Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_260/2021  
 
 
Urteil vom 6. Dezember 2021  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Keel Baumann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Pfister, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 4. März 2021 (VBE.2020.441). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ war vom 3. Juni 2011 bis zur Löschung der Gesellschaft im Handelsregister am 24. August 2018 Präsident bzw. Mitglied des Verwaltungsrats der B.________ AG, welche seit 1. Juli 2011 der Ausgleichskasse des Kantons Aargau angeschlossen war. Am 10. August 2017 wurde über die B.________ AG der Konkurs eröffnet; am 27. September 2017 wurde das Verfahren mangels Aktiven eingestellt. Die Kasse erhielt einen Verlustschein über die ungedeckt gebliebene Forderung von Fr. 283'568.25. Mit Verfügung vom 4. Oktober 2019 verpflichtete sie A.________ zur Leistung von Schadenersatz für entgangene Beiträge in der Höhe von Fr. 272'079.45. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 30. Juli 2020 fest. 
 
B.  
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 4. März 2021 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ die Aufhebung des Urteils vom 4. März 2021 beantragen. Der Einspracheentscheid vom 30. Juli 2020 sei zufolge Nichtigkeit aufzuheben. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung mit Befragung der Zeugen C.________, D.________ und E.________ (alle von der Ausgleichskasse) und zur Ergänzung des Sachverhalts mit den folgenden Auflagen an das kantonale Gericht zurückzuweisen: Die Kasse sei anzuweisen, ihm sämtliche Akten inkl. Meta-Daten, insbesondere sämtliche Korrespondenz wie etwa E-Mails, Briefe, Fax etc. sowie sämtliche internen Notizen (etwa Telefon-Notizen, Gesprächsprotokolle) zwischen der Kasse und allen Mitarbeitenden der B.________ AG in Bezug auf Stundung, Abzahlung, Mahnung etc. der Beiträge seit 2012 offenzulegen; ebenso seien sämtliche Akten, insbesondere die Korrespondenz zwischen der Kasse und dem Konkursamt, interne Aktennotizen etc. betreffend die Eingabe der Konkursforderung der Kasse gegenüber der B.________ AG offenzulegen. Dabei habe die Offenlegung der Akten jeweils in rechtsgenüglicher Form zu geschehen. Bis zur vollständigen Edition gemäss vorstehendem Antrag sei das Beschwerdeverfahren zu sistieren und es sei ihm nach erfolgter Edition eine angemessene Frist zur Ergänzung der materiellen Stellungnahme im Rahmen des Beschwerdeverfahrens anzusetzen. Es seien unter seiner Mitwirkung die für den Entscheid erheblichen Tatsachen festzustellen und die in der Beschwerde beantragten Zeugen zur Befragung im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung vorzuladen (Ziffer 1). Weiter beantragt A.________ für den Fall, dass wider Erwarten keine Rückweisung an die Vorinstanz erfolgen sollte, das Urteil vom 4. März 2021 sei aufzuheben, der Sachverhalt durch die Beschwerdeinstanz zu ergänzen und es sei gemäss den bisherigen Begehren vor Vorinstanz dahingehend zu entscheiden, dass der Einspracheentscheid vom 30. Juli 2020 aufgehoben werde zufolge Ablaufs der zweijährigen Verjährungsfrist, eventualiter mangels Verschuldens; subeventualiter sei eine allfällige Haftung zufolge Mitverschuldens der Kasse auf den Betrag von Fr. 0.- zu reduzieren, weshalb der Einspracheentscheid entsprechend abzuändern sei (Ziffer 2). 
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
D.  
Am 26. Oktober 2021 forderte das Bundesgericht die Ausgleichskasse auf, die Postaufgabe der Verfügung vom 4. Oktober 2019 aktenmässig zu belegen. Die Kasse reagierte nicht darauf. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz auf Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 und Art. 97 Abs. 1 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie eine Pflicht des Beschwerdeführers zur Leistung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 272'079.45 (Verfügung vom 4. Oktober 2019, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 30. Juli 2020) bejahte.  
 
2.2. Im angefochtenen Urteil werden die Grundlagen der Arbeitgeberhaftung (Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 und Art. 51 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) und die dazu ergangene Rechtsprechung zutreffend dargelegt. Es betrifft dies insbesondere die Voraussetzungen der subsidiären Haftung der Organe eines Arbeitgebers (Schaden, Widerrechtlichkeit, Verschulden und adäquater Kausalzusammenhang zwischen vorwerfbarem Verhalten und eingetretenem Schaden). Richtig wiedergegeben wird auch die Verjährungsbestimmung des Art. 52 Abs. 3 Satz 1 AHVG in der hier anwendbaren, bis Ende 2019 gültig gewesenen Fassung, wonach der Schadenersatzanspruch zwei Jahre, nachdem die zuständige Ausgleichskasse vom Schaden Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Eintritt des Schadens verjährt (vgl. auch die auf 1. Januar 2020 in Kraft getretene Neuregelung). Darauf wird verwiesen.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz geltend. Er wirft ihr vor, dass sie den Einspracheentscheid vom 30. Juli 2020 nicht als nichtig qualifizierte, obwohl die Verwaltung die Pflicht zur Aktenführung krass verletzt bzw. ihm das Akteneinsichtsrecht verweigert habe. Weiter beanstandet er, dass die Vorinstanz keine öffentliche Verhandlung durchführte. 
 
3.1. Das kantonale Gericht gelangte zutreffend zum Ergebnis, dass keine schwere, nicht heilbare Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt, welche zur Aufhebung des Einspracheentscheides geführt hätte, und erst recht kein Nichtigkeitsgrund (vgl. auch Urteil 9C_333/2007 vom 24. Juli 2008 E. 2, in: SVR 2009 AHV Nr. 1 S. 1, zu den gravierenden Mängeln, die für eine Nichtigkeit erforderlich wären). Es ist ihm vollumfänglich beizupflichten, dass die von der Kasse vorgenommene, unübersichtliche Dossierführung das Akteneinsichtsrecht des Beschwerdeführers zwar erschwerte, aber nicht verunmöglichte. Sodann trifft es auch zu, dass die Kasse dem Beschwerdeführer interne Gesprächsprotokolle und dergleichen, die für die interne Meinungsbildung bestimmt sind und keinen Beweischarakter haben, nicht unterbreiten musste (BGE 129 V 472 E. 4.2.2; 125 II 473 E. 4a; 115 V 297 E. 2g/aa). Was weitere Akten des Konkursamtes anbelangt, wird in der Beschwerde nicht aufgezeigt, inwiefern diese verfahrensrelevant und damit vorzulegen gewesen wären. Entscheidend ist, dass der Beschwerdeführer Einsicht hatte in sämtliche beweiserheblichen Akten, d.h. in solche, die geeignet waren, Grundlage des späteren Entscheides zu bilden (BGE 132 II 485 E. 3; 129 V 472 E. 4.2.2), und damit in der Lage war, sich wirksam zur Sache zu äussern.  
 
3.2. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das kantonale Gericht keine öffentliche Verhandlung gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK anordnete. Eine solche setzt im Sozialversicherungsprozess einen - im erstinstanzlichen Verfahren zu stellenden - Parteiantrag voraus, aus dem klar und unmissverständlich hervorgehen muss, dass eine konventionskonforme Verhandlung mit Publikums- und Presseanwesenheit durchgeführt werden soll. Wird lediglich eine persönliche Anhörung oder Befragung, ein Parteiverhör, eine Zeugeneinvernahme oder die Durchführung eines Augenscheins verlangt, darf das Gericht daraus schliessen, dass es der antragstellenden Person um die Abnahme bestimmter Beweismittel und nicht um die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung geht (BGE 134 I 331 E. 2.3.2; 122 V 47 E. 3a; Urteil 9C_79/2020 vom 20. August 2020 E. 3.2.1). Den Eingaben des Beschwerdeführers war kein klarer und unmissverständlicher Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu entnehmen; vielmehr enthielten die Beschwerdeschrift und die Replik reine Beweisanträge, indem darin unter den Beweisofferten Parteibefragungen und Beweisaussagen aufgeführt wurden.  
 
4.  
Es stellt sich vorab die Frage, ob die Ausgleichskasse die Schadenersatzforderung rechtzeitig innert der Verjährungsfrist von zwei Jahren nach Kenntnis des Schadens (Art. 52 Abs. 3 Satz 1 AHVG in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2019 in Kraft gewesenen Fassung) geltend gemacht hat. 
 
4.1. Die Schadenskenntnis, welche die relative Zweijahresfrist auslöst, ist in der Regel von dem Zeitpunkt an gegeben, in welchem die Ausgleichskasse bei der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit erkennen muss, dass die tatsächlichen Gegebenheiten es nicht mehr erlauben, die Beiträge einzufordern, wohl aber eine Schadenersatzpflicht begründen können (BGE 134 V 353 E. 1.2; 131 V 425 E. 3.1; 128 V 15 E. 2a).  
 
4.1.1. Voraussetzung für die ausreichende Schadenskenntnis ist, dass die Ausgleichskasse alle tatsächlichen Umstände über die Existenz, die Beschaffenheit und die wesentlichen Merkmale des Schadens kennt bzw. kennen muss (Urteil 9C_166/2017 vom 8. August 2017 E. 4.2 [mit Hinweis auf BGE 116 V 72 E. 3b], in: SVR 2017 AHV Nr. 21 S. 71). In diesem Sinne zumutbare Kenntnis eines Teilschadens genügt (Urteil 9C_325/2010 vom 10. Dezember 2010 E. 2.1.1, in: SVR 2011 AHV Nr. 13 S. 42). Da die ausstehende Beitragsforderung Grundlage für die Höhe des Schadens bildet, kann die Schadenskenntnis erst angenommen werden, sobald die Ausgleichskasse in der Lage ist, die voraussichtliche Höhe des infolge der unbezahlt gebliebenen Beiträge zu erwartenden Verlusts abzuschätzen (Urteile 9C_166/2017 vom 8. August 2017 E. 4.2 mit Hinweisen, in: SVR 2017 AHV Nr. 21 S. 71; 9C_325/2010 vom 10. Dezember 2010 E. 2.1.1, in: SVR 2011 AHV Nr. 13 S. 42; Marco Reichmuth, Die Haftung des Arbeitgebers und seiner Organe nach Art. 52 AHVG, 2008, Rz. 818).  
 
4.1.2. Für die einzelnen Konstellationen, in denen der Ausgleichskasse ein Schaden entsteht, haben sich in der Praxis Regelzeitpunkte entwickelt, in welchen die Schadenskenntnis üblicherweise angenommen wird. Es sind dies namentlich die Zustellung des definitiven Pfändungsverlustscheins, die Auflage des Kollokationsplans sowie die Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven (Urteile 9C_166/2017 vom 8. August 2017 E. 4.2.1, in: SVR 2017 AHV Nr. 21 S. 71; 9C_599/2017 vom 26. Juni 2018 E. 4.5.2; BGE 126 V 443 E. 3; Reichmuth, a.a.O., Rz. 822).  
 
4.1.2.1. Die fristauslösende Schadenskenntnis kann ausnahmsweise schon vor dem jeweiligen Regelzeitpunkt gegeben sein. Rechtsprechungsgemäss wird diesbezüglich ein strenger Massstab angelegt und nicht nur eine Vermutung, sondern die gesicherte Kenntnis des entstandenen Schadens verlangt (Urteile 9C_166/2017 vom 8. August 2017 E. 4.2.1, in: SVR 2017 AHV Nr. 21 S. 71; 9C_599/2017 vom 26. Juni 2018 E. 4.5.2; BGE 118 V 193 E. 3b; 116 V 72 E. 3c; Reichmuth, a.a.O., Rz. 823 mit weiteren Hinweisen). Eine Vorverlegung auf die Zeit vor Auflegung des Kollokationsplanes rechtfertigt sich etwa, wenn eine Ausgleichskasse anlässlich der Gläubigerversammlung vernimmt, dass ihre Forderung auf jeden Fall ungedeckt bleiben wird (BGE 118 V 193 E. 3b).  
 
4.1.2.2. Unter besonderen Umständen ist ebenso möglich, dass die Ausgleichskasse erst nach dem Regelzeitpunkt Kenntnis vom Schaden erlangt. Dies ist beispielsweise zu bejahen, wenn der Kollokationsplan und das Inventar eine vollständige Deckung der Beitragsforderung erwarten lassen (ZAK 1992 S. 252 E. 5c; Urteile [des Eidg. Versicherungsgerichts] H 242/00 vom 10. August 2001 E. 3a; H 143/90 vom 14. November 1991 E. 4c) oder wenn die Aktiven bei der Auflage des Kollokationsplanes völlig unklar sind und auch die Konkursverwaltung keine Angaben über eine mögliche Dividende machen kann (BGE 118 V 193 E. 3b mit Hinweis auf ZAK 1992 S. 266 E. 5c). Auf eine spätere Schadenskenntnis wurde auch geschlossen, als es einer Ausgleichskasse vor der Publikation der Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven ausnahmsweise nicht möglich war, die geschuldeten Beiträge und den Schaden zu ermitteln (Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] H 224/98 vom 7. Januar 2000 E. 3c; zum Ganzen: REICHMUTH, a.a.O., Rz. 840).  
 
4.2. Das Konkursverfahren der B.________ AG wurde am 27. September 2017 mangels Aktiven eingestellt, wobei der entsprechende Beschluss am 4. Oktober 2017 im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) publiziert wurde. Als Regelzeitpunkt für die Kenntnis des Schadens gilt gemäss der in E. 4.1.2 dargelegten Rechtsprechung der 4. Oktober 2017.  
 
4.3. Die Vorinstanz erwog, die Ausgleichskasse habe am 4. Oktober 2017 (als Regelzeitpunkt) noch keine Kenntnis der bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens am 10. August 2017 geschuldeten Beiträge gehabt. Der Einladung des Konkursamtes vom 18. Oktober 2017, ihre Forderung einzugeben, sei sie erst am 8. Januar 2018 nachgekommen, nach Durchführung der Schlusskontrolle. Da die Kasse am 4. Oktober 2017 mithin noch nicht in der Lage gewesen sei, die Beitragsforderung zu beziffern, könne eine Schadenskenntnis erst nach diesem Zeitpunkt angenommen werden. Folglich erübrige sich eine Auseinandersetzung mit dem beschwerdeführerischen Vorbringen, wonach die Schadenersatzverfügung vom 4. Oktober 2019 der Post nicht rechtzeitig übergeben worden sei. Die zweijährige Verjährungsfrist sei auf jeden Fall gewahrt.  
 
4.4. Während die Vorinstanz mithin die Schadenskenntnis als Auslöser der relativen zweijährigen Verjährungsfrist erst nach dem Regelzeitpunkt für gegeben hält (E. 4.3), vertritt der Beschwerdeführer unter Berufung auf BGE 141 V 487 E. 3 den Standpunkt, der Fristenlauf beginne bereits mit der am 10. August 2017 erfolgten Konkurseröffnung, weil in diesem Zeitpunkt die Zahlungsunfähigkeit und damit die Uneinbringlichkeit der Forderung erwiesen gewesen sei. Er stützt seine Auffassung allerdings auf ein Urteil, welches sich nicht zur relativen, mit Kenntnis des Schadens beginnenden zweijährigen, sondern zur hier ohne weiteres gewahrten absoluten, mit Eintritt des Schadens beginnenden fünfjährigen Verjährungsfrist äussert. Im Übrigen wirft er der Vorinstanz zu Unrecht vor zu verkennen, dass die Schadenskenntnis auch vor dem Regelzeitpunkt liegen könne. Sie legte diese Möglichkeit in ihren Erwägungen ausdrücklich dar und erachtete eine entsprechende, nur mit Zurückhaltung anzunehmende (vgl. E. 4.1.2.1) Konstellation im vorliegenden Fall, wo die Ausgleichskasse bei Konkurseröffnung noch keine gesicherte Kenntnis hatte, zu Recht als nicht gegeben.  
 
4.5. Soweit die Vorinstanz indessen davon ausging, die Ausgleichskasse habe selbst am 4. Oktober 2017 als Regelzeitpunkt noch keine Kenntnis des Schadens gehabt, ist dies offensichtlich unrichtig. Ihre Feststellung steht im Widerspruch zum Einspracheentscheid vom 21. Juli 2020, in welchem die Kasse selber ausdrücklich anerkannte, dass sie bereits am 4. Oktober 2017 davon Kenntnis erlangt hatte. Der im angefochtenen Urteil für die gegenteilige Auffassung sinngemäss angeführten Begründung, wonach die Ausgleichskasse zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage gewesen sei, die Beitragsforderung zu beziffern, und erst die später durchgeführte Schlusskontrolle die Grundlage dafür geschaffen habe, kann nicht gefolgt werden: Sie lässt ausser Acht, dass die Ausgleichskasse sich aktiv um die Schadenskenntnis zu bemühen und nach der Konkurseröffnung umgehend eine Arbeitgeberkontrolle anzuordnen hat, um die Höhe der Beitragsforderung zu ermitteln (vgl. Art. 68 Abs. 2 AHVG sowie Art. 162 Abs. 1 AHVV; Rz. 6038 der Wegleitung über den Bezug der Beiträge in der AHV, IV und EO [WBB]; Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] H 211/04 vom 17. März 2005 E. 4.2.1 in fine und E. 4.2.2). Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb es der Beschwerdegegnerin nicht möglich gewesen sein sollte, die erforderliche Arbeitgeberkontrolle vorschriftsgemäss unmittelbar nach der Konkurseröffnung vorzunehmen und die geschuldeten Beiträge gestützt darauf zu beziffern. In diesem Sinne hätte die Kasse es jedenfalls ihrer eigenen Nachlässigkeit zuzuschreiben, wenn sie am 4. Oktober 2017 noch nicht in der Lage gewesen wäre, die Höhe der Beitragsforderung zu bestimmen (was sie selber allerdings ohnehin nicht geltend macht). Der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich denn auch wesentlich von den Verhältnissen, die dem Urteil (des Eidg. Versicherungsgerichts) H 224/98 vom 7. Januar 2000 (E. 3c) zugrunde lagen, indem es der Ausgleichskasse damals in den wenigen Wochen zwischen der Konkurseröffnung und der Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven aufgrund des unkooperativen Verhaltens des ehemaligen Geschäftsführers der konkursiten Firma (es wurden keine Lohndeklarationen eingereicht; Aufforderungen, die Lohnbezüge zu beziffern, blieben unbeantwortet etc.) nicht möglich war, die erforderlichen Unterlagen erhältlich zu machen, um die geschuldeten Beiträge und gestützt darauf den Schaden zu ermitteln.  
 
4.6. Erlangte die Beschwerdegegnerin am 4. Oktober 2017 Kenntnis des Schadens, wurde die relative zweijährige Verjährungsfrist an diesem Tag ausgelöst und fällt ihr Ende auf den 4. Oktober 2019. Damit ist die im angefochtenen Urteil offen gelassene Frage zu beantworten, ob die mit diesem Datum versehene Schadenersatzverfügung der Post (spätestens) an diesem Tag übergeben wurde.  
 
4.6.1. Die objektive Beweislast für die Tatsache und das Datum der Zustellung eines Verwaltungsaktes trägt nach der Rechtsprechung die Behörde, die daraus Rechte ableiten will. Die Verwaltung hat die Folgen der Beweislosigkeit in dem Sinne zu tragen, als im Falle, dass die rechtzeitige Postaufgabe der Verfügung bestritten wird und Zweifel diesbezüglich bestehen, auf die Darstellung des Empfängers abzustellen ist (BGE 136 V 295 E. 5.9; Urteil 9C_202/2014 vom 11. Juli 2014 E. 4.2; vgl. auch BGE 142 IV 125 E. 4.3).  
 
4.6.2. Die Verfügung vom 4. Oktober 2019 trägt zwar den Vermerk "Einschreiben", doch findet sich in den recht unübersichtlichen Akten (vgl. E. 3.1 hiervor) kein Beleg dafür, dass sie tatsächlich an diesem Tag versandt wurde. Wie bereits in seiner im kantonalen Verfahren eingereichten Replik bezweifelt der Beschwerdeführer auch vor Bundesgericht, dass die Postaufgabe am 4. Oktober 2019 erfolgte. Die Ausgleichskasse, welche sich sowohl im kantonalen als auch im letztinstanzlichen Prozess lediglich mit dem Antrag auf Beschwerdeabweisung vernehmen liess und auf eine materielle Stellungnahme verzichtete, äusserte sich dazu nicht. Selbst als sie vom Bundesgericht zu einer Stellungnahme aufgefordert wurde, reagierte sie nicht. Bei dieser Sachlage ist der Beweis, dass die Schadenersatzverfügung der Post am 4. Oktober 2019 übergeben wurde, nicht erbracht. Die Folgen dieser Beweislosigkeit hat gemäss den in E. 4.6.1 dargelegten Grundsätzen die Ausgleichskasse zu tragen.  
 
4.6.3. Ist nach dem Gesagten nicht erstellt, dass die Schadenersatzverfügung innerhalb der (relativen) zweijährigen Verjährungsfrist ab Kenntnis des Schadens, d.h. spätestens am 4. Oktober 2019, der Post übergeben wurde, hat die Ausgleichskasse ihre Forderung gegenüber dem Beschwerdeführer nicht rechtzeitig geltend gemacht.  
 
4.6.4. Das kantonale Urteil, welches die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Leistung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 272'079.45 gemäss Einspracheentscheid vom 30. Juli 2020 bestätigte, verletzt Bundesrecht. Dass die Ausgleichskasse ihre Schadenersatzforderung nicht innerhalb der zweijährigen Verjährungsfrist geltend gemacht hat, führt zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie des Einspracheentscheides.  
 
5.  
 
5.1. Die unterliegende Ausgleichskasse hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung in der Höhe des Normalansatzes von Fr. 2800.- zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).  
 
5.2. Entsprechend dem Prozessausgang ist die Sache zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 68 Abs. 5 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 4. März 2021 und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Aargau vom 30. Juli 2020 werden aufgehoben. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 8000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, F.________, G.________, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. Dezember 2021 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann