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[AZA 0] 
1P.247/2000/hzg 
 
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG 
********************************** 
 
22. September 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der 
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Féraud, 
Ersatzrichterin Pont Veuthey und Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
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In Sachen 
X.________, Kosovo, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Galligani, Ruederstrasse 8, Schöftland, 
 
gegen 
A.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland Ilg, Rämistrasse 5, Postfach 462, Zürich, Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Bezirksgericht Zurzach, Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, 
 
betreffend 
Strafverfahren 
(rechtliches Gehör, willkürliche Beweiswürdigung), hat sich ergeben: 
 
A.- Am 23. September 1998 sprach das Bezirksgericht Zurzach den Angeklagten A.________ der mehrfachen sexuellen Handlung mit einem Kind i.S.v. Art. 187 Ziff. 1 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten Gefängnis. Von der Anklage der Schändung (Art. 191 StGB) wurde er freigesprochen. Der Angeklagte wurde verpflichtet, der Zivilklägerin X.________ eine Genugtuung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen. 
 
Das Bezirksgericht hielt es für erwiesen, dass der Angeklagte über Weihnachten/Neujahr 1994/1995 in der Wohnung des D.________ in Z.________ sowie in der zweiten Januarhälfte 1995 in einem Zimmer des Hauses in Y.________ mit der damals noch nicht 16jährigen X.________ den Beischlaf vollzogen habe, wobei diese jeweils zuvor Alkohol genossen habe. Zwar habe die Zivilklägerin im Verlaufe des Verfahrens nicht immer gleichlautende, sondern unterschiedliche Angaben gemacht und nicht immer die Wahrheit gesagt; ihre Kernaussagen bezüglich der sexuellen Handlungen mit A.________, B.________ und C.________ seien jedoch konstant und glaubwürdig; insbesondere die Schilderung des Beischlafs mit A.________ und B.________ im Zimmer des Hauses in Y.________ sei "derart plastisch, originell und psychologisch stimmig", dass sie von der Zivilklägerin nicht erfunden worden sein könne. Hierfür stützte sich das Bezirksgericht auf ein Gutachten von PD Dr. U. Gerhard vom 22. September 1997 über die Glaubwürdigkeit von X.________. 
 
 
B.- Auf Berufung des Angeklagten A.________ hob das Obergericht des Kantons Aargau am 17. Februar 2000 Dispositiv-Ziffern 2-6 des Urteils des Bezirksgerichts auf und sprach den Angeklagten auch vom Vorwurf der mehrfachen sexuellen Handlung mit einem Kind frei; auf die Zivilklage trat es nicht ein. Aufgrund der wirren und widersprüchlichen Darstellung des Geschehens durch die Zivilklägerin und durch den einzigen Belastungszeugen könnten vernünftige und erhebliche Zweifel an der Schuld des Angeklagten nicht ausgeräumt werden, so dass dieser freizusprechen sei. 
 
C.- Gegen das Urteil des Obergerichts erhob X.________ am 14. April 2000 staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht. 
Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils; das Obergericht des Kantons Aargau sei anzuweisen, den Beschwerdegegner der mehrfachen sexuellen Handlung mit Kindern schuldig zu sprechen und der Beschwerdeführerin eine Genugtuung in Höhe von Fr. 10'000.-- zuzusprechen. 
 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
Der Beschwerdegegner A.________ beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie vollumfänglich abzuweisen. 
 
D.- Mit Schreiben vom 5. Juni 2000 ersuchte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Am 21. Juni 2000 teilte er mit, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation die Schweiz in Richtung Prishtina habe verlassen müssen. Es sei davon auszugehen, dass sie aufgrund ihrer Ausreise aus der Schweiz mittellos sei: Sie sei, nicht zuletzt wegen der Vorfälle die Gegenstand des Strafverfahrens waren, von ihrer Familie ausgestossen worden und lebe heute bei der Mutter ihres Freundes im Kosovo. 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, mit dem der Angeschuldigte A.________ freigesprochen worden ist. A.________ war angeklagt und in erster Instanz verurteilt worden, weil er sexuelle Handlungen an der zum Tatzeitpunkt 14jährigen Beschwerdeführerin vorgenommen habe. Als Opfer dieser angeblichen Straftat gegen ihre sexuelle Integrität ist die Beschwerdeführerin, die sich am Strafverfahren als Zivilklägerin beteiligt hatte, legitimiert, das Urteil des Obergerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde bei Bundesgericht anzufechten (Art. 8 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 2 Abs. 1 OHG; BGE 120 Ia 101 E. 2a S. 105, 157 E. 2c S. 162). Die von der Beschwerdeführerin gerügten Verletzungen von Verfassungsrecht können mit keinem anderen Rechtsmittel geltend gemacht werden (vgl. Art. 269 Abs. 2 BStP). Auf die rechtzeitig eingereichte staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten, soweit die Aufhebung des angefochtenen Entscheids beantragt wird. Auf die weitergehenden Begehren kann wegen der grundsätzlich kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde nicht eingetreten werden. 
 
2.- Die Beschwerdeführerin rügt zunächst eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie der daraus abgeleiteten Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV), weil das Obergericht sich mit dem Glaubwürdigkeitsgutachten von PD Dr. Gerhard von der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel vom 22. September 1997 nicht auseinander gesetzt habe. 
Es habe somit ein von der Beschwerdeführerin und der Staatsanwaltschaft vorgebrachtes Beweismittel übergangen und zugleich seine Begründungspflicht verletzt. 
Im Urteil des Obergerichts wird das Glaubwürdigkeitsgutachten ausdrücklich nur an einer Stelle genannt. 
Das Obergericht setzt sich jedoch mit den Argumenten des Bezirksgerichts zur Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin auseinander, die sich ihrerseits auf das Glaubwürdigkeitsgutachten stützen: So fasst das Obergericht im Abschnitt C (S. 4-5) des Sachverhalts sowie in Erwägung 1a (S. 9 oben) die wesentlichen Gründe zusammen, die das Bezirksgericht bewogen, der Aussage der Beschwerdeführerin hinsichtlich der sexuellen Handlungen mit A.________, B.________ und C.________ zu glauben; in Erwägung 1b-c (S. 9-13) setzt es sich mit diesen Gründen auseinander und legt dar, weshalb es zu einer anderen Schlussfolgerung kommt als das Bezirksgericht. 
Damit hat sich das Obergericht inhaltlich auch mit dem Glaubwürdigkeitsgutachten auseinander gesetzt, dessen Argumente vom Bezirksgericht übernommen worden waren. Es liegt deshalb keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Ausserachtlassung eines wesentlichen Beweismittels der Zivilklägerin vor. Eine andere Frage ist, ob die vom Obergericht genannten Gründe für eine vom Gutachten abweichende Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin stichhaltig sind. Dies ist eine Frage der Beweiswürdigung, die vom Bundesgericht nur unter dem Blickwinkel des Willkürverbots überprüft werden kann (vgl. 
dazu unten, E. 4). 
 
3.- Ferner rügt die Beschwerdeführerin, das Obergericht habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt und sie nicht persönlich befragt. Wenn, wie im vorliegenden Fall, das Opfer die einzige Zeugin des tatsächlichen Geschehens sei, könnten ihre Persönlichkeit, ihre Betroffenheit von der Tat sowie eine allfällige Beeinflussung durch den Befrager nicht allein aus den Akten entnommen werden; vielmehr müsse das entscheidende Gericht sich selbst ein Bild von der Zeugin machen, um die Wahrheit ihrer Aussage beurteilen zu können. 
Das Obergericht habe deshalb den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt. 
 
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; früher: Art. 4 aBV) umfasst insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheides zur Sache zu äussern, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 122 II 464 E. 4a S. 469 mit Hinweisen). Im Strafprozess verfolgen die aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleiteten Verfahrensregeln vor allem den Zweck, die Wahrheitsfindung und die Verwirklichung des materiellen Strafrechts in einer Weise herbeizuführen, die den Angeschuldigten gegen die Gefahr staatlichen Machtmissbrauchs und gegen die Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte schützt (BGE 103 Ia 137 E. 2d S. 139 mit Hinweis). Schutzwürdig ist aber nicht nur der Angeschuldigte, sondern auch das Opfer, dessen Anspruch auf Hilfe und auf Entschädigung verfassungsrechtlich anerkannt ist (Art. 124 BV) und dem das Opferhilfegesetz gewisse prozessuale Mindestrechte im Strafverfahren einräumt. Hierzu gehört insbesondere auch der Anspruch auf rechtliches Gehör, dessen Verletzung das Opfer in gleichem Umfang rügen kann wie der Beschuldigte (BGE 120 Ia S. 101 E. 3b S. 110 unter Berufung auf Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG). 
 
Im vorliegenden Fall war die Beschwerdeführerin nicht zur Zeugin, sondern zugleich Opfer der angeblichen Straftat (vgl. oben, E. 1) und Zivilklägerin, d.h. Partei des Strafverfahrens; im Berufungsverfahren vor dem Obergericht wurde nicht nur über die Stichhaltigkeit der Anklage sondern zugleich über den Genugtuungsanspruch der Beschwerdeführerin entschieden. Sie kann sich daher zwar nicht auf die spezifischen Rechte des Angeklagten (Art. 31 f. 
BV; Art. 6 Ziff. 2 und 3 EMRK), wohl aber auf den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) berufen. 
 
b) In aller Regel genügt die schriftliche Anhörung des Betroffenen oder seines Rechtsvertreters zur Wahrung des rechtlichen Gehörs (BGE 125 I 209 E. 9b S. 219; 122 II 464 E. 4c S. 469; je mit Hinweisen). Eine Pflicht zur persönlichen, mündlichen Anhörung wird allerdings ausnahmsweise bejaht, wenn sich die massgeblichen Umstände - z.B. die Persönlichkeit oder der Charakter des Betroffenen - nur dadurch abklären lassen, namentlich weil die zuständige Behörde auf einen eigenen, unmittelbaren Eindruck angewiesen ist (BGE 122 II 464 E. 4c S. 469 f.; unveröffentlichte Bundesgerichtsentscheide i.S. K. vom 22. Februar 1996 E. 3c und i.S. W. vom 19. Mai 1998 E. 2d; vgl. hierzu Michele Albertini, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Diss. Bern 2000, S. 337 f.). 
 
 
c) Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführerin vor Obergericht Gelegenheit gegeben, sich schriftlich zur Berufungsschrift zu äussern; dagegen verzichtete das Obergericht auf die Durchführung einer Verhandlung und auf weitere Beweiserhebungen und entschied aufgrund der Akten. 
 
aa) Ob die Rechtsmittelinstanz verpflichtet ist, eine mündliche Verhandlung (mit oder ohne Beweisabnahme) durchzuführen, ist in erster Linie eine Frage des kantonalen Verfahrensrechts. Das aargauische Strafprozessrecht schreibt eine Parteiverhandlung im Berufungsverfahren zwingend vor, wenn im angefochtenen Urteil eine Freiheitsstrafe von über 18 Monaten oder eine freiheitsentziehende Massnahme ausgesprochen wurde oder mit der Berufung oder Anschlussberufung beantragt wird (§ 222 Abs. 1 des Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 11. November 1958; im Folgenden: StPO/AG). 
§ 222 Abs. 2 StPO/AG sieht darüber hinaus vor, dass das Obergericht in allen Fällen auf Antrag einer Partei oder von Amtes wegen das Beweisverfahren ergänzen oder wiederholen kann, und bestimmt, dass es in der Regel von dem durch die erste Instanz festgestellten Sachverhalt in wesentlichen Punkten nicht abweichen soll, ohne die diesbezügliche Beweisabnahme zu wiederholen. Diese Regel hat das Obergericht im vorliegenden Fall nicht eingehalten: Es wich von dem durch die erste Instanz festgestellten Sachverhalt ab, ohne die diesbezügliche Beweisabnahme zu wiederholen. Da die Beschwerdeführerin keine Verletzung des kantonalen Verfahrensrechts rügt, ist nur zu prüfen, ob dieses Vorgehen den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt hat. 
 
bb) Weder die Beschwerdeführerin noch der Angeklagte noch die Staatsanwaltschaft hatten ergänzende Beweismassnahmen im Berufungsverfahren beantragt; insbesondere war eine nochmalige mündliche Anhörung und Befragung der Beschwerdeführerin von keiner Partei verlangt worden. Eine Verletzung des aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör abgeleiteten Beweisantragsrechts ist schon aus diesem Grund zu verneinen. 
 
cc) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wäre daher im vorliegenden Fall nur zu bejahen, wenn das Obergericht, unmittelbar aufgrund von Art. 29 Abs. 2 BV, verpflichtet gewesen wäre, von Amtes wegen eine erneute mündliche Anhörung der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren durchzuführen. 
Eine solche Verpflichtung ist nach dem oben (E. 3b) Gesagten nur ausnahmsweise zu bejahen. Immerhin kann es in besonderen Fällen angezeigt sein, dass sich das Berufungsgericht einen eigenen Eindruck von der Persönlichkeit des angeblichen Opfers und Hauptbelastungszeugin macht, deren Aussage für den Verfahrensausgang von zentraler Bedeutung ist, insbesondere dann, wenn es deren Aussage abweichend von der Vorinstanz und einem von dieser eingeholten Glaubwürdigkeitsgutachten würdigen will. 
 
Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin schon wiederholt einvernommen und ihre Persönlichkeit und ihre Aussagetüchtigkeit eingehend vom Gutachter untersucht worden waren, der verschiedene Tests (Hamburg Wechsler Intelligenztest, Gudjonsson Suggestibilitäts Skala, Thematischer Apperzeptions Test nach Murray) mit ihr durchgeführt hatte. Die der Anklage zugrundeliegenden Vorfälle lagen bereits fünf Jahre zurück. Ganz allgemein verblasst die Erinnerung eines Zeugen mit zunehmendem Zeitabstand; im vorliegenden Fall hatte der Gutachter überdies festgestellt, dass die Beschwerdeführerin über ein ausgesprochen schwaches Gedächtnis verfüge. Unter diesen Umständen durfte das Obergericht ohne Verletzung von Verfassungsrecht davon ausgehen, dass eine erneute Befragung der Beschwerdeführerin keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn und keinen besseren Aufschluss über die Persönlichkeit der Beschwerdeführerin vermitteln würde. Hinzu kommt, dass das Obergericht auch den Angeklagten nicht persönlich befragte, insofern also die "Waffengleichheit" zwischen dem Angeklagten und der Zivilklägerin gewahrt wurde. 
 
4.- Damit bleibt zu prüfen, ob die Beweiswürdigung des Obergerichts - das auf der Grundlage der Akten, ohne erneute Beweismassnahmen, zum dem Entscheid der Vorinstanz und dem Glaubwürdigkeitsgutachten entgegengesetzten Ergebnis kam - willkürlich war und Art. 9 BV verletzte. 
 
a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Entscheid des Obergerichts sei sachlich nicht begründbar. Das Obergericht begnüge sich mit dem Hinweis auf die Widersprüche in den Aussagen der Beschwerdeführerin; dies allein genüge jedoch nicht, um ihre Glaubwürdigkeit zu verneinen. 
Das Gutachten von PD Dr. Gerhard und das Urteil des Bezirksgerichts Zurzach hätten ausführlich begründet, weshalb der Beschwerdeführerin aufgrund aussagepsychologischer Momente dennoch zu glauben sei; diesen Argumenten habe das Obergericht nichts entgegen zu setzen. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass der wegen derselben Tat verurteilte Mittäter sein Urteil akzeptiert und die Genugtuungssumme pünktlich gezahlt habe, was ebenfalls für die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils spreche. 
 
b) Das Bezirksgericht hatte - gestützt auf das Glaubwürdigkeitsgutachten von PD Dr. Gerhard - angenommen, die Aussagen der Beschwerdeführerin seien im Kern, hinsichtlich des Vorwurfs der sexuellen Handlungen mit dem Angeklagten A.________ sowie den beiden anderen Männern (B.________ und C.________), während der gesamten Dauer des Verfahrens konstant geblieben, wenn auch mit geringen Abweichungen in den Häufigkeiten und Zeitpunkten des Beischlafs: 
Die Beschwerdeführerin habe sowohl in ihrem Brief an Herrn F.________ vom Sozialdienst, in ihren Einvernahmen vom 13. April 1995, vom 9. August 1995, vom 11. September 1996 und vom 29. August 1997 als auch in der Befragung durch den psychiatrischen Gutachter vom 14. August 1997 und schliesslich vor dem Bezirksgericht sexuelle Übergriffe dieser drei Männer geschildert. Nicht konstant seien dagegen ihre Aussagen mit Bezug auf die Freiwilligkeit der sexuellen Handlungen sowie der Freiwilligkeit und Dauer ihres Aufenthalts in Y.________. Diese Inkonstanz sei aber aus psychologischer Sicht durchaus erklärbar: Zum einen habe die ursprüngliche Angst vor Drohungen der drei Männer nach der Tötung von C.________ und dem Tötungsversuch zum Nachteil des Angeklagten A.________ durch ihren Bruder H.________ abgenommen; zum anderen habe die Variante der Unfreiwilligkeit auch den Vorteil geboten, ihre eigene Verantwortung in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. 
 
c) Das Obergericht geht dagegen davon aus, die Beschwerdeführerin habe auch im Kern nicht konstant, sondern sehr unterschiedlich ausgesagt: Es verweist auf Widersprüche in den Aussagen der Beschwerdeführerin bezüglich der Anzahl, dem Datum und dem Ort der sexuellen Kontakte mit dem Angeklagten A.________ (nur einmal oder mehrmals? nur in Y.________ oder auch in Z.________?) sowie auf Unstimmigkeiten hinsichtlich des Datums des ersten Geschlechtsverkehrs mit dem inzwischen verstorbenen C.________ (anfangs Januar 1995 auf einem Parkplatz in Y.________ oder erstmals im Sommer 1994 im Auto, im Wald in der Nähe von Y.________?) und der Anzahl der sexuellen Kontakte mit diesem. Überdies berücksichtigt das Obergericht die Aussagen der Beschwerdeführerin im Verfahren gegen E.________ vor dem Bezirksamt Baden, wo sie ausgesagt hatte, mit E.________ am 12. Juli 1994 Geschlechtsverkehr gehabt zu haben; es sei für sie das erste Mal gewesen. In der Befragung vom 14. August 1997 durch den Gutachter Dr. Gerhard habe die Beschwerdeführerin dagegen gesagt, das erste Mal habe sie mit C.________ vor ca. zwei Jahren im Auto im Wald ein sexuelles Verhältnis gehabt; sie habe dies aber im Verfahren gegen E.________ nicht gesagt, weil sie Angst vor C.________ gehabt habe. 
 
Die vom Obergericht wiedergegebenen Aussagen entsprechen den Akten und enthalten gewisse Widersprüche auch hinsichtlich des Kerngeschehens. Während das Bezirksgericht und der Gutachter diese - auch ihnen bekannten - Unstimmigkeiten als unwesentlich erachteten, genügten sie dem Obergericht, um die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin in Zweifel zu ziehen. Auffällig ist immerhin, dass das für die Beschwerdeführerin zentrale Geschehen im Zimmer des Hauses in Y.________ in fast allen Aussagen konstant geschildert wird. Nur in der Befragung vom 9. August 1995 wird C.________ noch als dritter Sexualpartner dieser Nacht genannt; diese Aussage wird im Gutachten von PD Dr. Gerhard als Fehlerinnerung interpretiert, da Erinnerungsfehler in einer Kette von gleichartigen Ereignissen relativ häufig seien und das Bewusstsein der Beschwerdeführerin durch den zuvor genossenen Alkohol wahrscheinlich etwas eingeschränkt gewesen sei. Die vom Obergericht hervorgehobenen Widersprüche betreffen überwiegend Ereignisse vor diesem Geschehen, die zum Teil nicht Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens waren (sexuelle Handlungen mit E.________ und mit dem verstorbenen C.________ im Sommer 1994), nach denen die Beschwerdeführerin somit auch nicht durchgängig gefragt worden war. 
 
Mit den übrigen, von Bezirksgericht und Gutachter hervorgehobenen Realitätskriterien setzt sich das Obergericht nicht auseinander; immerhin werden diese auch vom Gutachter als "wenig zahlreich und nicht in ausgeprägter Form vorhanden" bezeichnet. Als mögliches Motiv für eine Falschanschuldigung nennt das Obergericht das Verdecken von weiteren sexuellen Handlungen mit Unbekannten sowie das Ausweichen oder das Nachgeben gegenüber den drängenden Fragen im Elternhaus, zumal das Verhältnis zu ihren Eltern zum damaligen Zeitpunkt gestört gewesen sei. Es erscheint allerdings unwahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin eine solche Geschichte aufgrund drängender Fragen ihrer Eltern erfunden haben sollte, vor allem, wenn man sich die Konsequenzen einer solchen Erfindung in einer Familie mit traditionellen albanischen Moralvorstellungen vor Augen hält. Es leuchtet auch nicht ein, weshalb die Beschwerdeführerin nicht nur einen, sondern gleich drei Männer zu Unrecht beschuldigt haben soll, und weshalb gerade den Angeklagten A.________, mit dem sie zuvor ein gutes Verhältnis hatte. Gegen eine Falschbeschuldigung sprechen schliesslich auch die vom Gutachter durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen, aus denen sich ergibt, dass die Beschwerdeführerin eine sehr einfache geistige Strukturiertheit aufweist und gar nicht in der Lage ist, raffinierte Geschichten zu erfinden. 
 
Von den Aussagen der übrigen Zeugen würdigte das Obergericht nur diejenige von G.________. Es nahm dabei ohne Willkür an, dass dessen Zeugenaussage nicht als genügender Beweis gegen den Angeklagten betrachtet werden könne, da sie sich mehrheitlich nicht auf eigene Beobachtungen, sondern auf angebliche Ausführungen anderer Zeugen stütze, G.________ seine Aussagen mehrfach abgeändert und schliesslich in der Hauptverhandlung bestritten habe, überhaupt gewisse Aussagen gemacht zu haben. 
 
d) Zusammenfassend bleibt es damit bei der Frage, ob das Obergericht die Aussagen der Beschwerdeführerin allein auf Grund der darin enthaltenen Widersprüche und Unstimmigkeiten als unglaubhaft würdigen durfte, entgegen den sorgfältig begründeten und auf ein aussagepsychologisches Gutachten abgestützten Ausführungen des Bezirksgerichts. 
 
Dabei muss berücksichtigt werden, dass das Gericht den Angeklagten nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nur verurteilen darf, wenn es von seiner Schuld überzeugt ist, und es ihn freisprechen muss, wenn es erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel an seiner Schuld hegt (vgl. BGE 120 Ia 31 E. 3c S. 37). Insofern ist der Begründungsaufwand für eine Verurteilung, wie sie in erster Instanz erfolgt ist, höher als für den in zweiter Instanz erfolgten Freispruch: 
Während das verurteilende Gericht jeden erheblichen Zweifel ausschliessen muss, genügt für den Freispruch schon die Begründung eines unüberwindlichen Zweifels. Schon deshalb durfte die Begründung des Obergerichts kürzer ausfallen als diejenige des Bezirksgerichts und sich auf die für das Obergericht wesentlichen Zweifelspunkte beschränken. 
 
Im vorliegenden Fall war für das Obergericht die Inkonstanz der Aussagen der Beschwerdeführerin Grund, an ihrer Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Es handelt sich hierbei um ein sachliches, für die Würdigung einer Zeugenaussage gewichtiges Kriterium. Auch das Bezirksgericht und der Gutachter hatten die Widersprüchlichkeit der Aussagen der Beschwerdeführerin hervorgehoben, diese jedoch nur bezüglich der Unfreiwilligkeit der sexuellen Handlungen und des Aufenthalts in Y.________ für wesentlich gehalten und im Kerngeschehen als unwesentliche Abweichungen im Detail gewürdigt. 
Die gegenteilige Auffassung des Obergerichts kann jedenfalls nicht als unhaltbar und damit als willkürlich bezeichnet werden. Daran ändert auch das fehlende oder zumindest nicht ersichtliche Motiv für eine Falschbeschuldigung nichts, da eine solche auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. 
 
5.- Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. 
Da sie jedoch nicht aussichtslos war, die Beschwerdeführerin bedürftig ist und auf die Hilfe eines Rechtsanwalts angewiesen war, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltliche Rechtspflege vor (Art. 152 Abs. 1 OG). Angesichts der nicht sachdienlichen Ausführungen in der Vernehmlassung des Beschwerdegegners kann auf eine Parteientschädigung verzichtet werden. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.- Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
 
a) Es werden keine Kosten erhoben. 
 
b) Rechtsanwalt Stefan Galligani, Ruederstrasse 8, Schöftland, wird als amtlicher Vertreter der Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 1'500.-- ausgerichtet. 
 
3.- Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, dem Bezirksgericht Zurzach und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 22. September 2000 
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: