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Urteilskopf

96 II 25


5. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. April 1970 i.S. Schwegler gegen Hirzel.

Regeste

Art. 24 Ziff. 4 OR.
Anfechtbarkeit einer Erklärung über die Verantwortung an einem Zusammenstoss wegen Grundlagenirrtums (Erw. 1 und 2).

Sachverhalt ab Seite 25

BGE 96 II 25 S. 25

A.- Am 2. Juni 1966 ungefähr um 12.30 Uhr ereignete sich an der Restelbergstrasse in Zürich zwischen den Personenwagen des Paul Schwegler und des Werner Hirzel eine Streifkollision, durch welche die beiden Fahrzeuge erheblich beschädigt wurden. Unmittelbar nach dem Zusammenstoss übergab Hirzel dem Schwegler folgende schriftliche Erklärung:
"Ich bestätige, dass ich für die Kollision mit dem Wagen ZH 20558 verantwortlich bin.
2/6/66 W. Hirzel"
Auf Grund dieser Erklärung sahen die Parteien zunächst vom Beizug der Polizei ab. Etwa eine Viertelstunde später ersuchte Hirzel (von anwesenden Personen darauf aufmerksam gemacht, dass Schwegler ihm den Vortritt hätte lassen müssen) aber doch um polizeiliche Tatbestandsaufnahme, die im Beisein beider Parteien durchgeführt wurde.
Das polizeiliche Ermittlungsverfahren wurde mit Bezug auf beide Parteien mangels rechtsgenügender Beweise eingestellt.
In der Folge verlangte Schwegler von Hirzel Ersatz des ihm durch den Unfall entstandenen Schadens in der Höhe von Fr. 14 279.95 nebst Zins. Hirzel focht die auf der Unfallstelle abgegebene Erklärung, auf Grund welcher ihn Schwegler belangte, wegen Grundlagenirrtums als unverbindlich an.
Das Bezirksgericht Zürich und auf Berufung des Klägers am 4. November 1969 das Obergericht des Kantons Zürich wiesen die Klage ab.

B.- Der Kläger beantragt mit der Berufung, die Klage gutzuheissen,
BGE 96 II 25 S. 26
eventuell die Sache zur Ergänzung der Akten und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.

Erwägungen

Das Bundesgericht hat in Erwägung gezogen:

1. Der Kläger wirft dem Obergericht Verletzung von Bundesrecht vor, weil es die nach seiner Auffassung prozessentscheidende Frage nach der Rechtsnatur der streitigen Erklärung nicht geprüft habe. Er ist der Ansicht, es liege ein Vergleich vor, in dem der Beklagte die Verantwortung für den Zusammenstoss übernehme und der Kläger auf die Herbeirufung der Polizei verzichte, eventuell sei die Erklärung ein abstraktes Schuldbekenntnis im Sinne des Art. 17 OR. In einem wie im anderen Falle könne sie nicht wegen Irrtums angefochten werden.
Wenn der Beklagte die Erklärung in einem wesentlichen Irrtum abgegeben hat, ist sie für ihn unverbindlich, gleichgültig ob sie ein Vergleich oder ein einseitiges Schuldbekenntnis ist (vgl. betreffend Anfechtung von Vergleichen BGE 82 II 375 Erw. 2, betreffend Anfechtung von Schuldbekenntnissen JÄGGI, Art. 965 OR N. 99-105 und 142-152; OSER/SCHÖNENBERGER, Art. 17 OR N. 13 und 14; BECKER, Art. 17 OR N. 3-8; VON BÜREN, OR S. 188,BGE 65 II 84,BGE 75 II 296Erw. 3 a). Es kommt auch nicht darauf an, ob sie abstrakter Natur ist, denn auch abstrakte Schuldbekenntnisse können angefochten werden, wenn der Erklärende den Verpflichtungsgrund und dessen Mangelhaftigkeit nachweist (BGE 75 II 296Erw. 3 a). Übrigens ist der Verpflichtungsgrund aus der Erklärung ersichtlich.

2. a) Die Vorinstanz ist der Auffassung, der Kläger habe in Verletzung von Art. 35 Abs. 2 SVG und Art. 9 Abs. 1 VRV den Zusammenstoss verschuldet. Sie ist auf Grund der vom Bezirksgericht geprüften Anhaltspunkte der Überzeugung, die im Polizeirapport festgestellte Kollisionsstelle sei die wahrscheinlichere als die in der privaten Tatbestandsaufnahme von Wm. Häfliger bezeichnete. Sie hat sich somit auf dem Wege der Beweiswürdigung darauf festgelegt, dass sich "die Kollision auf der Strassenseite des Beklagten ereignet haben muss" und dass der Kläger "daher offenbar zu weit links gefahren" ist. Der Kläger behauptet nicht, diese Feststellungen seien unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen oder beruhten offensichtlich auf Versehen (Art. 63
BGE 96 II 25 S. 27
Abs. 2 OG
). Auch führt er - entgegen der Vorschrift des Art. 55 Abs. 1 lit. c OG - nicht aus, dass und inwiefern die aus den tatsächlichen Feststellungen gezogenen rechtlichen Schlüsse der Vorinstanz Bundesrecht verletzen. Damit bleibt es dabei, dass der Kläger die Verantwortung am Zusammenstoss trägt.
b) Die Vorinstanz stellt fest, beide Parteien hätten irrtümlich angenommen, der Beklagte habe den Unfall verschuldet. Diese Feststellung betrifft tatsächliche Verhältnisse und ist für das Bundesgericht verbindlich (BGE 91 II 277 Erw. 1). Die gemeinsame Annahme der Parteien bildete die Voraussetzung dafür, dass der Kläger die streitige Erklärung verlangte und der Beklagte sie ausstellte. Die falsche Vorstellung des Beklagten über die Rechtslage betraf somit einen Sachverhalt, der nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr für beide Parteien die Grundlage der Erklärung des Beklagten bildete. Ein solcher Rechtsirrtum ist im Sinne von Art. 24 Ziff. 4 OR wesentlich (vgl. BGE 80 II 156 Erw. 1, BGE 91 II 278 Erw. 2, BGE 95 II 409 Erw. 1), gleichgültig, ob die Erklärung als Vergleich oder als einseitiges Schuldbekenntnis zu würdigen ist. Die Erklärung ist daher unverbindlich.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 4. November 1969 bestätigt.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2

Dispositiv

Referenzen

BGE: 82 II 375, 91 II 277, 80 II 156, 91 II 278 mehr...

Artikel: Art. 17 OR, Art. 24 Ziff. 4 OR, Art. 965 OR, Art. 35 Abs. 2 SVG mehr...

BGE 96 II 25 S. 27, Art. 55 Abs. 1 lit. c OG