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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_338/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 12. November 2015  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin, 
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiber Furrer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons Solothurn, 
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn 
vom 21. April 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1957 geborene A.________ bezog mit Wirkung ab 1. September 1994 eine ganze Invalidenrente (Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn [fortan: IV-Stelle] vom 24. Mai 1996; Invaliditätsgrad von 70 %). Der Anspruch auf eine ganze Rente wurde in der Folge mehrfach bestätigt, zuletzt mit Mitteilung vom 12. Oktober 2005 (Invaliditätsgrad von 100 % ). 
Aufgrund eines im Dezember 2008 eingeleiteten Revisionsverfahrens fü hrte die IV-Stelle mit A.________ am 30. April 2009 ein Revisionsgespräch und veranlasste eine polydisziplinäre Begutachtung durch die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) Institut B.________ (Expertise vom 16. Oktober 2009). Gestützt darauf stellte sie mit Vorbescheid vom 18. November 2009 die Rentenaufhebung in Aussicht, wogegen A.________ opponierte und ein Gutachten des Dr. med. C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 4. Februar 2010 beibrachte. Die IV-Stelle holte eine Stellungnahme des Instituts B.________ vom 10. Juni 2010 ein und erliess einen weiteren Vorbescheid, woraufhin A.________ wiederum medizinische Unterlagen einreichte, die dem Institut B.________ unterbreitet wurden (Ergänzung vom 14. November 2011). Nach einem Revisionsgespräch vom 7. Mai 2012 ordnete die IV-Stelle eine psychiatrische Begutachtung an, was A.________ beim kantonalen Versicherungsgericht anficht, und veranlasste eine Beweissicherung vor Ort mittels Observierung und Videoaufzeichnung an mehreren Tagen im Zeitraum von 31. Mai bis 9. Juli 2012 (Observationsbericht vom 3. August 2012). Mit Verfügung vom 26. März 2013 sistierte die IV-Stelle die Invalidenrente per sofort. 
Nachdem das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die Beschwerde gegen die Begutachtung abgewiesen hatte (Entscheid vom 14. März 2013), liess die IV-Stelle A.________ durch Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, psychiatrisch untersuchen (Expertise vom 24. September 2013). Mit Verfügung vom 21. Februar 2014 hob die IV-Stelle die Invalidenrente rückwirkend per 30. Juni 2012 auf. 
 
B.   
In teilweiser Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde änderte das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die angefochtene Verfügung insoweit ab, als es die Invalidenrente erst per 1. April 2014 aufhob. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. 
 
C.   
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der kantonale Entscheid in Bezug auf den Zeitpunkt der Rentenaufhebung aufzuheben. 
Während der Beschwerdegegner sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde schliesst, lässt sich das Bundesamt für Sozialversicherungen nicht vernehmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
Im Streit liegt einzig, ob die gestützt auf Art. 17 Abs. 1 ATSG aufgehobene Invalidenrente entsprechend der Verfügung vom 21. Februar 2014 rückwirkend per 30. Juni 2012 oder mit der Vorinstanz erst per 1. April 2014 aufzuheben ist. Dies entscheidet sich danach, ob die Voraussetzungen von Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV (i.V.m. Art. 85 Abs. 2 IVV) erfüllt sind. 
Nach Art. 88bis Abs. 2 IVV (in der seit 1. Januar 2012 geltenden Fassung) erfolgt die Herabsetzung oder Aufhebung der Renten, der Hilflosenentschädigungen und der Assistenzbeiträge frühestens vom ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats an (lit. a); rückwirkend vom Eintritt der für den Anspruch erheblichen Änderung, wenn die unrichtige Ausrichtung einer Leistung darauf zurückzuführen ist, dass der Bezüger sie unrechtmässig erwirkt hat oder der ihm gemäss Artikel 77 zumutbaren Meldepflicht nicht nachgekommen ist (lit. b; in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2014 gültig gewesenen Fassung). Gemäss Art. 77 IVV haben der Berechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter sowie Behörden oder Dritte, denen die Leistung zukommt, jede für den Leistungsanspruch wesentliche Änderung, namentlich eine solche des Gesundheitszustandes, der Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit, des Zustands der Hilflosigkeit, des invaliditätsbedingten Betreuungsaufwandes oder Hilfebedarfs, des für den Ansatz der Hilflosenentschädigung und des Assistenzbeitrages massgebenden Aufenthaltsortes sowie der persönlichen und gegebenenfalls der wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten unverzüglich der IV-Stelle anzuzeigen (vgl. auch Art. 31 Abs. 1 ATSG). Für den Tatbestand der Meldepflichtverletzung ist ein schuldhaftes Fehlverhalten erforderlich, wobei nach ständiger Rechtsprechung bereits eine leichte Fahrlässigkeit genügt (BGE 118 V 214 E. 2a S. 218; Urteil 9C_226/2011 vom 15. Juli 2011 E. 4.2.1, nicht publ. in: BGE 137 V 369, aber in: SVR 2012 IV Nr. 12 S. 61). 
 
3.  
 
3.1. Nach den verbindlichen (E. 1 hievor) und unbestritten gebliebenen Feststellungen der Vorinstanz hat sich der Gesundheitszustand des Beschwerdegegners seit der Rentenzusprache vom 24. Mai 1996 wesentlich verbessert. Gestützt auf das Gutachten des Dr. med. D.________ vom 24. September 2013 hat das kantonale Gericht erkannt, seit August 2009 (Zeitpunkt der psychiatrischen Untersuchung im Rahmen der Begutachtung des Instituts B.________) habe wieder eine 80%ige Arbeitsfähigkeit bestanden. Weiter erwog die Vorinstanz, die Voraussetzungen für eine rückwirkende Rentenaufhebung gemäss Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV seien nicht erfüllt: Der Tatbestand des unrechtmässigen Erwirkens beziehe sich (allein) auf die (in casu rechtmässige) ursprüngliche Rentenzusprache im Jahr 1996. Träten danach wesentliche Änderungen des Gesundheitszustands ein, setze eine rückwirkende Rentenanpassung eine Verletzung der Meldepflicht voraus. Zwar habe sich der Beschwerdegegner beim Revisionsgespräch vom 7. Mai 2012 in einer schwer nachvollziehbaren, demonstrativen Weise präsentiert. Indes sei nicht erstellt, dass er hätte erkennen müssen, dass sich seine Arbeitsfähigkeit in rentenerheblichem Ausmasse erhöht hatte. Die Meldepflicht sei auch nicht ausgelöst worden durch die zwei Wochen dauernde Erwerbstätigkeit mit einer Wochenarbeitszeit von lediglich zehn Stunden. Weitere entlöhnte Tätigkeiten seien nicht erstellt, was auch für die beobachteten Gartenarbeiten gelte. Die Rente sei demzufolge erst per 1. April 2014 aufzuheben.  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin wendet ein, im Rahmen einer Revision gemäss Art. 17 ATSG werde der gesamte Rentenanspruch überprüft und entschieden, ob die Voraussetzungen für die Rentenzusprache noch erfüllt seien. Dabei habe die versicherte Person wahrheitsgetreue Angaben zu machen. Mithin könne die versicherte Person auch in Revisionsfällen Leistungen der IV unrechtmässig erwirken. Indem die Vorinstanz diese Tatbestandsvariante von vornherein ausgeschlossen habe, habe sie Bundesrecht verletzt. Das Verhalten des Beschwerdegegners - namentlich die gegenüber der IV und den Gutachtern gemachten Angaben sowie sein Verhalten beim Revisionsgespräch vom 7. Mai 2012 - gehe weit über eine Aggravation hinaus, womit Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV erfüllt sei. Des Weiteren liege auch eine Meldepflichtverletzung vor, habe der Beschwerdegegner u.a. nicht gemeldet, dass er wieder in der Lage sei, diverse Arbeiten durchzuführen, Kontakte zu pflegen und sich 7-8 Stunden ausserhalb seiner Wohnung aufzuhalten.  
 
4.  
 
4.1. Was die erste Tatbestandsvariante von Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV ("wenn der Bezüger die Leistung zu Unrecht erwirkt hat"; "s'il se l'est fait attribuer irrégulièrement"; "se il beneficiario ha ottenuto indebitamente la prestazione") betrifft, erscheint fraglich, ob die grammatikalische Auslegung des kantonalen Gerichts, nur bei der ursprünglichen Rentenzusprache könne die Leistung zu Unrecht erwirkt werden, nicht zu einschränkend ausgefallen ist. Die in ZAK 1977 S. 24 publizierten Hinweise zur Revision der IVV vom 29. November 1976 (AS 1976 265), mit welcher diese Tatbestandsvariante eingefügt wurde, sprechen weder für noch gegen diese Auslegung. Das Bundesgericht hat diese Frage bislang nicht entschieden und kann sie auch hier offen lassen. Denn so oder anders ist davon auszugehen, dass durch das Verhalten der versicherten Person letztlich ein Entscheid erwirkt worden sein muss, auf dessen Grundlage die Leistung erbracht wird. Vorliegend wurde die letzte rentenbestätigende Mitteilung am 12. Oktober 2005 erlassen, nota bene lange bevor die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit (August 2009) erstellt ist. Damit aber kann der Beschwerdegegner die Leistung nicht im Sinne von Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV zu Unrecht erwirkt haben, wie die Vorinstanz im Ergebnis zu Recht erkannt hat. Der blosse Versuch, die Weiterausrichtung der Leistung unrechtmässig zu erwirken, ist - entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin und anders als im Anwendungsbereich von Art. 7b Abs. 2 lit. c IVG (Botschaft vom 22. Juni 2005 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [5. IV-Revision], BBl 2005 4459 4560 zu Art. 7b) - vom Wortlaut von Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV nicht erfasst.  
 
4.2. Betreffend den Tatbestand der Meldepflichtverletzung ist der Vorinstanz insoweit beizupflichten, dass allein mit der zweiwöchigen, stundenweisen Tätigkeit bei der Herbstausstellung keine Erwerbstätigkeit gegeben ist, welche geeignet wäre, den Rentenanspruch zu beeinflussen. Soweit die Vorinstanz jedoch annimmt, dem Beschwerdegegner habe die rentenerhebliche Gesundheitsverbesserung nicht bewusst sein müssen, kann ihr nicht gefolgt werden: Wie bei der Observierung festgestellt werden konnte, war der Beschwerdegegner in der Lage, zahlreiche ausserhäusliche Aktivitäten (Autofahren, Gartenarbeiten verrichten [u.a. Unkraut jäten, Pflanzen besprühen, Grüngut entsorgen], an Autos herumhantieren, Einkaufen, in der Innenstadt flanieren, Kontakte pflegen) selbstständig, über eine längere Zeitdauer und ohne sichtbare Einschränkungen zu bewältigen. Gegenüber den Gutachtern gab er hingegen an, "ausser TV schauen und kleineren Spaziergängen machte er praktisch nichts" (Gutachten des Instituts B.________ vom 16. Oktober 2009 S. 9), "er mache nichts ausser Medikamente nehmen und schlafen" oder "er könne nicht alleine aus dem Haus, weil er wegen des Schwindels umfallen könnte" (Gutachten des Dr. med. C.________ vom 4. Februar 2010 S. 11 und 15). Beim zweiten Revisionsgespräch vom 7. Mai 2012 präsentierte sich der Beschwerdegegner gar völlig teilnahmslos, unfähig zum Kontakt, mit offenem Mund und zusammengesackt auf seinem Stuhl. Obschon der Beschwerdegegner gestützt auf Art. 28 und 43 ATSG zu wahrheitsgetreuen Angaben gegenüber dem Sozialversicherer verpflichtet war (Urteil 9C_258/2014 vom 3. September 2014 E. 4.4), hat er wiederholt unwahre Angaben zu seinem Gesundheitszustand, zu seinem Tagesablauf und seinen Alltagsaktivitäten gemacht und sich als physisch und psychisch schwer eingeschränkt präsentiert. Dieses Vortäuschen von nicht bestehenden Einschränkungen bzw. das Verheimlichen seiner effektiven funktionellen Möglichkeiten, welches Verhalten weit über eine blosse Aggravation hinausgeht, lässt einzig den Schluss zu, dass der Beschwerdegegner sehr wohl um die Erheblichkeit der eingetretenen Gesundheitsverbesserung bzw. um die erwerbliche Verwertbarkeit seiner Fähigkeiten wusste (vgl. auch Urteil 8C_349/2015 vom 2. November 2015 E. 5). Mithin ist eine schuldhafte (E. 2 hievor) Meldepflichtverletzung zu bejahen, womit die Beschwerdeführerin die Rente zu Recht rückwirkend per 30. Juni 2012 aufgehoben hat.  
 
5.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 21. April 2015 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 21. Februar 2014 bestätigt. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn zurückgewiesen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 12. November 2015 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Glanzmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Furrer