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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.79/2005 
6S.227/2005 /gnd 
 
Urteil vom 16. November 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd, 
Gerichtsschreiber Boog. 
 
Parteien 
Y.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Thomas Fingerhuth, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau. 
 
Gegenstand 
6P.79/2005 
Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (Strafverfahren; Willkür, rechtliches Gehör), 
 
6S.227/2005 
Freiheitsberaubung, Entführung, einfache Körperverletzung , qualifizierter Raub, Nötigung etc.. 
 
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.79/2005) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.227/2005) gegen das 
Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, vom 10. März 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Bezirksgericht Aarau erklärte Y.________ mit Urteil vom 29. Oktober 2003 der Freiheitsberaubung und Entführung gemäss Art. 183 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, des Angriffs gemäss Art. 134 StGB, der mehrfachen vollendet versuchten Nötigung gemäss Art. 181 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB, der Drohung gemäss Art. 180 StGB, der einfachen Körperverletzung gemäss Art. 123 Ziff. 1 StGB sowie des Führens eines Motorfahrzeuges trotz Entzuges des Führerausweises gemäss Art. 95 Ziff. 2 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 SVG schuldig und verurteilte ihn zu 18 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft und unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges bei einer Probezeit von 5 Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 100.--, bei schuldhafter Nichtbezahlung umwandelbar in Haft. Von der Anklage des qualifizierten Raubes gemäss Art. 140 Ziff. 3 StGB, der mehrfachen Drohung gemäss Art. 180 StGB sowie der einfachen Körperverletzung gemäss Art. 123 Ziff. 1 StGB in drei weiteren Punkten sprach es ihn frei. In einem Punkt stellte es das Verfahren zufolge Rückzugs des Strafantrages ein. Ferner entschied es über die Einziehung der beschlagnahmten Gegenstände und die geltend gemachten Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen. 
 
Eine von Y.________ gegen diesen Entscheid geführte Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 10. März 2005 ab. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Berufung hiess es teilweise gut, hob die Verurteilung zu einer Busse auf und verweigerte den Aufschub des Strafvollzuges. Im Übrigen wies es die Berufung der Staatsanwaltschaft ab. In teilweiser Gutheissung der Anschlussberufung des Zivilklägers setzte es die von Y.________ solidarisch mit seinem Vater (konnexes Verfahren 6P.78/2005, 6S.225/2005) und einem weiteren Mitangeklagten an den Geschädigten zu leistende Genugtuung auf Fr. 4'000.-- fest. 
B. 
Y.________ führt sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, je mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
C. 
Das Obergericht des Kantons Aargau hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat auf Vernehmlassung zur Nichtigkeitsbeschwerde verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
I. Staatsrechtliche Beschwerde 
1. 
Der Beschwerdeführer wurde mit Verfügung vom 13. Juni 2005 aufgefordert, bis spätestens am 4. Juli 2005 einen Kostenvorschuss für das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren von Fr. 2'000.-- einzuzahlen, unter der Androhung, dass bei Säumnis auf die Rechtsvorkehr nicht eingetreten werde. Er wurde zudem darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Nichtbezahlung des Kostenvorschusses nicht als Rückzug des Beschwerde gelte, mit der Folge, dass ein mit Kosten verbundener Nichteintretensentscheid zu ergehen habe. Auf Antrag des Beschwerdeführers wurde die Frist zur Leistung des Kostenvorschusses bis zum 25. Juli 2005 erstreckt. Da der Beschwerdeführer innert verlängerter Frist weder den Kostenvorschuss einbezahlt noch den Rückzug der Beschwerde erklärt hat, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Kosten mit einer reduzierten Gebühr zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
II. Nichtigkeitsbeschwerde 
2. 
Im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges. 
2.1 Das Bezirksgericht gewährte dem Beschwerdeführer den bedingten Strafvollzug mit einer Probezeit von 5 Jahren. Es nahm an, der Beschwerdeführer sei zwar mehrfach einschlägig vorbestraft, doch handle es sich offensichtlich nur um geringfügige Vergehen, die nur mit Bussen geahndet worden seien. Seit dem letzten, Gegenstand des zu beurteilenden Verfahrens bildenden Vorfall, sei er mit Ausnahme einer Übertretung des Strassenverkehrsgesetzes nicht mehr straffällig geworden. Zu seinen Gunsten wirke sich die Bewährung am Arbeitsplatz aus. Er habe - trotz eines schweren Arbeitsunfalls im Jahre 1999 - seit dem 1. Dezember 2000 als Lagerchef gearbeitet. Im Jahre 2002 sei ihm von seinem Arbeitgeber ein sehr gutes Zwischenzeugnis ausgestellt worden. Ausserdem wertete das Bezirksgericht auch als positiv, dass er sich um seine vierköpfige Familie kümmere und ein gefestigtes Umfeld aufzuweisen scheine. Es stellte ihm aufgrund dieser Umstände eine günstige Prognose. 
 
Die Vorinstanz nimmt demgegenüber an, der Beschwerdeführer habe sich bei mehreren Gelegenheiten als gewaltbereit gezeigt. Seine mangelnde Einsicht in das Unrecht seines Tuns spreche dafür, dass er aus den vergangenen Vorfällen die Lehren nicht gezogen habe. So habe er trotz eines laufenden Strafverfahrens weiter delinquiert. Weiter zitiert die Vorinstanz den Führungsbericht der Strafanstalt Lenzburg. Abschliessend gelangt sie zum Schluss, gesamthaft könne dem Beschwerdeführer keine gute Prognose gestellt werden, weshalb ihm der bedingte Strafvollzug zu verweigern sei. 
2.2 Gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann der Vollzug einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 18 Monaten aufgeschoben werden, wenn Vorleben und Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde dadurch von weiteren Delikten abgehalten. 
 
Das Sachgericht hat somit eine Prognose über das zukünftige Verhalten des Täters zu stellen. Dabei steht ihm ein grosser Spielraum des Ermessens zu, bei dessen Ausübung es sich auf sachlich haltbare Gründe stützen muss. Die Gründe müssen im Urteil so wiedergegeben werden, dass sich die richtige Anwendung des Bundesrechts nachprüfen lässt. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid der kantonalen Instanz nur auf, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder wenn sie wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. falsch gewichtet oder ihr Ermessen überschritten hat (vgl. BGE 128 IV 193 E. 3a; 123 IV 107 E. 4; 118 IV 97 E. 2a). 
2.3 Die Erwägungen zur Verweigerung des bedingten Strafvollzuges im angefochtenen Urteil genügen den Anforderungen an die Urteilsbegründung nicht. Nach der Rechtsprechung ist die Frage, ob der Verurteilte für ein andauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände zu entscheiden. In die Beurteilung miteinzubeziehen sind neben den Tatumständen auch das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen. Für die Einschätzung des Rückfallrisikos ist ein Gesamtbild der Täterpersönlichkeit unerlässlich, wobei als relevante Faktoren etwa strafrechtliche Vorbelastung, Sozialisationsbiographie und Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer Bindungen etc. zu berücksichtigen sind (BGE 128 IV 193 E. 3a mit Hinweisen). 
 
Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, räumt die Vorinstanz dem Umstand, dass er während des laufenden Strafverfahrens erneut straffällig geworden ist, in unzulässiger Weise eine vorrangige Bedeutung bei. Zu seinen Gunsten sprechende Gesichtspunkte vernachlässigt sie oder lässt sie gänzlich ausser Acht. So fehlen namentlich Erwägungen über die familiären Verhältnisse und die soziale Integration des Beschwerdeführers, welche Rückschlüsse auf sein künftiges Wohlverhalten zuliessen. Die blosse Wiedergabe des Führungsberichts der Strafanstalt genügt in dieser Hinsicht jedenfalls nicht. Unter diesen Umständen kann nicht überprüft werden, ob die Vorinstanz Bundesrecht richtig angewendet hat. Das angefochtene Urteil ist daher nach Art. 277 BStP aufzuheben. 
 
Die Beschwerde erweist sich als begründet. 
3. 
Aus diesen Gründen ist die Nichtigkeitsbeschwerde gutzuheissen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben und ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Entschädigung auszurichten (Art. 278 Abs. 2 und 3 BStP). Die für den Nichteintretensentscheid im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde zu erhebende Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- und die dem Beschwerdeführer auszurichtende Parteientschädigung im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde in der Höhe von Fr. 3'000.-- sind miteinander zu verrechnen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. 
2. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 10. März 2005 in Anwendung von Art. 277 BStP aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
4. 
Dem Beschwerdeführer wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 16. November 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: