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Urteilskopf

127 V 228


34. Urteil vom 3. September 2001 i. S. B. gegen IV-Stelle des Kantons Zürich und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich

Regeste

Art. 84 f. AHVG; Art. 54 und 58 VwVG; Art. 69 ff. IVV: Abklärungen der Verwaltung lite pendente.
Tragweite des Devolutiveffekts von Beschwerden gegen Verfügungen kantonaler IV-Stellen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Sistierung des Verfahrens für Abklärungen durch die Verwaltung lite pendente.
Kriterien für das nach Litispendenz noch zulässige Verwaltungshandeln, sofern es von der rechtsuchenden Partei beanstandet und damit zu einem vom Richter im Rahmen seiner Prozessleitung zu entscheidenden Streitpunkt wird.

Sachverhalt ab Seite 228

BGE 127 V 228 S. 228

A.- Der 1941 geborene B. verlor auf Ende November 1992 seine Stelle als Bauarbeiter bei der Firma T. AG. Danach war er als arbeitslos gemeldet und bezog Arbeitslosentaggelder. Wegen eines seit August 1993 bestehenden Lungenleidens (chronische obstruktive Bronchitis) ersuchte B. im Oktober 1994 die Invalidenversicherung um Umschulung und eine Rente. Nach Abklärung der gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse sowie der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten und nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom 17. Januar 1997 ab 1. März 1995 eine halbe Rente (Invaliditätsgrad: 61%) samt Zusatzrente für die Ehefrau zu.

B.- B. liess beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde einreichen und die Zusprechung einer ganzen Rente nach weiteren medizinischen Abklärungen beantragen.
BGE 127 V 228 S. 229
Mit der Begründung, eine zusätzliche psychiatrische Abklärung sei notwendig und ein entsprechender Gutachterauftrag bereits erteilt worden, ersuchte die IV-Stelle um Sistierung des Verfahrens bis zum Vorliegen der Expertise. Mit (einzelrichterlicher) Verfügung vom 25. Juni 1997 entsprach das Gericht diesem Begehren. Auf die dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde trat das Eidg. Versicherungsgericht mit Urteil vom 10. Dezember 1997 (I 296/97) mangels eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils nicht ein.
Nachdem B. der Begutachtung (durch Dr. med. S.) zweimal ferngeblieben war, was sein Rechtsvertreter u.a. damit rechtfertigte, während eines hängigen Beschwerdeverfahrens sei die Verwaltung zur Anordnung von Abklärungsmassnahmen nicht mehr befugt, reichte die IV-Stelle die Vernehmlassung ein. Daraufhin hob das Gericht die Sistierung auf und führte einen zweiten Schriftenwechsel durch.
Mit Entscheid vom 1. Juni 1999 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab.

C.- B. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und ihm eine ganze Invalidenrente auf Grund einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 67% zuzusprechen; im Weitern sei ihm die unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. a) In formeller Hinsicht wird die Prozessleitung der Vorinstanz, insbesondere die Sistierung des Verfahrens bis zum Abschluss der von der IV-Stelle nach Einreichung der Beschwerde angeordneten psychiatrischen Abklärung (Begutachtung durch Dr. med. S.), als bundesrechtswidrig gerügt. Indem das kantonale Gericht eine psychiatrische Expertise für erforderlich halte, hätte es entweder die Beschwerde gutheissen und die Akten zur weiteren Abklärung an die Verwaltung zurückweisen oder aber selbst, unter Beachtung der kantonalen Vorschriften über das gerichtliche Beweisverfahren, eine Expertise anordnen müssen.
b) Das Eidg. Versicherungsgericht ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung vom 25. Juni 1997
BGE 127 V 228 S. 230
(Sistierung des Verfahrens, um der IV-Stelle die Vornahme einer psychiatrischen Abklärung zu ermöglichen) mangels eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils nicht eingetreten (Art. 97 Abs. 1 OG sowie Art. 5 Abs. 2 und Art. 45 Abs. 1 und 2 lit. c VwVG). Das Fehlen dieser Eintretensvoraussetzung (BGE 124 V 85 Erw. 2 und AHI 1999 S. 139 Erw. 1 mit Hinweisen) hat es damit begründet, es sei, wenn überhaupt, lediglich mit einer nicht ins Gewicht fallenden Verfahrensverzögerung zu rechnen. Soweit im Übrigen die Sache im Zeitpunkt der Sistierung nicht spruchreif gewesen sei, werde dem die Vorinstanz ungeachtet des Ausgangs des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens bei der Bemessung der Parteientschädigung Rechnung zu tragen haben. In einem gleich gelagerten Fall (I 4/96) hat das Gericht ebenfalls einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil als Folge der Sistierung des Verfahrens zwecks Durchführung einer von der Verwaltung lite pendente angeordneten medizinischen Abklärung verneint, allerdings unter der weiteren Voraussetzung, dass der Versicherte sämtliche Einwände auch noch in einer gegen einen allfälligen negativen kantonalen Endentscheid gerichteten Verwaltungsgerichtsbeschwerde vortragen kann (vgl. SVR 1996 IV Nr. 93 S. 284 Erw. 4c; zum Erfordernis der rechtzeitigen Geltendmachung von Verfahrensmängeln vgl. BGE 125 V 375 f. Erw. 2b/aa).
c) Der Versicherte nannte u.a. als Grund für seine Weigerung, sich einer Begutachtung durch Dr. med. S. zu unterziehen, die Unzulässigkeit dieser Vorgehensweise. Wie dieses Verhalten zu würdigen ist und wie dessen Folgen für den streitigen Umfang des Rentenanspruchs zu beurteilen sind, hängt entscheidend vom anwendbaren Verfahrensrecht ab (vgl. BGE 125 V 401, wonach im Abklärungsverfahren vor den kantonalen IV-Stellen die Bestimmungen des VwVG und des BZP keine Anwendung finden, sondern die Regeln der Art. 69 ff. IVV). Das gilt überhaupt für die Rechtsstellung der Versicherten in Fällen wie dem vorliegenden, wenn und soweit die im Hinblick auf noch vorzunehmende Abklärungen angeordnete Sistierung des Prozesses als zulässig bezeichnet wird. Eine Prüfung der Vorbringen gegen die als bundesrechtswidrig gerügte Sistierung des Prozesses ist daher gerechtfertigt (vgl. SVR 1998 UV Nr. 11 S. 32 Erw. 5b/bb mit Hinweis auf BGE 111 Ib 59 Erw. 2b, 185 Erw. 2c; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 154; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, S. 75 Rz 201).
BGE 127 V 228 S. 231

2. a) Die Sistierung des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens bezweckt, der IV-Stelle zu ermöglichen, in Bezug auf das oder die mit der angefochtenen Verfügung geregelte(n) Rechtsverhältnis(se) (BGE 125 V 415 Erw. 2a) weitere Abklärungen zu treffen. Dies muss nicht zwingend zu einer Verfahrensverzögerung führen, welche mit dem in Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG verankerten Beschleunigungsgebot (BGE 103 V 193 oben und 195 f. Erw. 4) und dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Beurteilung der Sache innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV; BGE 126 V 249 Erw. 4a; ferner BGE 125 V 375 Erw. 2b/aa zu Art. 4 Abs. 1 aBV) unvereinbar wäre. Nach Art. 85 Abs. 2 lit. c AHVG hat die Beschwerdeinstanz im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes (BGE 125 V 195 Erw. 2 mit Hinweisen) von Amtes wegen die für den Entscheid erheblichen Tatsachen festzustellen und erhebt die hiezu notwendigen Beweise. Dabei steht es grundsätzlich in ihrem pflichtgemässen Ermessen, weitere Abklärungen selber vorzunehmen oder in Aufhebung der Verfügung die Sache zu diesem Zwecke an die IV-Stelle zurückzuweisen (SVR 1996 IV Nr. 93 S. 283 Erw. 4b/aa und ZAK 1971 S. 36 Erw. 1; vgl. auch BGE 122 V 163 oben und RKUV 1999 Nr. U 342 S. 410, 1993 Nr. U 170 S. 136 Erw. 4a). Das Bundesrecht schreibt nicht vor, innert welcher Frist die Verwaltung, deren Verfügung angefochten ist, ihre Vernehmlassung einzureichen hat (BGE 126 V 248 Erw. 3). Den Kantonen verbleibt insoweit ein gewisser Gestaltungsspielraum (vgl. auch BGE 103 V 107), bei dessen Ausnützung sie indessen unter anderem das konventions- und verfassungsrechtliche Prinzip der Waffengleichheit (vgl. dazu BGE 122 V 163 ff. Erw. 2b und c, BGE 120 Ia 219 oben, BGE 116 Ia 312 Erw. 4b, BGE 114 Ia 180 f. mit Hinweisen auf die Lehre; ferner UELI KIESER, Das Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung, Zürich 1999, S. 55 ff. und 348 ff.) zu beachten haben (BGE 126 V 250 Erw. 4c; vgl. auch Art. 29 Abs. 1 BV, wonach jede Person Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen hat).
b) aa) Als ordentlichem Rechtsmittel kommt der Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 AHVG (in Verbindung mit Art. 69 IVG) Devolutiveffekt zu. Die formgültige Beschwerdeerhebung begründet die Zuständigkeit der kantonalen Rekursbehörde, über das in der angefochtenen Verfügung geregelte Rechtsverhältnis zu entscheiden. Somit verliert die IV-Stelle die Herrschaft über den Streitgegenstand, und zwar insbesondere auch in Bezug auf die tatsächlichen Verfügungs- und Entscheidungsgrundlagen. Die
BGE 127 V 228 S. 232
Beschwerdeinstanz hat den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen zu ermitteln (Art. 85 Abs. 2 lit. c AHVG) und ist nicht an die Begehren der Parteien gebunden (Art. 85 Abs. 2 lit. d AHVG; vgl. Art. 54 VwVG sowie EVGE 1962 S. 159 Erw. 1). Folgerichtig ist es der Verwaltung grundsätzlich verwehrt, nach Einreichung des Rechtsmittels weitere oder zusätzliche Abklärungen vorzunehmen, soweit sie den Streitgegenstand betreffen und auf eine allfällige Änderung der angefochtenen Verfügung durch Erlass einer neuen abzielen (vgl. GYGI, a.a.O., S. 189 f., und SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 204 f., Ziff. 22.1; ferner BGE 125 V 348 Erw. 2b/aa und dortige Hinweise auf die Lehre zum Devolutiveffekt im Verhältnis erst- und letztinstanzliches Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren). Die gegenteilige Auffassung hat eine Vermengung von Administrativ- und erstinstanzlichem Beschwerdeverfahren zur Folge (SVR 1996 IV Nr. 93 S. 283 Erw. 4a/aa), was dem Gebot der Einfachheit des Prozesses (Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG) widerspricht. Es bliebe diesfalls unklar, welchen beweisrechtlichen Regeln die lite pendente durch die Verwaltung angeordneten Abklärungsmassnahmen unterworfen sind und überhaupt, wie sich die Rechtsstellung der versicherten Person im Verfahren bestimmt. Eine solche Prozessgestaltung weckt auch deswegen Bedenken, weil damit allfällige Versäumnisse der Verwaltung bezüglich ihres gesetzlichen Abklärungsauftrages korrigiert würden und dem Rechtsmittelverfahren im Ergebnis eine Ersatzfunktion für die administrative Untersuchungspflicht überbunden würde (SVR 1996 IV Nr. 93 S. 283 Erw. 4a/bb). Im Einverständnis mit der Beschwerdeinstanz vorgenommene Abklärungen durch die Verwaltung lite pendente würden übrigens regelmässig die Frist zur Vernehmlassung über Gebühr verlängern, was sich bei fehlender Zustimmung der Beschwerde führenden Person oder allenfalls anderer Verfahrensbeteiligter mit dem Grundsatz der Waffengleichheit nur schwerlich verträgt (vgl. KIESER, a.a.O., S. 348 Rz 726 und auch ANDRÉ MOSER/PETER UEBERSAX, Prozessieren vor eidgenössischen Rekurskommissionen: die erstinstanzliche nachträgliche Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bund, in: Handbücher für die Anwaltspraxis [Hrsg. GEISER/MÜNCH], Band III, Basel 1998, S. 100 Rz 3.28).
bb) Das Prinzip des Devolutiveffektes des Rechtsmittels erleidet insofern eine Ausnahme, als gestützt auf kantonales Recht die IV-Stelle analog zu Art. 58 Abs. 1 VwVG die angefochtene Verfügung bis zu ihrer Vernehmlassung in Wiedererwägung ziehen kann (BGE
BGE 127 V 228 S. 233
BGE 103 V 109 Erw. 2 sowie AHI 1994 S. 271 Erw. 4a und ZAK 1992 S. 117 Erw. 5a mit Hinweisen; KIESER, a.a.O., S. 49 Fn 260). Hinter dieser Ausnahmeregelung steht der Gedanke der Prozessökonomie im Sinne der Vereinfachung des Verfahrens. Die Verwaltung soll lite pendente auf ihre Verfügung zurückkommen können, wenn diese sich, allenfalls im Lichte der Vorbringen in der Beschwerde, als unrichtig erweist (BGE 107 V 192 Erw. 1 am Ende, 252 f. Erw. 3; vgl. auch BGE 126 III 88 Erw. 3 zu dem Art. 58 VwVG inhaltlich entsprechenden Art. 17 Abs. 4 SchKG; ferner ROGER HISCHIER, Die Wiedererwägung pendente lite im Sozialversicherungsrecht oder die Möglichkeit der späten Einsicht, in: SZS 1997 S. 448 ff., S. 450 f.). So besehen sind Abklärungsmassnahmen der Verwaltung lite pendente nicht schlechthin ausgeschlossen (in diesem Sinne wohl auch MOSER/UEBERSAX, a.a.O., S. 100 Rz 3.29). Wegleitende Gesichtspunkte für die Beantwortung der Frage, was in diesem Verfahrensstadium noch als zulässiges Verwaltungshandeln bezeichnet werden kann - sofern es von der rechtsuchenden Partei beanstandet und damit zu einem vom Richter im Rahmen seiner Prozessleitung zu entscheidenden Streitpunkt wird - bilden die inhaltliche Bedeutung der Sachverhaltsvervollständigung für die (Streit-)Sache und die zeitliche Intensität der Abklärungsbedürftigkeit im Verfügungszeitpunkt: Punktuelle Abklärungen (wie das Einholen von Bestätigungen, Bescheinigungen usw. oder auch Rückfragen beim Arzt oder andern Auskunftspersonen) werden in aller Regel zulässig sein, nicht aber eine medizinische Begutachtung oder vergleichbare Beweismassnahmen wegen ihrer Tragweite für den verfügten und richterlich zu überprüfenden Standpunkt. Bei solchen erfahrungsgemäss zeitraubenden Abklärungen kann zudem auch nicht mehr von einer richterlich zu fördernden Prozessökonomie gesprochen werden, dies namentlich nicht im Vergleich zu einem rasch zu fällenden Rückweisungsentscheid, der verfahrensmässig klare Verhältnisse schafft. Weiter beendet die lite pendente erlassene Verfügung den Streit nur insoweit, als damit dem Begehren des Beschwerdeführers entsprochen wird (BGE 113 V 237; vgl. auch BGE 126 III 88 Erw. 3), was im Falle nachträglich durchgeführter Beweismassnahmen am Streitgegenstand selber (vgl. dazu BGE 125 V 413) nichts ändert (a.A. HISCHIER, a.a.O., S. 454 f.). Zu beachten gilt schliesslich, dass von der den Devolutiveffekt der Beschwerde einschränkenden Möglichkeit der Verwaltung, lite pendente auf die angefochtene Verfügung zurückzukommen (vgl. zur Bedeutung des Begriffs "Wiedererwägung" in diesem Zusammenhang BGE 107 V
BGE 127 V 228 S. 234
192 Erw. 1), noch aus weiteren Gründen zurückhaltend Gebrauch zu machen ist, und zwar auch dort, wo das Einverständnis der Gegenpartei und allenfalls weiterer Verfahrensbeteiligter zu Abklärungsmassnahmen vorliegt. Denn durch eine solche Vorgehensweise dürfen weder die in Art. 85 Abs. 2 AHVG enthaltenen noch die aus Konvention und Bundesverfassung fliessenden Verfahrensrechte des Beschwerdeführers beeinträchtigt werden (BGE 107 V 253 oben; nicht veröffentlichtes Urteil A. vom 16. Februar 1995 [I 291/94]). So verbietet Art. 85 Abs. 2 lit. d AHVG, eine den Versicherten im Vergleich zur angefochtenen Verfügung schlechter stellende Anordnung zu treffen; eine solche ist nichtig und lediglich als Antrag an den Richter zu verstehen, in diesem Sinne zu entscheiden (AHI 1994 S. 271 Erw. 4a, ZAK 1992 S. 117 Erw. 5a am Ende). Zudem darf durch eine solche Verfahrensgestaltung nicht der Anspruch auf Parteientschädigung nach Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG umgangen werden, gilt doch nach der Rechtsprechung die Rückweisung der Sache an die Verwaltung zwecks ergänzender Abklärungen als anspruchsbegründendes Obsiegen (BGE 110 V 57 Erw. 3a mit Hinweisen).

3. Im vorliegenden Fall hat sich der Beschwerdeführer der von der IV-Stelle lite pendente angeordneten psychiatrischen Begutachtung durch Dr. med. S. nicht unterzogen. Als Gründe für seine Weigerung, an dieser Abklärungsmassnahme teilzunehmen, nannte sein Rechtsvertreter einerseits die Unzulässigkeit der Vorkehr als solcher (Verletzung des Grundsatzes des Devolutiveffekts der Beschwerde), anderseits die Befangenheit des Experten. Das kantonale Gericht hat beide Argumente verworfen, indem es die von der Verwaltung im Hinblick auf die Durchführung der psychiatrischen Untersuchung beantragte Sistierung des Verfahrens bewilligte und einen Ablehnungsgrund verneinte. Im Weitern hat die Vorinstanz festgestellt, die formellen Voraussetzungen im Sinne von Art. 73 IVV (Mahnung, Bedenkzeit, Androhung) seien in Bezug auf die fragliche Abklärungsmassnahme gegeben, sodass auf Grund der Akten entschieden werden könne. In der Folge hat es einen die Arbeitsfähigkeit einschränkenden psychischen Gesundheitsschaden verneint.
a) Nach den in Erw. 2b/bb dargelegten Grundsätzen kann es dem Beschwerdeführer bei der gegebenen prozessualen Lage nicht zum Nachteil gereichen, dass er, im Einvernehmen mit seinem Rechtsvertreter, der Begutachtung durch Dr. med. S. ferngeblieben war. Diese Weigerung hat daher bei der Prüfung der Frage, ob ein die
BGE 127 V 228 S. 235
Arbeitsfähigkeit einschränkender psychischer Gesundheitsschaden besteht, unberücksichtigt zu bleiben, was unter anderem bedeutet, dass ein in dieser Hinsicht allenfalls ungenügend abgeklärter Sachverhalt nicht als Beweislosigkeit zu Lasten des Versicherten (BGE 121 V 208 Erw. 6a, BGE 117 V 264 Erw. 3b) gelten kann.
b) Auf Grund der Akten erscheint eine psychiatrische Abklärung angezeigt. Es trifft zwar zu, wie im angefochtenen Entscheid ausgeführt wird, dass der Hausarzt Dr. med. C. lediglich im Rahmen eines Telefongesprächs von einer reaktiven Depression gesprochen und in seinem (späteren) Bericht vom 12. Juli 1995 nur noch eine demonstrative psychogene Komponente bei nicht auszuschliessender Rentenbegehrlichkeit erwähnt hat. Obwohl damit keine gewichtigen Anhaltspunkte für ein psychisches Leiden vorliegen, kann daraus nicht ohne weiteres gefolgert werden, es bestehe kein psychisches Leiden im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG. Um diesen Schluss ziehen zu können, hätte vorgängig zumindest beim Hausarzt eine erläuternde schriftliche Auskunft eingeholt werden müssen, was nicht geschehen ist. Entgegen der Vorinstanz ist sodann nicht einsehbar, inwiefern die Mitwirkungsverweigerung ein gewichtiges Indiz für das Fehlen eines psychischen Leidens mit Krankheitswert darstellen soll, zumal der Versicherte offensichtlich auf Anweisung seines Rechtsvertreters dem Begutachtungsaufgebot keine Folge geleistet hatte. Von einem in dieser Hinsicht ungenügend abgeklärten Sachverhalt ist im Übrigen auch die IV-Stelle ausgegangen.
c) Das Raschheitsgebot und der in der Weigerung zur Teilnahme an der von der IV-Stelle lite pendente angeordneten Abklärungsmassnahme manifestierte Wille, die Anspruchsberechtigung oder allenfalls die fehlende Spruchreife der Sache durch den Richter feststellen zu lassen, sprechen an sich dafür, die notwendige psychiatrische Begutachtung durch die Vorinstanz vornehmen zu lassen. Da indessen auf Grund der Akten, insbesondere der voneinander abweichenden Einschätzungen des Dr. med. C. und des Dr. med. E., ein Abklärungsbedarf auch in Bezug auf die Frage gegeben ist, inwiefern das vom Hausarzt im Bericht vom 15. Dezember 1994 als Hauptdiagnose erwähnte Arm-Schulter-Syndrom die Arbeitsfähigkeit einschränkt, rechtfertigt es sich, die Sache zum Zwecke der Sachverhaltsvervollständigung im dargelegten Sinne an die Verwaltung zurückzuweisen. Diese wird bei der Anordnung der psychiatrischen Begutachtung die einschlägigen Verordnungsvorschriften (Art. 69 ff. IVV) und, soweit damit vereinbar, das kantonale
BGE 127 V 228 S. 236
Verfahrensrecht zu beachten haben (BGE 125 V 404 Erw. 3). Das bedeutet, dass der Beschwerdeführer mit allfälligen Einwendungen gegen den Experten, sei dies wiederum Dr. med. S. oder ein anderer psychiatrischer Facharzt, erst im Vorbescheidverfahren anzuhören ist. Eine damit begründete Nichtteilnahme an der Abklärungsmassnahme ohne stichhaltige Einwendungen würde zur Folge haben, dass auf Grundlage der verfügbaren Akten zu entscheiden wäre (Art. 73 IVV; BGE 125 V 406 Erw. 4b).

4. (Gerichtskosten; Parteientschädigung)

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2 3 4

Referenzen

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