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[AZA 3] 
4C.65/2000/rnd 
 
I. ZIVILABTEILUNG 
****************************** 
 
22. Juni 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, 
Präsident, Klett, Rottenberg Liatowitsch und Gerichtsschreiber 
Leuenberger. 
 
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In Sachen 
Josef Städler, Industriestrasse 17, 9100 Herisau, Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Werner Rechsteiner, Unterer Graben 1, Postfach, 9001 St. Gallen, 
 
gegen 
Theresia B o d e n m a n n - Schmitz, Im Güetli 13, 9100 Herisau, Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Frischknecht, Webergasse 21, Postfach 641, 9001 St. Gallen, 
 
betreffend 
Wohnrecht, hat sich ergeben: 
 
A.- Robert Bodenmann arbeitete ab ca. 1960 für den Kläger, der in Herisau eine gewerbliche Glasbläserei mit mehreren Angestellten betreibt. Seine Ehefrau, Theresia BodenmannSchmitz (Beklagte), besorgte während vieler Jahre im gleichen Betrieb Reinigungsarbeiten. 
 
Ab 1. Oktober 1980 vermietete der Kläger an Robert Bodenmann eine 3 1/2 Zimmerwohnung im 3. Stock seines Mehrfamilienhauses "Im Güetli" in Herisau für einen monatlichen Mietzins von Fr. 300.--, die Kosten für Heizung, Warmwasseraufbereitung und Wasserkonsum eingeschlossen. Anlässlich seiner Pensionierung im Jahre 1986 erhielt Robert Bodenmann aus vorobligatorischer Altersvorsorge, an die er selber keine Beiträge geleistet hatte, ein einmaliges Pensionsgeld von Fr. 17'500.-- ausbezahlt. Zusammen mit seiner Ehefrau blieb er in der Mietwohnung, bezahlte aber in der Folge im Einverständnis mit dem Kläger keinerlei Mietzins mehr. 
 
Mit Schreiben vom 1. März und 15. Juni 1992 forderte der Kläger die Eheleute Bodenmann auf, sich eine neue Wohnung zu suchen. Diese machten daraufhin geltend, es sei ihnen ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht eingeräumt worden. In der Folge kündigte der Kläger die Wohnung am 30. August 1994 per 30. November 1994. Die angerufene Schlichtungsstelle für Miet- und Pachtverhältnisse trat am 16. November 1994 mangels Vorliegens eines Mietverhältnisses auf die Streitsache nicht ein. 
 
 
B.- Am 20. März 1995 ersuchte der Kläger um Ausweisung der Eheleute Bodenmann und um Verpflichtung derselben zur Zahlung von Fr. 3'000.-- nebst Zins. Die Eheleute Bodenmann verlangten widerklageweise die Feststellung, es stehe ihnen an der zur Zeit bewohnten Wohnung ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht zu. Zudem ersuchten sie um Eintragung dieses Wohnrechts im Grundbuch von Herisau. Am 18. Januar 1996 verstarb Robert Bodenmann. Mit Urteil vom 16. September 1998 wies das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden (5. Abteilung) die Klage ab und hiess die Widerklage in Bezug auf das Feststellungsbegehren gut. Hinsichtlich des Eintragungsbegehrens schrieb es die Widerklage zufolge Rückzugs als erledigt ab. Gleich entschied auf Appellation des Klägers das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden am 23. November 1999. 
 
C.- Der Kläger hat das Urteil des Obergerichts erfolglos mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten. Mit eidgenössischer Berufung beantragt er dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage gutzuheissen, eventualiter die Sache zur Beweisergänzung und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung. 
Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Im Berufungsverfahren hat das Bundesgericht seiner Entscheidung die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz als wahr und vollständig zugrunde zu legen, es sei denn, sie beruhten auf einem offensichtlichen Versehen, seien unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustandegekommen oder bedürften der Ergänzung, weil das Sachgericht in fehlerhafter Rechtsanwendung einen gesetzlichen Tatbestand nicht oder nicht hinreichend klärte, obgleich ihm entscheidwesentliche Behauptungen und Beweisanerbieten dazu prozesskonform unterbreitet worden waren (Art. 63 und 64 OG; BGE 123 III 110 E. 2; 115 II 484 E. 2a). Werden Ausnahmen von der Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen Feststellungen der oberen kantonalen Instanz geltend gemacht, hat die Partei, die den Sachverhalt berichtigt oder ergänzt wissen will, darüber genaue Angaben mit Aktenhinweisen zu machen (Art. 55 Abs. 1 lit. d OG). Eine Ergänzung setzt zudem voraus, dass entsprechende Sachbehauptungen bereits im kantonalen Verfahren prozesskonform aufgestellt, von der Vorinstanz aber zu Unrecht für unerheblich gehalten oder übersehen worden sind, was wiederum näher anzugeben ist. Ohne diese Angaben gelten Vorbringen, welche über die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil hinausgehen, als neu und damit als unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). 
 
 
 
b) In seiner Berufung, deren Begründung im Wesentlichen derjenigen der staatsrechtlichen Beschwerde entspricht, rügt der Kläger unter anderem Verletzungen seines Gehörsanspruchs und des Willkürverbotes durch das Obergericht. 
All diese Rügen sind im vorliegenden Verfahren nicht zu hören. Soweit der Kläger deshalb die Beweiswürdigung, insbesondere die Würdigung der einzelnen Zeugenaussagen durch das Obergericht als verfassungswidrig ausgibt, ist auf seine Berufung nicht einzutreten. 
 
c) Der Kläger macht geltend, die Vorinstanz habe mit ihrer Weigerung, zwei beantragte Zeugen zu befragen, sein "verfassungsmässiges Recht auf den Gegenbeweis" verletzt. 
Selbst wenn die Rüge auf Art. 8 ZGB Bezug nähme, wäre sie unbegründet. Wohl gewährleistet diese Bestimmung das Recht zum Gegenbeweis. Indes wird dieser Beweisführungsanspruch gegenstandslos, wenn das dem Hauptbeweis unterstellte Tatbestandsmerkmal beweismässig bereits feststeht (BGE 115 II 305). Das Obergericht hat gestützt auf Zeugenaussagen und Indizien geschlossen, der Kläger habe der Beklagten und deren Ehemann zugesichert, ihre angestammte Wohnung auf Lebenszeit unentgeltlich benutzen zu können. Damit entfällt bundesrechtlich ein Anspruch auf Weiterung des Beweisverfahrens. 
 
2.- Der Kläger macht geltend, die Schlichtungsstelle sei auf eine Kündigungsanfechtung der Beklagten und ihres verstorbenen Ehemannes nicht eingetreten, weil mangels entgeltlicher Gebrauchsüberlassung kein Mietverhältnis vorliege. 
Das Obergericht setze sich über diese Feststellung hinweg, gehe von der Entgeltlichkeit des beanspruchten Wohnrechts aus und bezeichne dieses als arbeitsvertragliche Gegenleistung für eine angeblich unüblich tiefe Entlöhnung. 
Damit habe die Vorinstanz die Rechtskraftwirkung des Nichteintretensentscheids der Schlichtungsstelle bundesrechtswidrig verkannt. 
 
a) Nach der Praxis des Bundesgerichts bestimmt das Bundesrecht über die materielle Rechtskraft, mithin die Verbindlichkeit eines Urteils für spätere Prozesse, soweit der zu beurteilende Anspruch - wie hier - auf Bundesrecht beruht. 
Eine abgeurteilte Sache liegt vor, wenn der streitige Anspruch mit einem schon rechtskräftig beurteilten identisch ist. Dies trifft zu, wenn der Anspruch dem Gericht aus demselben Rechtsgrund und gestützt auf den gleichen Sachverhalt erneut zur Beurteilung unterbreitet wird (BGE 125 II 241 E. 1 mit Hinweisen). In materielle Rechtskraft erwachsen im Grundsatz nur Sachurteile, welche die Sachverhaltsvorbringen einer Partei materiell würdigen, Prozessurteile höchstens hinsichtlich der zu beurteilenden Zulässigkeitsfrage (BGE 115 II 187 E. 3a mit Hinweisen; vgl. auch Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 
3. Aufl. , N. 22 zu § 191 ZPO). 
 
b) Das Kantonsgerichtspräsidium Appenzell A.Rh. hat mangels Vorliegens einer mietrechtlichen Streitigkeit seine sachliche Zuständigkeit verneint und ist deshalb auf die Kündigungsanfechtung der Beklagten und deren verstorbenen Ehemannes nicht eingetreten. In seinem Entscheid vom 16. November 1994 führte es aus, die Entgeltlichkeit der Wohnungsnutzung durch die Eheleute Bodenmann sei nicht dargetan. 
Wohl würde vorgebracht, dass Robert Bodenmann zu einem viel günstigeren Arbeitslohn bei Josef Städler gearbeitet habe, um dann bei Pensionierung von einem unentgeltlichen Wohnrecht profitieren zu können, doch werde diese Behauptung "bis zu diesem Zeitpunkt" durch keine weiteren Belege gestützt. 
Das Kantonsgerichtspräsidium hat den ihm zur Beurteilung unterbreiteten Streitgegenstand als mietrechtliche Schlichtungsbehörde nur hinsichtlich seiner eigenen sachlichen Zuständigkeit geprüft, dabei zwar die Frage der Entgeltlichkeit der Wohnraumüberlassung geprüft, hierzu jedoch kein umfassendes Beweisverfahren durchgeführt. Der nunmehr vom Obergericht - aufgrund des vom Kantonsgericht in erster Instanz durchgeführten Beweisverfahrens - beurteilte Sachverhalt ist mit demjenigen, der Grundlage des Entscheids der Schlichtungsstelle bildete, jedenfalls nicht mehr identisch, weshalb die Rechtskraft des Präsidialentscheids vom 16. November 1994 eine abweichende Beurteilung der Entgeltlichkeit der Wohnraumüberlassung durch den Kläger nicht ausschliesst (vgl. Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N. 8 zu § 191 ZPO/ZH). 
Die Berufung erweist sich in diesem Punkt deshalb als unbegründet. 
 
3.- a) Der Kläger bringt vor, ein allfälliges, dem Ehemann der Beklagten eingeräumtes Wohnrecht sei spätestens mit dessen Tod untergegangen und habe nicht auf die Beklagte übergehen können. Ein selbständiger Anspruch der Beklagten auf ein Wohnrecht sei unbewiesen geblieben und auch nicht hilfsweise unter Analogieschluss auf die Regelungen in der staatlichen und beruflichen Vorsorge zu begründen. 
 
Der Kläger bestreitet zu Recht nicht, dass ein unentgeltliches obligatorisches Wohnrecht auch formlos vereinbart werden kann (vgl. BGE 109 II 15 E. 2; Higi, Zürcher Kommentar, N. 161 der Vorbemerkungen zu Art. 253-274g OR). 
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG) erhielt der verstorbene Ehemann der Beklagten vom Kläger mündlich die Zusicherung, nach seiner Pensionierung die bisherige Wohnung zu Lebzeiten unentgeltlich weiter benutzen zu können. Diese Zusicherung galt, wie die Vorinstanz ebenfalls verbindlich festgestellt hat, auch für die Beklagte. Das Obergericht qualifizierte diese Zusicherung rechtlich zwar nicht. Es stellte in tatsächlicher Hinsicht aber fest, dass der Ehemann der Beklagten bis zu seiner Pensionierung unüblich tief entlöhnt worden sei. Insoweit lässt sich durchaus diskutieren, ob die Einräumung des Wohnrechts nicht das tiefe Lohneinkommen ausgleichen sollte und ihr soweit kein Schenkungscharakter zukommt. Letzteres kann aber offenbleiben, zumal der Kläger selbst das Vorliegen einer - zufolge Fehlens der Schriftform (Art. 243 Abs. 1 OR) - allenfalls ungültigen Schenkung nicht behauptet. Die Auffassung des Obergerichts, der Beklagten sei ein eigenes unentgeltliches Wohnrecht auf Lebenszeit eingeräumt worden, ist mit Blick auf die verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil von Bundesrechts wegen jedenfalls nicht zu beanstanden. 
 
 
b) Mit seiner Rüge, die Vorinstanz habe zu Unrecht eine unüblich tiefe Entlöhnung des verstorbenen Ehemanns der Beklagten angenommen, übt der Kläger im Wesentlichen Kritik an der Beweiswürdigung des Obergerichts. Darauf ist im vorliegenden Verfahren nicht einzutreten (E. 1a hievor). 
 
4.- Die Berufung ist damit abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss ist der Kläger kosten- und entschädigungspflichtig. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann, und das Urteil des Obergerichts, 1. Abteilung, von Appenzell A.Rh. vom 23. November 1999 wird bestätigt. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird dem Kläger auferlegt. 
 
3.- Der Kläger hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 5'000.-- zu entschädigen. 
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht, 
1. Abteilung, von Appenzell A.Rh. schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 22. Juni 2000 
 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: