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Urteilskopf

85 II 145


24. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Juni 1959 i.S. Weisshaupt gegen Hauser.

Regeste

Wiederherstellung (Art. 35 OG) gegen die Folgen der Versäumung der Berufungsfrist (Art. 54 OG) kann erteilt werden, selbst wenn der Prozess bereits durch Nichteintreten auf die Berufung erledigt worden ist.
Unrichtige Rechtsmittelbelehrung als Wiederherstellungsgrund.

Sachverhalt ab Seite 145

BGE 85 II 145 S. 145
Am 22. April 1959 ist das Bundesgericht auf die Berufung des Beklagten gegen ein Urteil des Obergerichtes des Kantons Schaffhausen wegen Verspätung nicht eingetreten, weil das angefochtene Urteil dem damaligen Vertreter des Beklagten am 25. März 1959 zugestellt, die Berufungsschrift des Beklagten aber erst am 15. April 1959, d.h. am Tage nach Ablauf der zwanzigtägigen Berufungsfrist von Art. 54 OG, der Post übergeben worden war.
Am 12. Mai 1959, fünf Tage nach Empfang des Urteils vom 22. April 1959, hat der Beklagte beim Bundesgericht einen "Rekurs" eingereicht, worin er u.a. geltend macht, er habe sich persönlich bei der Obergerichtskanzlei erkundigt und dabei die Auskunft erhalten, die Frist laufe am 15. März (gemeint: April) ab; es genüge, wenn er "das Schreiben" (die Berufungsschrift) an diesem Datum der Post übergebe, was er auch getan habe. Eine Erkundigung
BGE 85 II 145 S. 146
beim Präsidenten des Obergerichtes hat ergeben, dass der Beklagte sich am 14. April 1959 nachmittags telephonisch bei der Obergerichtskanzlei erkundigt hatte, wann die Frist für die Berufung an das Bundesgericht ablaufe, und dass die Kanzlistin des Obergerichtes ihm darauf erklärte, diese Frist laufe am 15. April ab, weil sie der irrtümlichen Meinung war, der 26. März 1959, an welchem der Vertreter der Klägerin das obergerichtliche Urteil erhalten hatte, sei wie bei der Berechnung des Datums der Rechtskraft, so auch bei der Berechnung der Berufungsfrist für den Beklagten zum Ausgangspunkt zu nehmen, obwohl dessen Vertreter das Urteil einen Tag früher erhalten hatte.
Das Bundesgericht erteilt dem Beklagten die Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung der Berufungsfrist und hebt sein Urteil vom 22. April 1959 auf.

Erwägungen

Begründung:
Der "Rekurs" des Beklagten ist als Gesuch um Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung der Berufungsfrist aufzufassen.
Während Art. 33 OG, der sich auf die Verlängerung der Fristen bezieht, die vom Gesetz und die vom Richter festgesetzten Fristen verschieden behandelt, regelt Art. 35 OG die Voraussetzungen der Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung "einer Frist", ohne zwischen gesetzlichen und richterlichen Fristen einen Unterschied zu machen. Daraus ist zu schliessen, dass Art. 35 OG wie Art. 34 OG, wonach "gesetzlich oder richterlich bestimmte Fristen" in der Zeit vom 15. Juli bis und mit 15. August stillstehen, für Fristen beider Art in gleicher Weise gilt (wogegen z.B. die bernische ZPO die Wiedereinsetzung gegen Versäumung gesetzlicher Fristen, insbesondere der Rechtsmittelfristen, nicht zulässt; LEUCH, Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 2 zu Art. 288, und GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 221 Anm. 40). Um Wiederherstellung im Sinne von Art. 35 OG kann also
BGE 85 II 145 S. 147
insbesondere auch eine Partei nachsuchen, welche die Berufungsfrist von Art. 54 OG versäumt hat (vgl. z.B. BGE 51 II 450; ferner BGE 81 III 83, wo es u.a. heisst, Art. 35 OG gelte "zweifellos für alle Fristen, die in den vom OG geregelten Verfahren vor Bundesgericht zu beobachten sind").
Art. 35 OG lässt die Wiederherstellung ganz allgemein "gegen die Folgen der Versäumung einer Frist" zu. Zu diesen Folgen gehört gegebenenfalls auch die wegen der Versäumung der Frist erfolgte Erledigung des Prozesses. Wiederherstellung kann also auch dann verlangt werden, wenn der Prozess bereits erledigt ist; sie führt in diesem Falle zur Aufhebung des Erledigungsentscheides. Die Rechtskraft, welche die Entscheidungen des Bundesgerichtes gemäss Art. 38 OG mit der Ausfällung erlangen, steht dem nicht entgegen. Die Verbindlichkeit rechtskräftiger Entscheidungen ist nicht absolut, sondern unterliegt den Einschränkungen, die sich aus dem Bestehen gesetzlicher Mittel zur Beseitigung der Rechtskraft ergeben, und zu diesen Mitteln gehört eben neben den ausserordentlichen Rechtsmitteln (von denen das OG in Art. 136 ff. dasjenige der Revision vorsieht) auch die Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung einer Frist (GULDENER a.a.O. S. 223 und 300 sowie SJZ 37 S. 230), sofern wenigstens das Gesetz diesen Rechtsbehelf für alle Fristen, also auch für die Rechtsmittelfristen, und zur Behebung aller Versäumnisfolgen zur Verfügung stellt, wie dies für das OG zutrifft.
Dass der Gesuchsteller oder sein Vertreter im Sinne von Art. 35 OG "durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln", kann nach der neuern Rechtsprechung des Bundesgerichtes nicht mehr bloss dann angenommen werden, wenn die Einhaltung der Frist objektiv unmöglich war. Vielmehr fällt als Wiederherstellungsgrund auch in Betracht ein die Fristversäumnis bewirkender Irrtum, in welchen der Gesuchsteller, ohne selbst dafür einstehen zu müssen, durch das
BGE 85 II 145 S. 148
Verhalten einer Behörde - namentlich durch unrichtige Rechtsmittelbelehrung seitens der Amtsstelle, welche den angefochtenen Entscheid getroffen hat - versetzt worden ist (BGE 76 I 357).
Mit einem solchen Falle hat man es hier zu tun. Der Beklagte durfte sich - zumal als Laie - darauf verlassen, dass er bei der Kanzlei des Obergerichtes, dessen Urteil er mit dem ordentlichen Rechtsmittel der Berufung an das Bundesgericht anfechten wollte, zuverlässig erfahren könne, bis wann die Berufungsfrist laufe. Wenn ihm die Obergerichtskanzlei auf Grund eines für ihn nicht erkennbaren Irrtums über den Ausgangspunkt der Frist unrichtigerweise angab, die Frist laufe erst am 15. April 1959 ab, und wenn er im Vertrauen auf diese Angabe die Berufung erst an diesem Tage zur Post gab, so ist die Versäumung der in Wirklichkeit am 14. April abgelaufenen Frist durch einen von ihm nicht verschuldeten Irrtum verursacht worden. Auf diesen Irrtum ist der Beklagte erst durch den Nichteintretensentscheid des Bundesgerichtes vom 22. April 1959, der ihm am 7. Mai 1959 zugestellt wurde, aufmerksam gemacht worden. Das Wiederherstellungsgesuch ist schon fünf Tage später, also im Sinne von Art. 35 OG "binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses", beim Bundesgericht eingegangen. Der Grund der Versäumung der Berufungsfrist war darin angegeben. Die versäumte Rechtshandlung, d.h. die Einlegung der Berufung, war schon am 15. April 1959 nachgeholt worden. Unter diesen Umständen ist dem Beklagten die Wiederherstellung zu erteilen und der wegen Verspätung der Berufung erlassene Nichteintretensentscheid vom 22. April 1959 aufzuheben.

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références

ATF: 81 III 83

Article: Art. 35 OG, Art. 54 OG, Art. 33 OG, Art. 34 OG suite...

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