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Urteilskopf

106 Ib 19


5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. Januar 1980 i.S. Firma Gauger & Co. AG gegen Kanton Zürich und Eidg. Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 42-44 EntG, Enteignungsbann.
Wesen und Folgen des Enteignungsbannes (E. 7a). Bei Enteignungen für den Nationalstrassenbau wird der Enteignungsbann vom Tage der Auflage des Ausführungsprojektes im Sinne von Art. 26 NSG an wirksam, wenn das Ausführungsprojekt zusammen mit den Enteignungsplänen und der Grunderwerbstabelle (Art. 27 Abs. 2 EntG) veröffentlicht wird (E. 7b, c). Schaden aus Enteignungsbann im vorliegenden Fall verneint (E. 8).

Sachverhalt ab Seite 19

BGE 106 Ib 19 S. 19
Der Kanton Zürich legte im August/September 1969 das Ausführungsprojekt für die städtische Nationalstrasse SN 1, Teilstrecke Milchbucktunnel, öffentlich auf. Für den Bau dieser Strasse musste auch das Betriebsareal der Firma Gauger &
BGE 106 Ib 19 S. 20
Co. AG in Anspruch genommen werden. Nachdem das - abgekürzte - Enteignungsverfahren eröffnet und der Enteigneten am 16. April 1975 die persönliche Anzeige zugestellt worden war, verlangte diese neben einer Verkehrswertentschädigung auch eine Vergütung von rund fünf Millionen Franken für die "Blockierung" ihres Grundeigentums in den Jahren 1969-1975, das heisst für den Schaden, der dadurch entstanden sei, dass die Grundstücke der Enteignung wegen nicht schon im Jahre 1969 hätten geräumt und verkauft werden können.
Das Bundesgericht hat, gleich wie die Schätzungskommission, das Begehren um eine zusätzliche Entschädigung abgewiesen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

7. a) Nach dem Bundesgesetz über die Enteignung dürfen vom Tage der öffentlichen Bekanntmachung der Planauflage (Art. 27, Art. 30 EntG), und, im abgekürzten Verfahren (Art. 33 EntG), vom Tage der Zustellung der persönlichen Anzeige an ohne Zustimmung des Enteigners keine die Enteignung erschwerenden rechtlichen oder tatsächlichen Verfügungen mehr getroffen werden (Art. 42 EntG). Der Enteigner kann diesen sog. Enteignungsbann im Grundbuch vormerken lassen (Art. 43 EntG) mit der Folge, dass die Verfügungsbeschränkung auch Dritten entgegengehalten werden kann (HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 1 zu Art. 43 EntG). Für den Schaden, der aus dem Enteignungsbann entsteht, hat der Enteigner vollen Ersatz zu leisten (Art. 44 Abs. 1 EntG). Über Bestand und Höhe des Schadens entscheidet die Schätzungskommission (Art. 64 lit. f EntG), und zwar im Zusammenhang mit der Festsetzung der Enteignungsentschädigung, es sei denn, der Enteignete verlange die Durchführung eines vorangehenden, besonderen Verfahrens (Art. 44 Abs. 2 und 3 EntG).
Die im Enteignungsbann liegende Verfügungsbeschränkung ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine vorübergehende Beschränkung der Rechte des Eigentümers im Sinne von Art. 5 Abs. 2 EntG, auf welche die in Art. 16-25 EntG festgehaltenen Entschädigungsgrundsätze Anwendung finden. Bei der Entschädigung, die für den Enteignungsbann ausgerichtet wird, handelt es sich um eine Vergütung für dem Enteigneten erwachsende "weitere Nachteile" gemäss Art. 19 lit. c EntG. Sie
BGE 106 Ib 19 S. 21
ist daher den Pfandgläubigern entzogen (HESS, a.a.O., N. 1 und 2 zu Art. 44 EntG; Botschaft des Bundesrates zum Entwurfe eines Bundesgesetzes über die Enteignung vom 21. Juni 1926, BBl 1926 II, S. 51 ff.).
b) In Enteignungsverfahren, die sich ausschliesslich nach dem Bundesgesetz über die Enteignung richten, wird durch die Auflage der Pläne und der Grunderwerbstabelle sowohl das Einspracheverfahren eröffnet, in welchem Einsprachen im engeren Sinne, Planänderungsgesuche und Begehren nach den Art. 7-10 EntG anzubringen sind (Art. 30 Abs. 1 lit. a und b, Art. 35 EntG), als auch das eigentliche Enteignungsverfahren eingeleitet, was heisst, dass die Enteigneten während der Auflagefrist auch ihre Entschädigungsforderungen für die in Anspruch genommenen Rechte anzumelden haben (Art. 30 Abs. 1 lit. c EntG, Art. 36 EntG).
Bei Enteignungen für den Nationalstrassenbau werden das Plangenehmigungs- und Einspracheverfahren einerseits und das Enteignungsverfahren andererseits nicht nebeneinander, sondern nacheinander durchgeführt. Die Einsprachen im engeren Sinne, die Planänderungsbegehren und die Begehren nach den Art. 7-10 EntG sind bereits im Verfahren zur Bereinigung und Genehmigung des Ausführungsprojektes zu behandeln (Art. 26 und 27 NSG) und können im nachfolgenden eigentlichen Enteignungsverfahren nicht mehr vorgebracht werden (Art. 39 Abs. 2 NSG; BGE 105 Ib 340 E. 2a, 105 Ib 97, 104 Ib 31 f. E. 3b). Aus diesem Grunde müssen die Ausführungsprojekte, wie schon in der bundesrätlichen Botschaft zum Nationalstrassengesetz (BBl 1959 II, S. 125) festgehalten wurde, so ausgestaltet werden, dass sie die Funktion eines Werkplanes im Sinne von Art. 27 EntG übernehmen können. Dementsprechend sind auch die im Projekt vorgesehenen Geländeveränderungen auszustecken (Art. 26 NSG). Da indessen nach dem Enteignungsgesetz die Planauflage - wie erwähnt - nicht nur der Anmeldung von Einsprachen, sondern auch der Entschädigungsforderungen dient, hat der Kanton das vom Departement des Innern genehmigte Ausführungsprojekt dem Präsidenten der Schätzungskommission zu übermitteln, damit eine zweite Auflage, die ausschliesslich Gelegenheit zur Einreichung von Entschädigungsforderungen bietet, durchgeführt werden kann (Art. 39 Abs. 2 NSG; BBl 1959 II, S. 126, Gutachten Fritz HESS).
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c) Die Frage, welche Wirkungen die Auflage des Nationalstrassenausführungsprojektes im Einsprache- und Genehmigungsverfahren für die betroffenen Grundeigentümer habe, insbesondere ob der Enteignungsbann im Sinne von Art. 42 EntG schon in diesem Zeitpunkt auf die für das Werk beanspruchten Grundstücke gelegt oder ob er erst bei der zweiten Publikation des - nunmehr genehmigten - Ausführungsprojektes im Rahmen des eigentlichen Enteignungsverfahrens wirksam werde, wird im Nationalstrassengesetz selbst nicht geregelt.
Die Schätzungskommission ist im angefochtenen Entscheid davon ausgegangen, dass die Projektauflage gemäss Art. 26 und 27 NSG die Grundeigentümer in ihren Verfügungsrechten nicht beschränke. Sie begründet dies damit, dass Verfügungsbeschränkungen, sofern keine Projektierungszonen festgelegt worden seien, erst durch die Baulinien entstünden und dass die ins Ausführungsprojekt aufzunehmenden Baulinien vor ihrer Veröffentlichung, die erst im Anschluss an die Projektgenehmigung stattfinde, keine Rechtswirkung entfalteten. Dieser Argumentation kann jedoch nicht gefolgt werden.
Nach Art. 22 und 23 NSG sind beidseits der projektierten Nationalstrasse Baulinien festzulegen, zwischen denen ohne Bewilligung weder Neubauten erstellt noch Umbauten vorgenommen werden dürfen. Nun liegen zwar "zwischen" den Baulinien, welche in einem Abstand von 15-25 m von der Strassenachse zu ziehen sind (vgl. Art. 2 der Verordnung zum NSG), auch jene Grundstücke, auf welchen der Strassenkörper selbst erstellt werden soll. Die durch die Baulinien bewirkte Baubeschränkung hat jedoch - im Gegensatz zum Enteignungsbann nach Art. 42 EntG - nicht zum Zweck, die Enteignung der für den Strassenbau benötigten Grundstücke zu erleichtern. Die Baulinien dienen vielmehr dazu, den Freiraum zu sichern, der längs des Strassentrasses aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Wohnhygiene sowie für allfällige Strassenerweiterungen geschaffen werden soll (vgl. Art. 22 NSG). Schon aus dieser unterschiedlichen Zwecksetzung von Baulinien und Enteignungsbann ergibt sich, dass sich die beiden Institute weder ausschliessen noch in einem notwendigen Zusammenhang stehen müssen. Aus dem Umstand, dass die Baulinien erst nach dem Genehmigungsverfahren Rechtskraft erlangen (Art. 29 NSG), kann daher nicht gefolgert werden, dass sich
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auch der Enteignungsbann erst in diesem Zeitpunkt auf die zu enteignenden Grundstücke lege.
Die Bestimmungen des Nationalstrassengesetzes schliessen es keineswegs aus, dass das in Art. 42 EntG umschriebene Verfügungsverbot schon mit der ersten Publikation des Ausführungsprojektes im Sinne von Art. 26 NSG zu wirken beginne, wenn das Projekt entsprechend der Vorschrift von Art. 27 Abs. 2 EntG zusammen mit dem Enteignungsplan und der Grunderwerbstabelle aufgelegt wird. Eine solche Auslegung ist im Interesse von Enteigner und Enteignetem und im Sinne eines rationellen Verfahrensablaufes sogar geboten:
Es wäre einerseits nicht einzusehen, weshalb dem Kanton als Enteigner für den Nationalstrassenbau, dem das Enteignungsrecht schon von Gesetzes wegen zusteht, der durch den Enteignungsbann gewährte Schutz vorenthalten werden sollte, während dieser auch jenen Unternehmen zuteil wird, denen das Enteignungsrecht von Fall zu Fall verliehen werden muss (Art. 3 Abs. 3 EntG) und welche, da die Verleihung in der Regel mit der Einsprachenerledigung verbunden wird, im Zeitpunkt der Planauflage das Enteignungsrecht noch gar nicht besitzen (Art. 55 EntG; vgl. BGE 105 Ib 199 f. E. 1c). Andererseits besteht auch kein Grund dafür, einzig den Enteigneten, dessen Grundeigentum für den Nationalstrassenbau beansprucht wird, von den Vorteilen auszuschliessen, welche Art. 44 EntG auch dem Grundeigentümer bietet und die unter anderem darin liegen, dass alle sich aus der Enteignung ergebenden Entschädigungsansprüche von der gleichen (Bundes-) Instanz beurteilt werden, deren Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann.
Und schliesslich liesse es sich mit der Forderung nach klarer Kompetenzabgrenzung und klaren prozessualen Verhältnissen nicht vereinbaren, wenn die Schätzungskommission, die kraft ausdrücklicher Gesetzesbestimmung die Entschädigungsbegehren für materielle Enteignungen infolge von Projektierungszonen oder Baulinien zu behandeln hat (Art. 18 Abs. 2, Art. 25 Abs. 3 NSG), nicht zuständig wäre, über den Schaden zu befinden, der dem Enteigneten aus der Auflage des Ausführungsprojektes erwächst. Es wäre geradezu widersinnig, wenn sich der Enteignete - wie es die Schätzungskommission nicht ausschliesst - mit seinem Entschädigungsbegehren für die ihm vor der Enteignung auferlegten Verfügungsbeschränkungen an
BGE 106 Ib 19 S. 24
zwei verschiedene Instanzen wenden müsste: für eine allfällige kantonalrechtliche Beschränkung, die von der Auflage des Ausführungsprojektes nach Art. 26 NSG bis zur zweiten Planauflage nach Art. 39 Abs. 2 NSG dauerte, an die betreffende kantonale Instanz, und für den Enteignungsbann nach Art. 42 EntG, der mit der zweiten Planauflage in Kraft träte, an die Schätzungskommission. Im übrigen darf nicht übersehen werden, dass im Anwendungsbereich des eidgenössischen Enteignungsrechtes ohnehin keine über den Enteignungsbann hinausgehenden bzw. ihm zeitlich vorgehenden Verfügungsbeschränkungen nach kantonalem Recht erlassen werden können, sofern dies im Bundesrecht nicht ausdrücklich vorgesehen ist (vgl. BGE 23, 576 ff.; HESS, a.a.O. N. 11 zu Art. 42 EntG).
Es ergibt sich demnach, dass die Bestimmungen von Art. 42-44 EntG bei Enteignungen für den Nationalstrassenbau jedenfalls dann vom Tage der Auflage des Ausführungsprojektes im Sinne von Art. 26 NSG an wirksam werden, wenn das Ausführungsprojekt zusammen mit den Enteignungsplänen und der Grunderwerbstabelle (Art. 27 EntG) veröffentlicht wird (vgl. per analogiam Art. 57 Ziff. 1 der Rohrleitungsverordnung vom 11. September 1968). In solchen Fällen liegt die Zuständigkeit zum Entscheid über Entschädigungsbegehren bei der Schätzungskommission.

8. Im vorliegenden Fall ist das Entschädigungsbegehren der Enteigneten für die "Blockierung" ihres Grundeigentums jedoch abzuweisen, weil ein Schaden nicht nachgewiesen worden ist.
Das Bundesgericht hat schon im Jahre 1877 - damals in Anwendung des Bundesgesetzes betreffend die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850 - betont, dass dem vom Enteignungsbann Betroffenen nicht schon dann eine Entschädigung zugesprochen werden könne, wenn dieser darlege, dass sich sein Grundstück zur Überbauung geeignet hätte; der Grundeigentümer habe vielmehr zumindest glaubhaft zu machen, dass er beabsichtigt habe, das Grundstück selbst zu überbauen oder als Bauland zu verkaufen, und dass diese Absicht ohne die Verfügungsbeschränkung auch wirklich in Tat umgesetzt worden wäre (BGE 3, 352). Nun macht die Enteignete in erster Linie geltend, die Betriebsverlegung hätte ohne den Eingriff des Staates spätestens bis 1969 abgeschlossen und das freigewordene Areal entweder verkauft oder neu überbaut
BGE 106 Ib 19 S. 25
werden können. Es ist jedoch nicht einzusehen, inwiefern die Enteignete durch die bevorstehende Enteignung bzw. die im August/September 1969 stattfindende Auflage des Ausführungsprojektes daran gehindert worden wäre, den Betriebsumzug zur vorgesehenen Zeit abzuschliessen. Die Enteignete bestreitet nicht, dass sie mit der Verlegung des Betriebes nach Affoltern schon etliche Jahre, bevor vom Nationalstrassenprojekt die Rede war, begonnen hatte. Sie bringt überdies selbst vor, dass sie 1964 vom Projekt Kenntnis erhielt und bereits damals beschloss, die Verlegung zu verlangsamen bzw. nicht mehr zu beschleunigen. Tatsächlich hat die Enteignete denn auch ihre in Zürich-Unterstrass liegenden Grundstücke mindestens bis Herbst 1973 für ihren eigenen Betrieb genutzt; einige Lagerhallen sind sogar über diesen Zeitpunkt hinaus, bis 1975, teils von der Enteigneten selbst verwendet, teils an Dritte vermietet worden. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich, dass die Enteignete es offensichtlich vorzog, das an den Staat abzutretende Areal so lange als möglich selbst zu nutzen, hätte sie doch nichts daran gehindert, die Betriebsverlegung im Jahre 1969 abzuschliessen und das freigewordene Areal dem Enteigner sofort - zum Kauf oder zur Enteignung - anzubieten. Die Enteignete behauptet daher zu Unrecht, es sei ihr aus dem Enteignungsbann ein Schaden erwachsen.

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 7 8

Referenzen

BGE: 105 IB 340, 105 IB 199

Artikel: Art. 42 EntG, Art. 26 NSG, Art. 42-44 EntG, Art. 27, Art. 30 EntG mehr...