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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5C.172/2003 /rov 
 
Urteil vom 18. September 2003 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, Ersatzrichter Zünd, 
Gerichtsschreiber Schett. 
 
Parteien 
Z.________, 
Berufungskläger, 
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Korinna Fröhlich, Freiestrasse 11, 8610 Uster, 
 
gegen 
 
Vormundschaftsbehörde Gossau, 8625 Gossau ZH. 
 
Gegenstand 
Aufhebung der Vormundschaft, 
 
Berufung gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 8. Juli 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Z.________, geb. 1953, wurde mit Beschluss des Bezirksrates Hinwil vom 4. Juli 1975 wegen Geistesschwäche (Art. 369 ZGB) entmündigt, welcher Entscheid mit Urteil des Bezirksgerichts Hinwil vom 6. Januar 1976 bestätigt wurde. Seither hat Z.________ mehrere Gesuche um Aufhebung der Vormundschaft gestellt, jeweils ohne dass dem Begehren entsprochen wurde. 
B. 
Am 9. August 1999 ersuchte Z.________ erneut um Aufhebung der Vormundschaft. Das erforderliche psychiatrische Gutachten wurde erst am 31. Juli 2002 erstattet, da Z.________ es zunächst abgelehnt hatte, sich untersuchen zu lassen. Die Vormundschaftsbehörde Gossau stellte gestützt auf das Gutachten den Antrag, die Vormundschaft in eine kombinierte Beistandschaft gemäss Art. 392 Ziff.1 und Art. 393 Ziff. 2 ZGB umzuwandeln. Mit Beschluss vom 5. März 2003 lehnte der Bezirksrat Hinwil indessen nach Anhörung Z.________ den Antrag auf Aufhebung der Vormundschaft ab. 
C. 
Den dagegen gerichteten Rekurs wies das Obergericht, II. Zivilkammer, des Kantons Zürich am 8. Juli 2003 ab und bestätigte den Entscheid des Bezirksrates. 
D. 
Gegen diesen Entscheid hat Z.________ am 13. August 2003 eidgenössische Berufung eingereicht mit dem Antrag, den obergerichtlichen Entscheid sowie die Vormundschaft aufzuheben, eventuell eine Beistandschaft anzuordnen. Für das Berufungsverfahren ersucht er zudem um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung. 
 
Es wurden keine Gegenbemerkungen eingeholt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Gemäss Art. 433 Abs. 2 ZGB ist eine Vormundschaft aufzuheben, sobald ein Grund zur Bevormundung nicht mehr besteht, wobei die Aufhebung einer wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche angeordneten Vormundschaft nur dann erfolgen darf, nachdem das Gutachten von Sachverständigen eingeholt und festgestellt ist, dass der Bevormundungsgrund nicht mehr besteht (Art. 436 ZGB). 
2. 
2.1 Die Vorinstanz hat gestützt auf das Gutachten in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass der Berufungskläger an einer Störung der psychischen Leistungsfähigkeit im Sinne einer Intelligenzminderung (Debilität) leidet. Hinzu kommen schwere Verhaltensstörungen wie Unzuverlässigkeit, mangelnde Kooperation, unstetes Verhalten, Uneinsichtigkeit, Trotz, Destruktivität und sozial unverträgliches Verhalten. Die Vorinstanz folgert, der Entmündigungsgrund der Geistesschwäche sei nach wie vor gegeben, und in Übereinstimmung mit dem Gutachten hält sie fest, der Berufungsbeklagte sei nicht in der Lage, das unabhängige Leben eines mündigen Erwachsenen zu führen. Er vermöge seine Angelegenheiten nur sehr eingeschränkt und nur unter bestimmten Bedingungen, d.h. nicht zuverlässig zu besorgen und bedürfe wegen seiner allseits eingeschränkten Leistungsfähigkeit zu seinem Schutz grundsätzlich des Beistandes und der Fürsorge. 
2.2 Hiergegen liesse sich mit Berufung nur einwenden, die Vorinstanz gehe von einer unzutreffenden Rechtsauffassung der Geistesschwäche und der übrigen Entmündigungsvoraussetzungen des Art. 369 ZGB aus. 
 
Der Entmündigungsgrund von Art. 369 ZGB erfasst neben der Geisteskrankheit auch die Geistesschwäche, welche vorliegt, wenn bei einem Menschen auf die Dauer psychische Störungen auftreten, die dem besonnenen Laien auffallen, ihm jedoch noch nicht wie bei Geisteskrankheit den Eindruck uneinfühlbarer, qualitativ tiefgehend abwegiger Störung und "Verrücktheit" machen, sondern noch einfühlbar erscheinen, weil sie nach aussen nur als quantitativ vom "Normalen" abweichend in Erscheinung treten. Dabei ist Geistesschwäche nicht rein intellektuell zu verstehen; sie kann zwar das Verstandesleben betreffen, aber auch das Gefühls- und Impulsleben, und es ist nicht nötig, dass sie den Charakter einer eigentlichen Oligophrenie (Debilität, Imbezillität oder Idiotie) hat (Langenegger, Basler Kommentar, N. 23 zu Art. 369 ZGB). Diesen Begriff der Geistesschwäche hat die Vorinstanz keinesfalls verkannt. Sie hat vielmehr in Übereinstimmung mit dem Gutachten eine Intelligenzminderung (Debilität) und schwere Verhaltensstörungen festgestellt. Wenn der Berufungskläger geltend machen lässt, er erscheine "in seinem Verhalten und in seinen Aussagen noch als durchaus einfühlbar, keinesfalls aber als abwegig oder verrückt", verkennt er, dass er sich damit nur gegen das Vorliegen einer eigentlichen Geisteskrankheit wendet, während sich die Geistesschwäche gerade durch quantitative Unangemessenheit des Reagierens, also übertriebene, unzureichende oder einseitige Verhaltensweisen charakterisiert, wie sie für den Berufungskläger festgestellt worden sind. 
 
Die Entmündigung nach Art. 369 ZGB setzt neben dem Vorliegen von Geisteskrankheit oder Geistesschwäche voraus, dass die betroffene Person ihre Angelegenheiten nicht selbständig zu besorgen vermag, zu ihrem Schutze dauernd des Beistands und der Fürsorge bedarf oder die Sicherheit anderer gefährdet. Die Aufhebung der Vormundschaft kommt daher auch in Betracht, wenn zwar die Geistesschwäche fortbesteht, jedoch die Schutzbedürftigkeit entfallen ist. Indessen hat die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der Gutachterin ausgeführt, es wäre zu erwarten, dass der Berufungsbeklagte rasch überfordert wäre und psychosomatisch dekompensieren würde, wenn man ihm die selbständige Regelung seiner Angelegenheiten überliesse. Ausführlich geht der angefochtene Entscheid auf die unstabile Wohnsituation ein, welche darauf zurückzuführen ist, dass dem Berufungskläger aufgrund seines Verhaltens nach kurzer Zeit jeweils gekündigt wird. Zweifelhaft erscheint überdies, ob der Berufungskläger wie in der Vergangenheit auch in Zukunft immer wieder bei seiner Mutter unterkommen kann, dies aufgrund des Alters der Mutter wie auch des durch zuweilen tätliche Auseinandersetzungen geprägten problematischen Zusammenlebens, welches die Gesundheit der Mutter beeinträchtigt. Im finanziellen Bereich anerkennt die Vorinstanz zwar, dass der Berufungskläger im Grossen und Ganzen in der Lage ist, das Bargeld für seinen täglichen Bedarf zu verwalten, was aber nicht den Schluss zulässt, dass er auch in der Lage wäre, seine finanziellen Angelegenheiten vollumfänglich selbst zu verwalten, zumal er mit seinen Ausgaben auch Mühe bekundet, etwa wenn sich die Kosten für die Skiferien anstelle der vereinbarten Fr. 800.-- auf rund Fr. 2'100.-- beliefen, worunter Telefonkosten von Fr. 500.--. Zu Unrecht wendet die Berufung ein, es sei Sache der Telefongesellschaft, den Kredit für das Telefonieren allenfalls zu beschränken, während Konsumationen und Barbezüge in Hotels durch die Vormundschaft nicht verhindert werden könnten. Die Beispiele verdeutlichen vielmehr, dass der Berufungskläger, auf sich allein gestellt, seine finanziellen Angelegenheiten nicht gehörig zu besorgen vermöchte. Das Obergericht hat den Fortbestand der Schutzbedürftigkeit demnach zu Recht bejaht. Nicht weiter einzugehen ist auf verschiedene tatsächliche Behauptungen des Berufungsklägers, die sich nicht auf den für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt der Vorinstanz stützen können, wie etwa die Behauptung, die Vormundin habe Rechnungen nicht bezahlt. 
2.3 Zu Recht hat das Obergericht auch die der schweizerischen Rechtsordnung fremde probeweise Aufhebung der Vormundschaft für ein Jahr verworfen, wie sie die Gutachterin auf Vorschlag der Vormundin befürwortet. Ebenso unzulässig ist es, die Aufhebung der Vormundschaft auszuprobieren und sie nötigenfalls sofort wieder einzuführen. Das Gesetz sieht die Aufhebung der Vormundschaft vor, wenn festgestellt ist, dass der Bevormundungsgrund nicht mehr besteht (Art. 433 Abs. 2 ZGB; Art. 436 ZGB), nicht schon vorher zum Zwecke, die fehlende Notwendigkeit erst zu beweisen. 
2.4 Das Obergericht hat schliesslich geprüft, ob als mildere Massnahme die Anordnung einer Beistandschaft ausreichend wäre, hat dies aber zu Recht verneint, weil diese Massnahme die Handlungsfähigkeit des Berufungsklägers intakt liesse (Art. 417 Abs. 1 ZGB), weshalb sie ungenügend ist, wenn der Massnahmebedürftige aufgrund seiner persönlichen Konstellation zur Eigenschädigung in der Lage ist und sich zufolge fehlender Einsicht in die Notwendigkeit einer vormundschaftlichen Massnahme der Beistandschaft als solcher oder den Anordnungen des Beistands widersetzen würde. Die fehlende Kooperationsbereitschaft des Berufungsklägers hat die Vorinstanz aber aufgrund seiner eigenen Aussagen festgestellt, sie entspricht überdies den gutachterlich festgehaltenen schweren Verhaltensstörungen im Rahmen der Minderintelligenz. 
3. 
Damit ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist, und der vorinstanzliche Beschluss zu bestätigen. 
 
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg haben konnte, ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 152 OG). Entsprechend hat der Berufungskläger die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr kann aber den finanziellen Verhältnissen des Berufungsklägers Rechnung getragen werden (Art. 153a Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird dem Berufungskläger auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Berufungskläger, der Vormundschaftsbehörde Gossau und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 18. September 2003 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: