Urteilskopf
117 II 94
21. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. April 1991 i.S. C.S. Ltd. gegen C., C. S.A. und IHK-Schiedsgericht Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG. Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Zuständigkeitsbeschwerde.
Zulässigkeit des Beschwerdebegehrens auf Feststellung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts (E. 4). Im Verfahren der Zuständigkeitsbeschwerde überprüft das Bundesgericht sowohl die Zuständigkeitsfrage als auch materiellrechtliche Vorfragen mit freier Kognition (E. 5).
A.- Am 30. Januar 1980 schlossen die schwedische Firma I. AB und der Danziger Staatsbetrieb C. einen auf fünf Jahre
BGE 117 II 94 S. 95
befristeten Zusammenarbeitsvertrag über Schiffseinrichtungen, die in Polen mit westlichem Know-how hergestellt werden sollten. Gemäss Art. 13.3 des Vertrags war es jeder Partei untersagt, ohne vorgängige schriftliche Zustimmung der anderen Partei "(to) assign or subcontract this Agreement". In Art. 11 des Vertrags vereinbarten die Parteien, dass über Streitigkeiten ein IHK-Schiedsgericht mit Sitz in Zürich in Anwendung schweizerischen materiellen Rechts endgültig entscheide.
Die I. AB warf der C. in der Folge Vertragsverletzungen vor und erklärte bereits im Februar 1981 die Vertragsauflösung. Kurz darauf fiel sie in Konkurs. Der am 18. März 1981 ernannte schwedische Konkursverwalter bestätigte am 13. November 1987 schriftlich, dass die Konkursmasse der I. AB sämtliche Ansprüche gegen die C. aus dem Zusammenarbeitsvertrag an die C.S. Ltd. abgetreten habe, die tags zuvor, nämlich am 12. November 1987, auf der Kanalinsel Guernsey registriert worden war.
B.- Am 7. März 1988 leitete die C.S. Ltd. das IHK-Schiedsverfahren ein und belangte die C. (Erstbeklagte) auf Schadenersatz von 23'637'122 schwedischen Kronen aus Vertragsbruch. Am 30. März 1988 leitete die Klägerin ein zweites Schiedsverfahren über eine Forderung in gleicher Höhe gegen die C. S.A. (Zweitbeklagte) ein, welche nach bestrittener Auffassung der Klägerin die Rechte und Pflichten des angeblich in Liquidation befindlichen Staatsbetriebs C. mitübernommen habe und deshalb solidarisch mit diesem hafte. Nachdem die Beklagten die Zuständigkeit des Zürcher IHK-Schiedsgerichts bestritten hatten, verneinte dieses mit zwei am 26. März 1990 gefällten "Vorentscheiden" (
Art. 186 Abs. 3 IPRG) seine Zuständigkeit.
C.- Die Klägerin ficht beide Entscheide mit Zuständigkeitsbeschwerde gemäss
Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG an und beantragt im wesentlichen, diese aufzuheben, die Zuständigkeit des Schiedsgerichts festzustellen und die Sache an dieses zur materiellen Beurteilung zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist beide Beschwerden ab.
Aus den Erwägungen:
4. Als zulässig erweist sich sodann das Begehren der Klägerin, bei Gutheissung ihrer Beschwerden sei die Zuständigkeit des Schiedsgerichts festzustellen. Wohl ist die staatsrechtliche Beschwerde grundsätzlich kassatorischer Natur (
BGE 114 Ia 212
BGE 117 II 94 S. 96
E. 1b;
BGE 113 Ia 148 E. 1a, 158 E. 1 mit Hinweisen). Von der mit Rücksicht auf die kantonale Autonomie geübten Zurückhaltung wurden jedoch bei Zuständigkeitsentscheiden schon vor dem Inkrafttreten des IPRG Ausnahmen gemacht (
BGE 102 Ia 576 f. E. 4; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, S. 203 N. 1.4 zu Art. 36 Konkordat). Nachdem die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ausschliesslich bundesrechtlich im 12. Kapitel des IPRG geregelt ist, besteht erst recht kein Grund, bei Gutheissung einer Zuständigkeitsbeschwerde bloss den angefochtenen Zuständigkeitsentscheid aufzuheben. Im Interesse der Rechtssicherheit muss das Bundesgericht vielmehr die Folgen der Aufhebung bestimmen können, indem es auch im Dispositiv des Beschwerdeentscheids die Zuständigkeit regelt (ANDREAS BUCHER, Die neue internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, S. 138 Rz. 380 f.; LALIVE ET AL., a.a.O., S. 440 N. 3.6 zu
Art. 191 IPRG; MARC BLESSING, Das neue internationale Schiedsgerichtsrecht der Schweiz, in: Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, S. 13 ff., S. 60).
Die Zweitbeklagte meint zu Unrecht, ein Schiedsgericht habe mit der Verneinung seiner Zuständigkeit ein für allemal seine Aufgabe beendet, weshalb es dem Bundesgericht verwehrt sei, die Zuständigkeit dieses selben Schiedsgerichts zu bejahen. Erklärt das Bundesgericht ein Schiedsgericht für zuständig, so hat das gleiche Gericht seine Tätigkeit wiederaufzunehmen und materiell zu entscheiden (LALIVE ET AL., a.a.O.). Dass vorbehältlich von Ablehnungsgründen die gleichen Schiedsrichter nach Aufhebung ihres Entscheids das Verfahren fortzuführen haben, sieht Art. 40 Abs. 4 des Schiedsgerichtskonkordats ausdrücklich vor. Auch ohne entsprechende Vorschrift im IPRG kann unter der neuen Ordnung nichts anderes gelten.
5. Streitig ist, ob die von der I. AB und der Erstbeklagten in Art. 11 des Zusammenarbeitsvertrags vom 30. Januar 1980 vereinbarte Schiedsklausel auf die Klägerin übergegangen und das Schiedsgericht deshalb zuständig sei. In den angefochtenen Entscheiden wird der Übergang verneint, weil einerseits die im Schiedsverfahren zu beurteilenden Schadenersatzansprüche mangels formgültiger Zessionsurkunde (
Art. 165 Abs. 1 OR) nicht gültig zediert worden seien und anderseits die auf die ursprünglichen Vertragsparteien zugeschnittene Schiedsklausel selbst bei gültiger Zession unübertragbar wäre. Demgegenüber behauptet die Klägerin, die keineswegs personenbezogene Schiedsklausel sei
BGE 117 II 94 S. 97
zusammen mit den Schadenersatzansprüchen spätestens am 13. November 1987, dem Datum der schriftlichen Erklärung des schwedischen Konkursverwalters, gültig an sie abgetreten worden.
a) Mit der Zuständigkeitsbeschwerde des
Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG kann geltend gemacht werden, das Schiedsgericht habe sich zu Unrecht für zuständig oder unzuständig erklärt. Ob die Zuständigkeit zu Recht bejaht oder verneint worden ist, prüft das Bundesgericht im Verfahren der Zuständigkeitsbeschwerde mit freier Kognition (LALIVE ET AL., a.a.O., S. 424 N. 5b zu
Art. 190 IPRG; BUCHER, a.a.O., S. 137 Rz. 378; ROBERT BRINER, Die Anfechtung und Vollstreckung des Schiedsentscheides, in: Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, S. 107 unten). Gegenüber der Ordnung des Schiedsgerichtskonkordats ist zwar die Anfechtung von Schiedsurteilen im Verfahren nach IPRG erheblich eingeschränkt worden, indem
Art. 190 Abs. 2 IPRG nur noch wenige verfahrensrechtliche Beschwerdegründe vorsieht und die materielle Überprüfung auf die Frage begrenzt, ob der Schiedsspruch vor dem Ordre public standhält (
BGE 115 II 291 f. E. 2b und E. 3a). Aus der unveränderten Übernahme von Art. 36 lit. b des Konkordats in
Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG geht jedoch der klare Wille des Gesetzgebers hervor, dass der staatliche Richter die Zuständigkeitsfrage nach wie vor umfassend zu prüfen hat.
Weiter hat das Bundesgericht in
BGE 102 Ia 577 f. E. 5 erkannt, die freie Prüfung der Zuständigkeit des mit einer Beschwerde gemäss Art. 36 lit. b Konkordat befassten kantonalen Richters erstrecke sich auch auf materiellrechtliche Vorfragen, obgleich diese im Rahmen einer Beschwerde gegen den Sachentscheid nur auf Willkür hin zu überprüfen wären. Trotz der eingeschränkteren Anfechtungsmöglichkeiten kann unter der neuen Ordnung nichts anderes gelten. Auch das mit einer Zuständigkeitsbeschwerde gemäss
Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG befasste Bundesgericht hat sämtliche Fragen zu untersuchen, welche die Zuständigkeit des Schiedsgerichts bestimmen. Setzt die Beurteilung der Zuständigkeit die Beantwortung materiellrechtlicher Vorfragen voraus, sind auch diese im Beschwerdeverfahren nach
Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG frei zu prüfen. Denn nur eine vollumfängliche Abklärung mindestens der Zuständigkeit des Schiedsgerichts verringert die Gefahr, dass einer Partei die gerichtliche Beurteilung eines Anspruchs versagt bleibt, weil sowohl der Schiedsrichter wie der ordentliche Richter ihre Zuständigkeit verneinen. Auch wenn es nicht zu einem negativen Kompetenzkonflikt kommt, weil der
BGE 117 II 94 S. 98
ordentliche Richter im Gegensatz zum Schiedsgericht seine Zuständigkeit bejaht, rechtfertigt sich trotzdem eine eingehende Kontrolle eines schiedsrichterlichen Unzuständigkeitsentscheids; dem rechtsstaatlichen Bedürfnis nach einer voraussehbaren Zuständigkeitsordnung liefe es zuwider, wenn Schiedsgerichte ihre Zuständigkeit leichthin verneinen könnten mit der Folge, dass es den Parteien freigestellt wäre, ihre Streitsache beliebig dem ordentlichen Richter zu unterbreiten, obwohl sie sich freiwillig einem Schiedsgericht unterworfen haben. Dass umgekehrt auch ein rechtsstaatliches Bedürfnis besteht, zu vermeiden, dass sich Schiedsgerichte Kompetenzen anmassen und einer Partei den einschneidenden Verzicht auf ein rechtsstaatliches Verfahren vor dem ordentlichen Richter aufnötigen (RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, S. 34), bedarf keiner weiteren Ausführungen.
b) Abgesehen von den Fragen der Schiedsfähigkeit (Art. 177 IPRG) und der zuständigkeitsbegründenden Einlassung (Art. 186 Abs. 2 IPRG) geht es bei der Zuständigkeitsbeschwerde um die Gültigkeit, den Inhalt und die Tragweite einer Schiedsvereinbarung (BUCHER, a.a.O., S. 127 Rz. 342). Die Frage nach der Gültigkeit umfasst auch diejenige nach den durch eine Schiedsvereinbarung verpflichteten Parteien (LALIVE ET AL., a.a.O., S. 322 N. 14 zu Art. 178 IPRG). Ob eine Schiedsvereinbarung gültig abgetreten worden ist, beurteilt sich nach dem in Art. 178 Abs. 2 IPRG bezeichneten, für die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung günstigsten Recht (LALIVE ET AL., a.a.O., S. 325 N. 21 zu Art. 178 IPRG; BUCHER, a.a.O., S. 47 Rz. 106). Gemäss Art. 178 Abs. 2 IPRG ist die Schiedsvereinbarung gültig, wenn sie entweder dem von den Parteien gewählten oder dem auf die Streitsache, insbesondere dem auf den Hauptvertrag anwendbaren, oder dem schweizerischen Recht entspricht. Dabei kommt die erste Alternative nur zum Tragen, wenn die Parteien für die Schiedsvereinbarung ein vom Hauptvertrag abweichendes Recht gewählt haben (LALIVE ET AL., a.a.O., S. 322 N. 15 zu Art. 178 IPRG; BUCHER, a.a.O., S. 45 Rz. 103).
In Art. 11 des Zusammenarbeitsvertrags haben die I. AB und die Erstbeklagte für die Schiedsklausel kein besonderes Recht gewählt, das vom Recht abweichen würde, welches auf den Hauptvertrag anwendbar ist. Das auf den Hauptvertrag anwendbare Recht ist kraft Rechtswahl das schweizerische. Die dritte Alternative verweist ebenfalls auf das schweizerische Recht. Damit
BGE 117 II 94 S. 99
beurteilt sich die streitige Gültigkeit des Übergangs der Schiedsklausel ausschliesslich nach diesem und nicht nach schwedischem Recht, wie die Klägerin meint.
c) Indem das Schiedsgericht in seiner ersten Begründung annimmt, die im Schiedsverfahren zu beurteilenden Schadenersatzansprüche seien wegen Fehlens der von
Art. 165 Abs. 1 OR vorausgesetzten Zessionsurkunde nicht gültig an die Klägerin abgetreten worden, spricht es der Klägerin nicht die Aktivlegitimation ab. Denn ein solcher Entscheid hätte bedingt, dass das Schiedsgericht seine Zuständigkeit bejaht hätte und auf die Sachbehauptungen der Klägerin eingetreten wäre. Weil es aber lediglich Unzuständigkeitsentscheide fällt, kann es die Gültigkeit der Zession bloss als zivilrechtliche Vorfrage beurteilt haben (
BGE 101 II 170 E. 2), um seine Zuständigkeit mit der Begründung zu verneinen, es fehle der Klägerin an der Berechtigung aus der Schiedsklausel.
aa) Ob das Schiedsgericht die Formgültigkeit der Zession zu Recht verneint hat, kann offenbleiben, da es aus einem anderen Grund an der Berechtigung der Klägerin aus der Schiedsklausel fehlt. Zu diesem Ergebnis führt die frei zu prüfende Auslegung von Art. 13.3 des Zusammenarbeitsvertrags vom 30. Januar 1980. In dieser Bestimmung waren die ursprünglichen Vertragsparteien nämlich übereingekommen, dass "neither party shall assign or subcontract this Agreement without prior written permission of the other party". Damit hatten die Parteien ein bedingtes Abtretungsverbot vereinbart, das sämtliche Ansprüche aus dem Zusammenarbeitsvertrag umfasste. Eine Ausnahme sollte nur dann Platz greifen, wenn sich der Vertragspartner schriftlich mit einer Abtretung einverstanden erklären würde. Mit der im Herbst 1987 vorgenommenen Abtretung der im Prozess geltend gemachten Schadenersatzansprüche von der I. AB an die Klägerin hat sich die Erstbeklagte jedoch unstreitig nie schriftlich einverstanden erklärt.
Das Schiedsgericht und die Klägerin nehmen zu Unrecht an, das Abtretungsverbot sei auf vertragliche Ansprüche bei bestehendem Vertrag beschränkt gewesen, habe jedoch nicht der 1987 erfolgten Abtretung von Schadenersatzansprüchen aus dem bereits 1981 aufgelösten Zusammenarbeitsvertrag entgegengestanden. Weshalb das Abtretungsverbot nur für Vertrags-, nicht aber für Schadenersatzansprüche aus dem Vertrag gelten soll, ist unerfindlich. Denn auch die eingeklagten Schadenersatzansprüche haben ihren Ursprung im Vertrag. Wollten es aber die Parteien von einer schriftlichen Zustimmung abhängig machen, dass sie einer andern
BGE 117 II 94 S. 100
Partei gegenüberstehen, so muss das für alle Ansprüche gelten, die aus dem Vertrag abgeleitet werden.
bb) War die Klägerin wegen des umfassenden Abtretungsverbots nicht aus der Schiedsklausel berechtigt, hat sich das Schiedsgericht richtigerweise für unzuständig erklärt. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Zuständigkeit auch wegen der Unübertragbarkeit der Schiedsklausel zu verneinen wäre, wie das Schiedsgericht in seiner zweiten Begründung annimmt. Im übrigen ist auch diese Begründung offensichtlich richtig. Denn wollten die ursprünglichen Vertragsparteien ohne ihre schriftliche Zustimmung nicht einer andern Partei gegenüberstehen, so wollten sie dies auch nicht in einem Schiedsverfahren. Wird die Schiedsklausel in Art. 11 des Vertrags im Lichte des sämtliche Ansprüche erfassenden Abtretungsverbots von Art. 13.3 ausgelegt, erweist sie sich tatsächlich als auf die ursprünglichen Vertragsparteien zugeschnitten und damit als unübertragbar. Hierin unterscheidet sich der vorliegende Fall grundlegend vom Fall, der in
BGE 103 II 75 zu beurteilen war, wo weder der Hauptvertrag noch die Schiedsklausel eine Art. 13.3 entsprechende Bestimmung enthielt.