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Urteilskopf

111 Ib 97


23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. Juli 1985 i.S. X. gegen Schweiz. Eidgenossenschaft und Eidg. Schätzungskommission, Kreis 9 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Art. 114-116 EntG; Parteientschädigung im Enteignungsverfahren.
Grundsätze der Festsetzung der Parteientschädigung im Enteignungsverfahren, insbesondere im Besitzeinweisungsverfahren.

Erwägungen ab Seite 97

BGE 111 Ib 97 S. 97
Aus den Erwägungen:

2. Die Beschwerdeführer werfen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung über die Parteientschädigung im Enteignungsverfahren auf, zu denen zunächst einige allgemeine Betrachtungen anzustellen sind.
a) Der Bundesgesetzgeber hat das Vorgehen bei der Kostenverteilung im Enteignungsverfahren in den Art. 114 bis 116 EntG und in Art. 115 Abs. 2 und 3 OG abschliessend geregelt. Die genannten Bestimmungen des Enteignungsgesetzes sind 1971 einer Revision unterzogen worden und daher keineswegs überholt, wie einer der Beschwerdeführer anzudeuten scheint. Die Regelung bildet ein zusammenhängendes Ganzes und bezieht sich sowohl auf das Verfahren vor der Schätzungskommission als auch auf das Einspracheverfahren vor kantonalen oder Bundesinstanzen (Art. 114 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 4 und Art. 55 Abs. 2 EntG) sowie auf das Verwaltungsgerichtsverfahren vor Bundesgericht, in welchem Entscheide der Schätzungskommissionen oder Verfügungen anderer Behörden auf dem Gebiet der bundesrechtlichen Enteignung (Art. 115 Abs. 3 OG) überprüft werden. Sie findet nach der Rechtsprechung sinngemäss auch in jenen Verfahren Anwendung, welche - wie etwa das nationalstrassenbedingte Landumlegungsverfahren - an die Stelle des Enteignungsverfahrens treten und dessen Funktionen übernehmen (BGE 111 Ib 34 E. 2).
b) Was die Vergütung der Kosten betrifft, die der Enteignete zur Verteidigung seiner Rechte im Enteignungsverfahren aufgewendet
BGE 111 Ib 97 S. 98
hat, so gilt sie nach der gesetzlichen Ordnung als Prozess-Entschädigung, die gestützt auf Art. 115 und 116 EntG beansprucht werden kann. Diese Kosten fallen somit nicht unter die "weitern dem Enteigneten verursachten Nachteile", für welche gemäss Art. 19 lit. c EntG eine Entschädigung zu leisten ist, die Bestandteil der "vollen Entschädigung" im Sinne von Art. 16 EntG bildet. Soweit in den Beschwerden diese gesetzgeberische Lösung bemängelt wird, kann sich das Bundesgericht damit nicht befassen (vgl. Art. 113 Abs. 3 BV).
c) Das Enteignungsverfahren wird in der Regel auf Begehren und im Interesse des Enteigners eröffnet und der Enteignete wider seinen Willen in dieses einbezogen. Mit Rücksicht darauf hat der Gesetzgeber sowohl im Jahre 1930 als auch im Jahre 1971 die Kosten, die sich aus der Ausübung des Enteignungsrechtes ergeben, grundsätzlich dem Enteigner überbunden (Art. 114 Abs. 1 und 116 Abs. 1 EntG) und bestimmt, dass dieser für die notwendigen aussergerichtlichen Kosten des Enteigneten im Einsprache-, Einigungs- und Schätzungsverfahren eine angemessene Entschädigung zu bezahlen habe (Art. 115 Abs. 1, Art. 116 Abs. 1 EntG; vgl. Botschaft des Bundesrates betreffend Revision des Bundesgesetzes über die Enteignung vom 20. März 1970, BBl 1970 I S. 1015). Andererseits bezweckt das Enteignungsverfahren, dem Gemeinwesen zu ermöglichen, sich die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben notwendigen Güter unter angemessenen Bedingungen zu verschaffen, und dieses vor der Willkür - im eigentlichen Sinne des Wortes - der Eigentümer zu bewahren (BGE 109 Ib 35; DUBACH, Die Berücksichtigung der besseren Verwendungsmöglichkeit und der werkbedingten Vor- und Nachteile bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung, ZBl 79/1978 S. 1). Wird daher auf der einen Seite das Gemeinwesen durch Art. 22ter BV sowie Art. 1 und 16 EntG verpflichtet, das Enteignungsrecht nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen, für im öffentlichen Interesse liegende Zwecke, unter Einhaltung des Verhältnismässigkeitsgebotes und unter voller Entschädigung der Enteigneten auszuüben, so ist auf der anderen Seite der Bürger nicht berechtigt, sich dem Expropriationsbegehren mit jedem Mittel und unter beliebigem Kostenaufwand zu widersetzen. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass die Verfahrenskosten bei offensichtlich missbräuchlichen Begehren oder offensichtlich übersetzten Forderungen ganz oder teilweise dem Enteigneten auferlegt werden können (Art. 114 Abs. 2); die Parteientschädigung kann bei
BGE 111 Ib 97 S. 99
Abweisung der Begehren des Enteigneten reduziert oder gestrichen (Art. 115 Abs. 2), ja dieser im Falle missbräuchlicher Begehren oder offensichtlich übersetzter Forderung sogar zur Bezahlung einer Parteientschädigung an den Enteigner verpflichtet werden (Art. 115 Abs. 3). Eine ähnliche Regelung ist für das bundesgerichtliche Verfahren getroffen worden, wo die Kosten statt dem Enteigner auferlegt auch anders verteilt werden können, wenn die Begehren des Enteigneten ganz oder zum grössten Teil abgewiesen werden, und wo unnötige Kosten in jedem Fall dem Verursacher zu belasten sind (Art. 116 Abs. 1 und 2).
Veranlasst dagegen der Private das Enteignungsverfahren selbst und kann deshalb nicht von Unfreiwilligkeit gesprochen werden, was im Falle der Rückforderung (Art. 102 ff. EntG) und der (erfolglosen) nachträglichen Entschädigungsforderung gemäss Art. 41 EntG zutrifft, so sind die allgemeinen Kostengrundsätze des Bundesgesetzes vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess anwendbar (Art. 114 Abs. 3 und Art. 115 Abs. 4 EntG). Danach werden die Kosten in erster Linie nach dem Unterliegen bzw. dem Obsiegen auf die Parteien verlegt (Art. 69 Abs. 1 BZP in Verbindung mit Art. 156 und 159 OG). In diesen Sonderfällen kann und soll bei der Bestimmung der Gerichtsgebühr und der Parteientschädigung vom Streitwert ausgegangen werden, da von ihm das Ausmass des Unterliegens oder Obsiegens jeder Partei abhängt, für welches sie die entsprechenden Folgen zu tragen hat. Dagegen kann im Normalfall, in dem die Kosten und Parteientschädigungen unabhängig vom Ausgang des Verfahrens grundsätzlich vom Enteigner zu übernehmen sind, der Streitwert nicht ausschlaggebend sein. Der Enteignete wäre sonst in der Lage, durch Erhöhung seiner Forderung einseitig und praktisch ohne eigenes Risiko auf die Gerichtsgebühr und die Parteientschädigung einzuwirken. Eine solche Folge wäre offensichtlich unannehmbar, so dass sich das Begehren der Beschwerdeführer, die Parteientschädigung sei anhand des Streitwertes zu bestimmen, der sich aus der Differenz zwischen der angebotenen und der geforderten Entschädigung ergibt, als unhaltbar erweist.
d) Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass bei der Festsetzung der Parteientschädigung die auf dem Spiele stehenden Vermögenswerte nicht zu berücksichtigen seien. Die genaue Höhe dieser Werte wird zwar erst am Ende des Enteignungsverfahrens, nach endgültiger Bestimmung der Enteignungsentschädigung, bekannt; doch hindert dies nicht, dass deren Umfang schon in den
BGE 111 Ib 97 S. 100
Verfahren, die der Festlegung der Entschädigung vorausgehen, ungefähr abgeschätzt wird. Gleiches muss die Schätzungskommission übrigens auch tun, wenn sie aufgrund des 1971 neu eingeführten Art. 19bis Abs. 2 EntG auf Ersuchen des Enteigneten eine Zahlung "in der voraussichtlichen Höhe der Verkehrswertentschädigung" festzusetzen hat.
Zu Unrecht setzen die Beschwerdeführer allerdings die im Besitzeinweisungsverfahren auf dem Spiele stehenden Vermögenswerte jenen gleich, die im Enteignungsverfahren umstritten sind. Im Besitzeinweisungsverfahren geht es vielmehr um jene finanziellen Nachteile, die sich aus dem Verlust der Nutzung des Enteignungsobjektes zwischen dem Zeitpunkt der Besitzergreifung und dem der definitiven Festsetzung der Enteignungsentschädigung ergeben. Der aus dem Nutzungsentzug entstehende Schaden, zu dessen Deckung der Enteignete nach Art. 76 Abs. 5 EntG Abschlagszahlungen verlangen kann (vgl. BGE 100 Ib 420 mit Literaturhinweisen), wird in der Regel durch die Zinsen ersetzt, die ab Besitzergreifung zu bezahlen sind; ein allfällig weitergehender Nachteil ist zu belegen (Art. 76 Abs. 5 Satz 3 EntG). Dass sich der Schaden aus dem Verlust landwirtschaftlicher Nutzung, der sich hier bei vorzeitiger Besitzeinweisung ergeben könnte, nie auch nur annähernd die von den Beschwerdeführern genannten Streitwert-beträge erreichen könnte, braucht nicht näher erläutert zu werden.
Entgegen der Meinung einiger Beschwerdeführer kann bei der Bemessung des Streitwertes oder der auf dem Spiele stehenden Vermögensinteressen auch nicht auf den Umfang der vom Enteigner vorgesehenen Investitionen und auf den finanziellen Verlust abgestellt werden, den dieser bei Verweigerung der Besitzeinweisung durch den Bauaufschub erleiden würde. Zwar ist der Umstand, dass ein solcher Schaden droht, Voraussetzung für die Besitzeinweisung (Art. 76 Abs. 1 EntG). Doch haben die finanziellen Interessen des Enteigners an der Expropriation und der Nutzen, den er aus dem Enteignungsobjekt ziehen will, bei der Festsetzung des Verkehrswertes und, ganz allgemein, der dem Enteigneten zustehenden Entschädigung völlig ausser acht zu bleiben (BGE 109 Ib 274 E. 3b, BGE 101 Ib 166 ff.; DUBACH, a.a.O. S. 2). Umso weniger ist ihnen dort Rechnung zu tragen, wo es darum geht, zu bestimmen, welches Interesse der Enteignete am Besitz und an der Weiternutzung seines Bodens hat.
e) Schliesslich ist einmal mehr festzuhalten, dass die zwischen den Enteigneten und ihren Rechtsvertretern geltenden kantonalen
BGE 111 Ib 97 S. 101
Anwaltstarife bei der Bestimmung der vom Enteigner gemäss Art. 115 und 116 EntG auszurichtenden Parteientschädigung nicht direkt anwendbar sind (vgl. BGE 109 Ib 35 und dort zitierte Urteile; ZIMMERLI, Die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichtes auf dem Gebiete des Enteignungsrechts, ZBl 74/1973 S. 193). Die Anwaltstarife sind übrigens nicht einmal im Moderationsverfahren massgebend, in dem das Bundesgericht über das Honorar zu befinden hat, das eine Prozesspartei ihrem Anwalt für das bundesgerichtliche Verfahren schuldet (vgl. Art. 161 OG und für Enteignungssachen BGE 88 I 110 f.). Aus dem zuletzt zitierten Entscheid geht denn auch klar hervor, dass die Höhe der Kostennote des Anwaltes an den Klienten nicht unbedingt mit dem Betrag der vom Enteigner zu bezahlenden Parteientschädigung übereinzustimmen braucht.
Wie sich aus dem Gesagten ergibt, kommen auch die von den Beschwerdeführern angerufenen Bestimmungen des Tarifes über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor Bundesgericht (Art. 5 Ziff. 1) und der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren (Art. 8 Abs. 3) nicht zum Zuge, und zwar einerseits wegen der Unmassgeblichkeit des Streitwertes, andererseits weil der Gesetzgeber für das Enteignungsverfahren die erwähnte besondere Regelung getroffen hat. Übrigens übersehen die Beschwerdeführer offenbar, dass Art. 5 Ziff. 2 Abs. 2 und Art. 6 Ziff. 2 Abs. 2 des Bundesgerichts-Tarifes typische "Kann-Vorschriften" sind und die Anwendung der auf den Streitwert bezogenen Skala keineswegs selbstverständlich ist.

3. Nach Art. 115 Abs. 1 EntG hat der Enteigner für die notwendigen aussergerichtlichen Kosten des Enteigneten eine angemessene Entschädigung zu bezahlen. Zu Recht hat die Schätzungskommission im angefochtenen Entscheid Gewicht darauf gelegt, dass nur die notwendigen Kosten zu vergüten seien. Nach der Rechtsprechung gelten jene Kosten als notwendig, die unmittelbar durch das Verfahren bedingt und aus Vorkehren entstanden sind, die sich bei sorgfältiger Interessenwahrung als geboten erweisen oder doch in guten Treuen verantworten lassen; weiterzugehen liesse sich nach dem Sinn von Art. 115 EntG nicht rechtfertigen (vgl. die altrechtlichen nicht publ. Urteilsentwürfe i.S. Genossenkorporation Stans vom 8. Juli 1965 und i.S. Gassler vom 3. September 1963). Zwar machen die Beschwerdeführer grundsätzlich zu Recht geltend, dass über die Notwendigkeit der Aufwendungen aus der Sicht des Enteigneten vor der Entscheidung zu
BGE 111 Ib 97 S. 102
befinden sei, für den noch alle Prozessrisiken bestünden. Das ändert aber nichts daran, dass objektive und nicht subjektive Kriterien anzuwenden sind und dass sich die Notwendigkeit der unternommenen Schritte aus dem Verfahren selbst ergeben muss und nicht mit Blick auf weitere Interessen der Enteigneten begründet werden kann, die den Rahmen des Enteignungsverfahrens sprengen und in eine allgemeine Gegnerschaft gegen das Projekt ausmünden. Im weitern ist bei der Prüfung der Notwendigkeit der getroffenen Vorkehren zu berücksichtigen, dass die Schätzungskommission aus Fachleuten zusammengesetzt und - im Gegensatz zum Bundesgericht - nicht an die Parteibegehren gebunden ist. Wohl enthebt das die Anwälte der Enteigneten ihrer Sorgfaltspflicht nicht, doch bietet diese gesetzliche Ordnung eine gewisse Garantie für die Gleichbehandlung der Enteigneten.
Bei der Überprüfung der von der Schätzungskommission festgesetzten Parteientschädigung übt das Bundesgericht nach ständiger Praxis eine gewisse Zurückhaltung, weil die Schätzungskommission besser in der Lage ist, die Bemühungen und Leistungen des Anwaltes zu beurteilen. Das Gericht ändert deshalb den zugesprochenen Betrag nur dann, wenn dieser offensichtlich ungenügend oder unverhältnismässig hoch erscheint (BGE 109 Ib 35 mit Hinweisen auf weitere Urteile). Es besteht kein Anlass, hier von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

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Erwägungen 2 3

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