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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_394/2018  
 
 
Urteil vom 11. März 2019  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Frésard, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiberin Elmiger-Necipoglu. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Solothurn, 
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 16. April 2018 (VSBES.2017.6). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 23. November 2013 meldete sich der 1980 geborene A.________ unter Hinweis auf psychische Beeinträchtigungen bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn zum Leistungsbezug an. Nach Abklärung der medizinischen und beruflichen Verhältnisse meldete diese ihn zu einer Eingliederungsmassnahme an. In diesem Rahmen absolvierte der Versicherte vom 18. August 2014 bis 28. Februar 2015 ein jähriges Praktikum im Zentrum B.________. Vom 29. September bis 12. November 2015 erfolgte ein stationärer Aufenthalt im Spital C.________. Vom 16. November 2015 bis 15. Mai 2016 sprach die IV-Stelle dem Versicherten einen Arbeitsversuch zu. Da der Versicherte unentschuldigt vom Arbeitsversuch fern blieb, zum Termin der IV-Stelle nicht erschien und auch nicht erreichbar war, brach diese den Arbeitsversuch per 21. Januar 2016 ab. Nach Rücksprache mit dem Hausarzt des Versicherten, Dr. med. D.________ FMH Facharzt für Allgemeine Medizin, erliess die IV-Stelle mit Schreiben vom 28. Juni 2016 eine medizinische Auflage und forderte den Versicherten auf, eine ambulante Psychotherapie aufzunehmen und regelmässig fortzuführen. Zusätzlich forderte sie ihn auf, den Beikonsum von Heroin nachhaltig einzustellen und verpflichtete ihn, monatlich gemäss kurzfristiger telefonischer Aufforderung zwischen zwei und vier Urinproben abzugeben. Sie befristete die Auflage zunächst bis Ende September 2016. Zudem wies sie darauf hin, dass im Falle eines nicht Erfüllens der genannten Auflagen etwaige berufliche Massnahmen abgebrochen würden, das Dossier geschlossen und aufgrund der Unterlagen ein voraussichtlich negativer Entscheid betreffend Eingliederung wie auch Rente erlassen werden würde. Nach weiteren medizinischen Abklärungen, die namentlich den Beikonsum von Heroin bestätigten, leitete die IV-Stelle das Vorbescheidverfahren ein und wies mit Verfügung vom 21. November 2016 weitere berufliche Massnahmen sowie den Anspruch auf eine Invalidenrente ab. 
 
B.   
Die Beschwerde des A.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, soweit es darauf eintrat, mit Entscheid vom       16. April 2018 ab. 
 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ hiergegen Beschwerde erheben und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids seien ihm die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese den Sachverhalt rechtsgenüglich abkläre bzw. das Mahn-und Bedenkzeitverfahren rechtsgenüglich durchführe und danach neu entscheide. 
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). 
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, als es in Bestätigung der Verfügung vom 21. November 2016 einen Anspruch des Beschwerdeführers auf berufliche Massnahmen und auf eine Invalidenrente infolge Verletzung der Mitwirkungspflicht verneinte. 
 
3.   
 
3.1. Im angefochtenen Entscheid werden die hier interessierenden rechtlichen Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG) sowie zur Pflicht der versicherten Person im Rahmen der ihr obliegenden Schadenminderungspflicht alles ihr Zumutbare zu unternehmen, um die Dauer und das Ausmass der Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG) und den Eintritt der Invalidität (Art. 8 ATSG) zu verhindern (Art. 7 Abs. 1 IVG), beziehungsweise der möglichen Sanktionen bei Verletzung dieser Pflicht (Art. 7b IVG i.V.m. Art. 21 Abs. 4 ATSG), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
3.2. Zu betonen ist, dass gemäss Art. 7b Abs. 3 IVG (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket, in Kraft seit 1. Januar 2012) beim Entscheid über die Kürzung oder Verweigerung von Leistungen alle Umstände des einzelnen Falles, insbesondere das Ausmass des Verschuldens der versicherten Person zu berücksichtigen sind. Zudem ist eine Kürzung oder Verweigerung von Leistungen nur solange aufrechtzuerhalten, als das den Eintritt oder die Verschlimmerung der Invalidität kausal verursachende qualifizierte Verschulden der versicherten Person wirkt (ULRICH MEYER, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl. 2014, S. 94 und 99 mit Hinweisen).  
 
4.   
 
4.1. Die Vorinstanz hat im Wesentlichen erwogen, um die Zumutbarkeit der medizinischen Auflage vom 28. Juni 2016 beurteilen zu können, sei zunächst auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers einzugehen. Da sich aufgrund der medizinischen Akten nicht feststellen lasse, ob die diagnostizierte Polytoxikomanie in einem engen Zusammenhang mit einem eigenständigen Gesundheitsschaden des Beschwerdeführers stehe, habe sie ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. med. E.________ in Auftrag gegeben, das am 14. Juli 2017 erstattet worden sei. Gestützt auf die medizinischen Akten, so die Vorinstanz weiter, könne zusammenfassend festgehalten werden, dass beim Beschwerdeführer eine langjährige Polytoxikomanie (Heroin, Benzodiazepin, Kokain, Cannabis) mit diversen Substitutionsbehandlungen im Vordergrund stehe und sein Gesundheitszustand dadurch beeinträchtigt sei. Es fänden sich insbesondere die Diagnosestellungen einer rezidivierenden depressiven Störung, von akzentuierten Persönlichkeitszügen mit emotional instabilen, ängstlich-vermeidenden und selbstunsicheren Anteilen sowie eine Persönlichkeitsstörung gemischt mit dysthymen, emotional instabilen, selbstunsicheren und abhängig-ängstlichen Anteilen. Die Vorinstanz kam sodann zum Ergebnis, der Beschwerdeführer sei seiner Mitwirkungspflicht während des ihm durch die Beschwerdegegnerin zugesprochenen sechsmonatigen Arbeitsversuchs nicht nachgekommen. Er sei einzig am ersten Arbeitsag, dem 16. November 2015, erschienen. Danach sei er "untergetaucht" und habe auf die Kontaktversuche der Beschwerdegegnerin während ungefähr zwei Monaten nicht reagiert. Zudem erwog das kantonale Gericht, die medizinische Auflage vom 28. Juni 2016 sei notwendig, um nach einer gewissen Zeit der Heroinabstinenz und Psychotherapie über die Wiederaufnahme erneuter beruflicher Eingliederungsmassnahmen entscheiden zu können. Sie sei darüber hinaus sowohl in Bezug auf den Verzicht des Heroinbeikonsums wie auch auf die Durchführung von ambulanter Psychotherapie gemäss beweiskräftigem Gerichtsgutachten des Dr. med. E.________ auch zumutbar. Da der Beschwerdeführer der nicht zu beanstandenden medizinischen Auflage vom 28. Juni 2016 in unentschuldbarer Weise nicht nachgekommen sei, habe die Beschwerdegegnerin sein Leistungsbegehren mit Verfügung vom 21. November 2016 zu Recht abgewiesen.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer wendet hiergegen ein, die Vorinstanz habe das Verbot des überspitzten Formalismus (Art. 6 EMRK) in zweierlei Hinsicht verletzt.  
 
4.2.1. Die therapeutische Mitwirkungspflicht sei zunächst sachlich unbegründet, da er sich seit dem 14. Lebensjahr regelmässig therapeutischen Massnahmen unterzogen habe. Seine Arbeits- und Leistungsfähigkeit habe sich allerdings dadurch nicht verbessern lassen. Zu Recht bestreitet der Beschwerdeführer nicht die Beweiskraft des Gerichtsgutachtens, dem gemäss Rechtsprechung hohe Bedeutung zukommt und von dem das Gericht nicht ohne zwingende Gründe abweichen darf (BGE 143 V 269 E. 6.2.3.2 S. 282; 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f.; 125 V 351 E. 3b/aa S. 352 f. mit Hinweis). Soweit der Beschwerdeführer die sachliche Effizienz der medizinischen Auflage rügt, so ist mit der Vorinstanz auf das Gerichtsgutachten des Dr. med. E.________ vom 14. Juli 2017 zu verweisen. Gemäss seinen Ausführungen ist dem Beschwerdeführer unter Begleitung einer psychotherapeutischen und sozialpsychiatrischen Betreuung eine schrittweise Rückführung in den ersten Arbeitsmarkt bis zum Erreichen einer 50%igen Arbeitsfähigkeit unter Einhaltung der Abstinenz von Cannabis und Heroin zumutbar. Unabdingbar seien die damit zwingend einhergehenden unangemeldeten Urinkontrollen während mindestens sechs Monaten. Demnach ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz zum Schluss kam, die medizinische Auflage sei eine geeignete, notwendige und zumutbare Massnahme i.S.v. Art. 7a bzw. Art. 7 Abs. 1 IVG. Diese dient vorerst der Eingliederung der versicherten Person. Sie trägt aber auch langfristig dazu bei, die Dauer und das Ausmass der Arbeitsunfähigkeit zu verringern und den Eintritt einer Invalidität zu verhindern.  
 
4.2.2. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, die medizinische Auflage vom 28. Juni 2016 sei ihm nicht korrekt zugestellt worden. Er vertritt die Ansicht, dass trotz der Zustellfiktion das Schreiben ein zweites Mal hätte zugestellt werden können. Gemäss Art. 38 Abs. 2bis ATSG (Art. 44 Abs. 2 BGG, Art. 20 Abs. 2bis VwVG) gilt eine Mitteilung, die nur gegen Unterschrift des Adressaten beziehungsweise der Adressatin oder einer anderen berechtigten Person überbracht wird, spätestens am siebenten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt. Mit BGE 141 II 429 hat das Bundesgericht im Übrigen bestätigt, dass die gleiche Zustellfiktion bei einem Postrückbehaltungsauftrag gelte. Die Vorinstanz hat in nicht zu beanstandender Weise dargelegt, dass das Schreiben vom 28. Juni 2016, das gleichentags mit eingeschriebener Post dem Beschwerdeführer versendet und von der Post mit dem Vermerk "nicht abgeholt" an die Beschwerdegegnerin am 18. Juli 2016 retourniert wurde, spätestens am 6. Juli 2016 als zugestellt galt. Im Gegensatz zum vorinstanzlichen Verfahren bestreitet der Beschwerdeführer zu Recht nicht mehr die grundsätzliche Zustellung des eingeschriebenen Briefs, sondern macht lediglich geltend, dass ein zweiter Versuch hätte stattfinden sollen. Damit verkennt der Beschwerdeführer den Sinn und Zweck der Zustellfiktion, die unter anderem in Art. 38 Abs. 2bis ATSG normiert ist. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber festgelegt, dass nicht mehrere Versuche notwendig sind, um einen eingeschriebenen Brief als rechtlich zugestellt gelten zu lassen, sondern dass diese Fiktion bereits am siebenten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch eintritt (KATHRIN AMSTUTZ/PETER ARNOLD  in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 27 zu       Art. 44;  JEAN-MAURICE FRÉSARD  in: Commentaire de la LTF [Loi sur le Tribunal fédéral], 2. Aufl. 2014, N. 23 zu Art. 44). Somit verletzte das kantonale Gericht kein Bundesrecht, als es von der korrekten Zustellung der medizinischen Auflage vom 28. Juni 2016 ausging.  
 
4.3. Entgegen dem Ansinnen des Beschwerdeführers liegt auch kein widersprüchliches Verhalten seitens der Behörde bzw. keine Verletzung von Treu und Glauben (Art. 9 BV) vor, indem diese nicht den Ablauf der Auflagefrist abwartete, bevor sie den ablehnenden Vorbescheid bzw. die ablehnende Verfügung erliess. Im Schreiben vom    28. Juni 2016 machte die Beschwerdegegnerin den Versicherten unmissverständlich auf die Sanktionen aufmerksam, die bei Nichterfüllung der Auflagen erfolgten. Die zeitliche Befristung der Auflagen galt nur, soweit der Versicherte die Auflagen erfüllte, was er ausweislich der Akten nicht tat. Nebst dem unentschuldigten Fernbleiben zu den Terminen bei der Beschwerdegegnerin bestätigte Dr. med. D.________ mit Bericht vom 16. Juli 2016, dass gegenwärtig der Beikonsum von Heroin und THC nebst der Substitutionsbehandlung mit MST nachweisbar sei.  
 
4.4. Ebensowenig verletzte die Vorinstanz das Willkürverbot (Art. 9 BV) und den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 ATSG), als sie im Fragenkatalog zuhanden des Gerichtsgutachters nicht um Beurteilung der streitigen Auflage vom 28. Juni 2016 bat, sondern den Gutachter in grundsätzlicher Weise fragte, wie eine Auflage bzw. ein Arbeitsversuch beschaffen sein müsste, damit der Beschwerdeführer diese unter Berücksichtigung der krankheitsbedingten Einschränkungen einhalten könne. Wie die Vorinstanz im angefochtenen Urteil ausführte, diente das Gerichtsgutachten vorwiegend der Klärung, ob die diagnostizierte Polytoxikomanie in einem engen Zusammenhang mit einem eigenständigen Gesundheitsschaden des Beschwerdeführers steht (zur Frage, ob und inwiefern die Drogensucht eine Invalidität i.S.v. Art. 4 IVG zu begründen vermag: vgl. BGE 99 V 28 E. 3b S. 30, Urteile 9C_620/2017 vom 10. April 2018 E. 2.2.1 und 8C_582/2015 vom       8. Oktober 2015). Sodann konnte gestützt auf die gutachterlichen Ausführungen die Rechtsfrage beantwortet werden, ob es sich bei der streitigen Auflage vom 28. Juni 2016 um eine zumutbare Massnahme i.S.v. Art 7a IVG handelt, was wie oben dargelegt zu bejahen ist (vgl. hiervor E. 4.2.1).  
 
4.5. Gestützt auf die vorgängigen Erwägungen gehen schliesslich auch die übrigen Einwände des Beschwerdeführers in Bezug auf eine vermeintliche Verletzung der Begründungspflicht des vorinstanzlichen Entscheids (Art. 61 lit. h ATSG, Art. 29 Abs. 2 BV) offensichtlich fehl.  
 
4.6. Zusammenfassend hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, als sie in Bestätigung der Verfügung vom 21. November 2016 einen Anspruch des Beschwerdeführers auf berufliche Massnahmen und Invalidenrente infolge Verletzung der Mitwirkungspflicht verneinte.  
 
5.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 11. März 2019 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Frésard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Elmiger-Necipoglu