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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.474/2002 /zga 
 
Urteil vom 14. Februar 2003 
II. Zivilabteilung 
 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichterin Hohl, 
Gerichtsschreiberin Scholl. 
 
A.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Max Auer, Bahnhofstrasse 32a, Postfach, 8360 Eschlikon TG, 
 
gegen 
 
X.________, 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Nina Wüest Zirfass, Thundorferstrasse 13, 8501 Frauenfeld, 
Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12, 8500 Frauenfeld. 
 
Art. 9 BV (Ungültigkeit eines Testaments), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 24. September 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
B.________ verfasste am 28. August 1997 eine letztwillige Verfügung, die unter anderem folgende Klausel enthält: 
 
"Ich setze hiermit meine sämtlichen erbberechtigten Angehörigen auf den Pflichtteil und setze für den verfügbaren Teil meiner Hinterlassenschaft X.________ als Erbin ein." 
 
B.________ verstarb am 10. Oktober 2000. Er hinterliess seine langjährige Konkubinatspartnerin X.________ sowie, als einzigen gesetzlichen Erben, seinen Bruder A.________. 
B. 
A.________ reichte am 10. Dezember 2001 beim Bezirksgericht Frauenfeld Klage ein und beantragte, das Testament seines Bruders für ungültig zu erklären, da sich dieser beim Verfassen der letztwilligen Verfügung über die Pflichtteilsberechtigung von Geschwister geirrt habe. Der Erblasser habe auf keinen Fall gewollt, dass er überhaupt nichts erbe. Mit Urteil vom 22. Februar/7. März 2002 wies das Bezirksgericht die Klage ab. Die dagegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Thurgau am 24. September 2002 ebenfalls ab. 
C. 
A.________ gelangt mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt, den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau aufzuheben. 
 
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und in welchem Umfang auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (BGE 128 I 177 E. 1 S. 179). 
 
Nach Art. 86 Abs. 1 OG ist eine staatsrechtliche Beschwerde nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig. Das Urteil des Obergerichts stellt einen solchen dar. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügt, ist die Berufung ans Bundesgericht nicht gegeben (Art. 43 Abs. 1 OG) und somit nur die staatsrechtliche Beschwerde möglich (Art. 84 Abs. 2 OG). 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Auf Grund der formellen Natur dieses Anspruchs (BGE 119 Ia 136 E. 2b S. 138; 126 I 19 E. 2d/bb S. 24) ist dieser Beschwerdegrund vorab zu behandeln. Der Beschwerdeführer macht geltend, zwischen ihm und dem Erblasser habe ein herzliches Verhältnis bestanden. Zudem habe der Erblasser keineswegs die Beschwerdegegnerin als Alleinerbin einsetzen wollen. Indem das Obergericht die von ihm angerufenen Zeugen, die diese beiden Sachvorbringen hätten bestätigen können, nicht angehört habe, sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. 
 
Zum Anspruch auf rechtliches Gehör gehört nach der Rechtsprechung auch die Pflicht des Richters, die formrichtig und rechtzeitig angebotenen Beweise abzunehmen, wenn diese rechtlich erhebliche Tatsachen betreffen und tauglich sind, die streitigen Tatsachen zu beweisen (BGE 119 Ia 136 E. 2d S. 139; 120 Ib 379 E. 3b S. 383). Gemäss Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde indessen nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerügt werden kann. Sie ist daher unzulässig, wenn die eidgenössische Berufung ans Bundesgericht möglich ist, insbesondere wegen Verletzung von Art. 8 ZGB (BGE 108 Ia 293 E. 4c S. 294; 114 II 289 E. 2a S. 290 f.). Enthalten in Art. 8 ZGB ist unter anderem der Anspruch auf Abnahme von Beweisen, die zum Nachweis rechtserheblicher Tatsachen frist- und formgerecht anerboten worden sind (BGE 122 III 219 E. 3c S. 223). 
 
Der Beschwerdeführer übersieht vorliegend, dass das Obergericht die beantragten Zeugen nicht einvernommen hat, weil die Beweisofferte in allgemeiner Weise erfolgt sei und es überdies wenig wahrscheinlich erscheine, dass der Erblasser mit diesen drei aussenstehenden Personen über seine letztwillige Verfügung gesprochen habe. Das Obergericht hat also die Einvernahme abgelehnt, weil es die Zeugen als untaugliche Beweismittel erachtete. Ob es damit den bundesrechtlich garantierten Beweisführungsanspruch missachtet hat, kann in grundsätzlich berufungsfähigen Streitsachen wie der vorliegenden nur als Verletzung von Art. 8 ZGB gerügt werden und ist damit im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen. 
3. 
Ferner rügt der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung des Obergerichts in verschiedener Hinsicht als willkürlich. 
 
In der Würdigung von Beweisen steht dem kantonalen Richter ein grosses Ermessen zu. Willkürliche Beweiswürdigung liegt nicht schon dann vor, wenn vom Sachrichter gezogene Schlüsse nicht mit der Darstellung des Beschwerdeführers übereinstimmen, sondern wenn sie offensichtlich unhaltbar ist, d.h. mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder auf einem offenbaren Versehen beruht (BGE 105 Ia 190 E. 2a mit Hinweisen; 116 Ia 85 E. 2b S. 88; 128 I 81 E. 2 S. 86). Die Beweiswürdigung gilt namentlich dann als willkürlich, wenn der Sachrichter aus dem Ergebnis des Beweisverfahrens voreilige Schlüsse zieht (BGE 101 Ia 545 E. 4d S. 551 f.; 118 Ia 28 E. 1b S. 30 mit Hinweisen) oder wenn er einseitig einzelne Beweise berücksichtigt und andere, aus denen sich Gegenteiliges ergeben könnte, ausser Betracht lässt (BGE 112 Ia 369 E. 3 S. 371; 118 Ia 28 E. 1b S. 30). 
3.1 Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass der Erblasser auf Grund der objektiv falschen Rechtsbelehrung im Beobachter-Ratgeber angenommen habe, dass seinem Bruder ein Pflichtteil seines Nachlasses zustehe und er ihn in diesem Umfang auch unbedingt als Erbe habe einsetzen wollen. Da aber im Zeitpunkt der Erstellung des Testaments der Pflichtteilsschutz für Geschwister bereits nicht mehr existiert habe und der Beschwerdeführer folglich leer ausgehe, sei der Erblasser diesbezüglich einem Irrtum unterlegen und das Testament damit ungültig. Eine Verletzung des Willkürverbotes erblickt der Beschwerdeführer nun darin, dass das Obergericht davon ausgegangen sei, der Erblasser habe sich über die Pflichtteilsberechtigung seines Bruders nicht geirrt, und er habe sich darüber hinaus gar nicht dafür interessiert, ob er überhaupt pflichtteilsberechtigte Erben habe. 
 
Das Obergericht hat festgestellt, dass der Erblasser die strittige Klausel aus dem Beobachter-Ratgeber "Konkubinat" entnommen habe. Es sei aber nicht nachgewiesen, dass der Erblasser die Erläuterungen dazu im Ratgeber ebenfalls gelesen habe. Nach der Lebenserfahrung sei es viel naheliegender, dass er nur die im Ratgeber vorgeschlagene Formulierung für seine letztwillige Verfügung übernahm, weil er damit die Gewähr gehabt habe, nichts falsch zu machen, ohne der Frage nachgehen zu müssen, wer nun seine Pflichtteilserben seien. 
 
Diese Ausführungen des Obergerichts erweisen sich als haltbar. Das Vorgehen nach einem Ratgeber hat in der Regel den Zweck, eine in jedem Fall zulässige und "narrensichere" Formulierung zu erhalten. Dass daraus eine eher schematische und nicht in jedem Fall auf die individuellen Verhältnisse der Person zugeschnittene Lösung resultiert, ergibt sich von selbst. Auch wenn der Ratgeber die rechtlichen Probleme detailliert erörtert, bedeutet dies nicht, dass sich der Leser damit auch eingehend beschäftigt. Die wortgetreue Übernahme der vorgeschlagenen Testamentsklausel deutet vielmehr daraufhin, dass sich der Erblasser nicht näher mit der rechtlichen Situation auseinandergesetzt hat. Obwohl er nur einen einzigen Bruder hatte und daneben offenbar keine näheren Verwandten, spricht er dennoch in seiner letztwilligen Verfügung von "Angehörigen" in der Mehrzahl. 
3.2 Der Beschwerdeführer rügt weiter, es sei willkürlich, auf Grund des blossen Umstandes, dass der Erblasser die Beschwerdegegnerin als Erbin für die frei verfügbare Quote eingesetzt habe, zu schliessen, der Erblasser habe sie automatisch "besonders begünstigen", also meistbegünstigen wollen, ohne dass irgendwelche weiteren Belege dafür vorliegen würden. 
Das Obergericht hat dazu ausgeführt, es mache nur Sinn, die pflichtteilsgeschützten Erben auf den Pflichtteil zu setzen, wenn der Erblasser seine frei verfügbare Quote voll ausschöpfen wolle. Entsprechend sei die Beschwerdegegnerin, welche weder pflichtteilsgeschützt noch sonst gesetzliche Erbin sei, als Erbin über den frei verfügbaren Teil eingesetzt worden. Dass der Erblasser diese damit besonders habe begünstigen wollen, sei offensichtlich. 
 
Diese überzeugende Begründung des Obergerichts ist gewiss nicht willkürlich. Die vom Erblasser gewählte Formulierung im Testament dient regelmässig dem Zweck, einen eingesetzten Erben gegenüber allfälligen Pflichtteilsberechtigten besonders zu begünstigen. Die Klausel stammt zudem aus dem Beobachter-Ratgeber "Konkubinat", der gerade zur Frage der Meistbegünstigung von Konkubinatspartnern Lösungsvorschläge anbietet. 
3.3 Gemäss dem angefochtenen Testament erhalten der Beschwerdeführer und die Beschwerdegegnerin je ein Vermächtnis. Der Beschwerdeführer bringt nun vor, das Obergericht verletze sowohl das Willkürverbot als auch das Gleichbehandlungsgebot, wenn es die Einsetzung der Beschwerdegegnerin als Erbin und Vermächtnisnehmerin als konsequentes Handeln ansehe, während es das Vermächtnis an den Beschwerdeführer als Beleg dafür nehme, dass der Erblasser diesen gerade nicht als Erben betrachtet habe. Aktenwidrig sei im Übrigen die Feststellung des Obergerichts, der Wert der beiden Vermächtnisse sei nicht gleich. 
3.3.1 Das Obergericht hat ausgeführt, die Formulierung der Vermächtnisklausel zu Gunsten des Beschwerdeführers, in welcher der Erblasser ihm eine Schuld von Fr. 70'000.-- erlasse, spreche nicht für die Annahme, dass dieser davon ausgegangen sei, sein Bruder sei Pflichtteilserbe und erhalte neben dem Schulderlass auch noch den Pflichtteil. 
 
Im Gegensatz zum Vermächtnis an den Beschwerdeführer, das in einem reinen Schulderlass besteht, beinhaltet das Vermächtnis an die Beschwerdegegnerin die Übertragung von SUISA- und Kompositionsrechten. Weiter wird im Testament auch bestimmt, dass die Beschwerdegegnerin als Vertreterin des Erblassers in dessen Geschäft eintreten soll. Diese weiteren Anordnungen zu Gunsten der Beschwerdegegnerin stützen in ihrem Gesamteindruck die Auffassung, dass der Erblasser eine Meistbegünstigung seiner Lebenspartnerin beabsichtigt hat. Die Vermächtniseinsetzung des Beschwerdeführers erscheint dagegen als isolierte Anweisung. Die Ausführungen des Obergerichts erweisen sich daher als nachvollziehbar und in keiner Weise willkürlich. 
 
Soweit der Beschwerdeführer noch das Gleichbehandlungsgebot anruft, kommt diesem im vorliegenden Fall gegenüber der Willkürrüge keine weitergehende Bedeutung zu. 
3.3.2 Das Obergericht hat festgestellt, dass die beiden Vermächtnisse - der Schulderlass sowie die SUISA- und Kompositionsrechte - nicht gleichwertig seien. Inwiefern diese Annahme aktenwidrig sein soll, führt der Beschwerdeführer nicht näher aus. Seine Beschwerde genügt damit vorliegend nicht den Anforderungen an die Begründungspflicht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) und es ist daher nicht darauf einzutreten. 
3.4 Der Beschwerdeführer rügt als willkürlich, dass das Obergericht sich bei der Beurteilung der Frage, ob zwischen den Brüdern eine innige Beziehung bestanden habe, nur auf die ins Recht gelegten Postkarten gestützt und den ebenfalls eingereichten Taufschein nicht beachtet habe. 
 
Es trifft zu, dass das Obergericht bei der Frage, ob die beiden Brüder eine gute Beziehung zueinander hatten, nur die Postkartengrüsse würdigte und zum Schluss kam, das diese für sich allein noch keinen genügenden Nachweis für ein inniges Verhältnis unter Geschwister begründen würden. Diese Folgerung wird vom Beschwerdeführer nicht beanstandet. Es trifft ebenfalls zu, dass das Obergericht den Taufschein, der offenbar belegt, dass der Erblasser noch kurz vor seinem Tod der Pate des Sohnes des Beschwerdeführers war, nicht gewürdigt hat. 
 
Doch auch hier genügen die Ausführungen den Anforderungen an die Begründung einer staatsrechtlichen Beschwerde nicht; es wird nicht in genügender Weise dargelegt, inwiefern aus dieser Patenschaft ein inniges Verhältnis des Erblassers zum Beschwerdeführer abzuleiten sei. Daher ist auf dieses Vorbringen nicht einzutreten (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). 
3.5 Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, die Schuld von Fr. 70'000.--, die der Erblasser ihm im Testament erlasse, bestehe überhaupt nicht. Das Obergericht habe fälschlicherweise angenommen, diese Schuld stamme aus der Teilung der Erbschaft ihrer Eltern. 
 
Zunächst ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich widersprüchlich argumentiert, wenn er jetzt plötzlich das Bestehen dieser Schuld bestreitet, hat er doch in seiner Beschwerdeschrift ausdrücklich anerkannt, dass der Erblasser ihm ein Vermächtnis hinterlassen habe. Er hat auch versucht, diesen Umstand zu seinen Gunsten zu interpretieren. Der Erblasser spricht in seinem Testament von einer Schuld von Fr. 70'000.--, gestützt auf einen nicht näher bezeichneten mündlichen Vertrag. Der Rechtsgrund, auf welchem dieses Schuldverhältnis basiert, spielt vorliegend keine Rolle, selbst wenn es nicht durch eine Erbteilung entstanden sein sollte, wäre der Entscheid des Obergerichts nicht unhaltbar. Ob und wie diese Schuld gegenüber den Steuerbehörden deklariert worden ist, kann darüber hinaus offensichtlich nicht massgebend sein. Was genau in diesem Zusammenhang akten- und tatsachenwidrig sein soll, ist aus der Beschwerdeschrift nicht zu entnehmen. Daher kann insoweit auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). 
4. 
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Er schuldet der Beschwerdegegnerin allerdings keine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren, zumal keine Vernehmlassung eigeholt wurde. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 10'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 14. Februar 2003 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: