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Urteilskopf

97 I 134


23. Auszug aus dem Urteil vom 18. März 1971 i.S. Gemeinde Malans gegen Kurth und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden.

Regeste

Gemeindeautonomie. Ermessen bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen.
Autonomie der bündnerischen Gemeinden auf dem Gebiete des öffentlichen Baurechts bei der Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Umfang des Ermessens der Gemeindebehörde bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen. Verletzung der Gemeindeautonomie durch das kantonale Verwaltungsgericht, das einer Ausnahmebewilligung beigefügte, die Grenzen des Ermessens nicht überschreitende Bedingungen aufhebt.

Sachverhalt ab Seite 134

BGE 97 I 134 S. 134

A.- Die Gemeinde Malans hat am 29. April 1964 eine neue Bauordnung (Bauo) erlassen, die vom Kleinen Rat des Kantons Graubünden am 23. November 1964 genehmigt worden ist. Nach Art. 9 wird das Gemeindegebiet in 7 verschiedene Zonen eingeteilt, innerhalb denen zwischen baureifem Gebiet (1. Etappe) und nicht baureifem Gebiet (2. Etappe) unterschieden wird. Art. 29 enthält Vorschriften über die Anwendung der für die einzelnen Zonen im "Zonenschema" festgesetzten Grenzabstände und bestimmt in Abs. 3, dass zwischen mehreren
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Bauten auf dem gleichen Grundstück die Summe der Grenzabstände als Gebäudeabstände eingehalten werden muss, ausgenommen bei Nebenbauten. Nach Art. 30 Abs. 1 ist gegenüber dem Strassengebiet ein Grenzabstand von mindestens 4,5 m einzuhalten. Nach Art. 33 Abs. 1 beträgt die maximale Gebäudelänge in den Zonen 3 bis 6 20 m, die maximale Gebäudebreite 12 m. Sodann bestimmt Art. 5:
"Der Gemeindevorstand kann nach Anhören der Baukommission Ausnahmen von den Vorschriften dieser Bauordnung bewilligen:
a) wenn ausserordentliche Verhältnisse vorliegen und die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften eine unverhältnismässige Härte bedeuten würde
b) für die Umgestaltung bestehender Gebäude, wenn dadurch Missstände behoben werden können
c) für rein landwirtschaftliche Bauten
d) für öffentliche Gebäude, ausgenommen Wohnbauten
e) für provisorische Bauten.
Ein Anspruch auf Gewährung von Ausnahmen besteht nicht. Diese sind nur zuzulassen, wenn die öffentlichen Interessen dadurch nicht verletzt werden. Die Bewilligung kann an Bedingungen geknüpft werden und insbesondere davon abhängig gemacht werden, dass sich der Grundeigentümer verpflichtet, auf Verlangen des Gemeindevorstandes unverzüglich den gesetzlichen Zustand herzustellen (Revers). Diese Verpflichtung ist im Grundbuch anzumerken."

B.- Hans-Ulrich Kurth ist Eigentümer eines 5780 m2 haltenden Grundstücks in Malans, das in der "Wohnzone mittlerer Ueberbauung" (2. Etappe) liegt, in welcher der Grenzabstand für die Vorderfassade 9 m und für die übrigen Fassaden 3 m beträgt und Häuser mit 3 Geschossen erstellt werden dürfen. Er betreibt dort eine Gemüsegärtnerei und hat seinerzeit an der Südgrenze des Grundstücks ein 35 m langes und 16 m breites Gewächshaus erstellt.
Mit "Baubescheid" vom 15. November 1969 erteilte ihm der Gemeindevorstand die Bewilligung, dieses Gewächshaus auf 56 m zu verlängern, wobei zur Begründung der Ausnahme von den nach Art. 33 Abs. 1 Bauo zulässigen Gebäudemassen auf Art. 5 lit. b Bauo verwiesen wurde.
Im Januar 1970 ersuchte Kurth um die Bewilligung, nördlich vom bestehenden Gewächshaus im Abstand von 2 m ein weiteres, 59,52 m langes und 14 m breites Gewächshaus zu erstellen, Mit "Baubescheid" vom 14./10. März 1970 erteilte
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ihm der Gemeindevorstand diese Bewilligung unter verschiedenen Bedingungen, darunter den zwei folgenden:
"5. Die Baubewilligung wird erteilt mit der Auflage, dass der Gesuchsteller darauf verzichtet, den bestehenden Gemüseblock gegen Osten entsprechend der ihm erteilten Baubewilligung zu verlängern.
6. Der projektierte Gemüseblock darf die Firsthöhe entsprechend der gegenwärtigen Profilierung ... nicht überschreiten. Gegenüber dem Privatweg der Eigentümer Donatsch, Jäger und Tinner ist ein Mindestabstand von 4.50 m einzuhalten. Art. 30 Abs. 1 Bauo."

C.- Gegen diesen Baubescheid reichte Kurth beim Bündner Verwaltungsgericht einen Rekurs ein. Er verlangte u.a. die Aufhebung der ihm in Ziff. 5 und 6 Satz 2 auferlegten Bedingungen und machte zur Begründung geltend, dass diese Bedingungen ungesetzlich seien.
Das Verwaltungsgericht nahm einen Augenschein vor und hiess den Rekurs am 23. Juni 1970 dahin gut, dass es die beiden erwähnten Bedingungen aufhob. Der Begründung dieses Entscheids ist zu entnehmen:
a) Obwohl nach Art. 5 Bauo kein Anspruch auf eine Ausnahmebewilligung bestehe, liege deren Erteilung nicht im freien Ermessen der Gemeinde; diese habe vielmehr nach pflichtgemässem Ermessen zu prüfen, ob im Einzelfall die Voraussetzungen einer Ausnahmebewilligung erfüllt seien. Auch die mit der Bewilligung verbundenen Bedingungen und Auflagen seien daher vorliegend nach Massgabe von Art. 5 Bauo zu beurteilen; insbesondere fielen die baupolizeilichen Vorschriften über Gebäudelänge und -abstände ausser Betracht, da gerade die Verletzung dieser Vorschriften die Erteilung einer Ausnahmebewilligung notwendig machten.
b) Die Gemeinde mache die Ausnahmebewilligung in erster Linie vom Verzicht auf die Ausführung des bereits bewilligten Erweiterungsbaues abhängig. Eine solche Bedingung sei im Rahmen einer Ausnahmebewilligung nicht von vorneherein ausgeschlossen, dürfe aber nicht willkürlich, sondern nur im öffentlichen Interesse auferlegt werden. Hier könnten für den Verzicht höchstens ästhetische Gründe angeführt werden, die jedoch einer näheren Prüfung nicht standhalten. Es mache keinen Unterschied, ob vor dem neuen, 60 m langen Gewächshaus ein solches von 60 oder 35 m Länge stehe. Auch sei es ein
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grosser Vorteil, dass die beiden Gewächshäuser unmittelbar aneinander gebaut werden. Durch die Länge des Glashauses werde das Dorfbild nicht verunstaltet; vielmehr fügten sich der Erweiterungs- und der Neubau gut in das Dorfbild ein und seien dem Ortscharakter besser angepasst, als es etwa dreistöckige Wohnblöcke wären. Der dem Rekurrenten zugemutete Verzicht sei daher, weil keinen öffentlichen Interessen entsprechend, willkürlich.
c) Wo Baulinien fehlen, sei nach Art. 30 Abs. 1 Bauo ein Grenzabstand von 4,5 m gegenüber dem Strassengebiet einzuhalten. "Strassengebiet" im Sinne dieser Vorschrift seien aber nur öffentliche Strassen. Die in Frage stehende Strasse bilde Bestandteil privater Grundstücke und werde ausschliesslich von deren Bewohnern benützt. Sie dürfte auch bei einem allfälligen Ausbau des öffentlichen Strassennetzes nicht in dieses einbezogen, sondern weiterhin wie bisher benützt werden. Auf einen solchen Verkehrsweg sei Art. 30 Abs. 1 Bauo nicht anwendbar, weshalb auch die dem Rekurrenten in Ziff. 6 Satz 2 der Baubewilligung auferlegte Bedingung willkürlich sei.

D.- Gegen diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts hat die Gemeinde Malans staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, ihn aufzuheben. Sie wirft dem Verwaltungsgericht Verletzung der Gemeindeautonomie vor und macht zur Begründung im wesentlichen geltend: Das streitige Baugesuch widerspreche mit einer Gebäudelänge von 60 m und einem Gebäudeabstand von 2 m eindeutig der Bauo, so dass es nur aufgrund einer Ausnahmebewilligung nach Art. 5 lit. a Bauo habe bewilligt werden können. Ob und unter welchen Bedingungen und Auflagen eine solche Ausnahmebewilligung zu erteilen sei, sei eine reine Ermessensfrage. Das Verwaltungsgericht habe daher den Entscheid der Gemeinde nicht frei, sondern nur auf Ermessensüberschreitung hin überprüfen dürfen. Seine Annahme, es liege eine Ermessensüberschreitung vor, sei offensichtlich unhaltbar und willkürlich. Gewächshäuser von der Art und Grösse des projektierten wirkten im Dorfbild von Malans als Fremdkörper; es entstünde ein einheitlicher Baublock von etwa 32 m Breite und 60 m Länge, der das Dorfbild empfindlich beeinträchtigen würde. Durch die Auflage, gegenüber dem Privatweg der Nachbarn einen Abstand von 4,5 m einzuhalten, werde die Länge des projektierten Gewächshauses von 60 auf 59 m reduziert. Diese Auflage stütze sich nicht
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auf Art. 30 Abs. 1 Bauo, sondern sei im Rahmen einer Ausnahmebewilligung von der gesetzlichen Ordnung erfolgt, wes.halb es belanglos sei, ob jene Vorschrift nur für öffentliche oder auch für private Strassen gelte; entscheidend sei einzig, ob sie sich mit vertretbaren Argumenten begründen lasse. Das treffe zu, da die heutige Privatstrasse wahrscheinlich später als Gemeindestrasse ausgebaut werde und weil sie schon heute für Lastwagentransporte der Gärtnerei Kurth diene. Unter diesen Umständen sei es nicht willkürlich, sondern richtig gewesen, lediglich eine Ueberschreitung der gesetzlichen Gebäudelänge von 39 statt 40 m zu gestatten.

E.- Das Verwaltungsgericht und der Beschwerdegegner Hans-Ulrich Kurth beantragen Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Das Verwaltungsgericht hat drei Bedingungen, unter denen der Gemeindevorstand Malans dem Beschwerdegegner den Bau eines (zweiten) Gewächshauses bewilligt hat, als unzulässig aufgehoben. Ob es damit dem Beschwerdegegner erlaubt hat, aufgrund der Baubewilligung vom 14./18. März 1970 unter Missachtung der aufgehobenen Bedingungen zu bauen, oder ob es lediglich den Gemeindevorstand verpflichtet hat, ihm eine neue Baubewilligung ohne jene drei Bedingungen zu erteilen, ist hier belanglos. Im einen wie im andern Falle trifft der angefochtene Entscheid die Gemeinde Malans in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt. Die Gemeinde ist daher grundsätzlich legitimiert, den Entscheid wegen Verletzung der Gemeindeautonomie anzufechten (BGE 96 I 372 E. 1 mit Hinweisen auf frühere Urteile).

2. Nach Art. 40 Abs. 2 der Bündner KV und nach dem kantonalen Bau- und Planungsgestetz vom 26. April 1964 fällt, wie das Bundesgericht in den letzten Jahren wiederholt festgestellt hat (BGE 91 I 42 E. 4, BGE 92 I 375 E. 2 b, BGE 94 I 64, BGE 95 I 37 E. 2, BGE 96 I 372 E. 2) und unbestritten ist, das öffentliche Baurecht im Kanton Graubünden grundsätzlich in den Autonomiebereich der Gemeinden. Die Bauo der Gemeinde Malans stellt demnach autonomes Gemeinderecht dar. Der Umfang der Autonomie in der Anwendung dieses von der Gemeinde gesetzten Rechtes richtet sich nach der Ausgestaltung der Gründe, aus denen die Verwaltungsverfügungen der zuständigen Gemeindeorgane bei kantonalen Behörden angefochten werden können (BGE 95 I 39).
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Während gegen Baubescheide der Gemeinden früher gemäss der Verordnung über das Verfahren in Verwaltungsstreitsachen vom 1. Dezember 1942 (VVV der Rekurs an den Kleinen und Grossen Rat zulässig war, unterliegen sie nun seit Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 9 April 1967 (VGG) dem Rekurs an das kantonale Verwaltungsgericht. Mit diesem Rekurs kann nach Art. 53 lit. a VGG "jede Rechtsverletzung einschliesslich Ueberschreitung oder Missbrauch des Ermessens" geltend gemacht werden. Daraus kann ohne Willkür geschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht die Anwendung des Gemeinderechts frei zu prüfen hat. Dagegen ist seine Kognition beschränkt bei der Prüfung der Frage, ob die zuständige Gemeindebehörde ihr Ermessen richtig betätigt habe; es kann nur bei Ermessensüberschreitung oder -missbrauch eingreifen (vgl. BGE 95 I 39). Eine weitere Beschränkung gilt für die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, bei welcher der Gemeindebehörde ein Beurteilungsspielraum offen steht (BGE 96 I 373 E. 4).

3. Das Grundstück des Beschwerdeführers liegt in der Zone 3 (Wohnzone mittlerer Ueberbauung). In dieser Zone beträgt nach Art. 33 Abs. 1 Bauo die maximale Gebäudelänge 20 m und die maximale Gebäudebreite 12 m; ferner muss nach Art. 29 Abs. 3 Bauo in Verbindung mit dem einen Anhang der Bauo bildenden "Zonenschema" zwischen mehreren Bauten auf dem gleichen Grundstück ein Gebäudeabstand von 9 + 3 = 12 m eingehalten werden. Dass diese das Eigentum beschränkenden Bestimmungen verfassungsmässig und insbesondere mit der Eigentumsgarantie vereinbar sind, ist weder vom Verwaltungsgericht noch vom Beschwerdegegner je bestritten worden. Ebenso ist unbestritten, dass diese Bestimmungen auch für Bauten wie die in Frage stehenden Gewächshäuser gelten. Das vom Beschwerdegegner geplante zweite Gewächshaus, das nach dem Baugesuch 59,52 m lang und 14 m breit wäre und gegenüber dem bestehenden Gewächshaus nur einen Abstand von 2 m einhielte, verletzt daher, wie am Schluss der Erw. 1 des angefochtenen Entscheids zutreffend festgehalten wird, die genannten Vorschriften der Bauo und kann infolgedessen nur aufgrund einer Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 5 Bauo erstellt werden.
Nach dieser Bestimmung "kann" der Gemeindevorstand unter gewissen, in Abs. 1 lit. a - e umschriebenen Voraussetzungen Ausnahmen von den Vorschriften der Bauo bewilligen,
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doch besteht, wie Abs. 2 ausdrücklich erklärt, kein Anspruch auf Gewährung von Ausnahmen. Das kann nichts anderes heissen, als dass dem Gemeindevorstand beim Entscheid über die Erteilung von Ausnahmebewilligungen ein gewisser Spielraum freien Ermessens eingeräumt ist. Die gegenteilige, dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegende Auffassung des Verwaltungsgerichts ist unzutreffend und mit dem klaren Wortlaut und Sinn von Art. 5 Bauo unvereinbar. Die Erteilung von Ausnahmebewilligungen bildet nach schweizerischer Rechtsauffassung eines der Hauptanwendungsgebiete des echten Ermessens der Verwaltungsbehörden (IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung 3. Aufl. Nr. 221 I S. 74 und XI, Nr. 222 III; GRISEL, Droit administratif suisse S. 170). Als Rechtsfrage gilt lediglich, ob besondere Verhältnisse vorliegen, welche die Erteilung einer Ausnahmebewilligung rechtfertigen, als Ermessensfrage dagegen, durch welche Abweichung von den Vorschriften und durch welche besonderen Anordnungen der Ausnahmesituation Rechnung zu tragen sei (IMBODEN a.a.O. Nr. 221 I c 1 und III, Nr. 222 III). Das hat das Verwaltungsgericht verkannt. Es geht davon aus, dass beim Vorliegen einer der in Art. 5 Abs. 1 lit. a - e Bauo umschriebenen Voraussetzungen die baupolizeilichen Vorschriften, von denen die Ausnahme bewilligt werde, "ausser Betracht" fallen, dass also das diese Vorschriften verletzende Bauprojekt im übrigen wie ein ihnen entsprechendes zu behandeln sei und dass daher die Ausnahmebewilligung aus ästhetischen Gründen oder wegen des Strassenabstandes nur verweigert werden dürfe, wenn das Bauprojekt das Dorfbild verunstalte (Art. 7 Abs. 1 Bauo) und die betreffende Abstandsvorschrift (Art. 30 Abs. 1 Bauo) anwendbar sei. Das trifft jedoch nicht zu. Vielmehr liegt es im Ermessen des Gemeindevorstands, zu bestimmen, eine wie grosse Ueberschreitung der Gebäudemasse und unter welchen Bedingungen und Auflagen er sie gestatten will. Das Verwaltungsgericht kann nur einschreiten, wenn er dieses Ermessen überschritten oder missbraucht hat. Ein Missbrauch des Ermessens liegt insbesondere vor, wenn sich die Behörde von unsachlichen, dem Zwecke der massgebenden Vorschriften fremden oder zuwiderlaufenden Erwägungen leiten lässt (vgl. BGE 84 I 15 E. 3, BGE 87 I 249, BGE 89 I 9 /10; IMBODEN a.a.O. Nr 221 X a).

4. Der Gemeindevorstand hat die am 14./18. März 1970 erteilte Baubewilligung für das zweite, nach dem Baugesuch
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59,52 m lange und 14 m breite Gewächshaus in Ziff. 5 des Baubescheids davon abhängig gemacht, dass der Beschwerdegegner auf die ihm am 15. November 1969 bewilligte Verlängerung des bestehenden Gewächshauses nach Osten verzichte. Das Verwaltungsgericht hob diese Auflage auf in der Annahme, es könne nicht gesagt werden, dass jene Erweiterung zusammen mit dem Neubau das Dorfbild verunstalte. Nach dem in Erw. 3 Gesagten darf das Verwaltungsgericht die Auflage indessen nicht schon dann aufheben, wenn sie nicht der Verhinderung einer eigentlichen Verunstaltung des Dorfbildes dient, sondern nur, wenn der Gemeindevorstand damit sein Ermessen missbraucht oder überschritten hat, d.h. wenn es an einem sachlichen Zusammenhang zwischen der Ausnahmebewilligung und der Auflage fehlt, der Gemeindevorstand sich bei deren Festsetzung von sachfremden Erwägungen leiten liess. Davon kann jedoch nicht die Rede sein. Das Baugrundstück liegt in einer Wohnzone, wo nur höchstens 20 m lange und 12 m breite Bauten erstellt werden dürfen und zwischen mehreren solchen Bauten auf dem gleichen Grundstück ein Abstand von 12 m einzuhalten ist. Wenn der Gemeindevorstand angesichts dieser Bestimmungen eine Baute von fast 60 m Länge in einem Abstand von nur 2 m von einer andern nur zulassen will, wenn diese andere, mit 35 m die zulässige Länge bereits überschreitende Baute nicht noch verlängert wird, so kann ihm nicht vorgeworfen worden, er habe sich von unsachlichen, dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden oder gar zuwiderlaufenden Erwägungen leiten lassen. Der Standpunkt des Gemeindevorstands, dass ein fast 60 m langes Gebäude unmittelbar hinter einem beträchtlich kürzeren das Dorfbild weniger beeinträchtige, als wenn es hinter ein fast ebenso langes zu stehen käme, erscheint keineswegs als abwegig, sondern lässt sich mit sachlichen Gründen vertreten. Es handelt sich dabei, wie die Beschwerde mit Recht geltend macht, um eine ästhetische Frage, über die man in guten Treuen verschiedener Meinung sein kann, die also ohne Missbrauch oder Ueberschreitung des Ermessens im einen oder andern Sinne beantwortet werden kann. Indem das Verwaltungsgericht den Standpunkt des Gemeindevorstands als unzulässig erklärte, hat es in das diesem zustehende Ermessen eingegriffen und damit die Autonomie der Gemeinde bei der Anwendung der Bauo verletzt.
BGE 97 I 134 S. 142

5. Der Gemeindevorstand hat mit Ziff. 6 seines Baubescheids weiter verlangt, dass der Beschwerdegegner gegenüber dem Privatweg dreier Nachbarn einen Mindestabstand von 4,5 m einhalte, was, wie nicht bestritten ist, eine Herabsetzung der geplanten Gebäudelänge um 1 m zur Folge hat. Das Verwaltungsgericht betrachtet diese Auflage oder Bedingung deshalb als unzulässig, weil Art. 30 Abs. 1 Bauo, der einen solchen Abstand gegenüber Strassengebiet vorsieht, bei einem Privatweg nicht anwendbar sei. Hierauf kommt es indessen nach dem in Erw. 3 Gesagten nicht an. Vielmehr fragt sich, ob der Gemeindevorstand das ihm bei der Bewilligung einer Ausnahme von Art. 33 Abs. 1 Bauo zustehende Ermessen missbraucht oder überschritten habe. Davon kann schon im Hinblick auf den geringfügigen Unterschied zwischen der geplanten und der bewilligten Gebäudelänge offensichtlich nicht die Rede sein. Ob bei einer zulässigen maximalen Gebäudelänge von 20 m als Ausnahme eine Ueberschreitung um 39,5 oder nur um 38,5 m zu gestatten sei, ist eine ausgesprochene Ermessensfrage, deren Entscheid der Kontrolle des Verwaltungsgerichts entzogen ist. Dazu kommt, dass der Gemeindevorstand gute Gründe hatte, vom Beschwerdegegner die Einhaltung dieses Abstands zu verlangen. Er weist daraufhin, dass der Weg schon heute, und zwar sogar von Lastwagen, befahren wird. und dass damit zu rechnen ist, die Gemeinde werde ihn einmal übernehmen und als Gemeindestrasse ausbauen. Der Beschwerdegegner hat das nicht bestritten. Dann war es aber ein Akt begründeter Vorsorge und lag im öffentlichen Interesse, dass die Gemeinde heute schon die Beobachtung des gegenüber Gemeindestrassen vorgeschriebenen Abstands verlangte (vgl. BGE 96 I 376).
6.-...

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 23. Juni 1970 aufgehoben, soweit es die dem Beschwerdegegner in Ziff. 5 und 6 der Baubewilligung vom 18. März 1970 auferlegten Bedingungen aufhebt.

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4 5

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