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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4A_593/2009 
 
Urteil vom 5. März 2010 
I. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin, 
Bundesrichter Corboz, 
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch, 
Bundesrichter Kolly, 
Bundesrichterin Kiss, 
Gerichtsschreiber Luczak. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwältin Jolanda Fleischli, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Balmer, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitsvertrag, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 23. Oktober 2009. 
Sachverhalt: 
 
A. 
A.________ (Beschwerdegegner) wurde in Deutschland zum Hochbaufacharbeiter ausgebildet. Im Juni 2004 trat er in die Dienste der X.________ AG (Beschwerdeführerin). Diese Anstellung war sein erster Arbeitseinsatz in der Schweiz. Zuvor war er fast elf Jahre hauptsächlich als Maurer und Verputzer in diversen deutschen Betrieben tätig. Der Lohn, den ihm die Beschwerdeführerin ausrichtete, entsprach der Lohnklasse C nach den Landesmantelverträgen (LMV) für das Schweizerische Bauhauptgewerbe 2005 (LMV 2005) und 2006-2008 (LMV 2006). Der Beschwerdegegner war der Auffassung, er hätte einen höheren Stundenlohn entsprechend der Lohnklasse Q der LMV erhalten müssen. Daher verlangte er mit Klage vom 8. Mai 2008 von der Beschwerdeführerin die entsprechende Lohndifferenz für die geleisteten Arbeitsstunden von Fr. 24'294.25 brutto. Zusätzlich verlangte er eine Schlechtwetterentschädigung und Ersatz für Zügeltage, alles nebst Zins. Am 11. November 2008 wies das Kantonsgericht Glarus die Klage ab. Demgegenüber sprach das Obergericht des Kantons Glarus dem Beschwerdegegner am 23. Oktober 2009 die geltend gemachte Lohndifferenz von Fr. 24'294.25 brutto nebst Zins zu. 
 
B. 
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht im Wesentlichen die Klage abzuweisen. Ihr Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wies das Bundesgericht am 4. Januar 2010 ab. Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde kostenfällig abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Gemäss den einschlägigen Bestimmungen in Art. 42 der LMV 2005/6 setzt die Lohnklasse Q neben einem anerkannten Fachausweis mindestens eine dreijährige Tätigkeit auf Schweizer Baustellen voraus, wobei die Berufslehrzeit als Tätigkeit gilt. Die Voraussetzung einer dreijährigen Tätigkeit auf Schweizer Baustellen erfüllte der Beschwerdegegner objektiv nicht. 
 
1.1 Die Vorinstanz kam zum Schluss, Art. 42 LMV 2005/6 führe zu einer gemäss dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (FZA, SR 0.142.112.681) unzulässigen verdeckten Diskriminierung, da bei einem gleichwertigen ausländischen Abschluss der Arbeitnehmer drei Jahre bis zum Aufstieg in die Lohnklasse Q warten müsse, während die Schweizer Kollegen diese drei Jahre normalerweise schon hinter sich hätten, wenn sie den eidgenössischen Fachausweis erlangten. Es seien regelmässig ausländische Arbeitnehmer, welche die Berufslehre in ihrem Heimatland gemacht hätten und keine anrechenbare Präsenz auf Schweizer Baustellen vorweisen könnten. Umgekehrt komme es selten vor, dass ein Schweizer Arbeitnehmer seine Ausbildungszeit im Ausland verbracht habe. Daher führe Art. 42 LMV zu einer indirekten Diskriminierung und müsse auch eine Tätigkeit auf einer ausländischen Baustelle genügen. 
 
1.2 Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, die LMV 2005/6 (und damit auch Art. 42 Abs. 1 LMV 2005/6) seien nach Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens vom Bundesrat genehmigt und für allgemeinverbindlich erklärt, beziehungsweise die Allgemeinverbindlicherklärung verlängert worden. Durch die in Art. 110 BV geregelte Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Art. 42 Abs. 1 LMV 2005/6 sei belegt, dass der Bundesrat die Voraussetzung einer dreijährigen Tätigkeit auf Schweizer Baustellen für zulässig gehalten habe und nicht von einer Diskriminierung ausgegangen sei. Zudem seien die normativen Bestimmungen von Gesamtarbeitsverträgen Gesetze im materiellen Sinne, und zwar autonomes Satzungsrecht, an dessen Vorgaben das Bundesgericht gebunden sei. 
 
1.3 Die Qualifikation der normativen Bestimmungen von Gesamtarbeitsverträgen als Gesetze im materiellen Sinne (PORTMANN in: Basler Kommentar, 4. Aufl. 2007, N. 11 zu Art. 356 OR, auf den sich die Beschwerdeführerin beruft) bezieht sich auf die Wirkung der Bestimmungen gegenüber vertragsfremden Dritten. Art. 2 Ziff. 4 des Bundesgesetzes vom 28. September 1956 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG, SR 221.215.311) hält ausdrücklich fest, der Gesamtarbeitsvertrag dürfe unter Vorbehalt von Art. 358 OR (vgl. hiezu STÖCKLI, Berner Kommentar, 1999, N. 1 ff. zu Art. 358 OR) dem zwingenden Recht des Bundes und der Kantone nicht widersprechen. Die Annahme, durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung würden die im LMV enthaltenen normativen Bestimmungen vom Anwendungsgebot nach Art. 190 BV erfasst, geht fehl. Der von der Beschwerdeführerin zitierte Autor führt an der angegebenen Stelle selbst aus, bei Teilnichtigkeit des Vertrages wegen Verstosses gegen zwingendes staatliches Recht bleibe der übrige Teil des Vertrages in seiner Wirkung unberührt (PORTMANN, a.a.O.), was die Möglichkeit zur Überprüfung impliziert. Die Allgemeinverbindlicherklärung geht denn auch vom Bundesrat aus (Art. 7 Abs. 1 AVEG) und nicht etwa vom Parlament im für die Bundesgesetzgebung vorgesehenen Verfahren. Das Bundesgericht kann demnach prüfen, ob die Bestimmungen des LMV gegen zwingendes Bundes- oder Völkerrecht verstossen (Art. 189 BV; Art. 95 BGG). 
 
1.4 Nach Art. 2 FZA dürfen die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmässig im Hoheitsgebiet der anderen aufhalten, bei der Anwendung des Abkommens nach den Anhängen I, II und III nicht auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden. Art. 9 Abs. 1 Anhang I FZA sieht vor, dass ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist, auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht anders behandelt werden darf als die inländischen Arbeitnehmer. Das Diskriminierungsverbot verbietet sowohl die offene oder direkte (formelle) Diskriminierung, d.h. jede Unterscheidung, die ausdrücklich auf die Staatsangehörigkeit abstellt, als auch die versteckte oder indirekte (materielle) Diskriminierung. Eine solche liegt vor, wenn eine benachteiligende Regelung an ein anderes Kriterium als die Staatsangehörigkeit anknüpft, aber in ihren Auswirkungen zum gleichen Ergebnis führt, ohne dass dies durch objektive Umstände gerechtfertigt wäre (BGE 130 I 26 E. 3.2 S. 35; vgl. auch ALVARO BORGHI, La libre circulation des personnes entre la Suisse et l'UE, 2010, N. 61 ff. zu Art. 2 FZA, je mit Hinweisen). 
 
1.5 Art. 42 LMV 2005/6 stellt nicht auf die Staatsangehörigkeit ab. Die Bestimmung führt daher nicht zu einer direkten Diskriminierung. Dies ist unbestritten. Zu prüfen bleibt die indirekte Diskriminierung. 
1.5.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die Annahme der Vorinstanz, mehr Schweizer Arbeitnehmer würden aufgrund ihrer Ausbildungszeit das Erfordernis der dreijährigen Arbeit auf Schweizer Baustellen erfüllen, sei nicht belegt. Ausländer könnten ihre Ausbildung in der Schweiz absolvieren und Schweizer im Ausland. Eine Diskriminierung liege nicht vor. 
1.5.2 Zwar trifft zu, dass sich Art. 42 LMV 2005/6 auch zu Ungunsten von Schweizern auswirkt, die sich im Ausland haben ausbilden lassen. Dennoch kann eine indirekte Diskriminierung vorliegen. Massgebend für eine indirekte Diskriminierung ist, dass in der grossen Mehrzahl der von der Norm geregelten Fälle Angehörige anderer Staaten betroffen sind (BGE 130 I 26 E. 3.2.3 S. 36 mit Hinweisen). Vor diesem Hintergrund ist der angefochtene Entscheid nicht zu beanstanden. Es ist in der Tat nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass sich die Mehrheit der Personen in dem Land ausbilden lassen, in dem sie aufgewachsen sind, womit sich Art. 42 LMV 2005/6 in der grossen Mehrzahl der Fälle zu Lasten der nicht in der Schweiz aufgewachsenen Ausländer auswirkt. Zwar kann es Berufszweige geben, in denen eine Ausbildung im Ausland die Regel bildet, weil internationale Erfahrung zu den Berufsanforderungen gehört oder weil für einen Beruf nur in bestimmten Ländern adäquate Ausbildungsmöglichkeiten bestehen. Dass dies bei Bauarbeitern der Fall wäre, behauptet aber nicht einmal die Beschwerdeführerin. 
1.5.3 Objektive Umstände, welche die Ungleichbehandlung gerechtfertigt erscheinen lassen könnten (BGE 130 I 26 E. 3.2 S. 35 mit Hinweisen), sind nicht festgestellt und werden von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht (vgl. demgegenüber das ebenfalls zu Art. 42 LMV 2006 ergangene Urteil des Bundesgerichts 4A_290/2009 vom 12. August 2009 E. 2.3.2). Damit ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Klausel als indirekt diskriminierend einstufte und eine dreijährige Tätigkeit auf einer ausländischen Baustelle als Voraussetzung für den Aufstieg in die Lohnklasse Q genügen liess. 
 
1.6 Soweit die Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner vorwirft, er verhalte sich rechtsmissbräuchlich, weil er nie gegen seine Entlöhnung gemäss der Klasse C remonstriert habe, stützt sie sich auf Umstände, die den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheides nicht zu entnehmen sind, ohne mit Aktenhinweisen darzulegen, wo sie im kantonalen Verfahren prozesskonform entsprechende Behauptungen aufgestellt und Beweismittel angeboten hat. Damit scheidet eine diesbezügliche Ergänzung des Sachverhalts aus (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 115 II 484 E. 2a S. 485 f.). Allein die Tatsache, dass der Beschwerdegegner entsprechend der tieferen Lohnklasse entlöhnt wurde, reicht zur Annahme von Rechtsmissbrauch nicht aus. Im Rahmen des Arbeitsrechts ist im Widerspruch zwischen der Zustimmung zu einer Vereinbarung und der nachträglichen Geltendmachung ihrer Ungültigkeit unter Berufung auf zwingendes Recht nur dann ein Rechtsmissbrauch zu erblicken, wenn zusätzliche besondere Umstände gegeben sind; ansonsten würde dem Arbeitnehmer der mit der zwingenden Gesetzesbestimmung gewährte Schutz auf dem Weg über Art. 2 ZGB wieder entzogen (BGE 129 III 493 E. 5.1 S. 497 mit Hinweisen). Das gilt auch für Ansprüche, die sich aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags ergeben (vgl. Art. 341 Abs. 1 OR; BGE 126 III 337 E. 7b S. 344 mit Hinweisen). 
 
2. 
Die Beschwerde erweist sich insgesamt als unbegründet. Sie ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig, wobei für die Kosten bei Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis mit einem Streitwert bis zu Fr. 30'000.-- ein reduzierter Ansatz zur Anwendung kommt (Art. 65 Abs. 4 lit. c BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 700.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Glarus schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 5. März 2010 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Klett Luczak