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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 1/2} 
 
1C_152/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 27. August 2014  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Karlen, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Tony  Zimmermann,  
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Stadelmann, 
 
gegen  
 
Korporationsgemeinde Vitznau,  
Beschwerdegegnerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Möri, 
Regierungsrat des Kantons Luzern.  
 
Gegenstand 
Stimmrecht, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 17. Februar 2014 des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 Die Baugenossenschaft Vitznau ist Eigentümerin der Parzellen Gbbl. Nrn. 56 und 57 in Vitznau; das Gelände liegt in der 3-geschossigen Wohnzone (W3). Die Baugenossenschaft will auf diesen Grundstücken ein Mehrfamilienhaus mit Autoeinstellhalle realisieren (sog. Projekt "Holzfallen"). Dagegen erhob unter anderen Tony Zimmermann, Eigentümer der benachbarten Grundstücke Gbbl. Nrn. 60, 62 und 65, Einsprache. Mit Entscheid vom 8. Januar 2013 erteilte der Gemeinderat Vitznau der Baugenossenschaft die Baubewilligung unter diversen Nebenbestimmungen und wies die Einsprachen ab. Die von Tony Zimmermann gegen die Baubewilligung geführte Beschwerde hiess das Kantonsgericht Luzern gut und hob die Baubewilligung auf. Das Gericht stellte fest, das Bauvorhaben bedürfe einer Ausnützungs-Übertragung, welche sich die Bauherrschaft von der Korporationsgemeinde Vitznau, der Eigentümerin des Grundstücks Gbbl. Nr. 53, erst noch verschaffen müsse. 
 
 Am 24. Januar 2013 fand eine ausserordentliche Versammlung der Korporationsgemeinde statt. Traktandiert waren unter anderem die Ausnützungs-Übertragung ab Grundstück Gbbl. Nr. 53 zugunsten der Baugrundstücke Gbbl. Nrn. 56 und 57 sowie die Genehmigung des entsprechenden Dienstbarkeitsvertrags. Der Vorstand der Korporationsgemeinde befürwortete das Geschäft. An der Versammlung stellte Guido Zimmermann, der Bruder von Tony Zimmermann, den Antrag, dass alle Mitglieder des Korporationsrats, welche für die Baugenossenschaft Vitznau tätig sind oder es einmal waren, in den Ausstand treten müssten. Dieser Antrag wurde mit 35 Nein- gegen 12 Ja-Stimmen abgelehnt. Nach einer inhaltlichen Diskussion über die Ausnützungs-Übertragung und den Dienstbarkeitsvertrag wurde das Geschäft mit 38 gegen 12 Stimmen angenommen. 
 
 Gegen diesen Beschluss reichte Tony Zimmermann beim Regierungsrat des Kantons Luzern eine Stimmrechts- und Gemeindebeschwerde ein. Mit Entscheid vom 2. Juli 2013 wies der Regierungsrat die Beschwerde ab. 
 
 Die von Tony Zimmermann gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Urteil vom 17. Februar 2014 ab. 
 
B.  
 
 Mit Eingabe vom 19. März 2014 führt Tony Zimmermann Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und beantragt in der Hauptsache die Aufhebung des Urteils des Kantonsgerichts und des Beschlusses der Korporationsgemeindeversammlung Vitznau vom 24. Januar 2013. Eventualiter sei festzustellen, dass der Beschluss der Korporationsgemeindeversammlung eine Verfassungsverletzung beinhalte. 
 
 Mit Verfügung vom 11. April 2014 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ab. 
 
 Der Regierungsrat verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Das Kantonsgericht stellt Antrag auf Beschwerdeabweisung. Die Korporationsgemeinde Vitznau beantragt in der Hauptsache, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdeführer hält in einer weiteren Eingabe an seinem Standpunkt und an seinen Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
 Mit der Beschwerde nach Art. 82 lit. c BGG kann die Verletzung von politischen Rechten beim Bundesgericht geltend gemacht werden. Von der Beschwerde werden sowohl eidgenössische als auch kantonale und kommunale Stimmrechtssachen erfasst (vgl. Art. 88 Abs. 1 BGG). Angefochten ist vorliegend ein kantonal letztinstanzlicher Akt in einer kommunalen Stimmrechtssache. Der Beschwerdeführer ist in der Korporationsgemeinde Vitznau stimmberechtigt und hat an der Versammlung vom 24. Januar 2013 teilgenommen; er ist damit zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 89 Abs. 3 BGG). Da allerdings im vorliegenden Fall ein Gestaltungsbegehren auf Aufhebung der beanstandeten Abstimmung vorliegt und zulässig ist, verfügt der Beschwerdeführer nicht über ein schutzwürdiges Interesse an der formellen Feststellung einer allfälligen Verfahrensverletzung. Auf das subsidiär erhobene Feststellungsbegehren kann daher nicht eingetreten werden (vgl. Urteil 1C_641/2013 vom 24. März 2014 E. 1.4). 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer beanstandete in den kantonalen Verfahren zur Hauptsache die Nichteinhaltung der Regeln über den Ausstand. Die Vorinstanz ist im angefochtenen Urteil (ebenfalls) zum Schluss gekommen, Paul Zimmermann als Korporationsrat (Säckelmeister) und Markus Erb als Korporationsschreiber der Korporationsgemeinde Vitznau hätten in den Ausstand treten müssen.  
 
 Die Vorinstanz hat ausgeführt, Paul Zimmermann sei in besonderer Weise mit der Baugenossenschaft verbunden. Von 1994 bis zu seinem Austritt aus dem Vorstand der Genossenschaft am 28. Mai 2011 sei er in seiner Funktion als Partner des ortsansässigen Architekturbüros die "treibende Kraft" der Baugenossenschaft gewesen, was etwa darin zum Ausdruck komme, dass er seit seinem formellen Austritt aus dem Vorstand deren "Ehrenpräsident" sei. Sein Architekturbüro habe von der Baugenossenschaft den Auftrag zur Planung und Realisierung des in Frage stehenden Bauprojekts "Holzfallen" (Mehrfamilienhaus mit Einstellhalle) erhalten. Paul Zimmermann habe folglich offenkundig ein eigenes Interessen am Zustandekommen des Vertrags. Trotzdem habe er an der Korporationsgemeindeversammlung vom 24. Januar 2013 über das Geschäft informiert. Dies stelle zweifellos eine Verletzung der Ausstandsregeln dar. Auch der Korporationsschreiber Markus Erb habe als Verwalter der Baugenossenschaft ein persönliches Interesse am Ausgang der Abstimmung gehabt und hätte daher von sich aus in den Ausstand treten müssen. Daran ändere nichts, dass Markus Erb an der Versammlung das Wort nicht ergriffen und korrekt protokolliert habe. 
 
 Die Vorinstanz hat weiter erwogen, dieser Verfahrensmangel habe sich indes nicht entscheidend auf das Ergebnis des Beschlusses ausgewirkt. Aus dem Protokoll der Korporationsgemeindeversammlung vom 24. Januar 2013 ergebe sich, dass über den Ausstands-Antrag diskutiert und insbesondere die angeblich engen Verflechtungen von Paul Zimmermann mit der Baugenossenschaft in aller Deutlichkeit thematisiert worden seien. Aufgrund der kleinräumigen dörflichen Verhältnisse sei zudem davon auszugehen, dass die Korporationsbürger und -bürgerinnen auch darum gewusst hätten, dass Paul Zimmermann mit seinem Architekturbüro die "treibende Kraft" hinter der Baugenossenschaft gewesen sei. Dennoch hätten die Stimmberechtigten den Ausstands-Antrag mit 35 gegen 12 Stimmen klar abgewiesen. An der Versammlung sei alsdann über die Übertragung der Ausnützung und die Einräumung einer Dienstbarkeit gesprochen und eine Debatte über die Höhe der vereinbarten Entschädigungen geführt worden. In der Schlussabstimmung sei das Geschäft schliesslich mit 38 zu 12 Stimmen sehr deutlich angenommen worden. Aufgrund dieses klaren Abstimmungsresultats könne ausgeschlossen werden, dass die Verletzung der Ausstandspflichten das Ergebnis beeinflusst haben könnte. 
 
2.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, es handle sich im zu beurteilenden Fall um eine massive Verletzung der Ausstands- und Informationspflichten. Ein solch schwerer Verfahrensverstoss bzw. ein derart gravierender Mangel des Abstimmungsverfahrens müsse unbesehen des nachweisbaren Einflusses auf das Ergebnis zur Aufhebung der Abstimmung führen.  
 
2.3. Die in Art. 34 Abs. 2 BV als Grundrecht verankerte Abstimmungsfreiheit gibt den Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass jeder Stimmberechtigte seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit seiner Stimme zum Ausdruck bringen kann. Die Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der Auseinandersetzung (BGE 139 I 2 E. 6.2 S. 13 f.; 138 I 61 E. 6.2 S. 82; 135 I 292 E. 2 S. 293; je mit Hinweisen).  
 
 Aufgrund der von der Vorinstanz festgestellten Verletzung der Regeln über den Ausstand ist die Abstimmung über die Ausnützungs-Übertragung an der Korporationsgemeindeversammlung vom 24. Januar 2013 mit einem Mangel behaftet. Stellt das Bundesgericht im Vorfeld einer Abstimmung oder bei deren Durchführung Mängel fest, so hebt es den Urnengang nur auf, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten erheblich sind und das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Der Beschwerdeführer muss in einem solchen Fall allerdings nicht nachweisen, dass sich der Mangel auf das Ergebnis der Abstimmung entscheidend ausgewirkt hat. Es genügt, dass nach dem festgestellten Sachverhalt eine derartige Auswirkung im Bereich des Möglichen liegt. Infolge der fehlenden ziffernmässigen Feststellbarkeit der Auswirkung eines Verfahrensmangels ist nach den gesamten Umständen und grundsätzlich mit freier Kognition zu beurteilen, ob der gerügte Mangel das Abstimmungsergebnis beeinflusst haben könnte. Dabei ist insbesondere die Grösse des Stimmenunterschieds, die Schwere des festgestellten Mangels und dessen Bedeutung im Rahmen der Abstimmung zu berücksichtigen. Erscheint die Möglichkeit, dass die Abstimmung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, nach den gesamten Umständen als derart gering, dass sie nicht mehr ernsthaft in Betracht fällt, so kann von der Aufhebung der Abstimmung abgesehen werden (BGE 138 I 61 E. 4.7.2 S. 78 f.; 135 I 292 E. 4.4 S. 301; 132 I 104 E. 3.3 S. 110; 130 I 290 E. 3.4 S. 296; je mit Hinweisen). 
 
 Beschlüsse, die in Verletzung der Ausstandspflicht zustande gekommen sind, sind nach dem Gesagten auf Beschwerde hin aufzuheben, wenn der Mangel den Beschluss entscheidend hat beeinflussen können (Ueli Friederich, Gemeinderecht, in: Markus Müller / Reto Feller [Hrsg.], Bernisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2013, S. 206 mit Hinweisen). 
 
2.4. Die Vorinstanzen haben willkürfrei festgestellt, aufgrund der kleinräumigen dörflichen Verhältnisse sei davon auszugehen, dass die Korporationsbürger und -bürgerinnen um die Rolle des Architekturbüros von Paul Zimmermann gewusst hätten (vgl. Entscheid des Regierungsrats vom 5. Juli 2013 E. 9 und angefochtenes Urteil insb. E. 5.2.2). Alsdann wurde anlässlich der Korporationsgemeindeversammlung offen über die Ausstandsthematik debattiert, sodass keine verdeckte Einflussnahme vorliegt. In der Sache selbst bildeten die umstrittenen Fragen der Höhe der einmaligen Entschädigung für die Übertragung der Ausnützung und der Höhe der jährlichen Entschädigung für die Einräumung der Dienstbarkeit Gegenstand von Diskussionen. Der Beschwerdeführer legt insoweit nicht dar und es ist auch nicht ersichtlich, dass Paul Zimmermann und/oder der Korporationsgemeinderat falsch oder unsachlich informiert hätten. Es sind mithin keine gravierenden Fehlinformationen ersichtlich, die das Abstimmungsergebnis wesentlich beeinflusst bzw. verfälscht haben könnten. In Würdigung der gesamten Umstände stellt die Verletzung der Ausstandspflichten im zu beurteilenden Fall keinen sehr gravierenden Mangel dar. Entscheidend hinzu kommt, dass die Vorlage mit 38 Ja-Stimmen gegen 12 Nein-Stimmen überaus deutlich angenommen wurde. Damit erscheint die Möglichkeit, dass die Abstimmung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre, das heisst, dass die Vorlage von einer Mehrheit der Stimmberechtigten abgelehnt worden wäre, als derart gering, dass sie nicht ernsthaft in Betracht fällt. Von der Aufhebung der Abstimmung kann deshalb abgesehen werden.  
 
3.  
 
 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegnerin ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
 
 Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
 
 Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
 
 Dieses Urteil wird den Parteien, dem Regierungsrat des Kantons Luzern und dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. August 2014 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner