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Urteilskopf

120 V 496


69. Auszug aus dem Urteil vom 16. Dezember 1994 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Uri gegen A. Z. und Kantonale Rekurskommission Uri für die AHV/IV/EO

Regeste

Art. 5 VwVG. Auslegung einer Verwaltungsverfügung. Vorbehältlich der Problematik des Vertrauensschutzes ist eine Verwaltungsverfügung nicht nach ihrem Wortlaut, sondern so zu verstehen, wie es ihrem tatsächlichen rechtlichen Bedeutungsgehalt entspricht. Anwendungsfall (Erw. 1).
Art. 4 FLG, Art. 14 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 AHVV (Ortsüblichkeit des Lohnes landwirtschaftlicher Arbeitnehmer).
- Bei der Beurteilung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzung, ob der einem landwirtschaftlichen Arbeitnehmer ausgerichtete Lohn als ortsüblich eingestuft werden kann, ist es auch in Ermangelung eines kantonalen Richtlohnes nicht zulässig, als Massstab das Globaleinkommen für mitarbeitende Familienmitglieder in der Landwirtschaft gemäss Art. 14 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 AHVV heranzuziehen; denn diese berücksichtigen die spezifischen örtlichen Gegebenheiten gerade nicht.
- Das vom BSV vorgeschlagene, in Rz. 39 seiner Erläuterungen zum FLG vorgesehene Vorgehen, zum Vergleich Angaben des Schweizerischen Bauernverbandes oder kantonaler landwirtschaftlicher Organisationen über Durchschnittslöhne heranzuziehen, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (Erw. 3a).

Erwägungen ab Seite 497

BGE 120 V 496 S. 497
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. Zunächst ist zu prüfen, was Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet.
a) Ausgangspunkt des Prozesses bildet die Verfügung vom 17. Januar 1994, womit die Ausgleichskasse gegenüber A. Z. den ortsüblichen und der gesetzlichen paritätischen Beitragspflicht an die verschiedenen Sozialversicherungsträger unterliegenden Lohn seines Bruders auf Fr. 39'240.-- festgelegt hat.
Wörtlich genommen stellt diese Verfügung eine unzulässige Feststellungsverfügung im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge dar (vgl. hiezu: BGE 114 V 203 Erw. 2c in fine mit Hinweisen). Indessen sind Verfügungen nicht nach ihrem (zuweilen nicht sehr treffend verfassten) Wortlaut zu verstehen, sondern es ist nach ihrem tatsächlichen rechtlichen Gehalt zu fragen (unveröffentlichtes Urteil F. vom 1. Juni 1994; in diesem Sinne auch die in BGE 119 V 352 nicht publizierte Erw. 2b des Urteils G.
BGE 120 V 496 S. 498
vom 4. August 1993), dies vorbehältlich der Problematik des Vertrauensschutzes (welche vorliegend aber keine Rolle spielt).
b) Zu prüfen ist deshalb, welche Rechtsfolge die Ausgleichskasse am 17. Januar 1994 in Wirklichkeit anordnen wollte.
aa) Von den eigenen Feststellungen der Verwaltung ausgehend, dass nämlich A. Z. in der Jahresabrechnung 1993 ein an seinen mitarbeitenden Bruder ausgerichtetes Jahresgehalt von lediglich Fr. 31'200.-- deklarierte, hätte die Ausgleichskasse in Anbetracht des von ihr für richtig gehaltenen ortsüblichen Lohnansatzes ab 1. Januar 1993 von Fr. 39'240.-- den Anspruch auf Bezug von Familienzulagen, von dem in der Verfügung einleitend die Rede ist, ablehnen müssen. Das nun hat die Ausgleichskasse nicht angeordnet. Vielmehr wollte sie den Familienzulagenanspruch des H. Z. gleichsam "retten", indem sie seinem Bruder, dem Arbeitgeber A. Z., zumutete, auf einem auf Fr. 39'240.-- erhöhten, effektiv allerdings nie ausbezahlten, dafür aber als ortsüblich betrachteten Lohn die gesetzlichen paritätischen Beiträge zu entrichten. Wäre die Verfügung vom 17. Januar 1994 nicht angefochten und die damit zunächst festgestellten und anschliessend fakturierten Beiträge auf dem Betrag von Fr. 39'240.-- bezahlt worden, wäre wohl H. Z. für 1993, gleichermassen wie zuvor, in den Anspruch von Familienzulagen nach FLG gelangt.
bb) Zufolge Beschwerdeerhebung konnte diesem behördlichen Vorgehen kein Erfolg beschieden sein. Nach Schilderung der betriebswirtschaftlichen Situation und der materiellen Lebensverhältnisse der beiden auf dem im Berggebiet liegenden Anwesen arbeitenden Familien tat A. Z. unmissverständlich kund, dass er "jetzt und bei den trüben Aussichten den ortsüblich genannten Lohn nicht bezahlen" könne. Aufgrund der gesamten Umstände, besonders des ununterbrochenen Familienzulagenbezuges bis Ende 1992, liegt nicht nur eine beschwerdeweise Bestreitung der beitragspflichtigen Lohnsumme durch den Arbeitgeber vor, sondern auch ein Streit um die Fortdauer der Anspruchsberechtigung hinsichtlich der Familienzulagen. An dieser Sichtweise vermag die Tatsache nichts zu ändern, dass dies die Ausgleichskasse weder in der Verfügung noch in den Rechtsschriften klar sagt. Auch wenn es sich beim streitigen Anspruch um einen solchen des H. Z. handelt, so ist doch sein Bruder A. Z. als Arbeitgeber legitimiert, die Ablehnungsverfügung beschwerdeweise auf dem Rechtsmittelweg anzufechten (vgl. ARV 1979 Nr. 22 S. 114 Erw. 1a).
BGE 120 V 496 S. 499
cc) Damit ergibt sich, dass im vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren die Familienzulagenberechtigung des H. Z. Streitgegenstand ist, ein Anspruch somit, welchen die Ausgleichskasse dem Sinne nach nicht oder allenfalls unter der Bedingung zubilligte, dass der massgebliche und beitragspflichtige Lohn auf Fr. 39'240.-- festgelegt wird. Diesen Anspruch hat die Rekurskommission von ergänzenden Abklärungen im Kanton Uri abhängig gemacht; das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) dagegen bejaht ihn ohne weiteres.

2. H. Z. ist unbestrittenerweise im landwirtschaftlichen Betrieb seines Bruders gegen Entgelt in unselbständiger Stellung seit Jahren erwerbstätig, weshalb ihm grundsätzlich nach Art. 1 Abs. 1 FLG der Anspruch auf Familienzulagen nach Art und Ansätzen der Art. 2 f. FLG zusteht. Allerdings, und diese Anspruchsvoraussetzung ist hier streitig, setzt die Berechtigung die Bezahlung des ortsüblichen Lohnes voraus: die Familienzulagen dürfen nur ausgerichtet werden, wenn der Arbeitgeber einen Lohn zahlt, der mindestens den ortsüblichen Ansätzen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer entspricht (Art. 4 Abs. 1 FLG). Vorliegend steht fest, dass der Beschwerdegegner seinem Bruder 1993 ein gegenüber den Vorjahren (rund Fr. 30'000.--) leicht erhöhtes Gehalt von Fr. 31'200.-- ausbezahlt hat. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob dieses Lohnbetreffnis ortsüblich im Sinne von Art. 4 Abs. 1 FLG ist und H. Z. den Anspruch auf die Zulage eröffnet.
a) In der vorinstanzlichen Vernehmlassung hat die Verwaltung ausgeführt, der Kanton Uri kenne nach Auskunft der Land- und Forstwirtschaftsdirektion keine landwirtschaftlichen Richtlöhne. "Deshalb" wende die Ausgleichskasse, wie die meisten Innerschweizer Kantone, in der Praxis seit Jahren die Ansätze gemäss Art. 14 AHVV an. Diese sähen ab 1. Januar 1993 im Umfange von 90% für mitarbeitende Familienmitglieder gemäss Art. 14 rev. Abs. 4 AHVV die in der Verfügung für massgeblich bezeichneten Ansätze von Fr. 2'250.-- (gerundeter Grundansatz für den verheirateten Arbeitnehmer) und Fr. 510.-- (für jedes Kind) vor.
b) Die Rekurskommission ging demgegenüber von der Rechtsprechung aus (EVGE 1964 S. 59 f., bestätigt im nicht publizierten Urteil F. vom 30. März 1976), wonach Ortsüblichkeit des Lohnes vorliegt, wenn der Lohn dem Wert und der Art nach demjenigen Entgelt entspricht, das einem familienfremden Arbeitnehmer annähernd gleicher Leistungsfähigkeit in einem ähnlichen und in derselben Gegend liegenden Betriebe üblicherweise gewährt wird.
BGE 120 V 496 S. 500
Entsprechend Rz. 39 der BSV-Erläuterungen zum FLG sind die Kassen angewiesen, zur Kontrolle, ob ein ortsüblicher Lohn ausbezahlt wird, auf die Durchschnittslöhne gemäss Schweizerischem Bauernverband oder kantonalen landwirtschaftlichen Organisationen abzustellen. Im vorliegenden Fall, so die Vorinstanz weiter, sei die Ausgleichskasse nicht nach diesen Vorschriften vorgegangen, sondern sie habe direkt Art. 14 AHVV angewendet, was nicht angehe, lägen doch dieser Verordnungsbestimmung gesamtschweizerische Durchschnittslöhne zugrunde, welche gerade auf die nach Art. 4 Abs. 1 FLG massgeblichen regionalen, betrieblichen und agrarwirtschaftlichen "Gegebenheiten vor Ort" keine Rücksicht nähmen. Der Umstand, dass Uri keine landwirtschaftlichen Richtlöhne kenne, enthebe die Ausgleichskasse nicht von den notwendigen Abklärungen, z.B. bei den Steuerbehörden, beim kantonalen Bauernverband oder der Land- und Forstwirtschaftsdirektion Uri.
c) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde hält die Ausgleichskasse an ihrem Vorgehen nach Art. 14 AHVV fest und weist ergänzend darauf hin, dass sich die Durchschnittslöhne gemäss Schweizerischem Bauernverband 1992 für ausgebildete landwirtschaftliche Arbeitnehmer in der Schweiz zwischen Fr. 2'650.-- und Fr. 4'098.-- bewegten, inkl. Wohnung, exkl. Verpflegung.
d) In seiner Vernehmlassung legt A. Z. dar, dass der von ihm seinem Bruder ausbezahlte Lohn in Anbetracht der aus vielerlei Gründen ungünstigen Bedingungen für einen landwirtschaftlichen Betrieb dieser Lage durchaus "realistisch" sei.
e) Das BSV teilt die Auffassung der Rekurskommission, dass es nicht angängig sei, den Globallohn gemäss Art. 14 Abs. 4 AHVV anzuwenden, stelle doch letzter einen für die ganze Schweiz massgebenden,"den örtlichen Gegebenheiten eben gerade nicht Rechnung tragenden Ansatz dar". Ferner weist das BSV darauf hin, dass die massive Anhebung des Globallohnes nach Art. 14 Abs. 4 AHVV, welchen die Ausgleichskasse als ortsüblich betrachtete, darauf zurückzuführen sei, dass die seit Jahren bestehende Kürzung um 20% im Sinne einer Angleichung preisgegeben worden sei, indem der Ansatz auch für die Landwirtschaft in zwei Schritten auf 100% angehoben werde, in einem ersten, am 1. Januar 1993 vollzogenen, auf 90%.

3. a) Der Rechtsauffassung von Rekurskommission und BSV ist beizupflichten. Der Rückgriff der Ausgleichskassen auf Art. 14 Abs. 4 AHVV ist zwar praktikabel, rechtlich aber in Anbetracht von Art. 4 Abs. 1 FLG klar unzulässig. Denn es wird dadurch der vom Gesetz verlangten
BGE 120 V 496 S. 501
Ortsüblichkeit nicht Rechnung getragen. Damit stellt sich die Frage, welches Prozedere die Ausgleichskassen einzuhalten haben. Eine abschliessende Antwort auf diese Frage braucht in casu nicht gegeben zu werden. Die von der Vorinstanz erwähnte Rz. 39 der BSV-Erläuterungen zum FLG, wonach zur Kontrolle auf die Auskünfte von Schweizerischem Bauernverband oder kantonalen Bauernorganisationen abzustellen sei, ist jedenfalls grundsätzlich nicht zu beanstanden. Dass sich aus Rückfragen bei diesen oder - in jedem Kanton zweifellos vorhandenen - ähnlichen Organisationen keine schlüssigen Angaben für die Beurteilung der Ortsüblichkeit ergäben, kann nicht gesagt werden, auch nicht unter Berücksichtigung der Vorbringen der beschwerdeführenden Kasse.
b) Damit bleibt zu prüfen, ob die Ortsüblichkeit des H. Z. vom Beschwerdegegner 1993 ausbezahlten Lohnes von Fr. 31'200.-- direkt bejaht werden kann oder ob dazu noch nähere Abklärungen vorzunehmen sind, wie die Rekurskommission entschied. Das BSV hat sich beim Schweizerischen Bauernverband nach den 1993 an landwirtschaftliche Arbeitnehmer ausgerichteten Löhnen erkundigt, welche sich zwischen Fr. 3'058.-- und Fr. 4'620.-- monatlich bewegten; die erhobenen Betriebe befänden sich jedoch zur Hauptsache im Talgebiet; für Bergbetriebe in Randregionen lägen die Löhne 25 bis 30% tiefer. Nach Ansicht des Bauernverbandes erfülle ein Lohn von Fr. 31'000.-- jährlich für einen ausgesprochenen Bergbetrieb in der Innerschweiz ohne Zweifel das Erfordernis der Ortsüblichkeit. Dieser verlässlichen Stellungnahme ist ohne Weiterungen beizupflichten und die Ortsüblichkeit zu bejahen. Damit ist der Anspruch des H. Z. auf Familienzulagen nach FLG auch für das Jahr 1993 ausgewiesen, nachdem sämtliche weiteren Anspruchsvoraussetzungen als erfüllt betrachtet werden können (vgl. oben Erw. 2 am Anfang).

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2 3

Referenzen

BGE: 114 V 203, 119 V 352

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