicherheitshaft die Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äussern, auch wenn das Strafverfahren bereits vor der Berufungsinstanz hängig ist. Ansonsten liegt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör vor (vgl. Urteile 1B_165/2017 vom 19. Mai 2017 E. 4.1; 1B_281/2015 vom 15. September 2015 E. 3.2; 1B_143/2015 vom 5. Mai 2015 E. 3.1 f.; je mit Hinweisen). Für die erst spätere Anordnung von Haft sieht Art. 232 Abs. 1 StPO ausdrücklich vor, dass die betroffene Person der Verfahrensleitung vorgeführt und von dieser angehört wird.  
 
2.3. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Kantonalen Wirtschaftsstrafgerichts vom 29. Mai 2019 erstinstanzlich verurteilt. Gleichentags ordnete das Kantonale Wirtschaftsstrafgericht an, der Beschwerdeführer werde bis längstens zum 28. August 2019 in Sicherheitshaft behalten. Nach Eingang der Berufungserklärung des Beschwerdeführers beschloss das Obergericht des Kantons Bern am 22. August 2019, er bleibe über den 28. August 2019 hinaus in Sicherheitshaft. Dass der Beschwerdeführer vor dieser Beschlussfassung Gelegenheit gehabt hätte, sich zur beabsichtigten Verlängerung der Sicherheitshaft zu äussern, geht weder aus dem Beschluss selber hervor noch wird dies seitens der Vorinstanz im Rahmen ihrer Vernehmlassung vorgebracht oder ist dies ersichtlich.  
Nach dem Gesagten hätte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer vor ihrer Beschlussfassung vom 22. August 2019 Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Der Umstand, dass eine gewisse zeitliche Dringlichkeit bestanden haben dürfte (der obergerichtliche Beschluss datiert vom 22. August 2019, während die Haft bis längstens zum 28. August 2019 angeordnet worden war), vermag daran nichts zu ändern, zumal die Rechtsstellung des Beschwerdeführers mit dem Verzicht auf eine Befristung der Haft verschlechtert wurde. Die Rüge der Gehörsverletzung erweist sich daher als begründet. 
 
2.4. Während die Vorinstanz über volle Kognition verfügt, ist jene des Bundesgerichts beschränkt (vgl. Art. 97 BGG). Für die Prüfung der Haftvoraussetzungen, insbesondere des dringenden Tatverdachts und des besonderen Haftgrunds der Fluchtgefahr, sind hier auch Sachverhaltsfragen von Bedeutung. Die Heilung der Gehörsverletzung im Verfahren vor Bundesgericht fällt daher ausser Betracht (vgl. BGE 126 I 68 E. 2 S. 72; Urteil 1B_347/2017 vom 1. September 2017 E. 2.7; je mit Hinweisen). Ein Eingehen auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers, namentlich die geltend gemachte Verletzung der Begründungspflicht durch die Vorinstanz, erübrigt sich unter diesen Umständen.  
 
3.   
Soweit der Beschwerdeführer allerdings geltend macht, die angeordnete Verlängerung der Sicherheitshaft sei auf die maximale Dauer von drei Monaten, mithin bis zum 28. November 2019, zu befristen, ist festzuhalten, dass im Berufungsverfahren eine regelmässige periodische Haftprüfung, mangels Verweises des Gesetzes auf Art. 227 Abs. 7 StPO, nicht vorgesehen ist (BGE 139 IV 277 E. 2.2 f. S. 280 f.; 139 IV 186 E. 2.2.2 f. S. 188 ff.). Der Beschwerdeführer kann daher aus dem Umstand, dass die Vorinstanz die Verlängerung der Sicherheitshaft zeitlich nicht befristet hat, nichts zu seinen Gunsten ableiten. Allerdings wird sein Recht, gestützt auf Art. 233 StPO grundsätzlich jederzeit ein Haftentlassungsgesuch zu stellen, davon nicht tangiert. 
 
4.   
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, Ziffer 8 des angefochtenen Beschlusses aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird innert fünf Tagen (vgl. Art. 233 StPO in Analogie; Urteil 1B_281/2015 vom 15. September 2015 E. 5.1) nach Eröffnung des vorliegenden bundesgerichtlichen Urteils nochmals zu entscheiden und dabei die Anforderungen an die Gewährung des rechtlichen Gehörs zu beachten haben. Eine Haftentlassung durch das Bundesgericht kommt nicht in Betracht. Auf das Genugtuungsbegehren des Beschwerdeführers kann bereits deshalb nicht eingetreten werden, weil über solche Begehren nicht im Haftprüfungsverfahren zu entscheiden wäre, sondern in einem separaten Haftentschädigungsverfahren (vgl. Art. 222 und Art. 429-431 StPO; Urteil 1B_486/2018 vom 22. November 2018 E. 10 mit Hinweisen). 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG) und hat der Kanton Bern den Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit ist über das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung nicht zu entscheiden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, Ziffer 8 des Beschlusses des Obergerichts des Kantons Bern vom 22. August 2019 aufgehoben und die Sache an dieses zurückgewiesen zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Bern hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. September 2019 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dambeck