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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1A.71/2003 /bie 
 
Urteil vom 27. Mai 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Féraud, Catenazzi, 
Gerichtsschreiber Haag. 
 
Parteien 
X.________ AG, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Robert Vogel, 
Jurastrasse 4, 5001 Aarau, 
 
gegen 
 
Eidgenössische Oberzolldirektion, 
Monbijoustrasse 40, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
internationale Rechthilfe in Strafsachen an Deutschland 
- OZD 632.2-80 - BJ B 112469 JAS, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Schlussverfügung der Eidgenössischen Oberzolldirektion 
vom 25. Februar 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die deutschen Behörden ermitteln gegen mehrere Personen, die im Verdacht stehen, als Mitglieder einer internationalen Tätergruppierung seit 1994 bis heute und insbesondere in den Jahren 1994 und 1995 Zigaretten im Umfang von mindestens 400 Lastkraftwagenladungen über ein Zollfreilager in der Schweiz nach Bulgarien und Mazedonien versandt zu haben. Eigentlicher Bestimmungsort sei jedoch Montenegro gewesen, von wo aus die Zigaretten nach Italien geschmuggelt worden seien. Diese Handlungen hätten dem Ziel gedient, die Schwarzmärkte der Europäischen Union mit Zigaretten zu versorgen und gleichzeitig die finanzielle und wirtschaftliche Lage Serbiens und Montenegros während des Embargos der Vereinten Nationen zu verbessern. Der Europäischen Union sei hierdurch ein Steuerschaden von mehreren hundert Millionen DM entstanden. Den Beschuldigten - zu denen auch G.________, einziges Verwaltungsratsmitglied der X.________ AG, zählt - wird Abgabebetrug und die Verletzung von Embargobestimmungen gegen Restjugoslawien (Bannbruch) vorgeworfen. 
B. 
Mit Rechtshilfegesuch vom 21. Februar 2002 ersuchte die Staatsanwaltschaft Augsburg die schweizerischen Behörden um Sicherstellung, Beschlagnahme und Übersendung von näher bestimmten Bankunterlagen. 
 
Die Eidgenössische Oberzolldirektion entsprach dem Rechtshilfeersuchen mit Schlussverfügung vom 25. Februar 2003 und ordnete die Übermittlung von näher bezeichneten Unterlagen und Dokumenten an das Bundesamt für Justiz zuhanden der ausländischen Strafverfolgungsbehörden an. 
C. 
Die X.________ AG erhebt am 27. März 2003 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht und beantragt, bestimmte der in der Schlussverfügung der Eidgenössischen Oberzolldirektion näher bezeichneten Unterlagen und Dokumente seien nicht dem Bundesamt für Justiz zuhanden der ausländischen Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln, sondern zu vernichten, bzw. der Beschwerdeführerin zurückzugeben. 
D. 
Das Bundesamt für Justiz hat auf eine Stellungnahme zur vorliegenden Angelegenheit verzichtet. Die Oberzolldirektion stellt den Antrag auf vorläufige Sistierung des Verfahrens bis sie in dieser Angelegenheit eine ergänzende Schlussverfügung erlassen habe, worauf das vorliegende Verfahren mit dem allfälligen ergänzenden Beschwerdeverfahren zu vereinen sei. Im Übrigen beantragt sie, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei vollumfänglich abzuweisen. 
 
Zur Begründung ihres Sistierungsantrags erklärt die Oberzolldirektion, bei der Vorbereitung der Vernehmlassung an das Bundesgericht habe sie festgestellt, dass sie der Beschwerdeführerin irrtümlicherweise das rechtliche Gehör nicht vollständig gewährt habe. Da sich auf Grund der Dokumente, zu denen sich die Beschwerdeführerin noch nicht äussern konnte, die Position der Oberzolldirektion noch klarer ergebe, erscheine es sinnvoll, das vorliegende Verfahren zu sistieren und mit einem Urteil im jetzigen Zeitpunkt zuzuwarten. Die Oberzolldirektion werde den unterlassenen Verfahrensschritt nachholen und anschliessend - sofern erforderlich - eine ergänzende Schlussverfügung erlassen. Nach einer allfälligen Beschwerdeergäzung könnten die beiden Verfahren vereint und zusammen entschieden werden. 
E. 
Die Beschwerdeführerin wendet gegen eine Sistierung des Verfahrens ein, die Schlussverfügung, die unter Verletzung des Gehörsanspruchs zustande gekommen sei, müsse aufgrund der formellen Natur dieses Anspruchs und wegen der eingeschränkten Kognition des Bundesgerichts - ungeachtet der materiellen Rechtslage - aufgehoben werden. Sie beantragt neben der Aufhebung der Schlussverfügung die Rückweisung der Sache an die Oberzolldirektion zu neuem Entscheid. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Schlussverfügung der Oberzolldirektion vom 25. Februar 2003 ist mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechtbar (Art. 80g Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen, IRSG, SR 351.1). 
 
Die Beschwerdeführerin stellt erst in der Stellungnahme zur Vernehmlassung der Oberzolldirektion den Antrag, die ganze Schlussverfügung sei zufolge der Missachtung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Diese Änderung der Beschwerdeanträge, die sich auf den ursprünglichen Anfechtungsgegenstand beziehen, ist ausnahmsweise zulässig, da erst die Begründung des Sistierungsantrags der Oberzolldirektion Anlass zum neuen Begehren der Beschwerdeführerin gab. Im Übrigen ist das Bundesgericht nach der Spezialnorm in Art. 25 Abs. 6 IRSG, die von Art. 114 Abs. 1 OG abweicht, an die Begehren der Parteien nicht gebunden. 
 
Die Sachurteilsvoraussetzungen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind erfüllt und geben zu keinen weiteren Erörterungen Anlass. 
2. 
Der aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessende Gehörsanspruch verpflichtet die Behörden unter anderem, die Berechtigten über entscheidwesentliche Aktenergänzungen zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen (BGE 114 Ia 97 E. 2c; Alfred Kölz/ Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Auflage, Zürich 1998, S. 115, Rz. 313; s. auch Alfred Kölz/Jürg Bosshart/Martin Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zürich 1999, N. 13 und 17 ff. zu § 8 und Thomas Merkli/Arthur Aeschlimann/Ruth Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N. 11 zu Art. 21). 
2.1 Das Akteneinsichtsrecht gilt im Rechtshilfeverfahren zwar nicht uneingeschränkt (Art. 80b IRSG), doch macht die Oberzolldirektion in der vorliegenden Angelegenheit keine besonderen Gründe für die Beschränkung des Akteneinsichtsrechts der Beschwerdeführerin geltend. Sie führt vielmehr aus, es seien noch Akten vorhanden, die dem Vertreter der Beschwerdeführerin noch nicht zur Kenntnis gebracht worden seien und zu welchen sich die Beschwerdeführerin noch nicht habe äussern können. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs in Bezug auf diese Dokumente müsse noch nachgeholt werden. 
2.2 Es ist somit unbestritten, dass die Oberzolldirektion den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Akteneinsicht verletzte. Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur. Seine Verletzung führt ungeachtet der Erfolgsaussichten in der Sache selbst zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung (BGE 126 V 130 E. 2b mit Hinweisen). Eine Heilung dieses Mangels vor Bundesgericht kommt vorliegend nicht in Frage. Abgesehen davon, dass in der Lehre immer wieder beachtenswerte Gründe gegen die Heilung von Gehörsverweigerungen vorgebracht werden (vgl. etwa den Überblick bei Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O, N. 50 zu § 8 VRG) und die Heilung auch nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Ausnahme bleiben sollte (vgl. BGE 126 V 130 E. 2b), hat die Oberzolldirektion im vorliegenden Fall eine weitere Kognition als das Bundesgericht, weil es als verfügende Instanz Ermessen auszuüben hat, dessen Handhabung im Beschwerdeverfahren nur auf Überschreitung oder Missbrauch hin geprüft wird (Art. 80i Abs. 1 lit. a IRSG). Die Kognition des Bundesgerichts ist daher eingeschränkter als jene der Oberzolldirektion, was nach der Praxis einer Heilung der Gehörsverweigerung grundsätzlich entgegensteht (BGE 126 I 68 E. 2 S. 72; 125 II 369 E. 2e S. 373 f., je mit Hinweisen). 
2.3 Die Oberzolldirektion beantragt als Folge der Gehörsverweigerung die Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens, damit sie die unterlassene Anhörung der Beschwerdeführerin nachholen und anschliessend - sofern erforderlich - eine ergänzende Schlussverfügung erlassen könne. Nach einer allfälligen Beschwerdeergänzung könnten die beiden Verfahren dann vereint und zusammen entschieden werden. 
 
Gemäss Art. 6 Abs. 1 BZP i.V.m. Art. 40 OG kann der Richter aus Gründen der Zweckmässigkeit das Verfahren aussetzen, insbesondere wenn das Urteil von der Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit beeinflusst werden kann. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Wie erwähnt, ist der angefochtene Entscheid angesichts der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufzuheben. Die Oberzolldirektion hat das Verfahren offensichtlich noch nicht abgeschlossen und nimmt in Aussicht, die hier angefochtene Verfügung zu ergänzen. Es handelt sich hier nicht um einen anderen Rechtsstreit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 BZP, dessen Ausgang das vorliegende Beschwerdeverfahren beeinflussen könnte, sondern es geht um den ordnungsgemässen Abschluss des Rechtshilfeverfahrens mit einer Schlussverfügung, die nicht am Mangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehörs leidet. Dies kann nur mit der Aufhebung der hier umstrittenen Verfügung und der Rückweisung der Sache an die Oberzolldirektion erreicht werden. Diese wird in der Folge das Rechtshilfeverfahren nach Gewährung des rechtlichen Gehörs mit einer Schlussverfügung abzuschliessen haben, gegen welche die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen steht. 
3. 
Es ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Die Sache wird zu neuer Beurteilung an die Oberzolldirektion zurückgewiesen. 
 
Bei diesem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Beschwerdeführerin ist eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, und die Verfügung der Oberzolldirektion vom 25. Februar 2003 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Beurteilung an die Oberzolldirektion zurückgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die Eidgenossenschaft hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und der Eidgenössischen Oberzolldirektion sowie dem Bundesamt für Justiz, Abteilung internationale Rechtshilfe, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 27. Mai 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: