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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_596/2017  
 
 
Urteil vom 9. Mai 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterin Glanzmann, nebenamtlicher Bundesrichter Brunner. 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Ergänzungsleistungen, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
handelnd durch B.________, und diese vertreten durch Rechtsdienst Inclusion Handicap, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 6. Juli 2017 (200 16 1175 EL). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1988 geborene A.________ leidet seit Geburt an einer geistigen Behinderung. Die Invalidenversicherung richtet ihm insbesondere eine Entschädigung für leichte Hilflosigkeit aus. Der Versicherte lebt selbständig und bezieht dabei Leistungen der Pro Infirmis für "begleitetes Wohnen". Bis Ende Januar 2016 vergütete die Ausgleichskasse des Kantons Bern (nachfolgend: Ausgleichskasse) diese Leistungen im Rahmen der Ergänzungsleistungen als Krankheits- und Behinderungskosten. 
 
Am 29. September 2015 erteilte die IV-Stelle Bern A.________ Kostengutsprache für Beratung im Zusammenhang mit einem Assistenzbeitrag bis maximal Fr. 1'500.-. Mit Vorbescheid vom 30. September 2015 stellte sie ihm zudem einen Assistenzbeitrag ab Dezember 2014 in Aussicht. Gestützt darauf teilte die Ausgleichskasse dem Versicherten am 19. Oktober 2015 mit, die für das Wohnen benötigten Hilfeleistungen seien an eine Assistenzperson zu delegieren und neu über den Assistenzbeitrag der Invalidenversicherung abzurechnen; nach einer Übergangsfrist von drei Monaten - ab Februar 2016 - würden keine Leistungen der Pro Infirmis für betreutes Wohnen mehr vergütet. Mit Verfügung vom 10. November 2015 sprach die IV-Stelle A.________ einen Assistenzbeitrag an tatsächlich erbrachte Assistenzstunden von monatlich Fr. 186.00 (entsprechend 5.67 Stunden) ab 1. Dezember 2014 zu. Der Versicherte bezog die Leistungen weiterhin von der Pro Infirmis, weshalb sie nicht über den Assistenzbeitrag abgerechnet werden konnten. Wie in Aussicht gestellt, weigerte sich die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 22. Juli 2016, die ab Februar 2016 angefallenen Kosten für das begleitete Wohnen zu vergüten. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 1. November 2016 fest. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 6. Juli 2017 gut. Es hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und wies die Ausgleichskasse an, A.________ die Kosten der Wohnbegleitung durch die Pro Infirmis betreffend die Monate Februar bis April 2016 zu vergüten. 
 
C.   
Die Ausgleichskasse lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, der Entscheid vom 6. Juli 2017 sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 1. November 2016 sei zu bestätigen. 
 
A.________ lässt die Abweisung der Beschwerde beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliesst auf deren Gutheissung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Kantone vergüten den Bezügerinnen und Bezügern einer jährlichen Ergänzungsleistung ausgewiesene, im laufenden Jahr entstandene Kosten insbesondere für Hilfe, Pflege und Betreuung zu Hause sowie in Tagesstrukturen (Art. 14 Abs. 1 lit. b ELG [SR 831.30]). Die Kantone bezeichnen die Kosten, die nach Abs. 1 vergütet werden können. Sie können die Vergütung auf im Rahmen einer wirtschaftlichen und zweckmässigen Leistungserbringung erforderliche Ausgaben beschränken (Art. 14 Abs. 2 ELG).  
 
1.2. Anspruchsberechtigten Personen werden die in Art. 14 Abs. 1 ELG aufgeführten Kostenarten vergütet. Die Vergütung dieser Kosten beschränkt sich auf die im Rahmen einer wirtschaftlichen und zweckmässigen Leistungserbringung erforderlichen Ausgaben. Der Regierungsrat regelt die Einzelheiten der Anspruchsvoraussetzungen, den Umfang der Vergütungen und den Vollzug durch Verordnung (Art. 6 des kantonalen Einführungsgesetzes vom 27. November 2008 zum ELG [EG ELG; BSG 841.31]).  
 
Ein Anspruch auf die Vergütung der Kosten nach Artikel 6 EG ELG besteht nur, soweit nicht andere Versicherungen für die Kosten aufkommen (Art. 7 Abs. 1 der kantonalen Einführungsverordnung vom 16. September 2009 zum ELG [EV ELG; BSG 841.311]). Der Bezug einer Hilflosenentschädigung der AHV, der IV, der Unfall- oder der Militärversicherung gilt nicht als Kostenvergütung einer anderen Versicherung (Art. 7 Abs. 2 EV ELG). 
 
2.  
 
2.1. Es steht fest, dass die interessierenden Kosten von Art. 6 EG ELG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 lit. b ELG erfasst und deshalb - im Grundsatz - zu vergüten sind. Nicht von Belang ist daher, ob die entsprechenden Leistungen unter Art. 16 oder Art. 17 EV ELG zu subsumieren sind. Unbestritten ist weiter, dass die Kosten über den von der Invalidenversicherung zugesprochenen Assistenzbeitrag abgerechnet werden könnten, wenn die Leistungen nicht von der Pro Infirmis, sondern von einer vom Versicherten anzustellenden natürlichen Person erbracht würden (vgl. Art. 42quinquies IVG mit weiteren Voraussetzungen). Streitig und zu prüfen ist einzig, ob aufgrund dieses Umstandes die Kostenvergütung im Rahmen der Ergänzungsleistung entfällt.  
 
2.2. Die Vorinstanz ist zum Schluss gekommen, dass keine andere Versicherung für die interessierende Dienstleistung aufkommt resp. aufkommen müsste. Damit hat sie Art. 7 Abs. 1 EV ELG so ausgelegt, dass sich die umstrittene Kostenvergütungspflicht nach der konkreten Leistung richtet, und es entscheidend ist, ob dafür ein Assistenzbeitrag ausgerichtet wird oder verlangt werden könnte. Dass der Versicherte die von der Pro Infirmis erbrachte Hilfeleistung alternativ (hypothetisch) in "assistenzbeitragsfähiger" Form hätte beziehen können, hat sie für die Anrechnung nach Art. 7 Abs. 1 EV ELG für unerheblich gehalten.  
 
2.3. Das Bundesgericht überprüft die Auslegung und Anwendung kantonalen und kommunalen Rechts nur auf Willkür (Art. 9 BV) hin (SVR 2014 KV Nr. 4 S. 11, 9C_905/2013 E. 3.1.4 mit Hinweisen). Dass die vorinstanzliche Auslegung des kantonalen Rechts willkürlich sein soll, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht ansatzweise geltend gemacht (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
2.4. Weiter hat die Vorinstanz im Zusammenhang mit dem Umstand, dass der Versicherte die von ihm benötigte Hilfe nicht von einer von ihm selber angestellten Assistenzperson, sondern von einer Organisation bezog, eine Verletzung des (bundesrechtlichen) Rechtsgrundsatzes der Schadenminderungspflicht (vgl. BGE 141 V 642 E. 4.3.2 S. 648 mit Hinweisen) verneint. Von einer solchen geht auch die Ausgleichskasse explizit nicht aus, und das BSV setzt sich mit den entsprechenden Erwägungen des kantonalen Gerichts nicht auseinander, weshalb sich diesbezügliche Weiterungen erübrigen (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG).  
 
2.5. Von Bundesrechts wegen besteht somit keine Pflicht resp. Obliegenheit zum Bezug von "assistenzbeitragsfähigen" Leistungen zwecks Reduktion der Kostenvergütung im Rahmen der Ergänzungsleistungen. Eine solche ergibt sich denn auch nicht aus den von der Beschwerdeführerin angerufenen Bestimmungen von Art. 14 ELG, Art. 42quater ff. IVG und Art. 39j IVV. Was die Mitteilungen des BSV an die AHV-Ausgleichskassen und EL-Durchführungsstellen Nr. 323 vom 21. Dezember 2012 anbelangt, so wird in der darin enthaltenen Ziff. 1.2 u.a. festgehalten, dass Kosten, die nicht über den Assistenzbeitrag entschädigt werden können, weiterhin in vollem Ausmass über die Ergänzungsleistung zu vergüten sind. Wie die Mitteilungen Nr. 323 zu verstehen sind, kann offenbleiben: Auf dem Wege von Verwaltungsweisungen dürfen ohnehin keine über Gesetz und Verordnung hinausgehenden Einschränkungen eines materiellen Rechtsanspruchs eingeführt werden (BGE 142 V 442 E. 5.2 S. 445 f. mit Hinweisen). Nach dem Gesagten ist die Beschwerde unbegründet.  
 
3.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegner hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 9. Mai 2018 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann