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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_94/2021  
 
 
Urteil vom 27. Oktober 2021  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Wehrlin, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Pflegeleistung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. November 2020 (UV.2019.00265). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1971 geborene A.________ ist seit einem Unfall am 3. Juli 1989 querschnittgelähmt. Die leistungszuständige Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) erbringt ihr deswegen verschiedene Leistungen, so (u.a. neben einer Invalidenrente für vollständige Erwerbsunfähigkeit) auch eine Hilflosenentschädigung (für schwere Hilflosigkeit) und für Pflege und Hilfe zu Hause. Mit Verfügung vom 11. Oktober 2017 hatte sie ihren Beitrag an die Pflegeleistungen von Fr. 550.- auf Fr. 1167.- monatlich erhöht. Am 30. April 2019 verfügte die Suva, dass sie gestützt auf Art. 18 Abs. 1 UVV ab 1. Januar 2019 einen Betrag von rund Fr. 537.- pro Monat ausrichte (bzw. Kostengutsprache für entsprechende Spitexleistungen in dieser Höhe erteile); gestützt auf Art. 18 Abs. 2 lit. b UVV richte sie ab 22. Februar 2019 einen Betrag von Fr. 2738.- pro Monat aus bzw. leiste sie entsprechende Kostengutsprache. Die dagegen von der Versicherten erhobene Einsprache wies die Suva mit Einspracheentscheid vom 3. Oktober 2019 ab. 
 
B.  
Dagegen führte A.________ Beschwerde an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit dem Begehren, die Suva habe ihr zuhanden der Spitex Kostengutsprache zu erteilen, die die Kosten für die gesamte Grundpflege (nichtmedizinische Hilfe) abdecke, ohne dass die Hilflosenentschädigung davon abzuziehen sei. Mit Urteil vom 30. November 2020 wies das angerufene Gericht die Beschwerde ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ das vorinstanzliche Rechtsbegehren erneuern. Eventuell sei die Sache an die Suva zurückzuweisen, damit sie den gesamten Grundpflegebedarf - einschliesslich des Pflegebedarfs in Zusammenhang mit den alltäglichen Lebensverrichtungen - abkläre und nach Vornahme einer Überentschädigungsberechnung im Sinne der Erwägungen über die Pflegeleistungen neu verfüge. 
 
Die Suva schliesst nach Verzicht auf eine einlässliche Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichten ebenfalls auf eine Stellungnahme. 
Replikweise bekräftigt A.________ ihr Rechtsbegehren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Aufgrund des hier gegebenen Streitgegenstandes (vgl. E. 3 hiernach) gelangt die Ausnahmeregelung des Art. 105 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 2 BGG im vorliegenden Verfahren nicht zum Tragen (BGE 147 V 16 E. 4.1.1 mit Hinweisen). Demnach bleibt das Bundesgericht nach Art. 105 Abs. 1 BGG an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG Umkehrschluss; vgl. BGE 135 V 412). Es kann diese Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 147 V 16 E. 4.1.1 mit Hinweis).  
 
2.  
 
2.1. Obwohl sich der hier beschlagene Unfall vor dem auf den 1. Januar 2017 erfolgten Inkrafttreten der am 25. September 2015 geänderten Bestimmungen des UVG ereignete, gelangt in Bezug auf die hier in Frage stehenden Leistungen unstreitig das revidierte Recht zur Anwendung (BGE 146 V 364 E. 9.5). Das hat schon die Vorinstanz zu Recht erkannt.  
 
2.2. Die rechtlichen Anspruchsgrundlagen und -voraussetzungen werden im angefochtenen Urteil zutreffend wiedergegeben. Mit den zentralen Art. 10 Abs. 3 UVG und Art. 18 UVV sowie namentlich mit dem Begriff der Hauspflege setzt sich ausserdem das ebenfalls heute ergangene Urteil 8C_81/2021 einlässlich auseinander, dem ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liegt. Darauf wird verwiesen.  
 
3.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie den von der Beschwerdegegnerin zu erbringenden Beitrag an nichtmedizinische Hilfe nach Art. 18 Abs. 2 lit. b UVV im Umfang von Fr. 2738.- pro Monat gemäss Einspracheentscheid bestätigte. Im Einzelnen geht es - wie schon im Urteil 8C_81/2021 - auch im vorliegenden Fall insbesondere um die Frage, wie im Rahmen der genannten Bestimmung die Hilflosenentschädigung zu berücksichtigen ist. 
 
4.  
Das kantonale Gericht fasst im angefochtenen Urteil die Haltung der Beschwerdegegnerin dahin zusammen, dass diese bereit sei, einen Beitrag an die Dekubitusprophylaxe durch die Spitex von monatlich Fr. 2738.- zu leisten, derweil die übrige nichtmedizinische Hilfe bereits durch die Hilflosenentschädigung abgegolten sei. Demgegenüber vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, dass eine Kostenbeteiligung ihrerseits gemäss Art. 10 Abs. 3 UVG und Art. 18 UVV ausser Betracht falle. Die Hilflosenentschädigung und der Anspruch nach Art. 18 Abs. 2 lit. b UVV bestünden kumulativ und eine Begrenzung ergebe sich einzig durch das Verbot der Überentschädigung. 
 
Die Vorinstanz gelangt zum Schluss, dass es zufolge konzeptioneller Unterschiede zwischen Anspruch auf nichtmedizinische Hilfe zu Hause und Hilflosenentschädigung an einer Grundlage dafür fehle, die für die Letztere massgebenden alltäglichen Lebensverrichtungen in die Ermittlung des Bedarfs an nichtmedizinischer Hilfe einzubeziehen. 
 
5.  
Im Urteil 8C_81/2021 von heute bekräftigt das Bundesgericht, dass nunmehr gemäss revidiertem Recht auch im Rahmen von Art. 18 Abs. 2 lit. b UVV ein Rechtsanspruch besteht. Der demgemäss zu erbringende Beitrag besteht subsidiär zur Hilflosenentschädigung, wobei diese nicht den gesamten Hilfsbedarf im Rahmen der alltäglichen Lebensverrichtungen und des Bedarfs an dauernder Überwachung abzudecken vermag. Das ruft nach einer umfassenden und im Hinblick auf die rechtliche Zuordnung genauen Abklärung des gesamten Pflege- und Hilfebedarfs, unter Einschluss der alltäglichen Lebensverrichtungen. Dabei ist dem lokal-räumlichen Rahmen von Art. 18 UVV Rechnung zu tragen, indem die Hilfestellung ausserhalb des Hauses oder der Wohnung bzw. deren naher Umgebung ausser Acht zu bleiben hat. Der Subsidiarität des Anspruchs nach Art. 18 Abs. 2 lit. b UVV ist dadurch Nachachtung zu verschaffen, dass von der im Rahmen dieser Bestimmung ermittelten Abgeltung die Hilflosenentschädigung (reduziert um eine Quote von 15 %) in Abzug zu bringen ist. 
 
6.  
 
6.1. Soweit die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall auch vor Bundesgericht an ihrem Standpunkt betreffend Anspruchskumulation festhält, kann ihr nicht gefolgt werden. Es kann dazu auf die Erwägungen des Urteils 8C_81/2021 verwiesen werden. Insofern geht jedenfalls im Rahmen von Art. 18 Abs. 2 UVV der Einwand fehl, das Unfallversicherungsrecht lasse eine Kostenbeteiligung der versicherten Person nicht zu.  
 
6.2. Was die in der Beschwerde erhobene Kritik an der Feststellung des Sachverhalts angeht, trifft diese im Wesentlichen zu. Denn die Vorinstanz hat in Bezug auf den konkreten Bedarf an nichtmedizinischer Hilfe zu Hause - vom anerkannten Aufwand für die Dekubitusprophylaxe abgesehen - keine Feststellungen getroffen. Damit ist der Sachverhalt in bundesrechtswidriger Weise, insbesondere unvollständig erhoben worden. Diese Lücke lässt sich auch durch die im Verwaltungsverfahren erstellte Aktenlage nicht schliessen. Ein darin enthaltenes Leistungsplanungsblatt der Spitex (RAI-HC Schweiz) weist für die Periode vom 1. Januar 2019 bis 30. Juni 2019 unter dem Titel von Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV insgesamt einen Bedarf von 23'892 Minuten aus, was - umgerechnet auf den Monat - 66.37 Stunden entspricht, wie beschwerdeweise richtig vorgebracht wird. Aus der Leistungsbeschreibung ergibt sich dabei, dass die Dekubitusprophylaxe (3 x 20 Minuten täglich an 7 Tagen pro Woche) gerade nicht dem Bereich von Art. 7 Abs. 2 lit. c (Grundpflege), sondern Art. 7 Abs. 2 lit. b KLV (Behandlungspflege) zugeordnet ist. Demnach findet sie sich in den 66.37 Stunden pro Monat gerade nicht berücksichtigt. Dass der im Übrigen hinsichtlich der allgemeinen Lebensverrichtungen und der dauernden Überwachung bestehende Hilfebedarf im Sinne des Urteils 8C_81/2021 umfassend erhoben worden wäre, lässt sich nach Aktenlage nicht ersehen.  
 
6.3. Damit besteht im vorliegenden Fall Anlass zu weiteren Abklärungen. Dafür ist die Sache an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.  
 
7.  
Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung zu weiterer Abklärung und neuer Verfügung mit noch offenem Ausgang gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten und den Anspruch auf Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (vgl. BGE 137 V 210 E. 7.1). Entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG), die der Beschwerdeführerin überdies eine angemessene Parteientschädigung zu entrichten hat (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. November 2020 und der Einspracheentscheid der Suva vom 3. Oktober 2019 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Suva zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf einen Beitrag für nichtmedizinische Hilfe zu Hause neu verfüge. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 27. Oktober 2021 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz