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[AZA 7] 
I 535/01 Gi 
 
III. Kammer 
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; 
Gerichtsschreiber Flückiger 
 
Urteil vom 17. Mai 2002 
 
in Sachen 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
G.________, 1955, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Gnekow, Metzgerrainle 9, 6004 Luzern, 
 
und 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
A.- Die 1955 geborene G.________ meldete sich am 9. Oktober 1998 wegen Geisteskrankheit bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug (Rente) an. Die IV-Stelle Luzern holte einen "Abklärungsbericht Haushalt" des IV-internen Abklärungsdienstes ein, welchen die Versicherte am 27. April 1999 unterzeichnete. Zudem zog die Verwaltung Berichte der Kantonalen Psychiatrischen Klinik S.________ vom 26. August 1991 sowie 13. Mai 1993 und des Dr. med. 
 
 
 
K.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 28. Dezember 1998 bei. Anschliessend beauftragte sie das Ambulatorium des Psychiatriezentrums L.________, mit der Erstattung eines Gutachtens. G.________ erklärte jedoch mündlich, sie werde nicht zu dieser Untersuchung erscheinen, was in einem Brief ihres Ehemannes vom 3. April 2000 bekräftigt wurde. Die Verwaltung machte die Versicherte daraufhin mit Schreiben vom 13. April 2000 auf ihre Mitwirkungspflicht aufmerksam, setzte ihr eine Frist zur Kontaktnahme bis 27. April 2000 und wies sie darauf hin, dass allfällige Leistungen eingestellt oder verweigert werden könnten, wenn sich Versicherte einer angeordneten zumutbaren Abklärungsmassnahme widersetzten. 
Nach unbenutztem Ablauf der Frist und Durchführung des Vorbescheidverfahrens lehnte es die IV-Stelle ab, Leistungen zu erbringen, und erklärte, die Versicherte könne ein neues Gesuch einreichen, wenn sie mit der angeordneten psychiatrischen Abklärung einverstanden sei (Verfügung vom 15. September 2000). 
 
 
B.- Dagegen liess G.________ Beschwerde erheben. Während des Rechtsmittelverfahrens erstellte das Psychiatriezentrum L.________ am 12. Februar 2001 im Auftrag der IV-Stelle ein Gutachten. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hiess die Beschwerde gut, hob die Verfügung vom 15. September 2000 auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie über den Rentenanspruch verfüge (Entscheid vom 4. Juli 2001). 
 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle Luzern die Aufhebung des kantonalen Entscheids. 
G.________ lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung. 
Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 125 V 414 Erw. 1a, 119 Ib 36 Erw. 1b, je mit Hinweisen). 
 
b) Die Frage nach der Festlegung des Anfechtungsgegenstandes beurteilt sich nicht ausschliesslich auf Grund des effektiven Inhalts der Verfügung. Wohl bilden zunächst diejenigen Rechtsverhältnisse Teil des Anfechtungsgegenstandes, über welche die Verwaltung in der Verfügung tatsächlich eine Anordnung getroffen hat. Zum beschwerdeweise anfechtbaren Verfügungsgegenstand gehören aber - in zweiter Linie - auch jene Rechtsverhältnisse, hinsichtlich deren es die Verwaltung zu Unrecht unterlassen hat, verfügungsweise zu befinden. Dies ergibt sich aus dem Untersuchungsgrundsatz und dem Prinzip der Rechtsanwendung von Amtes wegen, welche für das gesamte Administrativverfahren der Invalidenversicherung massgeblich sind (BGE 116 V 26 Erw. 3c mit Hinweis). Nach der Rechtsprechung wahrt die versicherte Person mit der Anmeldung alle nach den Umständen vernünftigerweise in Betracht fallenden Leistungsansprüche. Die Abklärungspflicht der IV-Stelle erstreckt sich auf die nach dem Sachverhalt und der Aktenlage im Bereich des Möglichen liegenden Leistungen. Insoweit trifft sie auch eine Beschlusses- bzw. Verfügungspflicht (BGE 111 V 264 Erw. 3b). 
 
c) Gemäss Art. 73 IVV kann die IV-Stelle, unter Ansetzung einer angemessenen Frist und Darlegung der Säumnisfolgen, auf Grund der Akten beschliessen, wenn Versicherte schuldhaft eine Begutachtung (Art. 69 Abs. 2 IVV) verweigern (BGE 111 V 222 Erw. 1, 107 V 28 Erw. 3; zum Mahn- und Bedenkzeitverfahren bei Widersetzlichkeit gegenüber einer Eingliederungsmassnahme vgl. BGE 122 V 219 Erw. 4b mit Hinweisen). 
 
2.- Streitig ist der Anspruch der Beschwerdegegnerin auf berufliche Massnahmen und eine Rente der Invalidenversicherung. 
 
a) Umstritten ist zunächst der Inhalt der Verfügung vom 15. September 2000. Während die IV-Stelle davon ausgeht, sie habe lediglich über den Anspruch auf berufliche Massnahmen entschieden, vertritt die Versicherte die Ansicht, ihr Leistungsbegehren sei vollumfänglich, auch in Bezug auf den Rentenanspruch, abgelehnt worden. 
 
b) In der IV-Anmeldung vom 9. Oktober 1998 hatte die Beschwerdegegnerin in erster Linie eine Rente beantragt. 
Nach ihrer Weigerung, sich der in Aussicht genommenen Untersuchung im Psychiatriezentrum L.________ zu unterziehen, leitete die IV-Stelle das Mahn- und Bedenkzeitverfahren gemäss Art. 73 IVV ein. Im Widersetzlichkeitsschreiben vom 13. April 2000 erklärte die Verwaltung, sie habe "den Anspruch auf berufliche Massnahmen und die Rente" zu prüfen. 
In der Folge entschied sie - wiederum gestützt auf Art. 73 IVV - über den Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen und verneinte einen solchen mit der Begründung, wegen der Weigerung der Versicherten, sich den erforderlichen Abklärungsmassnahmen zu unterziehen, hätten die Anspruchsvoraussetzungen nicht abschliessend geprüft werden können. 
 
Im Rahmen dieser Vorgehensweise bestand jedoch kein Anlass, den Gegenstand der Verfügung auf die beruflichen Eingliederungsmassnahmen zu beschränken. Vielmehr wäre die IV-Stelle auf Grund ihrer Beschlusses- und Verfügungspflicht (Erw. 1b hievor) gehalten gewesen, gleichzeitig auch über den Rentenanspruch zu verfügen, da die Angelegenheit diesbezüglich - ausgehend von den der Verfügung zu Grunde liegenden Überlegungen - in gleicher Weise entscheidreif war, hätte doch dieselbe Begründung sich auch auf den Rentenanspruch anwenden lassen und ebenfalls zu einer Abweisung führen müssen. 
Die Vorinstanz hat daher mit Recht auch den Rentenanspruch in den Anfechtungsgegenstand einbezogen und die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie darüber verfügungsweise befinde. 
 
c) Die IV-Stelle ging bei Erlass der Verfügung vom 15. September 2000 davon aus, die Versicherte habe im Sinne von Art. 73 IVV ihre Mitwirkungspflicht schuldhaft verletzt, und verneinte deshalb gestützt auf die ihr vorliegenden Akten einen Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen. 
Das kantonale Gericht gelangte gestützt auf das Gutachten des Psychiatriezentrums L.________ vom 12. Februar 2001 zum Ergebnis, eine schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht liege nicht vor. Es trifft zwar zu, dass für die gerichtliche Beurteilung grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Verwaltungsverfügung massgebend sind (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen). Tatsachen, die sich erst später verwirklichen, sind jedoch insoweit zu berücksichtigen, als sie mit dem Streitgegenstand in engem Sachzusammenhang stehen und geeignet sind, die Beurteilung im Zeitpunkt des Verfügungserlasses zu beeinflussen (BGE 99 V 102 mit Hinweisen). Die Vorinstanz hat das Gutachten vom 12. Februar 2001 zu Recht in diesem Sinne in ihre Beurteilung einbezogen und gestützt darauf korrekt festgestellt, dass die Weigerung der Beschwerdegegnerin, sich der angeordneten Untersuchung zu unterziehen, nicht schuldhaft erfolgt ist. 
 
 
d) Auf Grund des Gutachtens des Psychiatriezentrums L.________ vom 12. Februar 2001 steht fest, dass die Beschwerdegegnerin nicht eingliederungsfähig ist und deshalb keinen Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen hat. Die Verfügung vom 15. September 2000 war daher, soweit sie diesen Anspruch verneinte, im Ergebnis - nicht jedoch in der Begründung - richtig und hätte nicht aufgehoben werden müssen. Der vorinstanzliche Entscheid ist in diesem Sinn zu präzisieren. Andererseits war die Verwaltungsverfügung nach dem Gesagten (Erw. 2b) insofern unrichtig, als darin nicht über den Rentenanspruch entschieden wurde. Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz zu Recht das bei ihr eingereichte Rechtsmittel gutgeheissen und der Beschwerdegegnerin eine volle Parteientschädigung zugesprochen. 
 
3.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend hat die Beschwerdegegnerin Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der 
Erwägungen abgewiesen. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Die IV-Stelle Luzern hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich 
 
 
Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
 
Luzern, 17. Mai 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: