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Urteilskopf

103 II 155


27. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Juni 1977 i.S. C. und A. Bartusch gegen C. und G. Baraga

Regeste

Berufung.
1. Art. 50 OG. Voraussetzung für die Berufung gegen einen Zwischenentscheid (E. 1).
2. Art. 46 OG. Der Streitwert bestimmt sich nicht nach der Begründung des angefochtenen Urteils, sondern nach den Rechtsbegehren, die vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren (E. 2).
3. Blosse Erwägungen begründen kein rechtlich geschütztes Interesse an der Berufung und bedeuten auch keine Beschwer (E. 3).
4. Art. 55 Abs. 1 lit. b, Art. 57 Abs. 1 OG. Verbot neuer Begehren. Entscheid über die Berufung vor Erledigung einer kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde (E. 4 und E. 5).

Sachverhalt ab Seite 156

BGE 103 II 155 S. 156

A.- C. und A. Bartusch, Mieter eines Restaurants mit einem Büro und Wohnräumen, klagten am 5. Juni 1974 gegen die Vermieter C. und G. Baraga auf Erstreckung des Mietverhältnisses, das die Beklagten am 27. Mai 1974 auf 31. Dezember 1974 gekündigt hatten. Am 17. Juli 1974 erstreckte das Mietgericht des Bezirkes Zürich das Verhältnis einstweilen bis zum 31. Dezember 1976.
Am 11. Oktober 1976 verlangten die Kläger eine zweite Erstreckung des Verhältnisses. Das Mietgericht des Bezirkes Zürich wies am 29. Oktober 1976 die Klage mit der Begründung ab, es liege keine gültige Kündigung vor.
Die Beklagten rekurrierten gegen dieses Urteil. Sie beantragten, die Klage mangels hinreichender Erstreckungsgründe abzuweisen, eventuell das Verhältnis um höchstens 18 Monate zu erstrecken. Die Kläger beantragten, den Rekurs abzuweisen.

B.- Das Obergericht des Kantons Zürich hiess den Rekurs am 2. April 1977 gut und hob das Urteil des Mietgerichts vom 29. Oktober 1976 auf.
BGE 103 II 155 S. 157
Es ging davon aus, die Kläger hätten die Kündigung als gültig angesehen, zum mindesten darauf verzichtet, diese Frage, die das Mietgericht bekanntlich nur vorfrageweise prüfen dürfe, zum Gegenstand des Prozesses zu machen. Es sei ihnen denn auch unbenommen gewesen, zunächst die Frage der Erstreckung abklären zu lassen und erst im Ausweisungsverfahren Ungültigkeit der Kündigung geltend zu machen. Die mit der Ausweisung bzw. Gültigkeit der Kündigung befassten ordentlichen Gerichte seien an die Auffassung des Mietgerichts nicht gebunden. Sollte der Ausweisungsrichter die Kündigung als gültig erachten, so bliebe den Klägern daher nichts übrig, als die Revision des mietgerichtlichen Urteils über die zweite Erstreckung zu verlangen. Um dies zu vermeiden, rechtfertige es sich im vorliegenden Falle, über die Erstreckung unabhängig von der Gültigkeit der Kündigung zu entscheiden. Zu diesem Zwecke sei die Sache an das Mietgericht zurückzuweisen. Ein Rückweisungsentscheid folge aber auch aus anderen Überlegungen, nämlich - was das Obergericht eingehend begründet - weil vorfrageweise die Kündigung von 27. Mai 1974 als gültig und nicht als aufgehoben zu betrachten sei. Das Mietgericht habe somit über die Frage der zweiten Erstreckung zu entscheiden.

C.- Die Kläger haben die Berufung erklärt. Sie beantragen, unter Aufhebung des obergerichtlichen Entscheides das Urteil des Mietgerichtes vom 29. Oktober 1976 zu bestätigen und die Klage wegen Nichtigkeit der Kündigung abzuweisen, eventuell das Mietverhältnis bis zum 31. Dezember 1979 zu verlängern.
Die Berufungsbegründung macht ausschliesslich geltend, dass und warum die Kläger die Kündigung von 27. Mai 1974 als ungültig erachten.

D.- Die Kläger haben gegen den angefochtenen Entscheid auch eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Berufung richtet sich gegen einen Zwischenentscheid. Die Berufungsanträge gehen auf Fällung eines Endentscheides, in erster Linie auf Abweisung der Klage wegen Nichtigkeit der Kündigung, subsidiär auf Erstreckung des Mietverhältnisses. Durch die Gutheissung dieser Begehren
BGE 103 II 155 S. 158
könnte jedoch nicht "ein so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden", dass sich gemäss Art. 50 OG die Berufung ausnahmsweise rechtfertigen liesse. Die Kläger machen nicht geltend, es sei ein weitläufiges Beweisverfahren nötig, damit das Mietgericht über die erneute Erstreckung des Mietverhältnisses entscheiden könne. Zu vermuten ist das nicht, da das Verhältnis schon einmal erstreckt worden ist und die Kläger dem Bundesgericht mit dem Eventualantrag sogar zutrauen, über das Erstreckungsbegehren sogleich selber urteilen zu können. Auf die Berufung ist daher schon aus diesem Grunde nicht einzutreten.

2. Die Kläger rekurrierten gegen das Urteil des Mietgerichtes nicht, und sie beantragten dem Obergericht, den Rekurs der Beklagten abzuweisen. Sie fanden sich also mit der Abweisung der Klage ab. Die rekurrierenden Beklagten beantragten dem Obergericht ebenfalls, die Klage abzuweisen. Gestritten wurde in zweiter Instanz nur um die Begründung: Die Kläger wollten die Klage wegen Ungültigkeit der Kündigung abgewiesen wissen, die Beklagten dagegen mangels eines Grundes zur nochmaligen Erstreckung des Mietverhältnisses.
Das Interesse der Parteien an der einen oder anderen Begründung fällt bei der Bestimmung des Streitwertes ausser Betracht. Dieser richtet sich gemäss Art. 46 OG nur nach den Rechtsbegehren, die bei der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren. Unter den Rechtsbegehren sind die Anträge zu verstehen, die Gegenstand des Urteilsspruches sein sollen und, wenn gutgeheissen, an dessen Rechtskraft teilnehmen würden. Die Begründung gehört auch dann nicht dazu, wenn die Parteien der Meinung sind, sie sei auch im Urteilsspruch anzugeben. Denn blosse Entscheidungsgründe werden, selbst wenn sie im Urteilsspruch erwähnt sind, nicht rechtskräftig (BGE 102 II 288, BGE 99 II 174 mit weiteren Hinweisen). Wäre die Auffassung der Kläger, die Kündigung sei nichtig, vom Obergericht geteilt worden, so wäre sie daher nur Entscheidungsgrund geworden. Das Obergericht sagt das, indem es in Anwendung kantonalen Gerichtsverfassungsrechtes (§ 18 GVG) für das Bundesgericht verbindlich ausführt, die Frage nach der Gültigkeit der Kündigung dürfe vom Mietgericht bekanntlich nur vorfrageweise geprüft werden, die ordentlichen Gerichte wären im Prozesse über die Ausweisung der Mieter
BGE 103 II 155 S. 159
bzw. die Gültigkeit der Kündigung an die Auffassung des Mietgerichtes nicht gebunden und die Kläger hätten verzichtet, diese Frage zum Gegenstand des mietgerichtlichen Prozesses zu machen. Da die Parteien vor dem Obergericht übereinstimmend die Abweisung der Klage beantragten und nur um die Begründung stritten, fehlt somit ein Streitinteresse. Der Streitwert im Sinne des Art. 46 OG ist null und die Berufung daher auch aus diesem Grunde nicht zulässig.
Es ändert nichts, dass das Obergericht zur Vermeidung eines Revisionsverfahrens und subsidiär auch wegen Gültigkeit der Kündigung das Urteil des Mietgerichtes aufgehoben und die Sache zum Entscheid der Frage, ob das Mietverhältnis zu erstrecken sei, an die erste Instanz zurückgewiesen hat, so dass das Verfahren hierüber weiter geht. Der Streitwert bestimmt sich nicht nach dem Inhalt des angefochtenen Urteils, sondern nach den Rechtsbegehren, die vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren. Dass das Obergericht über diese Rechtsbegehren hinausgegangen ist, vermag die Sache nicht berufungsfähig zu machen.

3. Indem die Kläger mit der Berufung beantragen, die Klage wegen Nichtigkeit der Kündigung abzuweisen, versuchen sie den Streit um blosse Motive der von beiden Parteien beantragten Abweisung vor dem Bundesgericht fortzusetzen. Hieran fehlt ihnen ein rechtlich geschütztes Interesse. Da das Mietgericht nach dem kantonalen Gerichtsverfassungsgesetz nicht zuständig ist, über die Frage der Gültigkeit der Kündigung ein der Rechtskraft fähiges Urteil zu fällen, und da die Kläger, wenn sie die Kündigung ursprünglich nicht geradezu selber als gültig betrachtet haben sollten, nach verbindlicher Feststellung des Obergerichts zumindest darauf verzichteten, sie zum Gegenstand des mietgerichtlichen Prozesses zu machen, könnte auch das Bundesgericht nicht mit Rechtskraftwirkung entscheiden, die Kündigung sei ungültig. Es könnte diese Frage nur allenfalls als Vorfrage beurteilen, und die ordentlichen kantonalen Gerichte wären in einem Prozess über die Ausweisung der Kläger an seinen Entscheid nicht gebunden. Das Interesse der Kläger, vom Bundesgericht eine Meinung zu vernehmen, die von den ordentlichen Gerichten vielleicht freiwillig übernommen würde, ist rechtlich nicht geschützt. Die Kläger sind durch den angefochtenen Entscheid nicht beschwert. Die Berufung ist deshalb auch aus
BGE 103 II 155 S. 160
diesem Grunde nicht zulässig (BGE 94 II 210 E. 3, BGE 91 II 62 E. 4). Dass die Kläger die Erwägungen des Urteils beanstanden, ändert nichts; blosse Erwägungen bedeuten keine Beschwer (BGE 86 II 383).

4. Sollte der Berufungsantrag den Sinn haben, das Bundesgericht habe über die Ungültigkeit der Kündigung ein der Rechtskraft fähiges Feststellungsurteil zu fällen, so wäre das ein Antrag, der im kantonalen Verfahren nicht gestellt wurde und daher dem Verbot neuer Begehren (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG) widerspräche. Es könnte darauf nicht eingetreten werden.

5. Da die Berufung nicht zulässig ist, braucht der Entscheid des kantonalen Kassationsgerichts über die Nichtigkeitsbeschwerde nicht abgewartet zu werden.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2 3 4 5

Referenzen

BGE: 102 II 288, 99 II 174, 94 II 210, 91 II 62 mehr...

Artikel: Art. 46 OG, Art. 50 OG, Art. 55 Abs. 1 lit. b, Art. 57 Abs. 1 OG, § 18 GVG