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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_977/2022  
 
 
Urteil vom 28. Februar 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, 
Bundesrichter von Werdt, 
Gerichtsschreiber Levante. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG in Liquidation, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Uffer, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Gegenstand 
Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, vom 30. November 2022 (ZSU.2022.246). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Mit Entscheid vom 24. Oktober 2022 eröffnete die Präsidentin des Bezirksgerichts Baden auf Ersuchen der B.________ gestützt auf Art. 190 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG (Zahlungseinstellung) den Konkurs über die A.________ AG.  
 
A.b. Die A.________ AG reichte am 11. November 2022 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau ein. Sie beantragte die Aufhebung der Konkurseröffnung. Zugleich stellte sie ein Gesuch um aufschiebende Wirkung, welches mit Verfügung vom 18. November 2022 abgewiesen wurde. Diesbezüglich stellte sie am 21. November 2022 ein Gesuch um Wiedererwägung.  
 
B.  
Das Obergericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 30. November 2022 ab. Es stellte fest, dass mit dem Entscheid in der Sache das Gesuch um Wiedererwägung gegenstandslos geworden war. 
 
C.  
Am 19. Dezember 2022 ist die A.________ AG an das Bundesgericht gelangt. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheides und die Rückweisung der Sache zum neuen Entscheid an die Vorinstanz. Eventualiter sei die Konkurseröffnung aufzuheben. 
Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten beigezogen, indes auf das Einholen von Vernehmlassungen verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den Entscheid des oberen kantonalen Gerichts, das als Rechtsmittelinstanz über die Konkurseröffnung entschieden hat, ist die Beschwerde in Zivilsachen gegeben (Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 74 Abs. 2 lit. d und Art. 75 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Die im kantonalen Verfahren unterlegene Beschwerdeführerin ist als Schuldnerin vom angefochtenen Entscheid besonders berührt und daher zur Beschwerde berechtigt (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG).  
 
1.3. Mit der vorliegenden Beschwerde kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). In der Beschwerde ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 2). Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist ebenfalls zu begründen, wobei hier das Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 III 364 E. 2.4).  
 
1.4. Das Bundesgericht liegt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel sind nur soweit zulässig, als erst der vorinstanzliche Entscheid dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der Beschwerde näher auszuführen ist (BGE 148 V 174 E. 2.2).  
 
2.  
Anlass zur Beschwerde gibt eine Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung wegen Zahlungseinstellung (Art. 190 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG). Strittig ist insbesondere die Zulässigkeit von Noven im kantonalen Beschwerdeverfahren. 
 
2.1. Der Entscheid des Konkursgerichts kann innert zehn Tagen mit Beschwerde nach ZPO angefochten werden. Dabei gelten für die Noven die folgenden Grundsätze.  
 
2.1.1. Neue Tatsachen können vorgebracht werden, wenn sie vor dem erstinstanzlichen Entscheid eingetreten sind (unechte Noven; Art. 174 Abs. 1 SchKG). Die Rechtsmittelinstanz kann sodann die Konkurseröffnung aufheben, wenn der Schuldner seine Zahlungsfähigkeit glaubhaft macht und durch Urkunden beweist, dass einer der gesetzlichen Konkursaufhebungsgründe eingetreten ist (echte Noven; Art. 174 Abs. 2 SchKG). Dazu gehören die Tilgung der Schuld samt Zinsen und Kosten, die Hinterlegung des geschuldeten Betrages beim oberen Gericht zuhanden des Gläubigers und der Verzicht der Gläubiger auf die Durchführung des Konkurses (Ziff. 1-3).  
 
2.1.2. Mit der SchKG-Revision von 1994 wurde das bisher kantonalrechtlich bestimmte Novenrecht im zweitinstanzlichen Konkursverfahren bundesrechtlich geregelt. Massgebend ist Art. 174 SchKG, welcher für eine Anwendung von Art. 317 ZPO keinen Platz lässt (BGE 139 III 491 E. 4.4). Das Bundesgericht kam bereits im Jahre 2013 zum Schluss, dass aufgrund der grammatikalischen Auslegung von Art. 174 Abs. 1 und Abs. 2 SchKG unechte wie echte Noven zwingend innerhalb der Beschwerdefrist vorzubringen sind. Eine systematische Auslegung lasse nicht zu, dass die unechten Noven nur innerhalb der Beschwerdefrist, die echten Noven hingegen bis zum Rechtsmittelentscheid zulässig wären (BGE 139 III 491 E. 4 und E. 4.4; zuletzt Urteil 5A_1005/2020 vom 19. Januar 2021 E. 3.1).  
 
2.1.3. Unechte Noven sind in der Weiterziehung des ohne vorgängige Betreibung eröffneten Konkurses unbeschränkt zulässig (Art. 174 Abs. 1 i.V.m. Art. 194 SchKG). Die Regelung von Art. 174 Abs. 2 SchKG betreffend echte Noven ist auch bei der Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung abschliessend. Nach der Rechtsprechung folgt aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass keine weiteren Noven zulässig sind und im Rahmen einer Beschwerde gegen eine Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung im Grundsatz nur unechte Noven zulässig sind, da die in Art. 174 Abs. 2 Ziff. 1-3 SchKG abschliessend aufgezählten Hypothesen nicht auf diese Verfahrensart zugeschnitten sind (Urteil 5A_252/2020 vom 18. Juni 2020 E. 4.2.1; Urteil 5A_243/2019 vom 17. Mai 2019 E. 3.1 mit Hinweisen, in: SJ 2019 I S. 376; vgl. Urteil 5A_122/2022 vom 21. Juni 2022 E. 3.1, differenziert betreffend Gläubigerverzicht). Im konkreten Fall erübrigen sich weitere Erörterungen zur Rechtsprechung betreffend Noven, da sie für den Ausgang des Verfahrens nicht ausschlaggebend sind.  
 
2.2. Im vorliegenden Fall wurde der Konkurs über die Beschwerdeführerin am 24. Oktober 2022 eröffnet. Die Zustellung des Konkurserkenntnisses erfolgte am 1. November 2022. Am 11. November 2022 focht die Beschwerdeführerin den Entscheid beim Obergericht an. Sie machte geltend, bei ihrer Hausbank über ein Guthaben von Fr. 167'255.-- zu verfügen, womit das Total der betriebenen Forderungen von Fr. 166'801.30 (einschliesslich der B.________) gedeckt sei. Zwar könne sie infolge des Konkursbeschlags zur Zeit nicht darüber verfügen, indes komme das Bankguthaben einer Sicherstellung sämtlicher Betreibungsforderungen gleich. Die Beschwerdeführerin erklärte sich ausdrücklich einverstanden, wenn aus dem Bankguthaben insbesondere die Forderung der B.________ beglichen werde.  
 
2.3. Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass keine der in Art. 174 Abs. 2 SchKG genannten Gründe erfüllt sei, womit sich die Prüfung der Zahlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin erübrige. Sie habe nicht durch Urkunden bewiesen, dass die Schuld inklusive Zinsen und Kosten von total Fr. 157'493.10 getilgt sei. Als Tilgung komme nicht nur die Zahlung, sondern jeder auf einem zivilrechtlichen Grund beruhende Untergang der Forderung in Frage. Zudem könne der geschuldete Betrag zu Gunsten des Schuldners bei der Rechtsmittelinstanz hinterlegt werden. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Abtretung eines Bankguthabens oder von künftigen Einnahmen seien gemäss dem klaren und abschliessenden Wortlaut von Art. 174 Abs. 2 SchKG ungenügend.  
 
2.4. Die Beschwerdeführerin erblickt in der vorinstanzlichen Sichtweise eine Verletzung von Bundesrecht. Im vorliegenden Fall erweise sich das Ergebnis als unfair sowie überspitzt formalistisch und damit letztlich als willkürlich.  
 
2.4.1. Konkret macht die Beschwerdeführerin geltend, dass sie die Betreibungsforderung aus rein "prozessualen" Gründen nicht fristgerecht bei der Vorinstanz hinterlegen konnte. Sie weist auf den sofortigen Konkursbeschlag hin, womit ihr Bankguthaben nicht mehr verfügbar war. Dabei erwähnt sie nicht, dass es sich um eine Folge der Konkurseröffnung handelt, die sich bereits aus dem Gesetz ergibt (Art. 204 SchKG). Sie gilt daher auch, wenn das Konkursamt die Bank noch nicht informiert hat, denn der Konkurs entfaltet augenblicklich alle seine materiell- und formellrechtlichen Wirkungen (STOFFEL/CHABLOZ, Voies d'exécution, 3. Aufl. 2016, § 9 Rz. 21 ff., § 10 Rz. 2).  
 
2.4.2. Weiter verweist die Beschwerdeführerin auf den Umstand, dass sie alles in ihrer Macht stehende getan habe, um den geschuldeten Betrag "innert Frist bzw. schnellstmöglichst" zu hinterlegen, die Vorinstanz jedoch ihrer Beschwerde die aufschiebende Wirkung verweigert habe. Mit diesem Vorbringen verkennt sie, dass die Gutheissung eines solchen Gesuches einzig zur rückwirkenden Aufhebung des Konkurses geführt hätte (GIROUD/THEUS SIMONI, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 3. Aufl. 2021, N. 29a zu Art. 174). Hingegen hätte ein solcher Entscheid nicht zu einer Verlängerung der Beschwerdefrist oder bei bereits erfolgtem Ablauf zu einer Wiederherstellung geführt und damit die spätere Tilgung bzw. Hinterlegung der Schuld ermöglicht, wie die Beschwerdeführerin meint. In Frage wäre einzig die teilweise Gewährung der aufschiebenden Wirkung gekommen, indem die Rechtsmittelinstanz den Schuldner ermächtigt hätte, über seine Bankguthaben zwecks Hinterlegung der Schuld bei der Gerichtskasse zu verfügen (GIROUD/THEUS SIMONI, a.a.O., N. 30 Art. 174). Da es an einem entsprechenden Gesuch der Beschwerdeführerin fehlte, konnte die Vorinstanz die nötigen Voraussetzungen für ein solches Vorgehen nicht prüfen. Daran kann auch die vom Beschwerdeführer angerufene richterliche Fragepflicht (Art. 56 ZPO) nichts ändern, da keine Unklarheit in den Vorbringen der Beschwerdeführerin vorlag. Es bestand im kantonalen Verfahren zudem kein Unvermögen der Beschwerdeführerin, ihren Standpunkt zu vertreten, welches aufgrund der Fürsorgepflicht einen Vertreter erforderlich gemacht hätte (Art. 69 ZPO).  
 
2.4.3. Schliesslich ist daran zu erinnern, dass sich der Konkursaufhebungsgrund der Tilgung bzw. Hinterlegung jedenfalls innert der Beschwerdefrist verwirklicht haben und geltend gemacht werden muss. Aus welchen Gründen dies nicht rechtzeitig möglich war, ist nicht entscheidend. Auf allfällige Schwierigkeiten bei der Überweisung (zur Tilgung bzw. Hinterlegung) der Schuld kann somit nicht Rücksicht genommen werden (BGE 139 III 491 E. 4.4, E. 4.5: Vorbehalt der Fristwiederherstellung). Damit können die Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Anweisung des Konkursamtes an ihre Hausbank und die daraufhin aufgetretenen Verzögerungen bei der Überweisung der in Betreibung gesetzten Summe an die Vorinstanz nicht massgebend sein, ohne dass die Zulässigkeit der Vorbringen (Art. 99 BGG) im Einzelnen zu prüfen wäre.  
 
3.  
Nach dem Gesagten ist der Beschwerde kein Erfolg beschieden. Sie ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Ausgangsgemäss trägt die Beschwerdeführerin die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zu leisten. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Konkursamt Aargau, Amtsstelle Baden, dem Grundbuchamt Baden, dem Betreibungsamt Spreitenbach Killwangen, dem Handelsregisteramt des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 28. Februar 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Levante