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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_229/2012 
 
Urteil vom 5. November 2012 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Denys, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Motorfahrzeugführer) gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 55 SVG; Willkür etc., 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, 
vom 13. März 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ verursachte am 29. August 2009 um circa 23.35 Uhr in Affoltern am Albis im Kanton Zürich einen Selbstunfall. Die von einer Drittperson herbeigerufenen Polizeibeamten stellten bei ihm Alkoholgeruch, einen unsicheren Gang, eine verwaschene Sprache und Müdigkeit fest. Gemäss Polizeiprotokoll verweigerte X.________ den Atemlufttest und die Blutentnahme. 
Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis trat die Strafuntersuchung am 29. Dezember 2009 an das Bezirksamt Rheinfelden (AG) ab. 
 
B. 
Das Bezirksamt Rheinfelden verurteilte X.________ am 18. März 2010 wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs, pflichtwidrigen Verhaltens nach einem Verkehrsunfall, Vereitelung einer Blutprobe sowie Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 80.-- als Zusatzstrafe zum Strafbefehl vom 22. Oktober 2009 (Missachten der signalisierten Höchstgeschwindigkeit). 
 
C. 
Die Einsprache von X.________ gegen den Strafbefehl wies das Gerichtspräsidium Rheinfelden am 16. November 2010 ab. Die dagegen gerichtete Berufung blieb ohne Erfolg. Das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte am 13. März 2012 die Schuldsprüche und die sich auf Fr. 2'400.-- belaufende Geldstrafe, wobei es das erstinstanzliche Urteil insofern präzisierte, als es die Strafe als Zusatzstrafe zum Strafbefehl vom 22. Oktober 2009 aussprach. 
 
D. 
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt zur Hauptsache, das Urteil vom 13. März 2012 sei aufzuheben, und er sei vom Vorwurf der Vereitelung einer Blutprobe im Sinne von Art. 91 lit. a SVG (recte Art. 91a Abs. 1 SVG) freizusprechen. 
 
E. 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichten auf Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde richtet sich ausschliesslich gegen die Verurteilung wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit gemäss Art. 91a Abs. 1 i.V.m. Art. 55 SVG. Der Beschwerdeführer macht geltend, sein passives Verhalten könne nicht als Stör- oder Vereitelungshandlung im Sinne der genannten Gesetzesbestimmung bewertet werden. Seine Erklärung, nicht blasen und sich nicht stechen lassen zu wollen, reiche nicht aus, um auf eine tatbestandsmässige Handlung und einen Vereitelungswillen im Sinne von Art. 91a Abs. 1 SVG zu schliessen. In Anbetracht seiner Passivität und der Untätigkeit der Behörde, welche die angeordnete Blutentnahme zwangsweise hätte durchsetzen können, indessen nicht einmal einen Versuch hierzu unternommen habe, müsse er freigesprochen werden (Beschwerde, S. 4 ff.). 
 
1.2 Die Vorinstanz führt aus, ein Störverhalten gemäss Art. 91a SVG setze nicht aktive Vereitelungshandlungen voraus. Der Tatbestand sei bereits erfüllt, wenn das an den Tag gelegte Verhalten auf einen entsprechenden Vereitelungswillen schliessen lasse, was insbesondere der Fall sei, wenn ein Betroffener in Kenntnis der allfälligen Konsequenzen respektive nach Aufklärung gemäss Art. 13 der Verordnung vom 28. März 2007 über die Kontrolle des Strassenverkehrs (SKV; SR 741.013) seinen Mitwirkungspflichten ohne sachlichen Grund nicht nachkomme. Eine wie auch immer geartete weitergehende Widersetzlichkeit oder gar ein körperlicher Widerstand sei für die Erfüllung des Tatbestands nicht erforderlich. Das Ausmass des geleisteten Widerstands widerspiegle einzig die von der Behörde vorgenommenen Bemühungen. Diese sei nicht dazu verpflichtet und auch nicht ohne weiteres dazu berechtigt, Druck oder körperlichen Zwang anzudrohen oder anzuwenden. Die Polizei sei ihren in Art. 13 SKV statuierten Pflichten, insbesondere ihrer Aufklärungspflicht, nachgekommen. Der Beschwerdeführer habe trotz Hinweises auf die Folgen seiner Widersetzlichkeit keine Bereitschaft zur Mitwirkung gezeigt. Er habe die Atemalkoholprobe verweigert und nach Anordnung der Blutprobe ausdrücklich erklärt, er lasse sich kein Blut entnehmen. Damit habe er mittels einer fortgesetzten Verweigerungshaltung das scheinbar Unvermeidliche - die Feststellung seiner Fahrunfähigkeit - zu verhindern versucht. Diese Vorgehensweise erfülle den Tatbestand von Art. 91a Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 55 Abs. 1 und 3 SVG (Entscheid, S. 7 ff.). 
 
2. 
Der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit gemäss Art. 91a SVG macht sich strafbar, wer sich als Motorfahrzeugführer vorsätzlich einer Blutprobe, einer Atemalkoholprobe oder einer anderen vom Bundesrat geregelten Voruntersuchung, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung gerechnet werden musste, oder einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzogen oder den Zweck dieser Massnahmen vereitelt hat. Das Gesetz will damit verhindern, dass der korrekt sich einer solchen Massnahme unterziehende Führer schlechter wegkommt als derjenige, der sich ihr entzieht oder sie sonst wie vereitelt (BGE 126 IV 53 E. 2d mit Hinweis). 
Gemäss Art. 55 Abs. 1 SVG können Fahrzeugführer sowie an Unfällen beteiligte Strassenbenützer einer Atemalkoholprobe unterzogen werden. Eine Blutprobe ist nach Art. 55 Abs. 3 SVG anzuordnen, wenn (lit. a) Anzeichen von Fahrunfähigkeit vorliegen oder (lit. b) die betroffene Person sich der Durchführung der Atemalkoholprobe widersetzt oder entzieht oder den Zweck dieser Massnahme vereitelt. Die Blutprobe kann gemäss Art. 55 Abs. 4 SVG aus wichtigen Gründen auch gegen den Willen der verdächtigen Person abgenommen werden. Verweigert die betroffene Person die Atemalkoholprobe, muss die Polizei sie darauf hinweisen, dass dies die Anordnung einer Blutprobe zur Folge hat (Art. 13 Abs. 1 lit. a SKV). Verweigert die betroffene Person die Atemalkoholprobe oder die Blutentnahme, ist sie gemäss Art. 13 Abs. 2 SKV auf die Folgen - u.a. Strafbarkeit nach Art. 91a SVG sowie Führerausweisentzug - aufmerksam zu machen. 
Die materiellen Voraussetzungen zur Anordnung von Blutproben im Strassenverkehr werden in Art. 55 SVG und Art. 10 ff. SKV geregelt. Bis zum Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) am 1. Januar 2011 hielt Art. 55 Abs. 5 SVG fest, das kantonale Recht bestimme die Zuständigkeit zur Anordnung von Blutproben. Die Kantone wiesen diese Zuständigkeit regelmässig der Polizei zu. Art. 55 Abs. 5 SVG wurde mit dem Inkrafttreten der StPO aufgehoben (StPO, Anhang I, Ziff. 21 [AS 2010 1881]). 
 
3. 
Der erstinstanzliche Entscheid erging am 16. November 2010. Damit ist das frühere kantonale Strafprozessrecht anwendbar (Art. 453 Abs. 1 StPO). Das vorliegende Verfahren wurde (erst) nach Abschluss der Untersuchung vom Kanton Zürich an den Kanton Aargau abgetreten (kantonale Akten, act. 48). Die Frage, wer zur Anordnung der Blutprobe zuständig ist, richtet sich damit nach der damals geltenden Strafprozessordnung des Kantons Zürich. Auf dem Gebiet des Strassenverkehrsrechts war hierfür die Polizei zuständig (§ 156 Abs. 2 StPO/ZH; Fassung gemäss Polizeigesetz vom 23. April 2007 [OS 64, 324; ABl 2006, 856]. In Kraft seit 1. Juli 2009). 
 
4. 
Streitig ist, ob das Verhalten des Beschwerdeführers eine Vereitelungshandlung gemäss Art. 91a SVG bildet. 
 
4.1 Sich im Sinne von Art. 91a SVG zu widersetzen, bedeutet, sich so zu verhalten, dass eine angeordnete Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit zumindest vorerst nicht vollzogen werden kann. Die Tathandlung des Widersetzens kann in einem aktiven oder passiven Widerstand bzw. einer entsprechenden Verweigerung an der Mitwirkung an oder Duldung der Untersuchungsmassnahme bestehen (vgl. BGE 115 IV 51; 103 IV 49; Urteil 6B_168/2009 vom 19. Mai 2009; vgl. René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. III, 1995, S. 350 Rz. 2502; Wolfgang Wohlers, Strafbewehrte Verhaltenspflichten nach Verkehrsunfällen - Unzulässiger Zwang zur Selbstbelastung?, AJP 2005 S. 1053; Bussy/Rusconi, Code suisse de la circulation routière, 3. Aufl. 1996, N. 10.1 zu Art. 91 SVG; siehe auch Philippe Weissenberger, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz, Bundesgerichtspraxis, 2011, Art. 91a Rz. 15; Yvan Jeanneret, Les dispositions pénales de la Loi sur la circulation routière (LCR), Bern 2007, Art. 91a Rz. 12; a.A. Hans Giger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz, 7. Aufl. 2008, N. 6 zu Art. 91a SVG, wonach aktiver Widerstand gegen die Untersuchung erforderlich ist). Die Ausführung der angeordneten Massnahme muss durch das Verhalten des Betroffenen nicht gänzlich verunmöglicht werden. Es genügt, dass sie erschwert, verzögert oder behindert wird. Auch passiver Widerstand setzt jedoch ein aktives Störverhalten von einer gewissen Intensität voraus (Urteil 6B_680/2010 vom 2. November 2010 E. 4.2.2). Unter diesen Voraussetzungen kann ein verbaler Widerstand den Tatbestand erfüllen (Urteil 6B_680/2010, a.a.O.). 
 
4.2 Der Beschwerdeführer unterzog sich weder der Atemalkoholprobe noch der in der Folge angeordneten Blutprobe. Er erklärte anlässlich der polizeilichen Einvernahme, sich nicht stechen lassen zu wollen. An seiner ablehnenden Haltung hielt er auch fest, als ihn die Polizeibeamten umfassend über die Folgen seiner Widersetzlichkeit informierten (Entscheid, S. 7, 11; vgl. kantonale Akten Einvernahmeprotokoll, act. 13/14). Mit seinen jeweiligen Antworten ("Ich will keine Blutprobe geben"; "Ich sage nichts", "Sperren Sie mich doch ein", "Einsperren", "Ja, sperrt mich ein") brachte der Beschwerdeführer auf die wiederholten Fragen der Polizei und deren Belehrung über die Folgen mehrfach unmissverständlich und klar zum Ausdruck, sich kein Blut entnehmen zu lassen. Sein Verhalten - ein andauerndes klares "Nein" - lässt den Schluss zu, dass er seine Verweigerungshaltung auch bei weiteren Bemühungen der Polizei nicht aufgegeben hätte. Der verbale Widerstand des Beschwerdeführers war genügend intensiv, um als Widersetzen im Sinne von Art. 91a SVG zu gelten. 
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, von einer eigentlichen Vereitelungshandlung könnte erst gesprochen werden, wenn er "beispielsweise das Mitgehen in das Spital verweigert" hätte (Beschwerde, S. 7), verkennt er, dass Art. 91a SVG keinen aktiven Widerstand erfordert. Der Tatbestand ist bereits erfüllt, wenn das Verhalten des Betroffenen der reibungslosen Durchführung der angeordneten Massnahme entgegensteht. Daran ändert nichts, dass eine Blutprobe - bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (vgl. Art. 55 Abs. 4 SVG) - auch gegen den Willen der verdächtigen Person durchgeführt werden kann. Die Frage des Zwangs stellt sich erst, wenn eine Widersetzlichkeit ausgewiesen und der Tatbestand verwirklicht ist. Dass die Polizeibeamten, sofern sie dazu überhaupt berechtigt waren, die angeordnete Blutprobe nicht mit Zwang durchzusetzen versuchten, schliesst die Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers daher nicht aus (siehe aber Beschwerde, S. 4 f. und 7). Die Vorinstanz befasst sich in ihrem Urteil mit diesem Gesichtspunkt (Entscheid, S. 11). Ein Verstoss gegen das Willkürverbot oder das Gehörsrecht wegen unzureichender Begründung ist nicht erkennbar (Beschwerde, S. 4). Ebenso wenig ist ersichtlich, inwiefern der vom Beschwerdeführer beiläufig angerufene nemo-tenetur-Grundsatz oder die Unschuldsvermutung verletzt sein könnte (Beschwerde, S. 7). Der Beschwerdeführer wurde durch die Anordnung der Blutprobe nicht gezwungen, sich selbst durch Aussagen oder sonstiges Verhalten zu belasten. 
 
4.3 Soweit der Beschwerdeführer einwendet, er habe sich aufgrund einer ausgewiesenen "Spritzenphobie" kein Blut entnehmen lassen bzw. deswegen nicht anders handeln können (Beschwerde, S. 8 f.), macht er geltend, sein Widerstand sei aus medizinischen Gründen gerechtfertigt (vgl. BGE 92 IV 167). Er stützt sich wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren auf das ärztliche Zeugnis von Dr. med. A.________ vom 22. September 2010. Darin werden die Behauptungen des Beschwerdeführers zu seinen geltend gemachten Phobien als glaubhaft beurteilt. Die Vorinstanz würdigt den ärztlichen Bericht. Sie gelangt ohne Willkür zum Schluss, die im Arztbericht umschriebenen Panikattacken des Beschwerdeführers, welche sich bei einem Kontakt mit Ärzten oder Spitälern in einem trockenen Mund und schweissigen Händen äusserten, vermöchten - da keineswegs aussergewöhnlich - keine besondere Schwere der Angstzustände und keine rechtserhebliche Spritzenphobie darzutun (Entscheid, S. 12). Die Vorinstanz musste auch keine weiteren Beweiserhebungen durchführen und durfte die (bezirksamtliche) Abweisung des Antrags auf Einholung eines hausärztlichen Berichts ohne Verfassungsverletzung schützen (s.a. Beschwerde, S. 9). Sie weist ausserdem zutreffend darauf hin, dass die Phobien gemäss Arztbericht vom 22. September 2010 nicht erklären könnten, weshalb sich der Beschwerdeführer auch der Atemalkoholprobe verweigert habe. Entgegen dem in der Beschwerde vertretenen Standpunkt (S. 9) kann die Atemalkoholprobe nicht durchwegs als eine der Blutentnahme lediglich vorausgehende Untersuchung verstanden werden. Aus Art. 55 Abs. 3 lit. b SVG ergibt sich, dass eine Blutprobe im Regelfall - und unter Vorbehalt der in Art. 55 Abs. 4 SVG statuierten Ausnahmen bei Vorliegen wichtiger Gründe - nur anzuordnen ist, wenn die betroffene Person sich der Durchführung der Atemalkoholprobe widersetzt. Hätte sich der Beschwerdeführer einer solchen unterzogen, wäre eine Blutprobe womöglich nicht angeordnet worden. 
 
5. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat ausgangsgemäss die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 5. November 2012 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill