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Urteilskopf

117 II 204


42. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. April 1991 i.S. Hüsler-Liforma AG gegen Jan Heydorn (Berufung)

Regeste

Art. 1 Abs. 1 und Art. 129 Abs. 3 IPRG. Einheitsgerichtsstand bei subjektiver Klagenhäufung; internationales Verhältnis im Fall einer Klage wegen unlauteren Wettbewerbs.
1. Der Einheitsgerichtsstand von Art. 129 Abs. 3 IPRG setzt keine notwendige Streitgenossenschaft auf seiten der Beklagten voraus (E. 1).
2. Bei einer Klage aus unlauterem Wettbewerb liegt ein internationales Verhältnis im Sinne des IPRG insbesondere dann vor, wenn die behaupteten unlauteren Handlungen oder ihre Auswirkungen sich im Ausland ereignet haben und ausschliesslich der ausländische Markt davon betroffen worden ist (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 204

BGE 117 II 204 S. 204

A.- Mit Klage vom 14. März 1990 belangte Jan Heydorn die Hüsler-Liforma Entwicklungs AG (Erstbeklagte) mit Sitz in Tschierv im Kanton Graubünden und die Hüsler-Liforma AG (Zweitbeklagte) mit Sitz in Oberbipp im Kanton Bern vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich in Streitgenossenschaft auf die
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Unterlassung bestimmter Wettbewerbshandlungen sowie auf Schadenersatz. Die örtliche Zuständigkeit des Handelsgerichts begründete der Kläger bezüglich der Erstbeklagten mit der Prorogation des Gerichtsstandes Zürich im Rahmen eines Lizenzvertrages; gegenüber der Zweitbeklagten stützte er sich auf den Einheitsgerichtsstand gemäss Art. 129 Abs. 3 IPRG.
Mit selbständigem Zwischenentscheid vom 12. September 1990 verwarf das Handelsgericht die von der Zweitbeklagten erhobene Einrede mangelnder örtlicher Zuständigkeit.

B.- Die Zweitbeklagte hat den Beschluss des Handelsgerichts sowohl mit Berufung als auch mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten. Auf die Beschwerde ist das Bundesgericht mit Beschluss vom heutigen Tag nicht eingetreten. Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Zweitbeklagte, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass das Handelsgericht örtlich nicht zuständig sei, über die ihr gegenüber erhobene Klage zu entscheiden.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Erwägungen

Erwägungen:

1. Das Handelsgericht leitet seine Zuständigkeit zur Beurteilung der gegen die Zweitbeklagte gerichteten Ansprüche aus Art. 129 Abs. 3 IPRG ab. Danach können im Fall des Vorliegens eines internationalen Verhältnisses (Art. 1 Abs. 1 IPRG) mehrere Beklagte wegen unerlaubter Handlungen an einem einheitlichen Gerichtsstand belangt werden, sofern gegenüber jedem Beklagten ein Gerichtsstand in der Schweiz gegeben ist und sich die geltend gemachten Ansprüche im wesentlichen auf die gleichen Tatsachen und Rechtsgründe stützen; ausschliesslich zuständig ist der zuerst angerufene Richter.
Diese Vorschrift war im Entwurf des Bundesrates zu einem Bundesgesetz über das internationale Privatrecht noch nicht enthalten. Sie wurde erst anlässlich der parlamentarischen Beratungen vom Ständerat auf Vorschlag der vorberatenden Kommission ins Gesetz aufgenommen, wobei der Berichterstatter auf die praktischen Vorteile der Vorschrift hinwies, aber zugestand, dass sie möglicherweise der Gerichtsstandsgarantie von Art. 59 Abs. 1 BV widerspreche (Amtl.Bull. 1985 StR S. 164, Votum Hefti). Der Nationalrat schloss sich dem Ständerat ohne Diskussion an (Amtl.Bull. 1986 NR S. 1358).
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In der Literatur wird die Meinung vertreten, die Vorschrift von Art. 129 Abs. 3 IPRG entspreche BGE 69 I 8, wo einem Teil von mehreren Beklagten wegen der Notwendigkeit eines einheitlichen Urteils zugemutet worden sei, auf den eigenen Wohnsitzgerichtsstand zu verzichten (WALDER, Einführung in das Internationale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 179/180 Rz. 70). Dabei wird indessen übersehen, dass sowohl im zitierten Entscheid wie auch in späteren Urteilen des Bundesgerichts der einheitliche Gerichtsstand von engeren Voraussetzungen abhängig gemacht worden ist. Nach dieser Rechtsprechung müssen die Beklagten notwendige Streitgenossen und die gegen sie erhobenen Ansprüche identisch sein, so dass die Vollziehung des Urteils gegen den einen zwangsläufig auch die Verpflichtung der übrigen Beklagten voraussetzt. Blosse Solidarhaftung - zum Beispiel aufgrund von Art. 50 Abs. 1 OR - mit einfacher Streitgenossenschaft auf seiten der Beklagten genügt nicht (Urteil vom 28. September 1966 E. 3, publ. in JdT 1967 I 514; BGE 90 I 109, BGE 69 I 8 E. 4). Gemäss Art. 129 Abs. 3 IPRG reicht dagegen aus, dass sich die Ansprüche des Klägers im wesentlichen auf die gleichen Tatsachen und Rechtsgründe stützen, und die Vorschrift ist unabhängig davon anwendbar, ob die Beklagten eine einfache oder eine notwendige Streitgenossenschaft bilden. In der Lehre wird denn auch die Auffassung vertreten, es bedürfe lediglich eines Konnexes zwischen den verschiedenen Ansprüchen (TRUTMANN, Deliktsrecht, in: Das neue Bundesgesetz über das internationale Privatrecht in der praktischen Anwendung, S. 81). Ob Art. 129 Abs. 3 IPRG der Gerichtsstandsgarantie von Art. 59 Abs. 1 BV widerspricht, muss im übrigen offenbleiben, da das Bundesgericht diese Gesetzesvorschrift selbst dann anzuwenden hätte, wenn sie verfassungswidrig wäre (Art. 113 Abs. 3 BV).

2. a) In der Klageschrift vom 14. März 1990 wirft der Kläger der Erstbeklagten die Verletzung des Lizenzvertrages und zudem beiden Beklagten unlauteren Wettbewerb vor, wie die Vorinstanz zutreffend festhält. Von einem offensichtlichen Versehen kann entgegen der mit der Berufung vorgebrachten Rüge keine Rede sein. Unlauterer Wettbewerb fällt gemäss ständiger Praxis des Bundesgerichts internationalprivatrechtlich unter den Begriff der unerlaubten Handlung (BGE 92 II 264 E. 2, BGE 91 II 123). Diese Zuordnung entspricht auch der Systematik des IPRG (vgl. Art. 136 IPRG in Verbindung mit dem Titel des dritten Abschnittes des neunten Kapitels). Es liegt somit eine Klage vor, die
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gegenüber beiden Beklagten unter anderem mit unerlaubten Handlungen im Sinne von Art. 129 IPRG begründet wird. Dass der Kläger überdies behauptet, die Erstbeklagte habe gegen den Lizenzvertrag verstossen, ändert nichts daran.
b) In der Klageschrift wird der Vorwurf unlauteren Wettbewerbs damit begründet, beide Beklagten hätten den Kläger oder die von ihm beherrschten deutschen Gesellschaften gegenüber seinen deutschen Geschäftspartnern des Vertragsbruchs und strafbaren Verhaltens beschuldigt. Bezüglich der Zweitbeklagten wird zudem behauptet, sie habe die von den Gesellschaften des Klägers belieferten deutschen Betriebe zum Vertragsbruch verleitet. Die den Beklagten vorgeworfenen Handlungen oder deren Auswirkungen haben sich somit in Deutschland ereignet; betroffen davon ist ausschliesslich der deutsche Markt. Dass unter solchen Umständen ein internationales Verhältnis im Sinne von Art. 1 Abs. 1 IPRG gegeben ist, wird in der Literatur zu Recht anerkannt (VISCHER, Das Internationale Privatrecht des Immaterialgüterrechts nach dem schweizerischen IPR-Gesetzentwurf, GRUR Int. 1987 S. 671; SCHWANDER, Das UWG im grenzüberschreitenden Verkehr, in: Das UWG auf neuer Grundlage, S. 169; derselbe, Die Handhabung des neuen IPR-Gesetzes, in: Die allgemeinen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht, S. 40; STOFFEL, Das neue Recht der internationalen Zuständigkeit und seine Abgrenzung vom internen Gerichtsstandsrecht, in: Mitteilungen aus dem Institut für zivilgerichtliches Verfahren in Zürich, Nr. 9 Mai 1990, S. 20 ff.; vgl. auch WALDER, a.a.O., S. 160 Rz. 3, 4a und b). Unerheblich ist damit, ob der Kläger - wie er vor Bundesgericht behauptet - im Zeitpunkt des Abschlusses des Lizenzvertrages seinen Wohnsitz in Deutschland hatte. Besteht bereits von der Art der Streitsache her ein Auslandsbezug, so kommt nichts mehr darauf an, ob ein solcher Bezug auch deshalb gegeben wäre, weil eine der Prozessparteien ihren Wohnsitz ausserhalb der Schweiz hat oder hatte.
c) Gemäss Art. 129 Abs. 1 IPRG ist grundsätzlich das Gericht am Wohnsitz des Beklagten für Klagen aus unerlaubter Handlung zuständig. Im vorliegenden Fall hat der Kläger indessen nicht das für den Sitz der Erstbeklagten örtlich zuständige Gericht, sondern aufgrund einer Gerichtsstandsklausel das Handelsgericht des Kantons Zürich angerufen. Auch in solchen Fällen steht aber der Anwendung von Art. 129 Abs. 3 IPRG nichts entgegen, wie sich nicht nur aus Sinn und Zweck, sondern auch aus dem Wortlaut
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dieser Vorschrift ergibt. Da Überlegungen der Praktikabilität, insbesondere die Vermeidung widersprüchlicher Urteile, für die Aufnahme der Bestimmung in das Gesetz ausschlaggebend waren, ist nicht einzusehen, warum der Fall der Prorogation eines schweizerischen Gerichtes anders beurteilt werden soll als jener, in dem am gesetzlichen Gerichtsstand geklagt wird. Damit stimmt der Wortlaut von Art. 129 Abs. 3 IPRG überein, wonach die Klage bei jedem zuständigen Richter (devant le même juge compétent, a qualsiasi giudice competente) gegenüber allen Beklagten erhoben werden kann. Daraus folgt ohne weiteres, dass im vorliegenden Fall die Klage gegen die Zweitbeklagte bei der Vorinstanz erhoben werden konnte. Unter den gegebenen Umständen braucht dagegen nicht erörtert zu werden, ob Art. 129 Abs. 3 IPRG auch dann anwendbar ist, wenn beispielsweise ein nach kantonalem Recht sachlich unzuständiges Gericht prorogiert worden ist oder mehrere sich gegenseitig widersprechende Prorogationen vorliegen oder einer der Beklagten an eine Schiedsklausel gebunden ist.
Unerheblich für die Frage der örtlichen Zuständigkeit der Vorinstanz ist schliesslich der Umstand, dass die teilweise verschiedene Begründung der Klage gegenüber den Beklagten zu einer unterschiedlichen Anknüpfung bezüglich des anwendbaren materiellen Rechts führen kann (Art. 133 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 IPRG). Dies folgt bereits aus Art. 140 IPRG, wonach bei einer Mehrheit von Schädigern das anwendbare Recht für jeden von ihnen gesondert zu bestimmen ist, ohne dass deswegen der Einheitsgerichtsstand nach Art. 129 Abs. 3 IPRG aufgegeben oder in Frage gestellt wird.

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1 2

Referenzen

BGE: 90 I 109, 92 II 264, 91 II 123

Artikel: Art. 129 Abs. 3 IPRG, Art. 1 Abs. 1 und Art. 129 Abs. 3 IPRG, Art. 59 Abs. 1 BV, Art. 50 Abs. 1 OR mehr...