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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.218/2002 /pai 
 
Urteil vom 21. Oktober 2002 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiber Pfisterer. 
 
Gemeinde Trin, 7014 Trin, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Otmar Bänziger, Bahnhofstrasse 7, Postfach 101, 7001 Chur, 
 
gegen 
 
X.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Fridolin Hubert, Hartbertstrasse 1, Postfach 111, 7002 Chur, 
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 4. Kammer, Villa Brunnengarten, Obere Plessurstrasse 1, 7001 Chur. 
 
Art. 50 BV (Baubewilligung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 4. Kammer, vom 15. Februar 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ ist Eigentümer der Parzelle Nr. xxxx auf dem Gemeindegebiet Trin. Er beantragte am 12. September 2001 eine Baubewilligung zur Erstellung eines Parkplatzes auf seiner Parzelle, um dadurch seiner Parkplatzerstellungspflicht nachzukommen; innerhalb der entlang der Strasse verlaufenden Baulinie will er dazu eine mit Blocksteinen befestigte Aufschüttung vornehmen. Die Gemeinde Trin teilte X.________ am 27. September 2001 mit, dass sie auf sein Baugesuch nicht eintreten könne, da der geplante Parkplatz ganz im Bereich der Baulinie zu stehen käme. X.________ hielt mit Schreiben vom 1. Oktober 2001 an die Gemeinde Trin fest, der geplante Parkplatz käme genau auf der Niveaulinie der Strasse zu liegen und kollidiere deshalb nicht mit der in der Bauordnung festgelegten Baulinie. Die Gemeinde Trin eröffnete X.________ am 25. Oktober 2001, dass sie sein Baugesuch am 23. Oktober 2001 abgewiesen habe. 
B. 
X.________ erhob gegen diesen Entscheid am 14. November 2001 Rekurs an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Er beantragte, der Entscheid vom 23./25.Oktober 2001 sei aufzuheben und die Baubewilligung sei zu erteilen. Die Gemeinde Trin sprach sich für die Abweisung des Rekurses aus. 
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hiess den Rekurs von X.________ am 15. Februar 2002 gut, hob den angefochtenen Entscheid auf und wies die Sache zur Erteilung der Baubewilligung an die Gemeinde zurück. 
C. 
Die Gemeinde Trin führt mit Eingabe vom 22. April 2002 staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden und verlangt dessen Aufhebung. 
 
X.________ stellt in seiner Vernehmlassung vom 28. Mai 2002 den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden schliesst in seiner Vernehmlassung vom 28. Mai 2002 ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. 
 
In Replik und Duplik halten die Parteien an ihren Anträgen fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Indem das Verwaltungsgericht die Streitsache "zur Erteilung der Baubewilligung an die Gemeinde" zurückwies, fällte es einen Zwischenentscheid, der das kantonale Verfahren nicht abschliesst. Die staatsrechtliche Beschwerde ist gemäss Art. 87 Abs. 2 OG gegen Zwischenentscheide nur zulässig, wenn diese einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können. Ein solcher Nachteil liegt unter anderem vor, wenn eine Gemeinde gezwungen wird, entgegen ihrer Auffassung eine neue Anordnung zu erlassen; ihr ist nicht zuzumuten, einer als falsch erachteten Weisung Folge zu leisten, um alsdann ihren eigenen Entscheid anzufechten (BGE 128 I 3 E. 1b S. 7 mit Hinweisen). Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit zulässig. 
1.2 Eine Gemeinde ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Autonomiebeschwerde befugt, wenn sie durch den angefochtenen Entscheid in ihren hoheitlichen Befugnissen berührt wird. Ob ihr im betreffenden Bereich tatsächlich Autonomie zusteht, ist keine Frage des Eintretens, sondern bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 128 I 136 E. 1.2 mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht hob im angefochtenen Entscheid die Verweigerung der Baubewilligung durch die Beschwerdeführerin auf. Dieser Entscheid trifft diese in ihren hoheitlichen Befugnissen, weshalb ihre Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie zu bejahen ist. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
2. 
2.1 Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrechts. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Gemeinde in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen Bereich nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (BGE 128 I 3 E. 2a S. 7 f., 136 E. 2.1 S. 140, je mit Hinweisen). 
2.2 Soweit die Gemeinde in einem Sachbereich autonom ist, kann sie sich mittels Autonomiebeschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass eine kantonale Behörde im Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder die den betreffenden Sachbereich ordnenden kommunalen, kantonalen oder bundesrechtlichen Vorschriften falsch anwendet. Sie kann in diesem Rahmen auch geltend machen, die kantonalen Behörden hätten die Tragweite eines Grundrechtes verkannt und dieses zu Unrecht als verletzt betrachtet. Soweit es um die Handhabung von eidgenössischem oder kantonalem Verfassungsrecht geht, prüft das Bundesgericht das Vorgehen der kantonalen Behörden mit freier Kognition, sonst nur auf Willkür hin (BGE 128 I 136 E. 2.2 S. 140 f. mit Hinweisen). 
2.3 Zunächst ist zu prüfen, ob sich die Beschwerdeführerin beim Entscheid über die Verweigerung der strittigen Ausnahmebewilligung auf ihre Autonomie berufen kann. 
 
Wie das Bundesgericht in den letzten Jahren wiederholt entschieden hat, fällt das öffentliche Baurecht im Kanton Graubünden grundsätzlich in den Autonomiebereich der Gemeinden. In Bezug auf all jene Fragen, die im kantonalen Gesetz keine abschliessende Regelung gefunden haben und bei denen den Gemeinden eine relativ erhebliche Gestaltungsfreiheit zusteht, stellen die Vorschriften der kommunalen Bauordnungen autonomes Gemeinderecht dar (letztmals in BGE 128 I 3 E. 2b S. 8). Da Art. 33 des Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973 für den Kanton Graubünden (KRG) nur das Institut der Baulinien als solches vorsieht, die Festlegung und Anwendung jedoch den Gemeinden überlässt, ist die Gemeinde Trin in diesem Bereich autonom (vgl. Art. 76 des Baugesetzes vom 23. November 1999/20. Juni 2000 der Gemeinde Trin; BG). 
3. 
Die Beschwerdeführerin rügt insbesondere, das Verwaltungsgericht sei in Willkür verfallen, indem es die Voraussetzungen zur Erteilung einer allgemeinen Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 6 nicht auch auf Art. 76 Abs. 3 BG (ausnahmsweise zulässige bauliche Veränderungen im Baulinienbereich) angewendet habe. 
3.1 Baulinien sollen hauptsächlich die Freihaltung von Land für Bauten und Anlagen im öffentlichen Interessen sichern. Ihre Rechtswirkung besteht gemäss dem Baugesetz der Gemeinde Trin darin, dass der im Baulinienbereich gelegene Boden nicht überbaut werden darf (Art. 76 Abs. 1 BG; statt vieler: Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht, 3. Auflage, Band I, Zürich 1999, Rz. 344 ff.). Gewisse Ausnahmen vom Bauverbot sieht Art. 76 Abs. 2 BG vor für kleine Vordächer, Erker und Balkone. Sodann bestimmt Art. 76 Abs. 3 BG, dass bauliche Veränderungen an Bauten im Baulinienbereich nur ausnahmsweise vorgenommen werden dürfen. 
 
Nach der allgemeinen Ausnahmebestimmung von Art. 6 BG kann die Baubehörde Ausnahmen von einzelnen Vorschriften gewähren, wenn ausserordentliche Verhältnisse vorliegen, die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen eine unverhältnismässige Härte bedeutet und wenn dadurch keine öffentlichen Interessen verletzt werden. 
3.2 Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung erst dann auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (s. etwa BGE 127 I 38 E. 2a S. 41, 54 E. 2b S. 56 sowie 60 E. 5a S. 70, mit weiteren Hinweisen). 
3.3 Das Verwaltungsgericht erwog, die Voraussetzungen zur Erteilung einer allgemeinen Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 9 KRG bzw. Art. 6 BG müssten im Falle von Art. 76 Abs. 3 BG nicht erfüllt sein. Es genüge vielmehr, dass der Zweck der Baulinie durch die geplante Baute nicht vereitelt werde. Einer allfälligen Vereitelung des Zwecks könne die Gemeinde auch durch die Anordnung eines Beseitigungs- oder Mehrwertreverses vorbeugen. Nicht einzusehen sei, wie durch die geplante Aufschüttung der spätere Ausbau der Strasse beeinträchtigt werden könnte. Es sei leicht möglich, den Parkplatz wieder aufzuheben. Die Verweigerung der Baubewilligung sei deshalb unverhältnismässig. 
3.4 Der Zweck der Baulinie, nämlich die Freihaltung von Land für Bauten und Anlagen im öffentlichen Interesse, wird mit der Bewilligung des Parkplatzes nicht vereitelt. Da der Parkplatz auf der gleichen Höhe wie die Strasse zu liegen kommt, sind bestehende oder geplante Verkehrsanlagen, wie zum Beispiel die Verbreiterung der Strasse, nach wie vor gesichert; im Gegenteil müsste, wie das Verwaltungsgericht zu Recht anführt, dafür ebenfalls eine Aufschüttung erfolgen. Eine Sichtbehinderung durch parkierte Fahrzeuge, welche die Verkehrssicherheit beeinträchtigen könnte, wird von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Soweit erforderlich, kann die Gemeinde mit einem Beseitigungs- oder Mehrwertrevers einer allfälligen präjudiziellen Wirkung der Baubewilligung im Baulinienbereich begegnen. Das Verwaltungsgericht wandte das kommunale Recht daher jedenfalls nicht in offensichtlich unhaltbarer Weise an und verfiel daher nicht in Willkür, wenn es nach dem Sinn und Zweck der Baulinie gemäss Art. 76 BG zum Schluss kam, diese Bestimmung stehe der Erteilung einer ordentlichen Baubewilligung nicht entgegegen und es müssten daher nicht die Voraussetzungen einer Ausnahmebewilligung nach Art. 6 BG erfüllt sein. 
 
Diese Gesetzesauslegung ist auch nicht "unmotiviert grosszügig", wie die Beschwerdeführerin geltend macht. Sie stellt vielmehr eine zutreffende und zulässige verfassungskonforme Auslegung dar. Hätte das Verwaltungsgericht die Baubewilligung verweigert, wäre dies auf einen unverhältnismässigen Eingriff in das Eigentum des Beschwerdegegners und damit auf eine Verletzung der Eigentumsgarantie hinausgelaufen. Der Zweck der Baulinie wird, wie dargelegt, nicht vereitelt und nötigenfalls kann dies mit einem Beseitigungs- oder Mehrwertrevers sichergestellt werden. 
 
Es kann nach dem Gesagten auch nicht die Rede davon sein, es gehe um die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen, bei welcher der Gemeinde ein erheblicher Ermessensspielraum zustehe und in welchen das angfeochtene Urteil in unzulässiger Weise eingreife. 
3.5 Das Verwaltungsgericht hat daher die Gemeindeautonomie der Beschwerdeführerin nicht verletzt. 
4. 
Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Gerichtskosten grundsätzlich der Beschwerdeführerin aufzuerlegen. Aufgrund von Art. 156 Abs. 2 OG ist diese jedoch von der Tragung der Gerichtskosten befreit. Hingegen hat sie den Beschwerdegegner für das Verfahren vor Bundesgericht angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 21. Oktober 2002 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: