Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
Urteilskopf

89 I 1


1. Urteil vom 27. Februar 1963 i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Basel-Landschaft.

Regeste

Armenrecht. Art. 4 BV.
Wird ein Kind von seinem Vater auf Anfechtung der Ehelichkeit belangt und ist ihm daher zur Wahrung seiner Interessen im Prozess gemäss Art. 392 Ziff. 2 ZGB ein Beistand zu ernennen, so ist dieses Amt einer Person zu übertragen, die den Prozess selber führen kann. Nur wenn eine solche im Vormundschaftskreise nicht zu finden ist, hat das Kind Anspruch auf Beigabe eines Armenanwaltes.

Sachverhalt ab Seite 1

BGE 89 I 1 S. 1

A.- X. hat gegen seine Ehefrau und den von ihr am 19. März 1962 geborenen Knaben D. X., alle wohnhaft in Basel, beim Bezirksgericht Waldenburg (BL) als dem
BGE 89 I 1 S. 2
Gerichtsstand seiner Heimat Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes eingereicht. Zur Wahrung der Interessen des Kindes in diesem Prozess bestellte ihm die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt in Anwendung von Art. 392 Ziff. 2 ZGB einen Beistand in der Person des Amtsvormunds Y., welcher seinerseits den im Kanton Basel-Landschaft niedergelassenen Advokaten Z. mit der Prozessführung beauftragte. Dieser ersuchte das Bezirksgericht, ihn zum unentgeltlichen Rechtsbeistand des Kindes zu ernennen, wurde aber abgewiesen.
Eine Beschwerde hiegegen wies das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft mit Beschluss vom 18. Dezember 1962 ab.

B.- Gegen diesen Entscheid hat Advokat Z. namens des Kindes D. X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV erhoben mit dem Antrag, den Entscheid aufzuheben und dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Verbeiständung zu bewilligen. Er wirft dem Obergericht sowohl Verletzung des unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden bundesrechtlichen Armenrechtsanspruchs als auch willkürliche Anwendung des § 75 ZPO vor.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Staatsrechtliche Beschwerden wegen (gänzlicher oder teilweiser) Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege haben rein kassatorische Funktion (BGE 85 I 3 Erw. 1). Soweit der Beschwerdeführer das Bundesgericht nicht nur um Aufhebung des angefochtenen Entscheids, sondern auch noch um Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung ersucht, ist daher auf die Beschwerde nicht einzutreten.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat die mittellose Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess unmittelbar auf Grund von Art. 4 BV einen Anspruch darauf, dass ihr ein unentgeltlicher Rechtsbeistand (Armenanwalt) beigegeben werde, wenn sie eines
BGE 89 I 1 S. 3
solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Rechte bedarf (BGE 78 I 195Erw. 2 und dort angeführte frühere Urteile, BGE 85 I 3 Erw. 2). In ähnlicher Weise bestimmt § 75 der basellandschaftl. ZPO, dass die bedürftige Partei, deren Sache nicht zum vornherein als trölerisch erscheint (§ 71 Abs. 1 ZPO), Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand hat, soweit eine Vertretung zulässig und "angezeigt" erscheint. Die Anwendung des kantonalen Rechts kann das Bundesgericht nur auf Willkür hin nachprüfen. Dagegen überprüft es, soweit der bundesrechtliche Armenrechtsanspruch im Streite liegt, den angefochtenen Entscheid in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich frei (BGE 78 I 195Erw. 2).

3. Es ist nicht streitig, dass der Beschwerdeführer mittellos ist, dass die Prozessführung jedenfalls zur Zeit für ihn nicht aussichtslos ist und dass er seine Rechte im Prozess nicht selber wahren kann. Streitig ist einzig, ob das Obergericht annehmen durfte, er bedürfe deshalb keines Armenanwaltes, weil die Vormundschaftsbehörde ihm einen Beistand gemäss Art. 392 Ziff. 2 ZGB bestellt habe und dieser fähig sei, den Prozess für ihn zu führen. Inwieweit das Bundesgericht diese Frage frei oder nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür prüfen kann (vgl. inbezug auf die Frage der Bedürftigkeit:BGE 67 I 68), kann dahingestellt bleiben, da die Beschwerde, wie die nachfolgenden Erwägungen ergeben werden, auch bei freier Prüfung nicht gutgeheissen werden kann.

4. Da der Vater und gesetzliche Vertreter des unmündigen Beschwerdeführers in dem gegen diesen (und dessen Mutter) beim Bezirksgericht Waldenburg eingeleiteten Zivilprozess Interessen hat, die denen des Beschwerdeführers widersprechen, musste die Vormundschaftsbehörde seines Wohnsitzes Basel dem Beschwerdeführer nach Art. 392 Ziff. 2 ZGB für diesen Rechtsstreit einen Beistand bestellen. Angesichts dieser Beistandsbestellung hat das Obergericht das Bedürfnis des Beschwerdeführers nach
BGE 89 I 1 S. 4
einem Armenanwalt verneint in der Annahme, dass der eigens zur Prozessführung ernannte Beistand als zur Erfüllung dieser Aufgabe fähig betrachtet werden dürfe, zumal er Amtsvormund sei, in Ehelichkeitsprozessen "eine Art Offizialmaxime" herrsche und überdies § 97 Abs. 2 ZPO Vorschriften zum Schutze der rechtsunkundigen Partei aufstelle.
a) Die Führung eines Ehelichkeitsanfechtungsprozesses in dem hier angeordneten schriftlichen und grundsätzlich von der Eventualmaxime (§§ 102 und 120 ZPO) beherrschten Verfahren erfordert Rechtskenntnisse, über die in der Regel nur der Jurist verfügt. In einem solchen Prozess braucht die rechtsunkundige Person nur dann keinen Anwalt, wenn der Prozess keine besonderen Schwierigkeiten bietet und im Untersuchungsverfahren durchgeführt wird (BGE 78 I 5Erw. 3). Ob letzteres im Kanton Baselland zutrifft, erscheint nach den Ausführungen des Obergerichts als zweifelhaft. Nicht unbedenklich ist auch, dass das Obergericht trotz der Einwendung des Beistands, er sei rechtsunkundig und nicht in der Lage, Prozesse überhaupt und gar vor einem ausserkantonalen Gericht zu führen, ohne weiteres annimmt, er sei "mit der Materie weitgehend vertraut" und zur Prozessführung fähig. Ob diese Betrachtungsweise vor Art. 4 BV standhält, kann indessen dahingestellt bleiben, da die Beschwerde auch dann abzuweisen ist, wenn der zum Beistand des Beschwerdeführers ernannte Amtsvormund nicht fähig sein sollte, den Ehelichkeitsanfechtungsprozess selber zu führen.
b) Im Falle W. (Urteil des Bundesgerichts vom 14. November 1956, abgedruckt in BJM 1957 S. 126) hatte es das Obergericht abgelehnt, einen Anwalt, welcher Vormund der in Basel wohnhaften und entmündigten Partei war, dieser zum Armenanwalt zu bestellen. Eine hiegegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde, bei welcher es nicht mehr um den bundesrechtlichen Armenrechtsanspruch, sondern nur noch um die Anwendung von § 75
BGE 89 I 1 S. 5
ZPO
ging, wies das Bundesgericht ab, da jedenfalls ohne Willkür angenommen werden könne, dass eine Partei, deren gesetzlicher Vertreter (Vater des Kindes, Vormund des Mündels usw.) oder deren Beistand rechtskundig ist, keinen Anspruch auf einen Armenanwalt habe (Erw. 4). Hieraus lässt sich indes für den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres durch Umkehrschluss ableiten, dass dem Beschwerdeführer dann, wenn der gegen ihn eingeleitete Prozess von seinem Beistand nicht richtig geführt werden kann, ein Armenanwalt beigegeben werden muss.
Nach dem gemäss Art. 397 Abs. 1 ZGB auch auf die Beistandschaft anwendbaren Art. 379 ZGB ist als Beistand eine Person zu ernennen, die zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgabe geeignet ist. Der bei einer Interessenkollision gemäss Art. 392 Ziff. 2 ZGB zu bestellende Beistand hat den gesetzlichen Vertreter in der betreffenden Angelegenheit zu ersetzen (EGGER N. 25 zu Art. 392 ZGB). Im Falle eines Rechtsstreites eines Vaters mit seinem Kinde besteht daher die Aufgabe des Beistandes ausschliesslich in der Vertretung des Kindes in diesem Prozesse. Erschöpft sich aber die Tätigkeit des Beistandes in der Prozessführung (was für das Amt des Vormundes wie auch für die Aufgabe des dem ausserehelichen Kind nach Art. 311 ZGB zu ernennenden Beistands in der Regel nicht zutrifft), so versteht es sich von selbst, dass die Vormundschaftsbehörde als Beistand eine Person zu ernennen hat, die den Prozess selber führen kann, sofern eine solche im Vormundschaftskreis zu finden ist. Sie darf nicht einen zur Prozessführung zum vornherein unfähigen Beistand ernennen und es dem Gericht überlassen, zur gehörigen Wahrung der Interessen des Verbeiständeten im Prozess diesem einen Armenanwalt zu bestellen (abweichend ein Entscheid des Regierungsrats des Kantons Bern in MBVR 1939 S. 15). Das würde darauf hinauslaufen, eine nach Art. 392 Ziff. 2 ZGB der Vormundschaftsbehörde obliegende Aufgabe und die damit verbundenen Kosten in unzulässiger Weise auf eine andere
BGE 89 I 1 S. 6
Behörde, hier auf ein ausserkantonales Gericht, abzuwälzen.
Wie in der Beschwerde zugegeben wird und sich aus dem Staatskalender Basel-Stadt 1962 ergibt, verfügt die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt über eine Reihe rechtskundiger Amtsvormünder und Beamter. Selbst wenn ihre Zahl, wie der Beschwerdeführer behauptet, aber nicht näher belegt, nicht ausreichen sollte, um sie alle Vaterschafts- und Ehelichkeitsanfechtungsprozesse führen zu lassen, durfte die Vormundschaftsbehörde deshalb nicht einfach auf einen rechtsunkundigen Beamten greifen. Vielmehr hätte sie eine andere, im Vormundschaftskreis wohnhafte und zur Führung des Ehelichkeitsprozesses vor Bezirksgericht Waldenburg fähige Person zum Beistand ernennen sollen. Dies wäre zweifelhaft ohne weiteres möglich gewesen, ist es doch notorisch, dass zahlreiche basel-städtische Anwälte regelmässig vor den Gerichten des Nachbarkantons Basel-Landschaft Prozess führen. Gewiss sind Fälle denkbar, wo sich im Vormundschaftskreis kein geeigneter Beistand finden lässt, so z.B. wenn der Prozess in einem weit abgelegenen Kanton zu führen ist, mit dessen Prozessrecht kein im Vormundschaftskreis wohnender Anwalt vertraut ist. So mag es sich im FalleBGE 78 I 1ff. verhalten haben, wo die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt in einem vor Bezirksgericht Unterrheintal (SG) hängigen Ehelichkeitsanfechtungsprozess unmittelbar einen im Gerichtsbezirk wohnhaften Anwalt zum Beistand des in Basel wohnenden Kindes ernannt hatte. Das Bundesgericht hat die von diesem gegen die Verweigerung des Armenrechts erhobene Beschwerde zwar abgewiesen, weil der Prozess im Untersuchungsverfahren geführt werde und einstweilen keine Schwierigkeiten biete; es hat jedoch beigefügt, dass dem Gesuch um Bestellung eines Armenanwaltes im Falle des Eintritts von Komplikationen entsprochen werden müsse (obwohl der Regierungsrat des Kantons St. Gallen der Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt das Recht abgesprochen hatte, durch
BGE 89 I 1 S. 7
die Wahl eines Anwalts zum Beistand den Kanton St. Gallen zu dessen Honorierung zu zwingen). Hier liegt indes, wie ausgeführt, kein Grund vor, der den Beizug eines ausserkantonalen Anwaltes rechtfertigen könnte. Sollte der zum Prozessbeistand bestellte Amtsvormund zur Prozessführung nicht fähig sein und seine ganze Tätigkeit sich daher auf die Beauftragung eines Anwaltes mit der Prozessführung beschränken müssen, so hätte die Vormundschaftsbehörde entweder den vom Amtsvormund beigezogenen Anwalt selber zu entschädigen oder aber eine andere, für ihre Aufgabe besser geeignete Person aus dem Vormundschaftskreis zum Beistand zu ernennen. Sie kann sich ihrer Pflicht, einen zur Prozessführung geeigneten Beistand zu bestellen, und den damit gegebenenfalls verbundenen Kosten nicht dadurch entziehen, dass sie diese mit dem Begehren um Bestellung eines Armenanwaltes auf das ausserkantonale Gericht abwälzt, weshalb die angefochtene Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung weder den bundesrechtlichen Armenrechtsanspruch noch § 75 Abs. 1 ZPO verletzt.
Die Frage, ob die Praxis des Obergerichts im Gegensatz zu derjenigen der Gerichte aller andern Kantone stehe, wie in der Beschwerde behauptet, jedoch (es wird nur ein einziges Beispiel genannt) nicht dargetan wird, ist unerheblich und kann daher offen bleiben. Auch wenn die Gerichte einiger oder aller andern Kantone weitherziger sein sollten, so ändert das nichts daran, dass jedenfalls im vorliegenden Falle die Nichtbewilligung eines Armenanwalts vor Art. 4 BV standhält und die Beschwerde sich als unbegründet erweist.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2 3 4

Referenzen

BGE: 85 I 3

Artikel: Art. 4 BV, Art. 392 Ziff. 2 ZGB, § 75 ZPO, § 71 Abs. 1 ZPO mehr...