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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1C_20/2019  
 
 
Urteil vom 11. Dezember 2019  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Kneubühler, Haag, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. Gemeinde Eich, 
handelnd durch den Gemeinderat, 
Botenhofstrasse 4, Postfach, 6205 Eich, 
2. A.________ AG, 
Beschwerdeführerinnen, 
 
gegen  
 
1. B.________ und C.________, 
2. D.D.________ und E.D.________, 
3. F.F.________ und G.F.________, 
4. H.________, 
Beschwerdegegner, 
alle vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hess, 
 
Gegenstand 
Bau- und Planungsrecht; Baubewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 21. November 2018 
(7H 18 12). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die A.________ AG ist Eigentümerin der Parzelle Nr. 175 in Eich. Sie beabsichtigt, darauf zwei Mehrfamilienhäuser und zwei Einfamilienhäuser mit einer gemeinsamen Autoeinstellhalle zu bauen. Während der öffentlichen Auflage des Baugesuchs vom 23. Januar 2017 bis zum 13. Februar 2017 erhoben unter anderem B.________ und C.________, D.D.________ und E.D.________, F.F.________ und G.F.________ sowie H.________ Einsprache. Das Verfahren wurde zunächst sistiert, da die kurz vor der öffentlichen Auflage des Baugesuchs revidierte Ortsplanung der Gemeinde Eich noch der kantonalen Genehmigung bedurfte. Nachdem der Regierungsrat des Kantons Luzern den revidierten Zonenplan und das revidierte Bau- und Zonenreglement (BZR) am 4. Juli 2017 mit gewissen Ausnahmen genehmigt hatte, nahm der Gemeinderat Eich das Verfahren wieder auf. Mit Entscheid vom 14. Dezember 2017 erteilte er die Baubewilligung unter Bedingungen und Auflagen. 
Dagegen erhoben die genannten Personen Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Mit Urteil vom 21. November 2018 hiess das Kantonsgericht Luzern das Rechtsmittel gut und hob den Entscheid des Gemeinderats Eich vom 14. Dezember 2017 auf. 
 
B.   
Mit Eingabe vom 11. Januar 2019 erheben die Gemeinde Eich und die A.________ AG gemeinsam Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und beantragen die Aufhebung des Urteils des Kantonsgerichts. 
Das Kantonsgericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdegegner beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdeführer und die Beschwerdegegner halten in ihren weiteren Stellungnahmen an ihren Anträgen und Rechtsauffassungen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Dem angefochtenen Entscheid liegt ein Beschwerdeverfahren über eine baurechtliche Bewilligung zu Grunde. Dagegen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 lit. a BGG das zutreffende Rechtsmittel. 
Die private Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen, ist als Bauherrin durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG). 
Die Gemeinde Eich wird durch die Aufhebung ihres Entscheids vom 14. Dezember 2017 in ihrer Stellung als Hoheitsträgerin berührt und ist daher gemäss Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG befugt, die Verletzung ihrer Autonomie mit Beschwerde geltend zu machen. Ob ihr im fraglichen Bereich tatsächlich Autonomie zukommt, ist eine Frage der inhaltlichen Beurteilung der Beschwerde (Urteil 2C_1021/2016 vom 18. Juli 2017 E. 2.2 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 143 II 553). 
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Über die Bauparzelle führt die Waldgass. Dabei handelt es sich um eine kleine Strasse, die von der Vogelsangstrasse bzw. der Ibrigweidstrasse abzweigt, zunächst auf der Parzelle Nr. 547 einen Bogen beschreibt und auf der Bauparzelle weiter Richtung Westen führt, wo sie auf der benachbarten Parzelle Nr. 411 endet. Umstritten ist, ob die Fläche, die die Strasse auf der Bauparzelle beansprucht bzw. beanspruchen wird, Teil der anrechenbaren Grundstücksfläche (aGSF) bildet. Dies ist für die Berechnung der Überbauungsziffer relevant, die von § 25 Abs. 1 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Luzern vom 7. März 1989 (SRL 735; im Folgenden: PBG) als das Verhältnis der anrechenbaren Gebäudefläche (aGBF) zur aGSF definiert wird.  
 
2.2. Das Kantonsgericht geht davon aus, dass die betreffende Fläche nicht eine Hauszufahrt darstellt, sondern der Feinerschliessung dient. Aus diesem Grund hätte sie seiner Ansicht nach der Verkehrszone gemäss § 52 PBG zugewiesen werden müssen. Die Gemeinde habe sie stattdessen nach einer umfassenden Abwägung aller Interessen, wie andere untergeordnete Erschliessungsflächen auch, der Wohnzone zugewiesen. Diese Zonenausscheidung sei mit der Genehmigung der Ortsplanungsrevision rechtskräftig geworden und könne nicht überprüft werden. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Strassenfläche im Baubewilligungsverfahren aufgrund einer Einzelfallbeurteilung nicht als Feinerschliessung im Sinne von § 11 der Planungs- und Bauverordnung des Kantons Luzern vom 29. Oktober 2013 (SRL 736; im Folgenden: PBV) qualifiziert werden könnte. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:  
§ 11 PBV 
1 Zur anrechenbaren Grundstücksfläche (aGSF) gehören die in der entsprechenden Bauzone liegenden Grundstücksflächen beziehungsweise Grundstücksteile. 
2 Die Flächen der Hauszufahrten werden angerechnet. 
3 Nicht angerechnet werden die Flächen der Grund-, Grob- und Feinerschliessung. 
Hauszufahrt und Feinerschliessung lassen sich gemäss den vorinstanzlichen Erwägungen nicht scharf voneinander abgrenzen. Massgebend sei eine funktionale Betrachtungsweise. Da die am südlichen Rand der Bauparzelle verlaufende, 3 m breite Verkehrsfläche der Erschliessung der Parzelle Nr. 411 diene, sei sie als Feinerschliessungsfläche zu qualifizieren und dürfe deshalb nicht zur aGSF gezählt werden. 
 
2.3. Die Beschwerdeführer stützen sich im Wesentlichen auf zwei Kritikpunkte. Zum einen machen sie geltend, der Gemeinde stehe bei der Abgrenzung zwischen Privatstrassen und Hauszufahrten Autonomie zu. Diese sei vom Kantonsgericht missachtet worden. Zum andern werfen sie dem Kantonsgericht vor, sich über die Zuweisung der Fläche im Zonenplan hinweggesetzt zu haben, was der Rechtssicherheit und dem Grundsatz von Treu und Glauben zuwiderlaufe.  
 
2.4. Dass der Gemeinde im betreffenden Bereich Autonomie zukommt, bestreiten die Beschwerdegegner. Die Frage kann offenbleiben, falls, wie die Beschwerdeführer behaupten, die Festlegung im Nutzungsplan im Baubewilligungsverfahren verbindlich ist und damit nicht mehr überprüft werden kann. Dies ist im Folgenden zu prüfen.  
 
3.  
 
3.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, im Rahmen der Revision der Ortsplanung seien Strassenparzellen vollständig der Verkehrszone zugewiesen worden, nicht ausparzellierte Strassen dagegen nur, wenn sie der Erschliessung von mehr als zehn Häusern dienten. Das kantonale Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartement habe in seinem Vorprüfungsbericht festgehalten, die Ausscheidung der Verkehrszone sei zweckmässig. Die Vorinstanz ist dagegen der Auffassung, § 11 PBV würde keine eigenständige Bedeutung mehr zukommen, wenn auf die Zonenzuweisung abgestellt würde. Die Beschwerdegegner fügen dem bei, § 52 PBG (Verkehrszone) und § 11 PBV (anrechenbare Grundstücksfläche) würden zwei komplett verschiedene Sachverhalte mit unterschiedlicher Terminologie regeln.  
 
3.2. Es ist zutreffend, dass in § 52 PBG, wonach die Verkehrszone unter anderem Flächen für den Strassenverkehr umfasst, und in § 11 PBV, der hinsichtlich der anrechenbaren Grundstücksfläche zwischen Hauszufahrten einerseits und Flächen der Grund-, Grob- und Feinerschliessung andererseits unterscheidet, nicht dieselben Begriffe verwendet werden. Daraus zu schliessen, dass die beiden Bestimmungen nichts miteinander zu tun hätten und deshalb die Zuweisung zur Verkehrszone für die anrechenbare Grundstücksfläche von vornherein keine Bedeutung haben kann, ist indessen falsch. Diese Betrachtungsweise der Beschwerdegegner übersieht, dass es sich bei den gemäss § 52 PBG der Verkehrszone zugehörigen Flächen für den Strassenverkehr um die strassenmässige Erschliessung handelt, die ihrerseits in Flächen der Grund-, Grob- und Feinerschliessung unterteilt werden kann. Der Zusammenhang zwischen § 52 PBG und § 11 PBV ist deshalb offensichtlich. Davon scheint auch das Kantonsgericht auszugehen, das insofern auch auf die Richtlinie der kantonalen Dienststelle Raum und Wirtschaft mit dem Titel "Darstellung der Verkehrszonen (§ 52 PBG) und Verkehrsflächen in den Zonenplänen" hinweist («http://www.rawi.lu.ch» unter Downloads [besucht am 25. November 2019]). Anhand dieser Richtlinie sollen die Verkehrszonen gemäss § 52 PBG möglichst einheitlich erfasst werden, wobei namentlich die folgenden Zielsetzungen gelten: In allen Bauzonen mit festgelegter Überbauungsziffer (ÜZ) soll die aGSF im Zonenplan erkennbar sein als die in der Zonenfarbe dargestellte Parzellenfläche. Die Zonenpläne sollen zudem für Fachleute und Laien möglichst gut lesbar sein (a.a.O., S. 3).  
 
3.3. Aus den genannten Gründen kann die Zuweisung der auf der Bauparzelle liegenden Fläche der Waldgass zur Wohnzone nichts anderes bedeuten, als dass gemäss Zonenplan nicht von einer Erschliessungsfläche gemäss § 11 Abs. 3 PBV auszugehen ist. Gemäss Zonenplan darf die betreffende Fläche damit für die Berechnung der Überbauungsziffer als Grundstücksfläche angerechnet werden. Wie erwähnt, geht das Kantonsgericht allerdings davon aus, dass die Rechtskraft des Zonenplans einer Überprüfung der Zonierung auf ihre Vereinbarkeit mit dem kantonalen Recht im Einzelfall nicht entgegensteht.  
 
3.4. Betroffene können einen Nutzungsplan im Anschluss an dessen Erlass anfechten (Art. 82 ff. i.V.m. Art. 111 BGG; Art. 33 Abs. 2 RPG [SR 700]). Die Plananfechtung im Baubewilligungsverfahren ist hingegen grundsätzlich ausgeschlossen (BGE 131 II 103 E. 2.4.1 S. 210 mit Hinweisen). Eine spätere (vorfrageweise) Anfechtung auf einen Anwendungsakt hin ist nur in Ausnahmefällen zulässig, so wenn sich der Betroffene bei Planerlass noch nicht über die ihm auferlegten Beschränkungen Rechenschaft geben konnte, er im damaligen Zeitpunkt keine Möglichkeit hatte, seine Interessen zu verteidigen, oder wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse seit der Planfestsetzung wesentlich geändert haben (BGE 145 II 83 E. 5 S. 88 f.; 144 II 41 E. 5.1 S. 44 f.; Urteile 1C_518/2016 vom 26. September 2017 E. 3; 1C_507/2015 vom 18. Mai 2016 E. 3.2; 1C_318/2014 vom 2. Oktober 2014 E. 6.2; je mit Hinweisen).  
 
3.5. Dass ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, wird weder vom Kantonsgericht noch von den Beschwerdegegnern geltend gemacht. Dies ist auch nicht ersichtlich. Die Beschwerdegegner unterliessen es, den Nutzungsplan im Anschluss an dessen Erlass anzufechten. Zwar mag es aus ihrer subjektiven Sicht in jenem Zeitpunkt nicht auf der Hand gelegen haben, die Bedeutung der Zuweisung der strittigen Fläche zur Wohnzone statt zur Verkehrszone für die Berechnung der Überbauungsziffer festzustellen. Objektiv gesehen war dieser Zusammenhang nach dem Ausgeführten jedoch bereits damals erkennbar. Dies ist ausschlaggebend (vgl. ALDO ZAUGG/PETER LUDWIG, Baugesetz des Kantons Bern, Band I, 4. Aufl. 2013, N. 2 zu Art. 35-35c BauG). Gemäss der erwähnten kantonalen Richtlinie ist es denn auch das Ziel der einheitlichen Erfassung der Verkehrszonen in den Zonenplänen, dass in allen Bauzonen mit festgelegter Überbauungsziffer die anrechenbare Grundstücksfläche als die in der Zonenfarbe dargestellte Parzellenfläche erkennbar ist. Darauf durfte sich die Bauherrin verlassen. Indem das Kantonsgericht sich unbesehen dieser Gegebenheiten über die Verbindlichkeit des Nutzungsplans hinwegsetzte und diesen in Missachtung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung einer akzessorischen Prüfung unterzog, verletzte es Bundesrecht (Art. 21 Abs. 1 RPG).  
 
4.   
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Beurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführer einzugehen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten den Beschwerdegegnern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführer sind nicht anwaltlich vertreten, weshalb ihnen keine Parteientschädigung auszurichten ist (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 III 439 E. 4 S. 446 mit Hinweis). Die beschwerdeführende Gemeinde hat zudem auch deshalb keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung, weil sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegt (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 21. November 2018 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Beurteilung an das Kantonsgericht zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden den Beschwerdegegnern auferlegt. 
 
3.   
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. Dezember 2019 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold