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Urteilskopf

111 II 295


59. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Juni 1985 i.S. X. gegen Versicherungsgesellschaft A. (Berufung)

Regeste

Haftung des Motorfahrzeughalters für den Verdienstausfall einer Dirne.
1. Art. 46 Abs. 1 OR. Eine Dirne, die durch einen Verkehrsunfall in ihrer Erwerbstätigkeit beeinträchtigt wird, hat unbekümmert um die Sittenwidrigkeit ihrer Tätigkeit Anspruch darauf, dass ihr der Verdienstausfall infolge gänzlicher oder teilweiser Arbeitsunfähigkeit ersetzt wird (E. 2).
2. Art. 63 Abs. 2 OG. Feststellungen über Ausmass und Dauer der Arbeitsunfähigkeit; Tat- und Rechtsfragen (E. 3).
3. Ermässigung des Ersatzes gemäss Art. 62 Abs. 2 SVG; Frage offengelassen, ob diese Bestimmung auch zugunsten des Haftpflichtversicherers gilt (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 296

BGE 111 II 295 S. 296

A.- Frau X. ist 1943 geboren und wohnt in Zürich, wo sie von 1963 an ihren Lebensunterhalt ausschliesslich als Dirne verdient hat. Am frühen Morgen des 10. Juni 1971, als sie ihren Personenwagen vor einer Lichtsignalanlage in Dietikon korrekt anhielt, prallte der Wagen des Z. von hinten gegen ihr Fahrzeug. Frau X. erlitt dabei ein sogenanntes Schleudertrauma der Halswirbelsäule. Sie musste deswegen zwei Wochen im Spital gepflegt werden und während drei Wochen einen Gipskragen tragen; infolge des Unfalls ist sie angeblich bleibend geschädigt.

B.- Am 28. August 1980 klagte sie gegen die Versicherungsgesellschaft A., bei der Z. für seine Halterhaftpflicht versichert war, auf Zahlung von Fr. 2'327'425.-- Verdienstausfall bis zu ihren 45. Altersjahr (1. August 1988) und mindestens Fr. 25'000.-- Genugtuung nebst Zins. Den Verdienstausfall begründete sie damit, dass sie vor dem Unfall mit ihrer Tätigkeit als Dirne monatlich mindestens Fr. 12'000.-- Nettoeinnahmen erzielt habe, ihre Einnahmen aus dieser Tätigkeit seit dem Unfall aber nur noch Fr. 1'150.-- im Monat ausmachten.
Das Bezirksgericht Zürich setzte den Verdienstausfall der Klägerin auf Fr. 22'400.-- fest und sprach ihr Fr. 3'000.-- Genugtuung zu, beides nebst Zins; im übrigen wies es die Klage ab. Die Parteien appellierten an das Obergericht des Kantons Zürich, das am 18. Juni 1984 die Schadenersatzforderung der Klägerin ganz abwies, die Genugtuungssumme von Fr. 3'000.-- nebst 5% Zins seit dem Unfalltag dagegen bestätigte.

C.- Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingereicht mit dem Antrag, es soweit aufzuheben, als ihren Rechtsbegehren nicht entsprochen worden sei, und ihre Klage gutzuheissen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

2. Dass die Beklagte als Versicherer des Z. für die Folgen des Unfalls vom 10. Juni 1971 gemäss Art. 58 ff. SVG haftet und von der Klägerin unmittelbar belangt werden darf, ist grundsätzlich nicht bestritten; sie hat sich mit der Verurteilung zu einer Genugtuungssume von Fr. 3'000.-- denn auch abgefunden. Die Beklagte widersetzt sich dagegen der Schadenersatzforderung von Fr. 2'327'425.--, welche die Klägerin für entgangenen Dirnenlohn vom Unfalltag bis zu ihrem 45. Altersjahr verlangt, weil solcher
BGE 111 II 295 S. 297
Lohn rechtlich nicht ersatzfähig sei. Das Obergericht ist ebenfalls der Meinung, dass entgangene Einnahmen aus gewerbsmässiger Unzucht sich nicht als Schaden ausgeben liessen, der nach Art. 46 Abs. 1 OR zu ersetzen sei; das schliesse entgegen der Auffassung des Bezirksgerichts auch eine Entschädigung für Nachteile aus, die mit der Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens begründet würden. Die Klägerin bestreitet zu Recht nicht, dass die Dirnentätigkeit als solche zwar straflos ist (BGE 101 Ia 475 E. 2, BGE 99 Ia 507 E. 2), aber gegen die guten Sitten verstösst und dass Vereinbarungen mit Freiern deswegen nach Art. 20 Abs. 1 OR nichtig sind. Es geht nach ihrer Ansicht aber nicht an, die Unsittlichkeit des Dirnenvertrages auf die völlig anders geartete Obligation aus unerlaubter Handlung zu übertragen.
a) Das Obergericht stützt sich auf die im Schadenersatzrecht herrschende Lehre, wonach Gewinne aus unsittlichen wie aus widerrechtlichen Geschäften nicht zu ersetzen sind (OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, 4. Aufl. S. 57; VON TUHR/PETER, OR I S. 101; DESCHENAUX/TERCIER, La responsabilité civile, S. 50; STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 3. Aufl. S. 40). Das erhellt schon aus einem Entscheid des Bundesgerichts von 1894, wo in einem Markenrechtsstreit erklärt worden ist, die Rechtsordnung könne nicht zum Ersatz eines Schadens verhelfen, den der Kläger durch Entzug eines erhofften Gewinnes aus dem verbotenen Verkauf von Heilmitteln erlitten habe (BGE 20 S. 109). Von der Lehre angeführte Beispiele betreffen durchwegs auf diese Weise entgangene Gewinne und meist Geschäfte, die nicht nur unsittlich, sondern eigentlich verboten sind. Solche Verluste taugen zum vornherein nicht als Grundlage von Ersatzansprüchen gemäss Art. 45 und 46 OR. Fragen kann sich bloss, wie es sich mit den Ersatzansprüchen verhält, wenn der Geschädigte ihnen das Einkommen aus einer Tätigkeit zugrunde legt, die zwar als sittenwidrig oder verpönt, aber nicht als widerrechtlich gilt.
Dabei ist vorweg an die rechtliche Beurteilung des Konkubinats zu erinnern, mit dem sich Lehre und Rechtsprechung bereits näher befasst haben. Von allgemeiner Bedeutung ist insbesondere der Aufsatz von JACQUES DROIN (SJ 101/1979 S. 147 ff.) zu den Fragen, ob ein Schaden, der seine Quelle in einem unerlaubten oder unsittlichen Sachverhalt hat, Anlass zum Ersatz geben könne und ob das Konkubinat einen solchen Sachverhalt darstelle. Er lehnt es grundsätzlich ab, einen von der Rechtsordnung verpönten Sachverhalt haftungsrechtlich anzuerkennen; er hält das Konkubinat
BGE 111 II 295 S. 298
aber in der Regel nicht für widerrechtlich oder unsittlich und möchte auch beim ehebrecherischen Konkubinat die Frage eines Versorgerschadens von den Umständen des Einzelfalles abhängig machen (S. 155 und 163 f.).
Ob ein Konkubinat, abgesehen vom ehebrecherischen, das sogar widerrechtlich ist (Art. 214 StGB; BGE 71 IV 46 und 52), den guten Sitten widerspricht, hat das Bundesgericht bisher nicht entschieden. Es hat jedoch klargemacht, dass ihm der Rechtsschutz nicht schlechthin verweigert werden dürfe und dass ein Partner namentlich dann, wenn es um die Liquidation der Gemeinschaft geht, sich nicht auf Sittenwidrigkeit oder Widerrechtlichkeit berufen kann (BGE 109 II 230 E. 2b, BGE 108 II 206 E. 3). Letztwillige Zuwendungen an einen ehebrecherischen Konkubinatspartner sodann sind nur sittenwidrig, wenn sie als pretium stupri dazu bestimmt sind, das ehebrecherische Verhalten zu fördern (BGE 109 II 17 /18). Ein Konkubinat, das sich als dauerhaft erweist, kann ferner wie eine Wiederverheiratung zum Verlust einer Scheidungsrente führen (BGE 109 II 190 ff. mit Hinweisen; vgl. auch BGE 109 III 101 f.). Nicht zu entscheiden hatte das Bundesgericht bisher, ob der eine Partner beim Tod des andern einen Versorgerschaden geltend machen kann (vgl. SCHNYDER, Strassenverkehrsrechts-Tagung 1982, Der Körperschaden, S. 17 f. mit Zitaten); die Frage stellt sich namentlich, wo eine tatsächliche Versorgerbeziehung besteht (vgl. OFTINGER, I S. 231; DESCHENAUX/TERCIER, S. 235/36). Schon diese Rechtsprechung zeigt, dass eine allfällige Sittenwidrigkeit oder gar Widerrechtlichkeit des Konkubinats nicht notwendig dazu führt, damit zusammenhängende Tatbestände mit entsprechenden Rechtsfolgen zu pönalisieren.
b) Dass die Unsittlichkeit des Dirnenvertrages auch Haftpflichtansprüche ausschliesse, die mit entgangenem Dirnenlohn begründet werden, lässt sich nicht mit dem Argument widerlegen, die Dirne erwerbe rechtmässiges Eigentum an den Zahlungen ihrer Freier. Dies ist nur die Folge von Art. 66 OR, der den Geber für seine unsittliche oder widerrechtliche Absicht massregeln und den Staat der Pflicht entheben will, ihm zur Rückgängigmachung der unsauberen Vermögensverschiebung beizustehen (BGE 95 II 41). Wie aus den Erwägungen zum Konkubinat erhellt, folgt daraus aber andererseits auch nicht, dass Tatbeständen, die mit unsittlichen Geschäften zusammenhängen oder sich daraus ergeben, jeder Rechtsschutz zu verweigern sei.
BGE 111 II 295 S. 299
Der Einwand sodann, das angefochtene Urteil führe dazu, eine bestimmte Gruppe von Schädigern zu bevorrechten und eine solche von Geschädigten zu benachteiligen, ist schon von der Vorinstanz zu Recht abgelehnt worden. Art. 46 stellt wie Art. 45 OR für die Ermittlung und Berechnung des Schadens auf die Person und die Verhältnisse des Geschädigten ab. Sein hohes Einkommen hat regelmässig eine höhere Belastung des Ersatzpflichtigen zur Folge, dem aber ebenso ein geringes Einkommen des Verletzten zugute kommt. Hat der Geschädigte kein oder kein ersatzfähiges Einkommen, so wird der Pflichtige zwangsläufig davon befreit, Schadenersatz zu leisten (vgl. dazu insbesondere je ein Urteil des Landgerichts und des Oberlandgerichts Hamburg, in Versicherungsrecht 28/1977 S. 85 und 87; ferner D. MEDICUS, Schadenersatz und Billigkeit, ebenda 32/1981, S. 598).
c) Was für die Schadensart des entgangenen Gewinns im allgemeinen gilt (Art. 42 OR), lässt sich nicht ohne weiteres auf Schaden infolge Tötung oder Verletzung von Personen übertragen. Nach Art. 45 Abs. 3 OR ist Ersatz zu leisten an Personen, die durch Tötung ihren Versorger verloren haben. Massgebend dafür ist nicht ein rechtliches Kriterium, sondern ob der Getötete den Ansprecher tatsächlich unterstützt hat oder ihn voraussichtlich unterstützt hätte (OFTINGER, I S. 231 ff.). Nichts erlaubt die Annahme, es sei jeweils abzuklären, auf welche Weise der Versorger sich die erforderlichen Mittel beschafft habe; es leuchtet insbesondere ein, dass dem Versorgungsanspruch eines Kindes nicht entgegengehalten werden kann, seine Mutter sei als Dirne einem unsittlichen Erwerb nachgegangen. Ein Anspruch des Zuhälters dagegen würde schon daran scheitern, dass er selbst rechtswidrig gehandelt hat.
Bei Schaden infolge Körperverletzung liegen die Dinge weniger eindeutig, weil ein Anspruch der Dirne selbst in Frage steht, die sich die Sittenwidrigkeit ihrer Erwerbstätigkeit entgegenhalten lassen muss. Dabei ist freilich auch hier von Bedeutung, dass Art. 46 Abs. 1 OR nicht im Sinne eines entgangenen Gewinns von Verdienstausfall oder dergleichen spricht, sondern daran anknüpft, dass die Körperverletzung die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt und sein wirtschaftliches Fortkommen erschwert (vgl. BGE 99 II 216 E. 3a, BGE 91 II 426 E. 3b). Grundsätzlich kommt es zudem auf die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit in dem Beruf an, den der Verletzte tatsächlich ausübt (BGE 100 II 356 E. 5). In dieser Hinsicht steht vorliegend fest, dass die
BGE 111 II 295 S. 300
Klägerin seit 1961 als Dirne registriert ist und seit 1963 ausschliesslich von Prostitution gelebt hat.
d) Dass es sich bei der Prostitution um eine an sich zulässige Tätigkeit handelt, schliesst ihre Sittenwidrigkeit zwar nicht aus, verbietet aber im vornherein Vergleiche mit einer widerrechtlichen Tätigkeit, soweit es nicht um die Anwendung von Art. 20 Abs. 1 OR, sondern um die Beurteilung der Folgewirkungen geht. Die Ausübung der Prostitution gilt als wirtschaftliche Tätigkeit, die den Schutz der Handels- und Gewerbefreiheit geniesst (BGE 101 Ia 475 E. 2 mit Hinweisen). Die Dirne wird unbekümmert darum, wie ihre Erwerbstätigkeit vom moralischen Standpunkt aus zu bewerten ist, nach ihrem Einkommen und Vermögen besteuert, weil für die Steuerpflicht nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bestimmend ist; eine andere Betrachtungsweise würde unrechtmässige Gewinne privilegieren (BGE 70 I 254 E. 1; BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts 3. Aufl. S. 146 f.). Dadurch unterscheidet das Einkommen der Dirne sich praktisch und rechtlich z.B. vom Diebeserlös, der nicht als rechtmässig erworben gilt und daher steuerlich auch nicht erfasst wird (REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, S. 7/8).
Die Steuerpflicht der Dirne lässt sich damit begründen, dass Prostituierte gegenüber anderen Erwerbstätigen nicht privilegiert werden dürfen. Die Pflicht hingegen, ihrem Einkommen entsprechende AHV- und IV-Beiträge zu bezahlen (BGE 107 V 194; BRATSCHI, Der Einkommensbegriff in der AHV, Diss. Bern 1952, S. 35 f.), kann sich nicht auf diese Überlegung stützen. Die Beiträge geben der Dirne Anspruch auf Rentenleistungen, die der Höhe nach von ihren Einzahlungen abhängen. Insoweit ist unerheblich, für welche Tätigkeit sie die Beiträge bezahlt hat. Wird der Einwand der Sittenwidrigkeit dagegen zugelassen, so könnte er dazu führen, dass die Sozialversicherungen ihrerseits die Regressansprüche aus unerlaubter Handlung verlieren (Art. 48ter AHVG, Art. 52 IVG).
Der Dirnenlohn ist nach der Rechtsprechung auch pfändbar. Eine Dirne, die sich über die Pfändung künftigen Lohnes hinwegsetzte, musste sich sagen lassen, dass nur ihre Vereinbarung mit dem Freier, sich ihm gegen Entgelt hinzugeben, nichtig sei. Für die Gültigkeit der Lohnpfändung sei das jedoch genau so unerheblich wie für die Pfändung von Trinkgeldeinnahmen oder freiwillig ausgerichteten Gratifikationen; es genüge, dass die der Dirne ausgerichteten Zahlungen von der Rechtsordnung als gültig anerkannt würden, was sich unter anderem aus Art. 66 OR ergebe
BGE 111 II 295 S. 301
(BGE 91 IV 69 f.). Schliesslich ist zugunsten einer Dirne sogar die Unpfändbarkeit eines Personenwagens anerkannt worden, den sie zur Ausübung ihres Berufes benötigte. Dem Gläubiger wurde entgegengehalten, dass die Tätigkeit einer Dirne zwar als unsittlich gelte, aber straflos sei und der Ertrag aus ihrer Tätigkeit vom Staat als steuerbares und pfändbares Einkommen behandelt werde (unveröffentlichtes Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts i.S. Sch. vom 8. Mai 1979).
e) Alle diese Hinweise auf verwandte Sachverhalte werden vom Bezirksgericht und vom Obergericht zu Unrecht als irrelevant abgetan. Auch wenn die Prostitution durchaus sittenwidrig und eine Vereinbarung auf sexuelle Hingabe gegen Entgelt nichtig ist, geht es haftpflichtrechtlich (wie steuer- und betreibungsrechtlich) nicht darum, ob die Dirne ihren Lohn rechtlich eintreiben könnte; massgebend ist allein, dass dieser tatsächlich bezahlt wird und den Lebensunterhalt der Dirne sichert. Das Erwerbseinkommen, das sich daraus ergibt, ist rechtmässig und wird mannigfach - zum Nachteil und zum Vorteil der Dirne - rechtlich als solches erfasst. Warum es sich anders verhalten sollte, wenn die Dirne widerrechtlich verletzt und in ihrer Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt wird, ist nicht einzusehen. Die Klägerin kann sich deshalb uneingeschränkt auf Art. 46 Abs. 1 OR berufen.

3. Das Obergericht stellt gestützt auf zwei Gutachten fest, dass die Klägerin in den ersten vier Monaten nach dem Unfall ganz und während 20 weiteren Monaten zur Hälfte arbeitsunfähig gewesen, eine dauernde Verminderung ihrer Erwerbsfähigkeit dagegen zu verneinen sei.
Diese Feststellungen des Obergerichts über das Ausmass und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit sind tatsächlicher Natur und binden das Bundesgericht, da keine Ausnahme gemäss Art. 63 Abs. 2 OG vorliegt. Dass die Vorinstanz dabei Bundesrecht verletzt, insbesondere Rechtsbegriffe verkannt oder die Unfallfolgen nach unzutreffenden Gesichtspunkten ermittelt habe (BGE 95 II 265, BGE 82 II 33 E. 6, BGE 77 II 299), wird mit der Berufung nicht geltend gemacht. Festzuhalten ist ferner, dass die Klägerin nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft ausschliesslich Verdienstausfall aus ihrer Dirnentätigkeit fordert.

4. Die Klägerin will vor dem Unfall monatlich durchschnittlich Fr. 12'000.--, nachher aber nur noch Fr. 1'150.-- mit ihrer Dirnentätigkeit verdient haben. Die Vorinstanzen brauchten dazu nicht Stellung zu nehmen, weil sie den Dirnenlohn für nicht ersatzfähig
BGE 111 II 295 S. 302
hielten. Auch das Bezirksgericht, welches im Unterschied zum Obergericht eine Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens anerkannte, stellte dafür auf ein fiktives, in einem andern Beruf erzielbares Einkommen ab.
a) Da beide Vorinstanzen die Ersatzfähigkeit des Dirneneinkommens zu Unrecht verneint haben und das angefochtene Urteil deshalb aufzuheben ist, kann dahingestellt bleiben, ob auf der gegenteiligen Grundlage die Betrachtungsweise des Bezirksgerichts standgehalten hätte oder ob sich eine Schadensermittlung gestützt auf das in einem ehrbaren Beruf erzielbare Einkommen allenfalls anders begründen liesse, z.B. damit, dass ein Berufswechsel, der einem Geschädigten unter Umständen zur Schadensminderung zugemutet werden darf (BGE 89 II 231; OFTINGER, I S. 197 f.), ihm in Fällen wie dem vorliegenden mindestens hypothetisch zugute gehalten werden könnte, selbst wenn er, wie hier die Klägerin, einen solchen Wechsel gar nicht beabsichtigt.
Zum gleichen Ergebnis wie die Auffassung des Bezirksgerichts führt offenbar die massgebliche deutsche Rechtsprechung. Diese lehnte zwar wiederholt jeden Ersatzanspruch von Dirnen wegen Sittenwidrigkeit ab (so Landgericht und Oberlandgericht Hamburg in den hiervor angeführten Urteilen). Auch der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 6. Juli 1976 (abgedruckt in Versicherungsrecht 27/1976 S. 941 ff.) grundsätzlich gleich entschieden; er hat aber der Dirne, die bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde, aus sozial-ethischen Überlegungen und in billiger Berücksichtigung der beiderseitigen Belange Ersatz in der Höhe eines existenzdeckenden Einkommens zugesprochen, das erfahrungsgemäss von einem gesunden Menschen auch in bescheidenen Verhältnissen zu erreichen sei. Diesem Urteil sind offenbar die Rechtsprechung und teils auch die Lehre gefolgt (Urteil des Oberlandesgerichts München in Versicherungsrecht 28/1977 S. 628; FILTHAUT, Haftpflichtgesetz, S. 233; WUSSOW, Ersatzansprüche bei Personenschaden, S. 12). Es ist wegen seiner Billigkeitserwägungen aber auch deutlich kritisiert worden (BORN, Entgangener Dirnenlohn als erstattungsfähiger Erwerbsschaden, in Versicherungsrecht 27/1976 S. 118 ff.).
Die Überlegungen des Bundesgerichtshofes und des Bezirksgerichts sprechen für die Absicht, der Dirne nicht ein übermässig hohes Einkommen, sondern nur ein übliches in einem ehrbaren Beruf zu ersetzen. Weil die Sittenwidrigkeit nicht wie beim Wucher im übersetzten Einzelerlös liegt, scheidet eine Herabsetzung, wie
BGE 111 II 295 S. 303
Art. 20 Abs. 2 OR sie für Wucherzinse ermöglicht (BGE 96 I E. 3, 93 II 191 E. b), selbst in analoger Anwendung dieser Bestimmung aus. Denkbar wäre dagegen eine Kürzung gemäss Art. 62 Abs. 2 SVG; danach kann der Richter bei ungewöhnlich hohem Einkommen des Verletzten die Entschädigung unter Würdigung aller Umstände angemessen ermässigen. Das dürfte indes, wie die allgemeine Regel des Art. 44 Abs. 2 OR, wohl nur zum Schutz des Ersatzpflichtigen persönlich, nicht auch zugunsten seines Haftpflichtversicherers gelten (OFTINGER, I S. 273 und II S. 645; BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, S. 350; SCHLEGEL/GIGER, Taschenausgabe SVG S. 213).
b) Wie es sich damit verhält, kann einstweilen jedoch offenbleiben. Dem angefochtenen Urteil sind keine Feststellungen über den tatsächlichen Verdienstausfall der Klägerin zu entnehmen. Dass die Klägerin ihre Ersatzforderung nicht einmal in einer Weise substantiiert habe, die eine Schätzung des Schadens erlauben würde, wie die Beklagte einwendet, trifft nicht zu; sie hat durchaus zureichend ein Nettoeinkommen von Fr. 600.-- im Tag oder Fr. 12'000.-- im Monat behauptet, das ihr infolge des Unfalls zuerst ganz und dann bis auf Fr. 1'150.-- im Monat entgangen sei. Eine andere Frage ist, ob sie ihre Behauptung auch beweisen kann. Die Klägerin beruft sich dafür auf einen Vortrag, den der Chef der Kriminalpolizei der Stadt Zürich im Herbst 1972 gehalten hat. Danach soll damals eine Zürcher Dirne im Alter von 18 bis 30 Jahren durchschnittlich etwa Fr. 1'000.-- im Tag und Fr. 20'000.-- im Monat verdient haben. Die Klägerin hat zudem weitere Beweise angeboten.
Das Obergericht wird - prozesskonforme Behauptungen und Beweisanträge vorbehalten - den Sachverhalt weiter abklären und allenfalls auch das Beweisverfahren ergänzen müssen, das sich aber nur noch auf die zwei Jahre nach dem Unfall beziehen kann. Es hat den Verdienstausfall der Klägerin so weit zu ermitteln, dass er wenn nicht bewiesen, so doch geschätzt werden kann. Dabei dürfen auch ihre Steuerverhältnisse berücksichtigt werden, zumal die Klägerin vor Obergericht behauptet hat, ihr Verdienst sei voll besteuert worden; ihre Steuererklärung für 1971 beschränkte sich aber auf Fr. 11'200.-- Reineinkommen und Fr. 15'000.-- Reinvermögen. Nachdem die Besteuerung des Dirnenverdienstes zugunsten ihres Haftpflichtanspruches angeführt worden ist, muss sie sich gefallen lassen, dass ihre entsprechenden Angaben zumindest als Indiz in die Beweiswürdigung einbezogen werden.
BGE 111 II 295 S. 304

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 18. Juni 1984 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 2 3 4

Dispositiv

Referenzen

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