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Urteilskopf

112 III 47


13. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 10. Juli 1986 i.S. L. (Rekurs)

Regeste

Arrestgrund gemäss Art. 271 SchKG; Arrestvollzug.
Der sogenannte Taschenarrest ist nur unter den Voraussetzungen von Ziff. 3 des Art. 271 Abs. 1 SchKG zulässig. Er kann nicht gestützt auf Ziff. 4 des Art. 271 Abs. 1 SchKG verlangt und vollzogen werden; denn Gegenstand dieses sogenannten Ausländerarrestes können nur Vermögenswerte sein, die dauernd oder jedenfalls für eine gewisse Dauer in der Schweiz gelegen sind oder in der Absicht, sie hier zu hinterlegen, hergebracht wurden.

Sachverhalt ab Seite 47

BGE 112 III 47 S. 47

A.- W. hat vor dem Bezirksgericht Zürich eine Forderung von Fr. 49'500.-- gegen den in den Vereinigten Staaten wohnenden L. eingeklagt.
Im Laufe dieses Verfahrens ersuchte L. das Bezirksgericht Zürich, ihn zur persönlichen Befragung vorzuladen; er befinde sich zwischen dem 11. und dem 15. März 1985 in Zürich. Das veranlasste das Bezirksgericht, L. auf Freitag, 15. März 1985, zur Gerichtsverhandlung vorzuladen.
Auf Verlangen von W. erliess der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Zürich am 12. März 1985 einen Arrestbefehl gegen L. für die genannte Forderungssumme. Der Arrestbefehl stützte sich auf Art. 271 Ziff. 4 SchKG und nannte als Arrestgegenstände:
"Sämtliche Vermögenswerte des Arrestschuldners, insbesondere
Bargeld, Wertsachen, Schmuck, Wertpapiere aller Art, welche der
Arrestschuldner auf sich oder mit sich führt anlässlich der auf Freitag,
BGE 112 III 47 S. 48
den 15. März 1985, 8.15 Uhr, festgesetzten Gerichtsverhandlung im Zimmer
241 des Bezirksgerichts Zürich, Badenerstrasse 90, Zürich 4, alles soweit
verarrestierbar bis zur Deckung der Arrestforderung nebst Kosten und
Zinsen."
Diesem Arrestbefehl Folge leistend, vollzog das Betreibungsamt am 15. März 1985, 8.15 Uhr den Arrest im Büro 241 des Bezirksgerichts Zürich. Es wurde die Barschaft von Fr. 2'190.--, die L. auf sich trug, zum Schätzungswert von Fr. 2'000.-- verarrestiert.

B.- L. beschwerte sich gegen diesen Arrestvollzug beim Bezirksgericht Zürich als unterer Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Er verlangte die Aufhebung des Arrestes, den er als rechtsmissbräuchlich bezeichnete. Die Beschwerde wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Zürich vom 20. November 1985 abgewiesen. Einen gegen diesen Beschluss gerichteten Rekurs wies das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs am 14. Mai 1986 ab.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts indessen, an welche L. in der Folge rekurrierte, hiess den Rekurs gut und ordnete die Aufhebung des am 15. März 1985 vollzogenen Arrestes an.

Erwägungen

Erwägungen:

1. Unter Vorbehalt der Bestreitung des Arrestgrundes, worüber der Prozess vor dem Richter im beschleunigten Verfahren geführt wird, ist gegen den Arrestbefehl weder Berufung noch Beschwerde gegeben (Art. 279 SchKG). Nichtsdestoweniger kann und soll das Betreibungsamt sich weigern, dem Arrestbefehl Folge zu leisten, wenn dieser an formellen Mängeln leidet, insbesondere nicht alle vom Gesetz geforderten Angaben enthält, oder sich auf offensichtlich nicht vorhandene oder ausserhalb des Amtsbereichs des Betreibungsamtes liegende Vermögensgegenstände erstreckt; ebenso kann das Betreibungsamt den Vollzug eines Arrestbefehls verweigern, der in Verletzung von Treu und Glauben erwirkt wurde (BGE 109 III 126, BGE 107 III 38 E. 4, BGE 105 III 141 E. 2b, mit Hinweisen). Gegen den Vollzug eines solcherart mangelhaften Arrestbefehls durch das Betreibungsamt sind Beschwerde und Rekurs an die Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen gemäss Art. 17 ff. SchKG zulässig
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(AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 3. Aufl. 1983, § 51 N. 62; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, S. 356, F).

2. Das Obergericht des Kantons Zürich hat das Vorbringen des Rekurrenten, der Arrest sei rechtsmissbräuchlich erwirkt worden, verworfen. Der Rekurrent sei aus eigenem Antrieb und eigenem Interesse nach Zürich gereist und nicht (wie in dem BGE 105 III 18 zugrunde liegenden Sachverhalt) durch den Prozessgegner zum Erscheinen vor Gericht veranlasst worden. Es seien weder Vergleichsgespräche noch geschäftliche Unterredungen zwischen den Parteien beabsichtigt gewesen; auch fehlten sonst Anhaltspunkte, wonach der Rekurrent in guten Treuen hätte davon ausgehen dürfen, dass während seines Aufenthaltes in Zürich keine betreibungsrechtlichen Schritte gegen ihn ergriffen würden.
Die Behauptung, der Arrest sei darauf gerichtet gewesen, den Rekurrenten im Hinblick auf die persönliche Befragung durch den Richter einzuschüchtern, hat die obere kantonale Aufsichtsbehörde als nicht stichhaltig und durch die Akten nicht belegt bezeichnet. Ebenso hat sie das Argument, im Vergleich zur behaupteten Arrestforderung von Fr. 49'500.-- sei die Beschlagnahme von Fr. 2'190.-- ein "Verhältnisblödsinn", als unbegründet erachtet. Schliesslich hat die Vorinstanz das Vorbringen des Rekurrenten, sein Anspruch auf freies Geleit sei verletzt worden, hauptsächlich mit der Erwägung zurückgewiesen, der Rekurrent sei durch den Arrestvollzug nicht in seiner persönlichen Freiheit, namentlich nicht in seinem Recht auf Ausreise, beschränkt worden.
Wenngleich diese Erwägungen des Obergerichts sachlich vertretbar erscheinen, führen die folgenden Überlegungen zur Gutheissung des Rekurses und zur Abänderung des angefochtenen Entscheides.

3. a) Gemäss Art. 271 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG können Vermögensstücke des Schuldners mit Arrest belegt werden, wenn dieser auf der Durchreise begriffen ist oder zu den Personen gehört, welche Messen und Märkte besuchen. Dieser Arrestgrund wird vom Gläubiger W. zu Recht nicht geltend gemacht, ist doch die weitere vom Gesetz verlangte Voraussetzung, nämlich dass eine ihrer Natur nach sofort zu erfüllende Forderung geschuldet ist, nicht erfüllt. Die Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen haben sich im übrigen über die Zulässigkeit eines Arrestgrundes nicht auszusprechen (oben E. 1).
b) Der Gläubiger W. hat sein Arrestbegehren auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG gestützt, der ihm das Recht gibt, Vermögensstücke
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des nicht in der Schweiz - im vorliegenden Fall in den Vereinigten Staaten - wohnenden Schuldners mit Arrest zu belegen.
Die ratio legis dieses Arrestgrundes liegt darin, dass die Durchsetzung von Forderungen gegenüber Schuldnern mit Wohnsitz im Ausland dem Gläubiger, der die Hilfe ausländischer Anwälte und Behörden in Anspruch nehmen muss, meist erhebliche Umtriebe und Kosten verursacht. Dazu kommt, dass in der Schweiz gelegene Vermögensgegenstände wegen des die Vollstreckung beherrschenden Territorialprinzips dem direkten Zugriff der ausländischen Behörden entzogen sind; sie könnten vom Gläubiger überhaupt nicht beschlagnahmt werden, wenn ihm nicht die schweizerischen Betreibungsbehörden Hilfe leisteten. Insoweit der im Ausland wohnende Schuldner Vermögen in der Schweiz besitzt, soll dem Gläubiger deshalb der Zugriff darauf ermöglicht werden (BGE 59 III 176; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs II, 2. Aufl. 1968, S. 205; PACHLATKO, Ausgewählte Fragen zum schweizerischen Arrestrecht, Basler Diss. 1979, S. 78; ROSSETTI, Das schweizerische Arrestrecht und seine Reformbedürftigkeit, Freiburger Diss. 1983, S. 29).
Arrestgegenstände des gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG verlangten Arrestes können nach dieser Absicht des Gesetzgebers indessen nur Vermögenswerte sein, die dauernd oder jedenfalls für eine gewisse Dauer in der Schweiz gelegen sind. Vermögenswerte anderseits, die nicht dauernd oder jedenfalls für eine gewisse Dauer in der Schweiz gelegen sind oder in der Absicht, sie hier zu hinterlegen, hergebracht wurden, können vom sogenannten Ausländerarrest nicht erfasst werden. Sie sind den im Ausland gelegenen Vermögensgegenständen des Schuldners zuzurechnen, auf welche die dortigen Behörden Zugriff haben. Die schweizerischen Vollzugsbehörden würden ihre Kompetenzen überschreiten und ihrerseits das Territorialprinzip verletzen, wenn sie solche nicht dauernd in der Schweiz gelegene Vermögenswerte zu verarrestieren suchten.
c) Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Rekurrent eine Barschaft von Fr. 2'190.-- auf sich trug, als er zu der auf den 15. März 1985, 8.15 Uhr im Bezirksgebäude Zürich angesetzten Gerichtsverhandlung erschien. Diesen Betrag hatte der Rekurrent nicht Vermögensbeständen entnommen, die er dauernd in der Schweiz hinterlegt hat, noch hat er das Geld hieher gebracht, um es in der Schweiz mindestens für eine gewisse Dauer zu hinterlegen. Vor allem aber lag dieser Vermögensbestand nicht dauernd an dem
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vom Gläubiger genannten Arrestort, nämlich im Büro 241 des Bezirksgebäudes Zürich.
Das gegenüber dem Schuldner L. eingeschlagene Vorgehen läuft auf einen sogenannten Taschenarrest hinaus, der zwar unter den Voraussetzungen von Ziff. 3 des Art. 271 Abs. 1 SchKG zulässig ist. Mit dem Arrestgrund von Ziff. 4 derselben Bestimmung jedoch lässt sich der Taschenarrest nicht rechtfertigen. Gerade der vorliegende Fall zeigt die Fragwürdigkeit des Taschenarrestes, war doch die ihm zugrunde liegende Forderung noch strittig; ihretwegen wurde der Prozess geführt, der den Schuldner zum Erscheinen vor dem Bezirksgericht Zürich veranlasst hat. Wenn der Gläubiger diese Gelegenheit benutzt hat, um die Vermögenswerte mit Arrest belegen zu lassen, welche der Schuldner auf sich trug, so hat er damit rechtsmissbräuchlich gehandelt.
Der vorliegende Tatbestand deckt sich zwar insofern nicht mit jenem von BGE 105 III 18, als dort der Schuldner zu Vergleichsverhandlungen in die Schweiz gelockt wurde, während hier der Schuldner aus eigenem Antrieb - um in der persönlichen Befragung die Streitsache aus seiner Sicht darstellen zu können - vor dem Bezirksgericht Zürich erschien. Doch hat das Bundesgericht schon im zitierten Entscheid ausgeführt, es sei gleichgültig, ob der Rekurrent aus eigenem Antrieb zu Vergleichsgesprächen kam oder auf Aufforderung durch seinen Geschäftspartner; so oder so widerspreche es jeglichem Vertrauen im Geschäftsverkehr, wenn bei Ankunft des Rekurrenten dessen ganzes Vermögen, das er mit sich führt, mit Arrest belegt wird. Diese Überlegung gilt uneingeschränkt auch für den hier zu entscheidenden Fall.
d) So gesehen, war schon der Arrestbefehl vom Gläubiger rechtsmissbräuchlich erwirkt worden und hätte deshalb vom Arrestrichter nicht ausgestellt werden dürfen.
Für die Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen stellt sich indessen lediglich die Frage, ob der Arrestbefehl offensichtlich so mangelhaft war, dass sich das Betreibungsamt hätte veranlasst sehen können, den Vollzug zu verweigern (oben E. 1). Die Frage liesse sich nur bejahen, wenn man vom Betreibungsbeamten nicht bloss erwartete, dass er eine klare Unterscheidung zwischen dem Arrestgrund der Ziff. 3 einerseits und jenem der Ziff. 4 anderseits von Art. 271 Abs. 1 SchKG zu treffen wusste, sondern auch davon ausginge, dass der Betreibungsbeamte erkennen konnte, dass es sich bei der vom Schuldner auf sich getragenen Barschaft nicht um einen im Amtsbereich des Betreibungsamtes
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gelegenen Vermögensgegenstand handelt. Damit mutet man dem Betreibungsbeamten besondere rechtliche Überlegungen zu, die im konkreten Fall zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen können.
Im vorliegenden Fall war jedoch offensichtlich, dass das vom Gläubiger gewählte Vorgehen dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprach. Dessen Verletzung verdient - wie das Bundesgericht in BGE 105 III 18 erkannt hat - keinen Rechtsschutz und hätte deshalb das Betreibungsamt dazu führen müssen, den Vollzug des Arrestbefehls zu verweigern.

4. Ist somit der Rekurs gutzuheissen, so bringt der Rekursgegner vergeblich vor, man könnte "den Taschenarrest in Gesetz und Praxis auch gleich abschaffen", wenn er im vorliegenden Fall nicht geschützt würde. Wie der zitierte BGE 105 III 18 zeigt, gibt es in der Tat Fälle, wo der Taschenarrest sich als unzulässig erweist; doch heisst das nicht, dass diese Möglichkeit der Zwangsvollstreckung schlechthin auszuschliessen wäre. Ebensowenig lässt sich argumentieren, der Rekurrent habe seinen Wohnsitz in die Vereinigten Staaten verlegt, um sich der Bezahlung seiner Schulden in der Schweiz zu entziehen; denn das riefe dem Arrestgrund von Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG, der nicht geltend gemacht worden ist. Nicht stichhaltig ist auch das Vorbringen des Arrestgläubigers, der Rekurrent hätte durch Leistung von Sicherheit den Arrest abwenden können. Der Rekursgegner tut nicht dar, inwiefern L. durch Vertrag oder Gesetz hiezu verpflichtet gewesen wäre; aufgrund von Art. 277 SchKG ist nur Sicherheit zu leisten, wenn der Arrest - was eben hier nicht zutrifft - rechtmässig erfolgte. Schliesslich interessieren die Umstände, unter denen der Rekurrent in die Schweiz reiste, nicht. Wäre es nämlich um Vermögenswerte des Schuldners gegangen, die dauernd oder jedenfalls für eine gewisse Dauer in der Schweiz gelegen sind, so hätten sie nach Massgabe von Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG mit Arrest belegt werden können, ohne dass sich der Schuldner in der Schweiz aufhielt.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4

Referenzen

BGE: 105 III 18, 109 III 126, 107 III 38, 105 III 141

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