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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.467/2005/rom 
 
Sitzung vom 7. Juni 2006 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen, Zünd, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Parteien 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, 4410 Liestal, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
O.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Advokatin Annalisa Landi. 
 
Gegenstand 
Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 30. August 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Eine Tramführerin fuhr am 20. Oktober 1999 um 00.50 Uhr mit dem Zug der Linie Nr. 14 von Pratteln los in Richtung Basel. O.________, der einzige Passagier, begab sich zur Führerkabine, wo er die Lenkerin in ein Gespräch verwickelte. Zwischen den Haltestellen Käppeli und Lachmatt griff er mit der Hand durch das leicht geöffnete Fenster der Führerkabine und öffnete die Türe. Er schob die Tramführerin zur Seite und nahm auf dem Führersitz Platz. Diese forderte O.________ auf, den Führerstand zu verlassen, und betätigte den Alarmknopf. Darauf packte er sie noch während der Fahrt des Trams mit beiden Händen am Hals und würgte sie so heftig, dass ihr schwarz vor den Augen wurde. Anschliessend zog er sie in sexueller Absicht aus der Führerkabine, schüttelte sie und warf sie zu Boden, so dass sie sich am Kopf verletzte. Danach zog er ihr die Hose herunter und "fummelte" an ihr herum. Plötzlich verliess er das Tram und rannte in Richtung Pratteln davon. 
B. 
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft sprach O.________ am 30. August 2005 wegen dieses und eines weiteren Vorfalls im Appellationsverfahren der vollendeten und der versuchten sexuellen Nötigung schuldig und bestrafte ihn mit zwei Jahren Gefängnis als teilweise Zusatzstrafe zu einem Urteil des Bezirksamts Rheinfelden vom 4. April 2000. Im Unterschied zur ersten Instanz sprach es ihn vom Vorwurf der Gefährdung des Lebens frei. 
C. 
Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur zusätzlichen Verurteilung O.________s wegen versuchter Gefährdung des Lebens an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Kantonsgericht und der Beschwerdegegner ersuchen um Abweisung der Beschwerde (act. 5 und 8). 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Strafgericht ist gestützt auf das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Basel vom 23. November 1999 zum Schluss gelangt, der Beschwerdegegner habe die Tramführerin durch das Würgen in eine konkrete und unmittelbare Lebensgefahr gebracht und dadurch den Tatbestand der Gefährdung des Lebens nach Art. 129 StGB erfüllt. Die Vorinstanz erachtet die Ausführungen im Gutachten für zu wenig substanziert, um die vom Tatbestand vorausgesetzte Unmittelbarkeit der Lebensgefahr zu bejahen. Eine versuchte Tatbegehung hält sie beim Tatbestand der Gefährdung des Lebens für nicht möglich. 
 
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 129 StGB, weil die Vorinstanz eine versuchte Tatbegehung ausschliesse. Selbst wenn der tatbestandsmässige Erfolg der unmittelbaren Lebensgefahr nicht eingetreten sei, seien die Handlungen des Beschwerdegegners ohne Weiteres geeignet gewesen, das Opfer in Lebensgefahr zu bringen. 
2. 
Der Gefährdung des Lebens macht sich schuldig, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt (Art. 129 StGB). 
 
Die Lebensgefährdung muss konkret sein. Sie ist ein Zustand, aufgrund dessen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Verletzung des geschützten Rechtsgutes besteht, wobei nicht eine mathematische Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% vorausgesetzt ist. Unmittelbarkeit liegt vor, wenn die Verwirklichung der Gefahr wahrscheinlich ist und wenn die unvermittelte, akute Gefahr direkt dem Verhalten des Täters zuzuschreiben ist und nicht etwa aussenstehenden Ereignissen oder Handlungen von Drittpersonen (BGE 94 IV 60 E. 2, 121 IV 67 E. 2b). 
2.1 In der Rechtsprechung und Literatur ist die Frage umstritten, ob eine Gefährdung des Lebens auch als Versuch begangen werden kann (Peter Aebersold, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, N 37 f. zu Art. 129 StGB; Cornelia Meier, Die Lebensgefährdung, Diss. Freiburg 2005, S. 72 f.). 
 
Die ablehnende Meinung hält dafür, dass das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung - hier zur unmittelbaren Lebensgefährdung - diese zwingend voraussetzt (Martin Schubarth, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, N 16 zu Art. 129 StGB) bzw. dass schon der Versuch eine Gefährdung darstelle (José Hurtado Pozo, Droit pénal, partie spéciale I, 3. Auflage, S. 149 N 533). 
 
Die gegenteilige Ansicht befürwortet die Anwendung der Art. 21 ff. StGB auf den Tatbestand der Gefährdung des Lebens. Da dieser als Erfolgsdelikt eine konkrete Gefährdung voraussetze, sei eine versuchte Begehung grundsätzlich möglich. Wenn bei einer (direkt)vorsätzlichen Tat der Gefahrzustand nicht eintrete, sei ein strafbarer Gefährdungsversuch anzunehmen (Ernst Hafter, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, Berlin 1937, S. 72 Fn. 1; Thormann/v. Overbeck, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Band, Zürich 1941, S. 51 N 8; Oskar Germann, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, Zürich 1942, S. 94 und 244 Ziff. 2; Max Willfratt, Gefährdung des Lebens nach Art. 129 StrGB, ZStrR 84/1968, S. 270 f.; Bernard Corboz, Les infractions en droit suisse, Volume I, Bern 2002, S. 190 N 34; vgl. auch Vital Schwander, Die Gefährdung als Tatbestandsmerkmal im Schweizerischen Strafgesetzbuch, ZStrR 66/1951, S. 459). 
2.2 Ob beim Tatbestand der Gefährdung des Lebens ein vollendeter (tauglicher) Versuch möglich ist, kann nicht allgemein bejaht oder verneint werden. Entscheidend sind die konkreten Tatumstände: Liegt zwischen der Tathandlung und dem Erfolgseintritt eine gewisse Zeitspanne, ist Versuch möglich. Verwirklicht sich die unmittelbare Lebensgefahr hingegen praktisch gleichzeitig mit der Tatausführung, scheidet ein Versuch aus. 
2.2.1 Das Kriminalgericht Luzern hatte am 5. März 1965 folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Mutter und Sohn waren gegenüber zwei Nachbarskindern (6- und 11-jährig) feindlich gestimmt. Deshalb schlossen sie ihren Gartenzaun an der Netzspannung von 220 Volt an. Als die Kinder später auf dem angrenzenden Rasen spielten und dabei die Zaundrähte berührten, erhielten sie heftige elektrische Schläge (zitiert bei Max Willfratt, a.a.O., S. 313 f. Ziff. 38). 
 
In einem Fall wie diesem haben die Täter alles Nötige vorgekehrt, damit sich die Tat auch verwirklicht. Doch liegt zwischen ihrem Handeln und dem Erfolgseintritt, d.h. der unmittelbaren Lebensgefahr, eine gewisse Zeitspanne. In dieser Zeit kann der Täter dafür besorgt sein, dass der Erfolg nicht eintritt, bzw. äussere Umstände können dasselbe bewirken. Damit sind tätige Reue und vollendeter (tauglicher) Versuch denkbar. Konkret hätten Mutter und Sohn noch vor dem Spielen der Kinder den Gartenzaun vom Stromnetz abhängen bzw. ein Kurzschluss hätte die Kinder vor der Gefährdung bewahren können. 
2.2.2 In mehreren Fällen hatte die Praxis Sachverhalte zu beurteilen, wo der Täter eine Schusswaffe einsetzte oder mit einem Fahrzeug eine Strassensperre durchbrach und dabei Halt gebietende Polizeibeamte gefährdete (vgl. Max Willfratt, a.a.O., z.B. S. 294 Ziff. 11 und S. 302 Ziff. 22). Bei derartigen Sachverhalten verwirklicht sich die unmittelbare Lebensgefahr praktisch gleichzeitig mit der Ausführung der Tathandlung (Schussabgabe bzw. nahes Zufahren auf den Polizisten). In diesen Fällen ist ein vollendeter (tauglicher) Versuch nicht möglich, weil praktisch mit der Tathandlung bereits sämtliche Tatbestandsmerkmale der Gefährdung des Lebens erfüllt sind. Auch ein Rücktritt vom Versuch ist ausgeschlossen, weil dafür keine Zeit mehr zur Verfügung steht. 
2.2.3 Beim Sachverhalt des Würgens ergibt sich Folgendes: Würgt der Täter sein Opfer genügend stark, d.h. dass sich dieses in unmittelbarer Lebensgefahr befindet, ist das Delikt bereits vollendet. Damit scheiden der vollendete (taugliche) Versuch und tätige Reue aus. Dass die Tathandlung und der Erfolgseintritt zeitlich auseinanderfallen (E. 2.2.1), ist beim Würgen nämlich ausgeschlossen. Ist das Würgen hingegen so schwach, dass keine Lebensgefährdung eintritt, liegt auch kein (vollendeter) Versuch vor. 
 
Unvollendeter tauglicher und vollendeter untauglicher Versuch hingegen sind vorstellbar: Just im Zeitpunkt, als der Täter sich anschickt, das Opfer zu würgen, wird er von einer Drittperson überwältigt oder das Opfer trägt unter einem Rollkragenpullover eine metallene Halskrause, die dem Würgegriff des Täters Stand hält. 
3. 
Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die Vorinstanz das Gutachten als nicht nachvollziehbar begründet und kam zum Schluss, das Opfer habe sich nicht in einer konkreten Lebensgefahr befunden (angefochtener Entscheid S. 9 Ziff. 4.2). 
 
An diese tatsächliche Feststellung ist das Bundesgericht gebunden (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Da zudem beim Würgen ein vollendeter (tauglicher) Versuch der Gefährdung des Lebens nicht in Betracht fällt (E. 2.2.3) und keine tatsächlichen Feststellungen auf einen unvollendeten oder untauglichen Versuch schliessen liessen, hat es mit dem angefochtenen Entscheid sein Bewenden. 
4. 
Der öffentliche Ankläger unterliegt mit seiner Beschwerde. Damit entfällt eine Kostenpflicht. Der Beschwerdegegner ist angemessen zu entschädigen (Art. 278 Abs. 2 und 3 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Der Beschwerdegegner wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'000.-- entschädigt. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 7. Juni 2006 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: