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Urteilskopf

117 IV 35


10. Urteil des Kassationshofes vom 16. April 1991 i.S. Vater und Tochter M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 251 StGB; Falschbeurkundung (inhaltlich unwahre Rechnungen).
1. Art. 251 StGB ist restriktiv anzuwenden, soweit es um die Falschbeurkundung geht; eine im Verhältnis zur "schriftlichen Lüge" erhöhte Überzeugungskraft der unwahren Urkunde ist nur anzunehmen, wenn allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gewährleisten (E. 1).
2. Falschbeurkundung bei einer zuhanden einer Versicherung ausgestellten, fingierten Rechnung im konkreten Fall verneint (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 35

BGE 117 IV 35 S. 35
P. brachte am 15. November 1987 seinen Personenwagen in die Garage von M., um einen Schaden reparieren zu lassen. Nachdem ein Experte einer Versicherung die Reparaturkosten auf über Fr. 3'000.-- geschätzt hatte, holte P. das Auto wieder ab. Dabei fragte er M., ob man sich das Geld von der Versicherung nicht
BGE 117 IV 35 S. 36
auszahlen lassen könne, ohne die Reparatur auszuführen. Der Garagist bejahte diese Frage und fügte bei, man müsse "aber noch etwas mit der Rechnung machen". Er liess daraufhin seine Tochter, welche über alles im Bilde und damit einverstanden war, auf einem Formular seiner Einzelfirma eine detaillierte Rechnung erstellen und an die Versicherung schicken, in welcher für die angeblich ausgeführte Reparatur am Personenwagen des P. Fr. 3'175.-- gefordert wurden. Die Versicherung bezahlte den verlangten Betrag an M. Dieser übergab Fr. 1'000.-- an P.
Am 7. Juni 1989 sprach das Bezirksgericht Zürich Vater und Tochter M. von der Anklage des Betruges und der Urkundenfälschung frei.
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft sprach das Obergericht des Kantons Zürich Vater und Tochter M. am 6. Februar 1990 der Urkundenfälschung schuldig. Das Gericht bestrafte den Vater mit 45 Tagen Gefängnis (bedingt) und die Tochter mit einer vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 1'000.--.
Gegen diesen Entscheid führen beide Verurteilte eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. a) Die Tatbestände des Urkundenstrafrechts schützen das Vertrauen, welches im Rechtsverkehr einer Urkunde als einem Beweismittel entgegengebracht wird. Mittel zum Beweis kann nur sein, was generell geeignet ist, Beweis zu erbringen (BGE 116 IV 350 E. 6 mit Hinweisen). Nach der gesetzlichen Definition sind Urkunden deshalb unter anderem Schriften, die bestimmt und geeignet sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen (Art. 110 Ziff. 5 Abs. 1 StGB; BGE 101 IV 279). Gemäss der Praxis des Bundesgerichts kann sich die Beweisbestimmung eines Schriftstückes einerseits unmittelbar aus dem Gesetz ergeben und andererseits aus dessen Sinn oder Natur abgeleitet werden (BGE 115 IV 118 E. 2d mit Hinweisen auf die bisherigen Anwendungsfälle in der Bundesgerichtspraxis; vgl. TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Zürich 1989, N 5 vor Art. 251). Ob und inwieweit einer Schrift Beweiseignung zukommt, bestimmt sich ebenfalls nach dem Gesetz und überdies nach der Verkehrsübung (BGE 116 IV 350 E. 6 mit Hinweis; vgl. TRECHSEL, a.a.O.,
BGE 117 IV 35 S. 37
N 6 vor Art. 251). In der Literatur wird zudem gefordert, dass der Aussteller der Schrift erkennbar sein muss, damit ihr Urkundenqualität zukommt; das Bundesgericht hat diese Frage bisher offengelassen (BGE 116 IV 350 E. 6b mit Hinweisen; vgl. TRECHSEL, a.a.O., N 9 vor Art. 251).
b) Die Vorinstanz sprach die Beschwerdeführer der Falschbeurkundung gemäss Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB schuldig. Diese Tat begeht, wer eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden lässt, in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Im Gegensatz zur Urkundenfälschung durch Herstellen einer unechten Urkunde, wo die Täuschung durch das Verfälschen des Inhalts einer Urkunde oder das Vorspiegeln eines anderen Ausstellers bewirkt wird, geht es bei der Falschbeurkundung allein darum, dass die in der Urkunde enthaltene Erklärung nicht mit der Wahrheit übereinstimmt. Das Bundesgericht hat die Beweisbestimmung verneint, wenn das Schriftstück nur eine blosse einseitige Behauptung enthält, der weder durch das Gesetz noch nach dem aus der Schrift selbst erkennbaren Zweck eine weitere Bedeutung zuzumessen ist (BGE 115 IV 118 E. 2d mit Hinweisen auf die bisherigen Anwendungsfälle in der Bundesgerichtspraxis; vgl. TRECHSEL, a.a.O., N 6 vor Art. 251).
c) In bezug auf inhaltlich unwahre Rechnungen wurde in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich festgestellt, diese enthielten ihrem Wesen nach blosse Behauptungen und könnten daher, unbekümmert um die beabsichtigte Verwendung im Rechtsverkehr, keine Falschbeurkundungen sein (BGE BGE 88 IV 35; vgl. auch BGE 96 IV 51 und BGE 103 IV 184). Bei der Angabe einer zu niedrigen Menge gelieferter Waren in einer Rechnung wurde eine Falschbeurkundung hingegen bejaht, weil Verkäufer normalerweise nicht weniger in Rechnung stellten, als sie geliefert hätten (BGE 96 IV 152). Der Grundsatz, wonach Äusserungen, die den Aussteller belasten, eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt, wurde in späteren Entscheiden dahin eingeschränkt, dass er nur gelte, wo die Abwicklung eines geordneten Rechtsgeschäftes in Frage stehe, nicht aber dort, wo schriftliche Erklärungen gänzlich erfunden seien (BGE 102 IV 194).
BGE 102 IV 194 und BGE 96 IV 152 wurden in der Literatur teilweise zu Recht kritisiert. Nur mit dem Argument, dass Äusserungen, die den Aussteller belasten, schon aus diesem Grund glaubwürdig
BGE 117 IV 35 S. 38
seien, lässt sich ein erhöhtes Vertrauen nicht genügend begründen. Weil eine bloss fingiert in der Rechnung zu tief angegebene Warenmenge den Aussteller im übrigen gar nicht belastet, entfällt dieser Grund für die grössere Glaubwürdigkeit von vornherein, so dass sich in jedem Fall die Frage stellt, ob und inwieweit aus anderen Gründen darauf vertraut werden dürfe, die Rechnung sei nicht fingiert. Inwieweit die gegen die beiden Urteile erhobene Kritik im einzelnen berechtigt ist (vgl. SCHULTZ, ZBJV 107/1971, S. 474 ff.; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, § 38 N 42), kann heute offenbleiben.
d) Die allgemeine Strafbarkeit der Falschbeurkundung in privaten Urkunden stellt eine Besonderheit des schweizerischen Rechts dar, die auf eine Ergänzung von Art. 251 Ziff. 1 StGB in den parlamentarischen Beratungen zurückgeht. Die Auslegung von Art. 251 StGB in der Alternative der Falschbeurkundung hat sich in der Praxis als ausserordentlich schwierig erwiesen. In der Lehre wird allgemein angenommen, dass eine klare Grenzziehung zwischen der straflosen schriftlichen Lüge und der strafbaren unwahren Falschbeurkundung nicht möglich ist. Deshalb wird de lege lata eine restriktive Anwendung von Art. 251 StGB auf die Urkundenfälschung in der Form der Falschbeurkundung gefordert (HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, Berlin 1943, S. 602; GERMANN, Methodische Grundfragen, Basel 1946, S. 86; SCHULTZ, ZBJV 107/1971, S. 476; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, § 38 N 26 f., insbesondere N 45; HAUSER/REHBERG, Strafrecht IV, S. 172; ROBERT, SJ 1983, S. 435; WALDER, SJZ 77/1981, S. 206 N 9 und ZStR 98/1982, S. 93). STRATENWERTH (a.a.O., N 45 mit Hinweis auf LOTTNER, Der Begriff der Urkunde und die Abgrenzung zwischen Falschbeurkundung und strafloser schriftlicher Lüge, Diss. Basel 1969 (ungedruckt), S. 70 ff.) erachtet es als unerlässlich, dass die im Verhältnis zur "schriftlichen Lüge" erhöhte Überzeugungskraft der unwahren Urkunde einzig und allein dann angenommen wird, wenn allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gewährleisten, wie sie unter anderem in der Prüfungspflicht einer Urkundsperson und in gesetzlichen Vorschriften gefunden werden können, die - wie z.B. die Bilanzvorschriften der Art. 958 ff. OR - gerade den Inhalt bestimmter Schriftstücke näher festlegen. Blosse Erfahrungsregeln hinsichtlich der Glaubwürdigkeit irgendwelcher schriftlicher Äusserungen (z.B. solcher, die dem Erklärenden ungünstig sind) genügen dagegen nicht,
BGE 117 IV 35 S. 39
mögen sie auch zur Folge haben, dass sich der Geschäftsverkehr in gewissem Umfang auf die entsprechenden Angaben verlässt.
Im Gegensatz zur Urkundenfälschung durch Herstellen einer unechten Urkunde, wo die Täuschung durch das Verfälschen des Inhalts der Urkunde oder das Vorspiegeln eines anderen Ausstellers bewirkt wird, geht es bei der Falschbeurkundung allein darum, dass die in der Urkunde enthaltene Erklärung nicht mit der Wahrheit übereinstimmt. Das Vertrauen darin, dass eine Urkunde nicht verfälscht wird, ist und darf grösser sein als das Vertrauen darauf, dass jemand in schriftlicher Form nicht lüge. Deshalb sind an die Beweisbestimmung und Beweiseignung einer Urkunde bei der Falschbeurkundung hohe Anforderungen zu stellen. Art. 251 StGB ist deshalb restriktiv anzuwenden, soweit es um die Falschbeurkundung geht.

2. Im Falle der Beschwerdeführer ist eine Falschbeurkundung aus den folgenden Gründen zu verneinen.
a) Nach den Feststellungen der Vorinstanz liess der Beschwerdeführer 1 auf einem vorgedruckten Formular seiner Einzelfirma durch seine Tochter eine fingierte Rechnung erstellen; er bestätigte wahrheitswidrig, am Fahrzeug des P. Spengler- und Malerarbeiten ausgeführt und Teile (Front, Stossstange, Spoiler) ersetzt zu haben, wofür er einen Totalbetrag von Fr. 3'175.-- fordere. Der Rechnung, die der Beschwerdeführer selber der Versicherung einreichte, lag überhaupt keine Reparatur zugrunde.
b) Ein Vertrauen einer Versicherungsgesellschaft darauf, bei ihr zur Deckung eines versicherten Schadens eingereichte Rechnungen seien nicht verfälscht, ist nach dem oben Gesagten gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB geschützt, nicht aber ein solches auf die Richtigkeit einer Rechnung. Ein Vertrauen auf die Wahrheit der in einer Rechnung enthaltenen Behauptungen kann nur unter besonderen Umständen als geschützt betrachtet werden; so wenn diese als ein Bestandteil der Buchhaltung des Rechnungsstellers eingereicht wird oder wenn sie sonstwie durch objektive Garantien gewährleistet wird.
c) Dem angefochtenen Entscheid ist nicht zu entnehmen, dass die fragliche Rechnung einen Bestandteil der Buchhaltung des Beschwerdeführers 1 bzw. seiner Firma gebildet hätte. In jedem Fall wurde sie nicht als einen solchen zur Untermauerung eines Ersatzanspruchs des Rechnungsstellers selber aus Versicherungsvertrag (z.B. aus entgangenem Gewinn) der Versicherungsgesellschaft eingereicht. Andere objektive Garantien für die Wahrheit
BGE 117 IV 35 S. 40
der in der Rechnung enthaltenen Behauptungen sind nicht ersichtlich.
d) Auf BGE 106 IV 41 beruft sich die Vorinstanz im übrigen zu Unrecht. In diesem Fall hatte der Täter der Versicherung eine auf Briefpapier eines Dritten erstellte Rechnung für Reparaturkosten eingereicht, die nicht von diesem Dritten stammte. Es handelte sich deshalb um eine unechte Urkunde.

3. Nach dem Gesagten verletzt der angefochtene Schuldspruch wegen Falschbeurkundung i.S. v. Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB Bundesrecht. Deshalb kann offenbleiben, ob die Vorinstanz überdies Bundesrecht verletzt, indem sie Mittäterschaft der Beschwerdeführerin 2 angenommen hat.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. Februar 1990, soweit es die Beschwerdeführer betrifft, aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2 3

Referenzen

BGE: 116 IV 350, 115 IV 118, 96 IV 152, 102 IV 194 mehr...

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