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Urteilskopf

97 III 18


6. Auszug aus dem Entscheid vom 25. Februar 1971 i.S. E.

Regeste

Ist die Pfändung eines Grundstücks und beweglicher Sachen nichtig, weil das Betreibungsamt die Schätzung (Art. 97 Abs. 1 SchKG, Art. 8 und 9 Abs. 1 VZG), die Vormerkung einer Drittansprache (Art. 106 Abs. 1 und 112 Abs. 1 SchKG), die Mitteilung an das Grundbuchamt und die Anzeigen an die Grundpfandgläubiger und die Versicherer (Art. 101, 102 SchKG, Art. 15 VZG, Art. 56 VVG, Art. 1 der Verordnung betr. die Pfändung, Arrestierung und Verwertung von Versicherungsansprüchen) unterlassen hat? (Erw. 2).
Mindestvoraussetzungen einer gültigen Pfändung (Erw. 2).

Sachverhalt ab Seite 19

BGE 97 III 18 S. 19
Gekürzter Tatbestand:
E. erwirkte am 9. März 1970 gegen H. für eine Forderung von über Fr. 38 000.-- einen Arrestbefehl, der als Arrestgegenstände ein Auto Commodore, verschiedene Einrichtungsgegenstände und eine Liegenschaft nannte. Am 10. März 1970 belegte der Betreibungsbeamte St. diese Gegenstände mit Arrest, ohne sie zu schätzen. Nachdem E. am 11. April 1971 in der Betreibung für die Arrestforderung (Nr. 36) das Fortsetzungsbegehren gestellt hatte, erliess der Betreibungsbeamte St. am 14. April 1970 eine Pfändungsankündigung, wonach die Pfändung am 17. April 1970 in der Wohnung des Schuldners erfolgen sollte. Ein Pfändungsprotokoll und eine Pfändungsurkunde des Betreibungsbeamten St. liegen für die Betreibung Nr. 36 nicht vor.
Am 28. Juli/11 August/25. August 1970 gingen beim Betreibungsamt die Fortsetzungsbegehren der Gläubiger in den Arrestbetreibungen Nr. 77, 113 und 52 gegen H. ein. Nach den vorliegenden Pfändungsurkunden pfändete St. für diese Betreibungen im wesentlichen die seinerzeit auf Verlangen von E. arrestierten Gegenstände, ohne sie zu schätzen.
Am 4. September 1970 wurde der Betreibungsbeamte St. durch den Betreibungsbeamten W. ersetzt. Dieser holte am 8. September 1970 die von St. versäumte Schätzung der gepfändeten Gegenstände nach und stellte in der von ihm am 9./10. September 1970 ausgefertigten, dem abwesenden Schuldner durch die Post zugestellten Pfändungsurkunde für die Betreibungen Nr. 36, 77, 113 und 52 fest, als erste Gruppe gelte die Betreibung Nr. 36; die zweite Gruppe umfasse die Betreibungen Nr. 77, 113 und 52. Er merkte vor, dass das Auto Commodore von der Aufina AG zu Eigentum angesprochen werde, und setzte den Gläubigern und dem Schuldner Frist zur Bestreitung dieser Ansprache. Ferner liess er die Pfändung der Liegenschaft im Grundbuch vormerken und gab der Grundpfandgläubigerin davon Kenntnis. Die Pfändung von Mobiliar meldete er dem Mobiliarversicherer.
In einem Beschwerdeverfahren stellte die kantonale Aufsichtsbehörde am 1. Dezember 1970 fest, die vom Betreibungsbeamten St. in den Betreibungen Nr. 36, 77, 113 und 52 vorgenommenen Pfändungen seien nichtig; die gültige Pfändung sei in diesen Betreibungen am 8. September 1970 erfolgt; alle diese Betreibungen gehörten daher zur gleichen Gruppe.
BGE 97 III 18 S. 20
Auf Rekurs des E. hin weist das Bundesgericht die Sache zur Vervollständigung des Tatbestandes und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Vorinstanz ist der Meinung, der Betreibungsbeamte St. habe dadurch, dass er die gepfändeten Gegenstände (insbesondere die Liegenschaft) nicht schätzte, die Eigentumsansprache der Aufina AG am gepfändeten Automobil nicht vormerkte, das Widerspruchsverfahren darüber nicht einleitete und die vorgeschriebenen Anzeigen an die Grundpfandgläubiger und die Versicherer unterliess, so schwerwiegende Fehler begangen, dass die von ihm vorgenommenen Pfändungen nicht bloss anfechtbar, sondern schlechthin nichtig seien. Die Pfändungen wären jedoch wegen der Versäumnisse des Betreibungsbeamten St. nur dann nichtig, wenn die unterbliebenen Massnahmen zum Vollzug der Pfändungen gehört hätten und wenn durch ihre Unterlassung nicht bloss die Interessen und Rechte der am Verfahren unmittelbar beteiligten Personen, also der Gläubiger und des Schuldners, sondern auch Interessen von Dritten oder öffentliche Interessen beeinträchtigt worden wären (BGE 93 III 87 mit Hinweisen; IMBODEN, Nichtige Betreibungshandlungen, BlSchK 1944 S. 135/36). Das ist nicht der Fall.
a) Die in Art. 97 Abs. 1 SchKG und für Grundstücke ausserdem in Art. 8 und 9 Abs. 1 VZG vorgeschriebene Schätzung gehört zur Pfändung. Sie ist notwendig, damit das Betreibungsamt einerseits für eine genügende Deckung der in Betreibung gesetzten Forderungen samt Zinsen sorgen und anderseits die Pfändung auf das hiefür nötige Mass beschränken kann (Art. 9 Abs. 2 SchKG; Art. 8 VZG;BGE 73 III 55, BGE 82 III 125) und damit der Gläubiger gegebenenfalls in die Lage kommt, einen Arrest zu erwirken oder die Anfechtungsklage zu erheben (Art. 115 Abs. 2, 271 Ziff. 5 und 285 SchKG). Eine weitere Bedeutung hat sie seit der Revision der Bestimmungen über die Voraussetzungen des Zuschlags (Art. 126 SchKG) durch das Bundesgesetz vom 28. September 1949 nicht mehr. Sie hat also nur den Interessen der Gläubiger und des Schuldners zu dienen. Interessen Dritter oder öffentliche Interessen werden durch eine unsachgemässe Schätzung oder durch die Unterlassung einer Schätzung nicht verletzt. Eine Pfändung darf also weder deswegen, weil die Schätzung nicht sachgemäss
BGE 97 III 18 S. 21
erfolgte, noch wegen Unterbleibens einer Schätzung von Amtes wegen als nichtig erklärt werden. Sie darf wegen solcher Mängel nicht einmal auf Beschwerde hin aufgehoben werden. Vielmehr ist in solchen Fällen die Schätzung neu vorzunehmen (vgl. BGE 93 III 22 E. 4) oder nachzuholen (vgl.BGE 73 III 55, wo die Nachholung der vom Betreibungsamt versäumten Schätzung eines arrestierten Grundstücks angeordnet wurde).
b) Die in Art. 106 Abs. 1 und 112 Abs. 1 SchKG vorgeschriebene Vormerkung einer dem Amt bekanntgebenen Drittansprache in der Pfändungsurkunde gehört nicht zum Pfändungsvollzug als solchem, sondern es handelt sich um eine zu dieser Betreibungshandlung hinzutretende Massnahme, die bis zur Verteilung des Erlöses (vgl. Art. 107 Abs. 4 SchKG) nachgeholt werden kann. Der Umstand, dass das Amt diese Vormerkung unterlässt und das Widerspruchsverfahren nicht einleitet, macht also die Pfändung als solche nicht ungültig.
c) Die Mitteilung der Pfändung eines Grundstücks an das Grundbuchamt zwecks Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung (Art. 101 SchKG, Art. 15 lit. a VZG) und die Anzeigen an die Grundpfandgläubiger (Art. 102 Abs. 2 SchKG, Art. 15 lit. b VZG) und an die Versicherer (Art. 56 VVG, Art. 1 der Verordnung betr. die Pfändung, Arrestierung und Verwertung von Versicherungsansprüchen nach dem VVG, Art. 15 lit. c VZG) sind Sicherungsmassnahmen, deren Unterlassung die Gültigkeit der Pfändung als solcher nicht beeinträchtigt (vgl. BGE 94 III 80 /81).
Die von der Vorinstanz angeführten Gründe vermögen daher die Nichtigerklärung der vom Betreibungsbeamten St. vollzogenen Pfändungen nicht zu rechtfertigen.

3. Dass der Betreibungsbeamte St. in der Betreibung Nr. 36 am 17. April 1970 eine gültige Pfändung vollzogen habe, ist jedoch aus andern Gründen zweifelhaft. Bei den von St. erstellten Betreibungsakten liess sich nämlich, wie schon erwähnt, weder ein Pfändungsprotokoll noch eine Pfändungsurkunde für die Betreibung Nr. 36 finden. Der einzige den Akten zu entnehmende Hinweis auf eine in dieser Betreibung am 17. April 1970 vollzogene Pfändung liegt in der Pfändungsankündigung vom 14. April 1970. (Ob diese Ankündigung, deren Originalausfertigung bei den Akten liegt, den Schuldner erreicht hat, ist nicht bekannt, aber im vorliegenden Zusammenhang auch nicht entscheidend, da eine nicht gehörig angekündigte
BGE 97 III 18 S. 22
Pfändung nach der Rechtsprechung wegen dieses Mangels nicht schlechthin nichtig, sondern nur unter gewissen Voraussetzungen auf Beschwerde des Schuldners hin aufzuheben ist; vgl.BGE 77 III 106/107 mit Hinweisen,BGE 79 III 152, BGE 89 IV 80 /81). Was die von der Vorinstanz übernommene Feststellung des Betreibungsbeamten W., die Pfändung sei am 17. April 1970 "auf Grund der Arresturkunde vollzogen" worden, bedeuten soll, ist nicht klar. Namentlich ist nicht abgeklärt, ob sich der Betreibungsbeamte St. damals entsprechend der Ankündigung in die Wohnung des Schuldners begab, ob er diesen dort antraf oder nicht und ob er dem Schuldner mündlich oder schriftlich oder allenfalls durch eine öffentliche Bekanntmachung (Art. 66 Abs. 4 SchKG) mitteilte, dass bestimmte - klar bezeichnete - Gegenstände gepfändet seien und dass ihm folglich bei Straffolge verboten sei, ohne Bewilligung des Betreibungsamtes über diese Gegenstände zu verfügen (Art. 96 Abs. 1 SchKG). Eine solche Mitteilung an den Schuldner ist für den Pfändungsvollzug wesentlich (vgl. BGE 93 III 36, BGE 94 III 80 E. 3a; was hier für die Lohn- und Verdienstpfändung gesagt wurde, gilt für die Sachpfändung entsprechend). Unterbleibt diese Mitteilung, so liegt überhaupt keine Pfändung vor. Die Vorinstanz hat also in diesem Punkte den Tatbestand zu vervollständigen, wozu die Befragung des frühern Betreibungsbeamten St. nötig sein dürfte. Sollte sich ergeben, dass St. die erwähnte Mitteilung an den Schuldner unterliess, oder sollte sich nicht zuverlässig feststellen lassen, dass diese - bisher durch nichts belegte, insbesondere nicht gehörig beurkundete - Mitteilung erfolgt und damit das Mindesterfordernis einer Pfändung erfüllt sei, so bliebe es bei der Feststellung, dass vor dem 8. September 1970 in der Betreibung Nr. 36 keine gültige Pfändung vollzogen wurde, sowie bei den von der Vorinstanz hieraus gezogenen Folgerungen. Wäre dagegen am 17. April 1970 eine gültige Pfändung erfolgt, so käme dem Rekurrenten gegenüber den Gläubigern der Betreibungen Nr. 77, 113 und 52 das von ihm beanspruchte Gruppenvorrecht zu. Art. 281 SchKG vermöchte in diesem Falle den Gläubigern der Betreibungen Nr. 77, 113 und 52 nicht zu helfen, da die Arreste zugunsten dieser Gläubiger nicht vor, sondern erst nach dem 17. April 1970 vollzogen wurden.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2 3

Referenzen

BGE: 94 III 80, 93 III 87, 82 III 125, 93 III 22 mehr...

Artikel: Art. 8 und 9 Abs. 1 VZG, Art. 97 Abs. 1 SchKG, Art. 56 VVG, Art. 101, 102 SchKG mehr...