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Urteilskopf

104 Ib 46


8. Auszug aus dem Urteil vom 3. Februar 1978 i.S. N. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Aargau

Regeste

Entzug des Führerausweises wegen Trunksucht (Art. 16 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG).
Der Sicherungsentzug wegen Trunksucht und die damit verbundenen Auflagen, namentlich die Verpflichtung zu einer kontrollierten Alkoholabstinenz während der Bewährungsfrist, greifen tief in den Persönlichkeitsbereich ein. Vor der Verfügung eines derartigen Entzugs sind daher die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen in jedem Fall und von Amtes wegen abzuklären; die Tatsache, dass ein Motorfahrzeugführer innert zehn Jahren dreimal in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug gelenkt hat, genügt nicht, um ihn als trunksüchtig im Sinne des SVG zu betrachten.

Erwägungen ab Seite 47

BGE 104 Ib 46 S. 47
Erwägungen:

3. Der Entzug des Führerausweises ist eine um der Verkehrssicherheit willen angeordnete Verwaltungsmassnahme mit präventivem und erzieherischem Charakter (BGE 102 Ib 60 und dort zitierte Urteile). Die Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr vom 27. Oktober 1976 (VZV) unterscheidet, wie bisher Lehre und Rechtsprechung, zwischen sogenannten Sicherungs- und Warnungsentzügen (Art. 30 Abs. 1 und 2 VZV). Der Warnungsentzug knüpft an eine Verkehrsregelverletzung oder an die Verwendung von Motorfahrzeugen zu deliktischen Zwecken an; er ist befristet und soll den Betroffenen ermahnen und zur Besserung anhalten (Art. 30 Abs. 2 und 33 Abs. 2 VZV; vgl. BGE 102 Ib 61). Der Sicherungsentzug wird unabhängig von einer Verkehrsregelverletzung bei körperlicher, geistiger oder charakterlicher Unfähigkeit eines Fahrzeuglenkers verfügt. Er dauert so lange, als der Ausschlussgrund anhält (Art. 30 Abs. 1 und 33 Abs. 1 VZV). Soweit Sicherungsentzüge im Anschluss an ein Verkehrsdelikt verfügt werden, kommt diesem Ereignis nur indizieller Charakter zu (BGE 102 Ib 63 E. 3).
a) Wenn der Führer eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand gefahren ist, muss ihm der Führerausweis entzogen werden (Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG). Er soll durch diesen Warnungsentzug veranlasst werden, sich zu bessern und Rückfälle zu vermeiden. Wenn festgestellt wird, dass er trunksüchtig ist und dass deshalb die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung des Ausweises nicht mehr erfüllt sind, muss ihm der Ausweis ebenfalls entzogen werden (Art. 16 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG). In diesem Fall dient der Entzug der Sicherung des Verkehrs vor ungeeigneten Führern. Er wird auf unbestimmte Dauer verfügt, und gleichzeitig wird eine Bewährungsfrist angesetzt (Art. 33 Abs. 1 VZV). Der Ausweis wird nur wieder erteilt, wenn sich der Führer während dieser Zeit bewährt hat. Durch diese gesetzliche Regelung soll verhindert werden, dass solche Motorfahrzeuglenker am Verkehr teilnehmen, deren Fahrfähigkeit wegen ihrer Sucht von vorneherein herabgesetzt ist. Entsprechend diesem Zweck ist der Rechtsbegriff der Trunksucht auszulegen. Demzufolge ist derjenige trunksüchtig, der gewohnheitsmässig zu viel Alkohol trinkt und der sich von dieser Gewohnheit aus eigener Willenskraft nicht lösen kann.
BGE 104 Ib 46 S. 48
Nach langjähriger Praxis der Entzugsbehörden erscheint ein Sicherungsentzug wegen Trunksucht am Platze, wenn ein Motorfahrzeugführer innert zehn Jahren zum dritten Mal in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug gelenkt hat. Diese schematisierende Handhabung des Massnahmerechts wurde durch das Bundesgericht beanstandet. Es entschied im Urteil Britschgi vom 9. Dezember 1977, dass ein Führer, gegen den innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren dreimal Massnahmen wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand ergriffen wurden, nicht allein aufgrund dieser Tatsache als trunksüchtig betrachtet werden darf; vielmehr müsse auch in einem solchen Fall nachgewiesen werden, dass der Betreffende regelmässig soviel Alkohol konsumiert, dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird, und dass er diese Neigung zum übermässigen Alkoholgenuss durch den eigenen Willen nicht zu überwinden vermag. Die mit dem Sicherungsentzug verbundenen Auflagen, namentlich die Verpflichtung zu einer kontrollierten Alkoholabstinenz während der Bewährungsfrist, greifen tief in den Persönlichkeitsbereich ein. Eine genaue Abklärung der persönlichen Verhältnisse und insbesondere der Trinkgewohnheiten des Betroffenen ist daher in jedem Fall und von Amtes wegen vorzunehmen. Das Ausmass der notwendigen behördlichen Nachforschungen, namentlich die Frage, ob ein medizinisches Gutachten eingeholt werden soll, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und liegt im pflichtgemässen Ermessen der Entzugsbehörde.
b) Die Vorinstanz hat im vorliegenden Fall aus der Tatsache, dass die Warnungsentzüge von zwei, zwölf und achtzehn Monaten Dauer den Beschwerdeführer nicht hinderten, knapp dreieinhalb Jahre nach Ablauf des letzten Entzuges wiederum in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug zu lenken, den Schluss gezogen, der Beschwerdeführer biete die Gewähr nicht, dass er als Motorfahrzeugführer die Vorschriften beachten würde (Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG). Diese Folgerung aus dem rechtserheblichen Sachverhalt verletzt Bundesrecht nicht.
Für die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, der Beschwerdeführer sei dem Trunke ergeben und erfülle somit auch den Entzugsgrund des Art. 14 Abs. 2 lit. c in Verbindung mit Art. 16 SVG, genügt der Hinweis auf die früheren Vorfälle nicht. Ob Trunksucht angenommen werden kann, ist
BGE 104 Ib 46 S. 49
aber für den Beschwerdeführer, trotzdem er an sich schon den Entzugsgrund des Art. 14 Abs. 2 lit. d erfüllt, von Bedeutung; denn von der Beantwortung dieser Frage hängt die Bestimmung der mit dem Entzug verbundenen Bedingungen und Auflagen im Blick auf eine allfällige spätere Wiedererteilung des Ausweises ab. Um die Rechtmässigkeit der von den Verwaltungsbehörden auferlegten Verpflichtung des Beschwerdeführers zur totalen Alkoholabstinenz und zum Nachweis, dass er dieser Verpflichtung nachgelebt hat, überprüfen zu können, hätte das Verwaltungsgericht vorab die Frage der Trunksucht erwaegungensmässig durch Nachforschungen über das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers selber abklären oder die Sache zum Zwecke der ergänzenden Sachverhaltsfeststellung an die Vorinstanz zurückweisen müssen. Weil es das unterlassen hat, muss sein Entscheid aufgehoben werden; dabei erscheint es zweckmässig, die Sache an das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau zur weiteren Sachverhaltsabklärung und zu neuer Beurteilung und Entscheidung zurückzuweisen.

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 3

Referenzen

BGE: 102 IB 60, 102 IB 61, 102 IB 63

Artikel: Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG, Art. 30 Abs. 1 und 2 VZV, Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG, Art. 33 Abs. 1 VZV mehr...