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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
4A_264/2019  
 
 
Urteil vom 16. Oktober 2019  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Klett, Hohl, 
Gerichtsschreiber Curchod. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ Corp., 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Bloch, Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________ Ltd., 
vertreten durch Lawyer Fuad Sabir Karimov, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 
 
Beschwerde gegen den Schiedsspruch des Schiedsgerichts mit Sitz in Genf vom 17. Oktober 2018 (ICC No. 21974/MHM). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ Corp. (Beklagte, Beschwerdeführerin) ist eine unter dem Recht von Aserbaidschan inkorporierte Gesellschaft mit Sitz in U.________.  
B.________ Ltd. (Klägerin, Beschwerdegegnerin) ist eine unter dem Recht der Volksrepublik China inkorporierte Gesellschaft und hat ihren Sitz in V.________. 
Mit Vertrag vom 29. Mai 2012 verpflichtete sich die B.________ Ltd. gegenüber der A.________ Corp., eine Klinker-Produktions-Anlage mit einer Produktionskapazität von 2,500 Klinker pro Tag zu erstellen. Als Gesamtpreis wurden 33 Mio. USD vereinbart. Davon wurden 90 % bezahlt. 
 
B.  
 
B.a. Am 10. Mai 2016 machte die B.________ Ltd. gestützt auf die vertragliche Schiedsklausel bei der International Chamber of Commerce (ICC) ein Schiedsverfahren hängig. Am 12. Oktober 2016 bestätigte der Generalsekretär des ICC auf gemeinsames Begehren der Parteien Rechtsanwalt Thomas Barth als Einzelrichter. Die Klägerin (deren Rechtsbegehren sich wörtlich im Award nicht finden) verlangte die Verpflichtung der Beklagten zur Bezahlung von insgesamt USD 4'047'985, d.h. die ausstehenden 3,3 Mio. USD neben Zins seit 14. November 2014 und Kosten.  
Mit Schiedsentscheid vom 17. Oktober 2018 verpflichtete der Einzelschiedsrichter die Beklagte, der Klägerin USD 1'650'000.-- nebst 5 % Zins seit 15. November 2014 zu bezahlen und wies alle anderen Ansprüche aus dem Vertrag vom 29. Mai 2012 ab. Die Kosten auferlegte er den Parteien je zur Hälfte und verpflichtete jede der Parteien, die Hälfte der Anwaltskosten der Gegenpartei zu übernehmen. 
 
B.b. Das Schiedsurteil vom 17. Oktober 2018 wurde dem Anwalt der Beklagten am 23. Oktober 2018 per Kurier zugestellt, nachdem er eine Kopie des Entscheids im PDF-Format per E-Mail am 22. Oktober 2018 zugestellt erhalten hatte.  
Aufgrund der E-Mail-Kopie des Entscheides stellte die Beklagte gestützt auf Art. 35 des CCI-Reglements ein Gesuch um Auslegung des Schiedsspruchs, das der Einzelschiedsrichter am 21. März 2019 abwies. 
Nach Darstellung der Beschwerdeführerin entdeckte sie selbst zu einem nicht genannten Zeitpunkt, dass im Originalentscheid, der am 23. Oktober 2018 per Kurier zugestellt worden war, die Seiten 125, 126, 129, 130, 133 und 134 fehlten. Ihr Anwalt meldete dies am 8. April 2019 per E-Mail dem ICC-Sekretariat und ersuchte um Zustellung eines vollständigen Originals des Final Award vom 18. Oktober 2018. Das ICC-Sekretariat sandte ihm schliesslich am 26. April 2019 ein beglaubigtes Exemplar des Schiedsurteils, das ihm am 29. April 2019 zuging. 
 
C.  
Mit Beschwerde vom 29. Mai 2019 beantragt die Beklagte, es sei die Nichtigkeit des ihr mit Schreiben des ICC-Sekretariats vom 23. Oktober 2018 zugestellten Final Award des Einzelschiedsrichters vom 17. Oktober 2018 festzustellen und es sei die Sache zur Verbesserung des Final Award im Sinne der Ausfertigung und Zustellung einer vollständigen Ausfertigung des Originals des Final Award an die ICC und den in der Sache zuständigen Einzelrichter zurückzuweisen, eventualiter sei der Final Award vom 17. Oktober 2018 aufzuheben und es sei festzustellen, dass der Einzelrichter mangels durchgeführtem vorprozessualem Streitbeilegungsverfahren nicht zuständig war, (sub-) eventualiter sei der angefochtene Entscheid aufzuheben. 
Der Klägerin wurde mit Verfügung vom 4. Juni 2019, die sie am 18. Juni 2019 entgegen nahm, Frist angesetzt für eine allfällige Vernehmlassung bis 1. Juli 2019. Ihre Eingabe wurde am 30. Juli 2019 aufgegeben und ging beim Bundesgericht am 5. August 2019 ein. 
Der Einzelschiedsrichter beantragt in seiner Vernehmlassung innert erstreckter Frist, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. 
Die Beschwerdeführerin hat repliziert und der Einzelschiedsrichter hat eine Duplik eingereicht. 
Mit Verfügung vom 22. August 2019 wurde das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Nach Art. 100 Abs. 1 BGG - der auch für Beschwerden gegen Entscheide von Schiedsgerichten gilt (vgl. Art. 77 Abs. 2 BGG) - ist die Beschwerde innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen. 
 
1.1. Als Eröffnung gilt nach der Spezialbestimmung von Art. 34 Abs. 1 des CCI-Reglements (in der hier massgebenden Fassung von 2012) der vom Schiedsgericht unterzeichnete Text, der den Parteien vom ICC-Sekretariat zugestellt wird. Dass aus Höflichkeit den Parteien zu einem anderen Zeitpunkt eine PDF-Kopie des Entscheides übermittelt wird, ist für die im Sinne von Art. 100 Abs. 1 BGG massgebende Eröffnung unbeachtlich (Urteil 4A_40/2018 vom 26. September 2018 E. 2.2). Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 23. Oktober 2018 per Kurier ein Exemplar des Schiedsentscheids vom 18. Oktober 2018 zugestellt wurde. Die 30-tägige Beschwerdefrist seit Zustellung dieses Exemplars war am 29. Mai 2019 - als die Beschwerde der schweizerischen Post übergeben wurde - längst abgelaufen.  
 
1.2. Die Beschwerdeführerin behauptet, das ihr mit Kurier zugestellte Exemplar des Schiedsentscheids sei unvollständig gewesen, denn es hätten einige Seiten gefehlt, namentlich auch die Seiten mit Dispositiv und Unterschrift. Ihre fehlende Reaktion auf die behauptete Unvollständigkeit der Original-Ausfertigung erklärt sie damit, dass ihr Rechtsvertreter die aus Höflichkeit per E-Mail im PDF-Format zugestellte Fassung des Schiedsurteils studiert und ausschliesslich aufgrund dieser Fassung ein Erläuterungsbegehren im Sinne von Art. 35 des ICC-Reglements gestellt habe. Sie macht geltend, mangels Vollständigkeit der fristauslösenden Ausfertigung sei der angefochtene Entscheid nichtig mit der Folge, dass ihr eine vollständige, vom Schiedsrichter unterschriebene Ausfertigung zugestellt werden müsse und die Beschwerdefrist bis jetzt nicht zu laufen begonnen habe.  
 
1.3. Der Grundsatz von Treu und Glauben, der gemäss Art. 5 Abs. 3 der schweizerischen Bundesverfassung sowohl staatliche Organe wie Private bindet, gilt nach konstanter Praxis auch für Beteiligte internationaler Schiedsverfahren mit Sitz in der Schweiz. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben haben namentlich die Parteien nicht nur eines staatlichen, sondern auch eines Schiedsgerichtsverfahrens Verfahrensfehler sofort zu rügen und verwirken die Anfechtungsmöglichkeit, wenn sie der entscheidenden Instanz keine Gelegenheit geben, solche Fehler rechtzeitig zu beheben (BGE 130 III 66 E. 4.3 S. 75, 124 I 121 E. 2 S. 123, vgl. auch BGE 143 V 66 E. 4.3 S. 69, 135 III 334 E. 2.2 S. 336, 134 I 20 E. 4.3.1 S. 21 je mit Verweisen,). Gegenüber einem fehlerhaften Verhalten der Behörde, namentlich einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung, kann sich eine Privatperson nicht auf Vertrauensschutz berufen, wenn sie diesen Fehler bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen können (BGE 141 III 270 E. 3.3, 138 I 49 E. 8.3.2 S. 53 f.).  
 
1.4. Die Beschwerdeführerin behauptet, es hätten in dem ihr zugestellten Exemplar des Schiedsurteils mehrere Seiten gefehlt. Soweit sie daraus abzuleiten versucht, die Zustellung des Entscheids sei als nicht erfolgt bzw. nichtig zu erachten, kann ihr nicht gefolgt werden. Sie wusste, dass ein Schiedsurteil ergangen war und erkannte, dass ihr das Sekretariat des ICC dieses Schiedsurteil zustellen wollte (vgl. zur Identifizierung des Absenders BGE 142 IV 286 E. 1.6 S. 287 f.). Sie kannte nach eigener Darstellung aufgrund des ihr informell per E-Mail eröffneten Entscheids dessen Inhalt. Sie konnte aufgrund blosser Einsichtnahme in den formell korrekt zugestellten Entscheid erkennen, dass - wie sie behauptet - mindestens ein Teil des Dispositivs und die Unterschrift des Einzelschiedsrichters fehlten. Sie war bei der gebotenen Aufmerksamkeit daher nicht nur in der Lage, sondern nach Treu und Glauben auch verpflichtet, dem Sekretariat der ICC umgehend nach Erhalt der Sendung die Unvollständigkeit des Entscheids zu melden und dessen Zustellung in vollständiger Ausfertigung zu verlangen. Nachdem sie dies unterliess, verwirkte sie ihr Recht auf neuerliche, gehörige Zustellung in vollständiger Ausfertigung im Sinne von Art. 100 Abs. 1 BGG; denn die gesetzliche Beschwerdefrist von 30 Tagen gemäss Art. 100 BGG ist auch dann längst abgelaufen, wenn davon ausgegangen wird, dass die - nach Treu und Glauben gebotene - umgehend verlangte neuerliche Zustellung des vollständigen Entscheids diese Frist ausgelöst hätte.  
 
1.5. Die gesetzliche Beschwerdefrist von 30 Tagen gegen den Schiedsentscheid vom 18. Oktober 2018 ist mit der Eingabe vom 29. Mai 2019 offensichtlich nicht eingehalten. Unter diesen Umständen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.  
 
2.  
Die Beschwerde ist mangels Einhaltung der gesetzlichen Beschwerdefrist unzulässig. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten, die nach dem Streitwert zu bemessen sind, der Beschwerdeführerin zu auferlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da die Beschwerdegegnerin ihre Antwort verspätet eingereicht hat, steht ihr keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 17'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Schiedsgericht mit Sitz in Genf schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Oktober 2019 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Kiss 
 
Der Gerichtsschreiber: Curchod