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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_668/2018  
 
 
Urteil vom 1. November 2018  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiberin Andres. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Nichtanhandnahmeverfügung (Amtsgeheimnisverletzung); Rechtsverweigerung, überspitzter Formalismus, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 7. Juni 2018 (SBK.2018.146 / cb/va). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der Beschwerdeführer erstattete am 16. März 2018 gegen X.________ und Y.________ Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung. Er warf ihnen vor, in ihrem E-Mail-Verkehr im Januar 2017 ihr jeweiliges Amtsgeheimnis verletzt zu haben. Die Beschwerdegegnerin nahm die Strafsache mit Verfügung vom 1. Mai 2018 nicht an die Hand. Am 11. Mai 2018 schrieb der Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin eine E-Mail, die diese mit Schreiben vom 14. Mai 2018 beantwortete. Er reichte einen Ausdruck seiner E-Mail mit einigen handschriftlichen Ergänzungen zudem am 18. beziehungsweise 22. Mai 2018 (Eingang) bei der Beschwerdegegnerin nach. 
Am 24. Mai 2018 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau wegen "Rechtsverweigerung oder fehlender Begründung". Das Obergericht wies die Beschwerde am 7. Juni 2018 ab, soweit es darauf eintrat. Auch dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies es infolge Aussichtslosigkeit ab und auferlegte ihm die Gerichtskosten. 
Der Beschwerdeführer gelangt mit mehreren Schreiben an das Bundesgericht und beantragt, der obergerichtliche Entscheid sei aufzuheben und die Angelegenheit zur Durchführung eines Strafverfahrens zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
2.   
Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG berechtigt, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG hat die Privatklägerschaft ein rechtlich geschütztes Interesse, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f.). Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst kann die Privatklägerschaft die Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Zulässig sind Rügen formeller Natur, die von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu hören sind Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5; 138 IV 248 E. 2 S. 250; je mit Hinweisen). Das nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Die Privatklägerschaft kann beispielsweise vorbringen, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden (sog. "Star-Praxis"; BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5; 138 IV 78 E. 1.3 S. 80; 120 Ia 157 E. 2a/bb S. 160; je mit Hinweisen). 
Der Beschwerdeführer macht geltend, der vorinstanzliche Entscheid sei überspitzt formalistisch und verletze Art. 29 Abs. 1 BV. Dies kann er vor Bundesgericht unbesehen seiner Legitimation in der Sache beziehungsweise seiner Zivilforderungen rügen. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
3.   
Art. 29 Abs. 1 BV verbietet überspitzten Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung. Eine solche liegt vor, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und damit dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt. Prozessuale Formen sind unerlässlich, um die ordnungsgemässe Abwicklung des Verfahrens und die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Nicht jede prozessuale Formstrenge stellt daher überspitzten Formalismus dar, sondern nur jene, die durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder verhindert. Im Strafprozessrecht ergibt sich das Verbot des überspitzten Formalismus aus Art. 3 Abs. 2 lit. a und b StPO, wonach die Strafbehörden namentlich den Grundsatz von Treu und Glauben sowie das Verbot des Rechtsmissbrauchs zu beachten haben (BGE 142 IV 299 E. 1.3.2 S. 304 f.; 142 I 10 E. 2.4.2 S. 11 mit Hinweisen). 
 
4.  
 
4.1. Unbegründet ist zunächst der Einwand des Beschwerdeführers, die Vorinstanz unterscheide nicht zwischen Eintreten und Abweisung. Die Vorinstanz prüft die Eingabe des Beschwerdeführers vom 24. Mai 2018 einerseits als Beschwerde gegen die Nichtanhandnahmeverfügung und andererseits als Rechtsverweigerungsbeschwerde. Auf die Beschwerde gegen die Nichtanhandnahmeverfügung tritt sie infolge Verspätung nicht ein (Entscheid E. 1.2 S. 3 f.), die Rechtsverweigerungsbeschwerde weist sie als unbegründet ab (Entscheid E. 2 S. 4 f.).  
 
4.2. Die Vorinstanz handelt nicht überspitzt formalistisch, wenn sie die E-Mail des Beschwerdeführers vom 11. Mai 2018 und deren Ausdruck mit handschriftlichen Ergänzungen nicht als (von der Beschwerdegegnerin weiterzuleitende) Beschwerde im Sinne von Art. 393 ff. StPO qualifiziert. In seiner E-Mail erkundigte sich der Beschwerdeführer bei der Beschwerdegegnerin, ob hinsichtlich des seines Erachtens in der Nichtanhandnahmeverfügung nicht thematisierten Lebenssachverhalts noch ein separater Entscheid folgen werde. Er ersuchte sie, baldmöglichst klare Verhältnisse zu schaffen, da noch Fristen liefen. Aus dem Wortlaut der E-Mail darf die Vorinstanz ohne in überspitzten Formalismus zu verfallen schliessen, dass es sich dabei nicht um eine (weiterzuleitende) Beschwerde handelt, zumal der Beschwerdeführer sich der noch laufenden Rechtsmittelfrist offensichtlich bewusst war. Auch seine handschriftlichen Ergänzungen auf dem Ausdruck seiner E-Mail ändern an dieser Einschätzung nichts. Darin verlangte er einzig eine Begründung dafür, weshalb X.________ einem Aussenstehenden Informationen über das weitere Vorgehen bekannt gab. Damit unterscheidet sich die vorliegend zu beurteilende Ausgangslage grundlegend von jener die dem vom Beschwerdeführer angerufenen Urteil 6B_949/2017 vom 24. April 2018 zu Grunde lag. Dort ersuchte die Beschwerdeführerin ausdrücklich darum, dass die Staatsanwaltschaft über ihr Gesuch um amtliche Verteidigung und die eingereichte Kostennote befinde. Da die Staatsanwaltschaft von der Gegenstandslosigkeit des Gesuchs ausging, hätte sie das Schreiben als Rechtsverweigerungsbeschwerde an die Beschwerdeinstanz weiterleiten müssen (vgl. Art. 91 Abs. 4 StPO; a.a.O. E. 1.5). Vorliegend war jedoch die Beschwerdegegnerin der Ansicht, sie habe über den fraglichen Sachverhalt beziehungsweise die E-Mail bereits entschieden, worauf sie den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 14. Mai 2018 auch hinwies, weshalb sie seinen E-Mail-Ausdruck beziehungsweise die handschriftlichen Ergänzungen nicht als (Rechtsverweigerungs-) Beschwerde betrachten musste. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer am 24. Mai 2018 Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz erhob, lässt ebenfalls darauf schliessen, dass er seine Eingabe nicht als Beschwerde verstanden haben wollte und entgegen seinem Vorbringen auch wusste, wie gegen die Nichtanhandnahmeverfügung beziehungsweise deren angeblich mangelhafte Begründung vorzugehen ist. Soweit er geltend macht, er habe sofort nachdem er das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 14. Mai 2018 erhalten habe, Beschwerde eingereicht, verkennt er, dass er deren Antwort angesichts der laufenden Rechtsmittelfrist nicht hätte abwarten beziehungsweise mit dem Abholen des Schreibens bei der Post nicht hätte zuwarten dürfen.  
Insgesamt ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz weder die E-Mail vom 11. Mai 2018 noch deren Ausdruck mit handschriftlichen Ergänzungen nicht als Beschwerde im Sinne von Art. 393 ff. StPO qualifiziert und damit auch eine Weiterleitungspflicht nach Art. 91 Abs. 4 StPO verneint. Folglich ist es nicht überspitzt formalistisch, wenn sie feststellt, die Beschwerde sei erst am 24. Mai 2018, mithin zwei Tage zu spät, eingereicht worden und darauf nicht eintritt. 
 
4.3. Auch hinsichtlich der Rechtsverweigerungsbeschwerde ist kein überspitzter Formalismus in der vorinstanzlichen Beurteilung ersichtlich. Der Beschwerdeführer wendet zutreffend ein, dass ein Teil des von ihm zur Anzeige gebrachten Lebenssachverhalts beziehungsweise die zweite E-Mail von X.________ in der Nichtanhandnahmeverfügung nicht ausdrücklich erwähnt wird. Dennoch ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz gestützt auf Ziff. 1 des Dispositivs und Erwägung 1 der Nichtanhandnahmeverfügung davon ausgeht, dass die Beschwerdegegnerin den gesamten vom Beschwerdeführer angezeigten Sachverhalt nicht an die Hand genommen hat, mithin mit der Nichtanhandnahmeverfügung die Anzeige des Beschwerdeführers vollständig erledigt hat. Da damit hinsichtlich des gesamten angezeigten Sachverhalts ein verfahrenserledigender Entscheid erging, liegt keine Rechtsverweigerung vor. Nicht zu beanstanden ist auch die vorinstanzliche Feststellung, der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin die Nichtanhandnahme in diesem Punkt (zweite E-Mail von X.________) nicht begründet hat, stelle allenfalls eine Verletzung ihrer Begründungspflicht und damit des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör dar, die jedoch als Rechtsverletzung im Sinne von Art. 393 Abs. 2 lit. a StPO mit Beschwerde gegen die Nichtanhandnahmeverfügung zu rügen gewesen wäre, worauf infolge Verspätung nicht eingetreten werden könne (vgl. E. 4.2 hiervor). Nicht weiter einzugehen ist auf die Kritik im Zusammenhang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.  
 
4.4. Die Vorinstanz weist das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege unter anderem mit der Begründung ab, seine Beschwerde sei von vornherein aussichtslos gewesen. Damit setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander, weshalb auf seine Beschwerde in diesem Punkt nicht einzutreten ist (Art. 42 Abs. 2 BGG). Folglich braucht auf sein Vorbringen, er sei nie auf die Möglichkeit hingewiesen worden, sich als Zivilkläger zu konstituieren, nicht weiter eingegangen zu werden. Soweit er geltend macht, die unentgeltliche Rechtspflege hätte ihm gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV gewährt werden müssen, ist darauf hinzuweisen, dass auch diese Bestimmung an die Erfolgsaussichten der Rechtsbegehren anknüpft.  
 
5.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Angesichts seiner angespannten finanziellen Verhältnissen scheint eine reduzierte Entscheidgebühr angemessen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. November 2018 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres