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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
K 26/05 
 
Urteil vom 28. Juli 2005 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger 
und Kernen; Gerichtsschreiber Flückiger 
 
Parteien 
Futura, Rue du Nord 5, 1920 Martigny, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Z.________, 1956, Beschwerdegegner 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, 
Weinfelden 
 
(Entscheid vom 15. Dezember 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 9. Juni 2004 verpflichtete die Krankenversicherung Futura Z.________ zur Bezahlung von Prämien der Monate Januar bis März 2004 für sich, seine Ehefrau R.________ und den Sohn B.________ (einschliesslich Mahngebühren und Dossiereröffnungskosten) in Höhe von Fr. 1403.80. Gleichzeitig hob sie den in der entsprechenden Betreibung erhobenen Rechtsvorschlag auf. Daran hielt der Versicherer auf Einsprache hin mit Entscheid vom 6. September 2004 fest. 
B. 
In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau den Einspracheentscheid auf (Entscheid vom 15. Dezember 2004). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Futura, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und ihr "vollumfängliche Rechtsöffnung im Betreibungsverfahren Nr. 42687 für die KVG-Prämien vom 1.Januar bis 31. März 2004 von Fr. 1133.80 zuzüglich 5% Zins, Mahnkosten und Dossiereröffnungskosten zu gewähren". 
 
Z.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht. 
2. 
Die versicherte Person kann unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist den Versicherer auf das Ende eines Kalendersemesters wechseln (Art. 7 Abs. 1 KVG; für Ausnahmen vgl. Art. 94 Abs. 2, 97 Abs. 2 und 100 Abs. 3 KVV). Bei der Mitteilung der neuen Prämie kann die versicherte Person den Versicherer unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist auf das Ende des Monats wechseln, welcher der Gültigkeit der neuen Prämie vorangeht. Der Versicherer muss die neuen, vom Bundesamt für Gesundheit genehmigten Prämien jeder versicherten Person mindestens zwei Monate im Voraus mitteilen und dabei auf das Recht, den Versicherer zu wechseln, hinweisen (Art. 7 Abs. 2 KVG in der seit 1. Oktober 2000 geltenden, redaktionell bezüglich der Ämterbezeichnung angepassten Fassung). 
3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht mit Recht zum Ergebnis gelangt ist, die mit dem Einspracheentscheid vom 6. September 2004 festgesetzten Prämien für Januar bis März 2004 seien nicht geschuldet. 
3.1 Gemäss den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen kündigte der Beschwerdegegner, nachdem ihm die Futura die neuen, ab 1. Januar 2004 gültigen Prämien mitgeteilt hatte, die Policen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für sich selbst, seine Ehefrau und seinen Sohn per 31. Dezember 2003. Das entsprechende Schreiben wurde am Samstag, 29. November 2003 der Post übergeben und traf am Montag, 1. Dezember 2003 bei der Futura ein. Am 26. Dezember 2003 teilte die Assura der Futura mit, Z.________, R.________ und B.________ seien ab 1. Januar 2004 bei ihr versichert. 
3.2 Die Vorinstanz hat erwogen, nach Aussage der Futura, auf welcher diese zu behaften sei, beträfen die streitigen Prämienforderungen ausschliesslich die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Das entsprechende Versicherungsverhältnis habe per Ende 2003 geendet, falls die am 29. November 2003 der Post übergebene und am 1. Dezember 2003 beim Versicherer eingetroffene Kündigung rechtzeitig erfolgt sei. Dies entscheide sich nach Massgabe des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000, welches gemäss Art. 1 Abs. 1 KVG unter Vorbehalt hier nicht gegebener Ausnahmen auf die soziale Krankenversicherung Anwendung finde. Gemäss Art. 39 Abs. 1 ATSG sei eine Frist eingehalten, wenn vor ihrem Ablauf die Eingabe zu Handen des Versicherers der Schweizerischen Post übergeben worden sei. Die am 29. November 2003 und somit vor dem Fristablauf am 30. November 2003 der Post übergebene Kündigung sei daher rechtzeitig erfolgt, um das Versicherungsverhältnis per 31. Dezember 2003 zu beenden. 
 
Die Futura macht demgegenüber geltend, nach der vor dem Inkrafttreten des ATSG ergangenen Rechtsprechung führe eine gestützt auf Art. 7 Abs. 2 KVG erklärte Kündigung nur dann zur Auflösung des Versicherungsverhältnisses auf den nächstmöglichen Termin, wenn sie vor dem Ablauf der in der Norm genannten einmonatigen Frist, also spätestens am 30. November, beim Versicherer eintreffe. Das ATSG habe an dieser Rechtslage nichts geändert. 
3.3 Unter der Herrschaft des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 13. Juni 1911 (KUVG) erkannte das Eidgenössische Versicherungsgericht, die Austrittserklärung sei empfangsbedürftig und müsse spätestens am letzten Tag der gesetzlichen oder statutarischen Frist bei der Krankenkasse eingetroffen sein. Die Übergabe an die Post am letzten Tag genügte deshalb zur Fristwahrung nicht, wenn das Schreiben erst zu einem späteren Zeitpunkt beim Versicherer einging (RKUV 1991 Nr. K 873 S. 195 Erw. 4a mit Hinweisen). Das Inkrafttreten des KVG am 1. Januar 1996 führte diesbezüglich zu keiner Änderung. Denn nach der Rechtsprechung hatte die Austrittserklärung gemäss Art. 7 Abs. 2 KVG (in der damals anwendbaren, bis 30. September 2000 gültig gewesenen Fassung), welche ihrer Natur und ihren Rechtswirkungen nach einer Kündigung entspricht (BGE 126 V 482 f. Erw. 2c; RKUV 2001 Nr. KV 172 S. 283 Erw. 5a mit Hinweisen), weiterhin den Charakter einer einseitigen Willenserklärung, welche ohne Zustimmung der Gegenpartei zur Auflösung des Versicherungsverhältnisses führte, und blieb auf Grund dieser Rechtsnatur empfangsbedürftig (BGE 126 V 482 Erw. 2d; RKUV 2001 Nr. KV 172 S. 284 Erw. 5b). Die Materialien zur damals noch nicht anwendbaren, am 1. Oktober 2000 in Kraft getretenen Änderung von Art. 7 Abs. 2 KVG sprachen ebenfalls für die Auffassung, die Kündigung müsse spätestens am 30. November beim Versicherer eintreffen (BGE 126 V 482 f. Erw. 2e mit Hinweisen; RKUV 2001 Nr. KV 172 S. 284 f. Erw. 5b). 
3.4 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) in Kraft getreten. Dessen Bestimmungen sind laut Art. 1 Abs. 1 KVG auf die Krankenversicherung anwendbar, soweit das KVG nicht ausdrücklich eine Abweichung vom ATSG vorsieht. Dessen viertes Kapitel ("Allgemeine Verfahrensbestimmungen") enthält im zweiten Abschnitt "Sozialversicherungsverfahren" Vorschriften über die Fristen. Laut Art. 38 Abs. 3 ATSG endet die Frist am nächsten Werktag, wenn ihr letzter Tag auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen am Wohnsitz oder Sitz der Partei oder ihrer Vertretung vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag fällt. Art. 39 Abs. 1 ATSG bestimmt, schriftliche Eingaben müssten spätestens am letzten Tag der Frist dem Versicherungsträger eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden. Die Anwendung der Bestimmungen des ATSG hätte im konkreten Fall, wie das kantonale Gericht erwogen hat, zur Folge, dass das Versicherungsverhältnis am 31. Dezember 2003 beendet worden wäre. 
3.5 Gemäss Art. 1 ATSG koordiniert dieses Gesetz das Sozialversicherungsrecht des Bundes, indem es unter anderem (lit. b am Anfang) ein einheitliches Sozialversicherungsverfahren festlegt. Diesem Zweck dient der die Art. 34-55 umfassende 2. Abschnitt "Sozialversicherungsverfahren" des vierten Kapitels "Allgemeine Verfahrensbestimmungen" (Art. 27-62 ATSG). Mit den darin enthaltenen Art. 38-41 ATSG wurden im Wesentlichen die Fristbestimmungen gemäss Art. 20-24 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (VwVG) auch für jene Bereiche des Sozialversicherungsverfahrens übernommen, in welchen sie zuvor nicht ohne weiteres gültig gewesen waren (vgl. dazu Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, S. 555 Art. 55 Rz. 13, und derselbe, Das Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung, Zürich 1999, S. 129 Rz. 284 ff.). Entsprechend ihrer Funktion, das sozialversicherungsrechtliche Verwaltungsverfahren zu regeln, beziehen sich die Fristbestimmungen des ATSG (ebenso wie diejenigen des VwVG [BGE 102 V 116 Erw. 2b] und des OG [BGE 101 II 88 Erw. 2]) einzig auf die verfahrensrechtlichen Fristen, nicht aber auf diejenigen des materiellen Rechts. Die Anwendbarkeit von Art. 39 ATSG hängt demzufolge davon ab, ob die in Art. 7 Abs. 2 Satz 1 KVG statuierte einmonatige Kündigungsfrist materiell- oder verfahrensrechtlichen Charakter hat. Dies entscheidet sich danach, ob die Nichteinhaltung der Frist die konkreten materiellrechtlichen Beziehungen beeinflusst oder ob sie sich stattdessen verfahrensrechtlich auswirkt, indem ein in unveränderter Weise bestehender Anspruch nicht mehr gleichermassen geltend gemacht werden kann (vgl. BGE 122 V 68 Erw. 4c, 102 II 116 Erw. 2b mit Hinweisen). Die Frist gemäss Art. 7 Abs. 2 KVG setzt der Auflösung eines bestehenden Versicherungsverhältnisses durch einseitige Willenserklärung zeitliche Grenzen. Sie regelt, innerhalb welchen Zeitraums eine Rechtshandlung vorzunehmen ist, damit sie auf einen bestimmten Moment hin Veränderungen im materiellrechtlichen Verhältnis zwischen Versicherer und versicherter Person herbeiführen kann. Es handelt sich demzufolge nicht um eine verfahrens-, sondern um eine materiellrechtliche Frist. Als solche fällt sie nicht in den Anwendungsbereich der Art. 38 und 39 ATSG. Die zu Art. 7 Abs. 2 KVG ergangene Rechtsprechung (Erw. 3.3 hievor) bleibt daher auch nach dem Inkrafttreten des ATSG weiterhin gültig (Eugster, ATSG und Krankenversicherung: Streifzug durch Art. 1-55 ATSG, SZS 2003 S. 213 ff., 231). Dies bedeutet, dass das Kündigungsschreiben vor Ablauf der Frist, also spätestens am 30. November, beim Versicherer eintreffen muss. Weil dies vorliegend nicht der Fall war, dauerte das Versicherungsverhältnis während des umstrittenen Zeitraums von Januar bis März 2004 an, und die Familie des Beschwerdegegners blieb zur Prämienzahlung verpflichtet. Daran ändern die Vorbringen in der Vernehmlassung vom 10. April 2005 nichts. Denn selbst wenn der Beschwerdegegner die drei Schreiben, welche die Beschwerdeführerin am 19. Dezember 2003 verfasst zu haben behauptet, nie erhielt, konnte die verspätete Kündigung keine Auflösung des Versicherungsverhältnisses per Ende 2003 bewirken. Die weiter angeführten späteren Ereignisse vermögen jedenfalls die Prämienzahlungspflicht für die Zeit bis Ende März 2004 nicht zu beeinflussen. 
4. 
Nach dem Gesagten steht fest, dass das Versicherungsverhältnis über den 31. Dezember 2003 hinaus andauerte. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie auf dieser Grundlage neu über die im Einspracheentscheid vom 6. September 2004 festgesetzte Forderung entscheide. 
5. 
Das Verfahren betrifft keine Versicherungsleistungen und ist deshalb kostenpflichtig (Umkehrschluss aus Art. 134 OG). Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdegegner als der unterliegenden, das Kostenrisiko tragenden Partei aufzuerlegen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 15. Dezember 2004 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie über die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 6. September 2004 neu entscheide. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 600.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
3. 
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.- wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt. 
Luzern, 28. Juli 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: