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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.407/2005 /ggs 
 
Urteil vom 8. November 2005 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Reeb, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Buchli, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur, 
Kantonsgericht von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, Poststrasse 14, 7002 Chur. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Kostenzuteilung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil 
des Kantonsgerichts von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, vom 16. Februar 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Strafmandat vom 9. März 2004 verurteilte der Kreispräsident Chur X.________ wegen Verletzung von Verkehrsvorschriften gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 4 Abs. 1 und 2 VRV in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG zu einer Busse von 200 Franken. Er hielt für erwiesen, dass sie am 23. Dezember 2003 mit ihrem Personenwagen in Chur die Grabenstrasse in Richtung Obertor befuhr und dabei, als zwei vor ihr fahrende Fahrzeuge verkehrsbedingt anhalten mussten, ihr Fahrzeug nicht rechtzeitig zum Stillstand bringen konnte und auf den Wagen vor ihr aufprallte. Dadurch habe sie ihre Pflicht verletzt, innerhalb der überblickbaren Strecke anhalten zu können und müsse sich ausserdem den Vorwurf der Nichtbeherrschung des Fahrzeugs gefallen lassen. 
 
X.________ erhob Einsprache gegen dieses Strafmandat, worauf sie vom Bezirksgerichtsausschuss Plessur am 4. November 2004 freigesprochen wurde. 
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden erhob gegen dieses Urteil Berufung mit dem Antrag, X.________ sei im Sinne des Strafmandates schuldig zu sprechen, eventuell sei im Sinne von Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG von einer Strafe Umgang zu nehmen. 
 
Der Kantonsgerichtsausschuss hob das erstinstanzliche Urteil am 16. Februar 2005 auf (Dispositiv-Ziff. 1), sprach X.________ der Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 4 Abs. 1 und 2 VRV in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig (Dispositiv-Ziff. 2), nahm gestützt auf Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG von einer Bestrafung Umgang (Dispositiv-Ziff. 3), auferlegte ihr die Kosten des Kreises Chur von Fr. 650.-- und die Kosten des Bezirksgerichtsausschusses Plessur von Fr. 1'850.-- vollständig (Dispositiv-Ziff. 4) sowie die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 1'200.-- zur Hälfte (Dispositiv-Ziff. 5). 
B. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 1. Juli 2005 wegen Verletzung des Willkürverbotes von Art. 9 BV beantragt X.________, die Dispositiv-Ziffern 4 und 5 des kantonsgerichtlichen Urteils aufzuheben. 
 
In seiner Vernehmlassung beantragt der Vizepräsident des Kantonsgerichts, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. In ihrer Replik hält X.________ an der Beschwerde vollumfänglich fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Beim angefochtenen Entscheid des Kantonsgerichts handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Die Beschwerdeführerin ist durch die Kostenauflage in ihren rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb sie befugt ist, die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist. 
2. 
Willkürlich ist ein Entscheid, der mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dabei genügt es nicht, dass die Begründung unhaltbar ist, der Entscheid muss sich vielmehr im Ergebnis als willkürlich erweisen (BGE 125 I 166 E. 2a; 125 II 10 E. 3a; 129 E. 5b; 122 I 61 E. 3a, je mit Hinweisen). 
3. 
Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie sei vom Kreispräsidenten wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung verurteilt worden. Sie habe dagegen Einsprache erhoben mit dem Hinweis auf den leichten Fall im Sinne von Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG. Der Bezirksgerichtsausschuss habe sie in der Folge von Schuld und Strafe freigesprochen. Der Kantonsgerichtsausschuss habe dieses Urteil dann aufgehoben und auf einen leichten Fall im Sinn von Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG erkannt, also nichts anderes, als sie bereits zuvor geltend gemacht habe. Es sei unter diesen Umständen willkürlich, ihr sämtliche Kosten des Kreisamtes und des Bezirksgerichtsausschusses und die Hälfte der Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. 
 
Sie habe zu Recht und mit Erfolg Einsprache gegen das Strafmandat erhoben, weshalb es in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufe, ihr sämtliche Kosten des Kreises Chur zu überbinden. Am Urteil des Bezirksgerichtsausschusses, das nach der Auffassung des Kantonsgerichtsausschusses falsch sei, treffe sie keine Schuld. Art. 160 Abs. 3 der Strafprozessordnung vom 8. Juni 1958 (StPO) fordere zumindest eine Kostenverteilung zwischen ihr und dem Bezirksgerichtsausschuss, es widerspreche dieser Vorschrift krass, ihr sämtliche Kosten dieser Instanz aufzuerlegen. Dasselbe gelte für das Berufungsverfahren: obwohl sie weder selber ein Rechtsmittel ergriffen habe noch Schuld am unrichtigen Urteil des Bezirksgerichtsausschusses trage, seien ihr die Hälfte der Berufungskosten auferlegt worden, was willkürlich und unhaltbar sei. 
4. 
4.1 Nach Art. 158 Abs. 1 StPO hat der Verurteilte die Verfahrenskosten zu tragen. Erfolgt die Verurteilung nur in Bezug auf einen Teil der eingeklagten Tatbestände, werden ihm die Kosten nach Art. 158 Abs. 2 StPO in der Regel nur teilweise auferlegt. Art. 160 StPO bestimmt für die Kosten im Rechtsmittelverfahren, dass diese in der Regel von demjenigen zu tragen sind, der ohne Erfolg ein Rechtsmittel einlegt (Abs. 1). Im Fall der Gutheissung einer Rechtsmitteleingabe befindet das Gericht über die Kostenverteilung zwischen dem Einleger, dem Staat und der ersten Instanz (Abs. 3). Diese Regelung entspricht dem für die Kostenverteilung im Strafprozess allgemein üblichen Unterliegerprinzip. 
4.2 Die Beschwerdeführerin wurde im angefochtenen Urteil einer Verkehrsregelverletzung für schuldig befunden. Sie ist damit eine "Verurteilte" im Sinne von Art. 158 StPO; dass der Kantonsgerichtsausschuss einen "besonders leichten Fall" im Sinne von Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG annahm und von einer Bestrafung absah, vermag daran nichts zu ändern. 
4.3 Es trifft zwar zu, dass die Beschwerdeführerin in der Begründung ihrer Einsprache vom 24. März 2004 gegen das Strafmandat auf Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG hingewiesen hat. Sie stellte sich indessen klarerweise auf den Hauptstandpunkt, sie treffe keinerlei Verschulden, da ein rechtzeitiges Anhalten wegen der bestehenden Vereisung objektiv nicht möglich gewesen sei. Wer solches in einer Rechtsschrift vorbringt, verlangt klarerweise einen Freispruch. Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass der Bezirksgerichtsausschuss Plessur ohne oder gar gegen den Willen der Beschwerdeführerin ein freisprechendes Urteil fällte. 
4.4 Daraus ergibt sich bereits, dass die angefochtene Kostenverteilung weder auf einer willkürlichen Anwendung des kantonalen Prozessrechts beruht noch im Ergebnis unbillig ist. Die Beschwerdeführerin wurde verurteilt, weshalb nicht zu beanstanden ist, dass ihr die Kosten des Kreisamtes Chur - worin insbesondere die polizeilichen Ermittlungskosten enthalten sind - und des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens auferlegt wurden (Art. 158 Abs. 1 StPO). Zur Zusammensetzung und Höhe dieser Kosten erhebt die Beschwerdeführerin keine substanziierte Rüge (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). 
 
Vor dem Kantonsgerichtsausschuss setzten sich weder die Staatsanwaltschaft mit ihrem Hauptantrag auf Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einer Busse von 200 Franken wegen einfacher Verkehrsregelverletzung noch die Beschwerdeführerin mit ihrem Antrag auf Abweisung der Berufung vollumfänglich durch; das Gericht wählte vielmehr den Mittelweg, die Beschwerdeführerin zu verurteilen, indessen wegen Vorliegens eines besonders leichten Falles von Strafe Umgang zu nehmen. Der Kantonsgerichtsausschuss hat die Kosten des Berufungsverfahrens dessen Ausgang entsprechend den Parteien je zur Hälfte auferlegt; dies ist folgerichtig und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 
4.5 Es erscheint zwar in gewisser Weise verständlich, dass es der Beschwerdeführerin unbillig erscheint, dass sie, um die ihr im Strafmandat auferlegte Busse von 200 Franken abzuwenden, insgesamt Prozesskosten von 3'100 Franken aufwenden musste. Dem ist indessen entgegenzuhalten, dass Gerichtsverfahren auch in Bagatellsachen einen erheblichen Aufwand verursachen, weshalb derjenige, der in einer solchen die Gerichte anruft, ein entsprechendes Kostenrisiko auf sich nimmt. Dies gilt umso mehr in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Prozessausgang von der weitgehend vom richterlichen Ermessen beherrschten Frage abhängt, ob der Beschwerdeführerin gar kein, ein besonders leichtes oder ein leichtes Verschulden am Unfall vorzuwerfen ist. 
5. 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 156 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. November 2005 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: