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Urteilskopf

124 IV 23


5. Urteil des Kassationshofes vom 6. Januar 1998 i.S. B. gegen Eidgenössische Zollverwaltung und Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 68 MWSTV und Art. 77 MWSTV, Art. 8 ÜbBest. BV; Art. 13 ZG, Art. 29 ff. ZG, Art. 34-36 ZG, Art. 65 ff. ZG, Art. 72a ZG und Art. 142 ZG; Art. 2 des internationalen Übereinkommens zur Vereinfachung und Harmonisierung der Zollverfahren vom 18. Mai 1973 (Kyoto-Abkommen), Ziff. 43 der Anlage B.1; Mehrwertsteuer auf der Einfuhr von Gegenständen, fahrlässige Widerhandlung durch Falschdeklaration im EDV-Verfahren.
Die Strafbestimmung des Art. 77 MWSTV erfüllt die Anforderungen des Legalitätsprinzips (E. 1).
Im Gegensatz zum herkömmlichen Zollverfahren ist die "Vorprüfung" der EDV-gestützten Zolldeklarationen durch die Zollbehörden eingeschränkt; die dadurch verminderte, straflose Verbesserungsmöglichkeit von Falschdeklarationen führt nicht zu einer gesetzwidrigen Ausweitung der einschlägigen Strafbestimmungen (E. 2).
Eine Falschdeklaration des Deklaranten im Zollverfahren erfüllt den objektiven Tatbestand der Gefährdung der Mehrwertsteuer auf der Einfuhr von Gegenständen, selbst wenn dieselben Gegenstände anschliessend der in der Regel vorsteuerabzugsberechtigten Mehrwertsteuer auf dem Umsatz im Inland unterliegen (E. 3).
Ziff. 43 der Anlage B.1 des Kyoto-Abkommens besitzt keinen self-executing-Charakter (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 24

BGE 124 IV 23 S. 24

A.- Der Bezirksrichter Reiat büsste B. am 23. Februar 1996 wegen Widerhandlung gegen die Verordnung über die Mehrwertsteuer mit Fr. 240.--.
Eine Nichtigkeitsbeschwerde des Gebüssten wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen am 6. Juni 1997 ab.

B.- B. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen und die eidgenössische Oberzolldirektion beantragen Abweisung der Beschwerde.
BGE 124 IV 23 S. 25

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Beschwerdeführer macht geltend, in Art. 8 ÜbBest. BV sei der Bundesrat zum Erlass einer Ausführungsverordnung zur Mehrwertsteuer ermächtigt worden, wobei die Grundsätze der Besteuerung auf Verfassungsstufe geregelt worden seien, getreu den strengen Delegationsvoraussetzungen im Abgaberecht. Zum Erlass von Strafbestimmungen sei der Bundesrat hingegen nicht ermächtigt worden. Art. 77 der Verordnung über die Mehrwertsteuer (MWSTV; SR 641.201) mangele es somit an einer genügenden gesetzlichen Grundlage.
Nach der älteren Rechtsprechung war dem Grundsatz der Legalität Genüge getan, wenn Strafnormen in einem Gesetz im materiellen Sinne, d.h. allenfalls auch in einer Verordnung, geregelt waren (BGE 96 I 24 E. 4a). Die neuere Praxis verlangt demgegenüber für jede Strafe, die einen Freiheitsentzug mit sich bringt, als schweren Eingriff in die persönliche Freiheit eine klare Grundlage in einem formellen Gesetz. Für andere Strafen genügt dagegen eine Verordnung, die sich im Rahmen von Verfassung und Gesetz hält (BGE 112 Ia 107 E. 3b; BGE 118 Ia 305 E. 7a je mit Hinweisen; ebenso GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 2. Auflage, S. 77 N. 7; TRECHSEL/NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Auflage, S. 45 Ziff. 4). Art. 77 Abs. 1 MWSTV bedroht mit Busse bis zum Fünffachen der hinterzogenen oder gefährdeten Steuer, wer die Steuer vorsätzlich oder fahrlässig unter anderem durch unrichtige Deklaration eines Gegenstandes oder seines Wertes hinterzieht oder gefährdet. Da diese Bestimmung lediglich Busse als Strafe androht, genügt nach dem oben Gesagten die Regelung auf Verordnungsstufe dem Legalitätsprinzip. Damit erweist sich die Rüge als unbegründet.

2. a) Das Zollgesetz (ZG; SR 631.0) sieht bei der Zollabfertigung eine formelle Überprüfung vor. Die abgegebene Zolldeklaration wird auf die formelle Richtigkeit und Vollständigkeit sowie auf ihre Übereinstimmung mit den Begleitpapieren überprüft und bei allfälligen Unstimmigkeiten an den Aussteller zurückgewiesen (Art. 34 Abs. 2 und 3 ZG). Sind keine Unstimmigkeiten ersichtlich, wird die Zolldeklaration durch Beisetzung des Amtsstempels angenommen und so für den Aussteller verbindlich (Art. 35 Abs. 1 und 2 ZG).
Zur Vereinfachung der Zollbehandlung kann die Oberzolldirektion mit einzelnen Zollpflichtigen Vereinbarungen über die Veranlagung
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der von der Zollverwaltung zu erhebenden Abgaben und das Zollverfahren treffen (Art. 72a ZG). Eine solche Vereinbarung wurde am 14. Juli 1993 mit der Firma T., Kreuzlingen, abgeschlossen. Danach ist letztere berechtigt, unter anderem beim Zollamt Thayngen Waren im EDV-Verfahren zur Einfuhrverzollung anzumelden. Bei diesem Verfahren erfasst der Deklarant die Daten für die Einfuhrdeklaration mit dem Spediteur-Computer und führt eine Plausibilitätsprüfung durch. Danach übermittelt er die Einfuhrdeklaration dem EDV-System des Zollamtes (Art. 5 Abs. 1 der Vereinbarung). Der Zollcomputer führt eine zweite Plausibilitätsprüfung durch. Beanstandungen gibt er, unter Löschung der Einfuhrdeklaration, an den Spediteurcomputer zurück. Solche Deklarationen sind im Spediteurcomputer zu berichtigen und neu zu übermitteln (Abs. 2). Einfuhrdeklarationen, die der Zollcomputer ohne Beanstandung übernimmt, gelten als zollamtlich angenommen im Sinne von Art. 35 ZG. Sie sind, selbst wenn sie mit den Begleitpapieren nicht übereinstimmen bzw. ungenügende, zweideutige oder nicht tarifmässige Angaben enthalten, für die Firma T. verbindlich (Abs. 3).
Die Zollämter können unter anderem zur Zollbehandlung angemeldete Waren umfassend oder durch Stichproben prüfen oder die Abfertigung auf Grund der Deklaration vornehmen (Art. 36 Abs. 1 ZG).
b) Der Beschwerdeführer rügt, durch die erwähnte Vereinbarung werde die Verantwortung des Deklaranten gegenüber den Vorschriften der Zollgesetzgebung erheblich erweitert, denn eine Verbesserungsmöglichkeit, wie sie dort ausdrücklich vorgesehen sei, bestehe nicht mehr. Schon ein geringfügiger Fehler bei der Handhabung des Computers - ja sogar ein blosser Tipfehler - könne demnach zur Strafbarkeit des Deklaranten führen.
Demgegenüber führt die Beschwerdegegnerin aus, Art. 34 ZG bezwecke nicht, den Deklaranten von seiner in Art. 29 ZG umschriebenen Sorgfaltspflicht bzw. von der entsprechenden strafrechtlichen Verantwortung zu entlasten, und beeinträchtige das Selbstdeklarationsprinzip nicht. Die formelle Überprüfung der Deklaration und der Begleitpapiere erfolgten vielmehr im Interesse der Abgabensicherheit. Werde in diesem Verfahrensabschnitt, also noch vor der Annahme und Verbindlichkeit der Deklaration, eine Unstimmigkeit entdeckt, gebiete Art. 34 Abs. 3 ZG die Rückweisung der Deklaration zwecks Verbesserung. Gemäss Art. 142 Abs. 2 ZG sowie der Verordnung vom 9. Mai 1990 über Vereinfachungen im Zollverfahren
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(SR 631.281) könne in bestimmten Fällen auf die formelle Überprüfung der Zolldeklaration verzichtet werden. In diesen Fällen könne Art. 34 Abs. 3 ZG keine Anwendung finden (Art. 2 Abs. 3 der Verordnung). Ähnlich verhalte es sich bei den EDV-Verfahren, die sich auf Art. 72a ZG abstützten. Zwar werde in diesen Verfahren auf eine Überprüfung in der Phase vor der Annahme und Verbindlichkeit der Deklaration nicht vollständig verzichtet; die formelle Überprüfung gemäss Art. 34 Abs. 2 ZG werde hier durch den erwähnten Plausibilitätstest ersetzt, der bloss gewisse Unstimmigkeiten innerhalb der Deklaration (z.B. Missverhältnis zwischen Warenmenge und -wert) zum Vorschein bringen könne. Dementsprechend könne und müsse eine Rückweisung nur dann erfolgen, wenn im Rahmen der Plausibilitätskontrolle ein Fehler entdeckt werde. In Anbetracht von Art. 77 MWSTV, der ohne Unterscheidung des gewählten Verfahrens die fahrlässige Hinterziehung oder Gefährdung der Einfuhrsteuer durch eine unrichtige Wertdeklaration unter Strafe stelle, könnten im EDV-Verfahren hinsichtlich der Sorgfaltspflicht des Deklaranten keine weniger strengen Massstäbe gelten als im herkömmlichen Verfahren.
c) Bei der Beantwortung der Frage, ob die auf eine Plausibilitätskontrolle beschränkte Überprüfung der Deklaration durch den Computer die strafrechtliche Verantwortung des Deklaranten gesetzwidrig ausdehne, kommt es entscheidend auf die Rolle des Deklaranten beim Zollverfahren (Art. 29 ff. ZG) an. Bereits die Botschaft des Bundesrats zum Zollgesetz hält diesbezüglich fest, es gehöre zur innern Struktur des Zollwesens, dass der Zollkontrollpflichtige unter eigener Verantwortlichkeit bei der Veranlagung mitzuwirken habe; die Sicherung des Zolles mache das unbedingt notwendig, und das Zollstrafrecht, die nachdrücklichste Sicherungsmassnahme, sei auf dieser Grundforderung aufgebaut (BBl 1924 I 36). Der Berichterstatter im Ständerat betonte beim Zweck des Zollverfahrens, dass mit grösster Sicherheit auf jeder Ware der entsprechende Zoll erhoben werde. Das Zollverfahren sei grundsätzlich ein Parteiverfahren. Weiter verwies er auf die Praxis, wonach bloss ein verhältnismässig kleiner Prozentsatz sämtlicher Waren genau revidiert und der grösste Teil der Waren gestützt auf die Deklaration verzollt werde (Sten.Bull. 1924 S 142). In letzterem Sinn äusserte sich auch der Berichterstatter des Nationalrats. Beim Zollverfahren habe man unter anderem auch auf die Bedürfnisse des Handels Rücksicht genommen und darauf geachtet, dass - soweit es mit der Sicherheit in der Erfüllung der Zollpflicht vereinbar sei -
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der Verkehr so wenig wie möglich gehemmt werde (Sten.Bull. 1925 N 73). Auch in der Literatur wird das gemischte Veranlagungsverhältnis der gesetzlichen Regelung betont, die zur Erleichterung und Ermöglichung der Zollveranlagung beim Zollpflichtigen notwendigerweise eine loyale Mitwirkung voraussetze und diese durch entsprechende Strafbestimmungen zu erzwingen suche (ERNST BLUMENSTEIN, Grundzüge des schweizerischen Zollrechts, Bern 1931, S. 56 und 73 ff.; ALFONS VOLKEN, Die Zollmeldepflicht nach schweizerischem Recht, Diss. Freiburg 1954, S. 52 ff. und 97).
Aus diesen Stellungnahmen werden die Ziele einer möglichst raschen Zollabfertigung im Interesse des Handels einerseits und einer umfassenden Sicherung der Zollabgaben im Interesse des Bundes anderseits deutlich. Zudem wird klar, dass das Ziel der Abgabensicherung nicht zugunsten eines rascheren Warenverkehrs aufgegeben werden darf. Die beiden Zielsetzungen sind miteinander nur vereinbar, wenn die Einschränkung der Zollkontrollen durch eine erhöhte Verantwortung der Deklaranten aufgewogen wird. Dabei steht das Ausmass der Verantwortung des Deklaranten im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Intensität der Kontrollen durch die Zollorgane. Mit anderen Worten wächst die Verantwortung des Deklaranten bezüglich seiner Angaben, je weniger engmaschig die Kontrollen ausgestaltet sind. Schliesslich bezwecken die strafrechtlichen Bestimmungen, dass die Deklaranten im Zollverfahren pflichtgetreu mitwirken.
Im Gegensatz zum ordentlichen Verfahren, in dem die Zolldeklaration auf ihre formelle Richtigkeit und Vollständigkeit sowie die Übereinstimmung mit den Begleitpapieren überprüft wird, erfolgt im EDV-Verfahren lediglich eine Plausibilitätsprüfung im Spediteur- und Zollcomputer (E. 2a). Diese eingeschränkte Prüfung führt dazu, dass im Verhältnis zum ordentlichen Verfahren im EDV-Verfahren weniger Deklarationen zur Berichtigung an den Deklaranten zurückgewiesen werden. Insoweit ist mit dem Beschwerdeführer von einer Ausweitung der Strafbarkeit auszugehen, weil in der Plausibilitätskontrolle weniger Falschdeklarationen hängenbleiben, diese damit für den Deklaranten verbindlich werden und allenfalls strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Wie in den obigen Absätzen aufgezeigt, ist diese Rechtsfolge durch das Zollgesetz und insbesondere Art. 72a ZG abgestützt, handelt es sich doch beim EDV-Verfahren um nichts anderes als um eine Einschränkung der Kontrollen des ordentlichen Zollverfahrens, die durch die erhöhte Verantwortung des Deklaranten aufgewogen wird. Könnte er sich
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pflichtwidrig dieser Verantwortung entziehen, ohne strafrechtliche Folgen befürchten zu müssen, wäre entgegen der Absicht des Gesetzgebers das Ziel der Abgabensicherung in Frage gestellt. Von einer fehlenden gesetzlichen Grundlage angesichts der "Ausweitung der strafrechtlichen Verantwortung" beziehungsweise einer Ungleichbehandlung von Deklarationsversehen im manuellen und im EDV-Verfahren kann somit keine Rede sein. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers genügt Art. 72a ZG als gesetzliche Grundlage für die vertragliche Abmachung (E. 2a Abs. 2), hält diese Bestimmung doch ausdrücklich fest, dass durch solche Vereinbarungen der Abgabenertrag nicht geschmälert werden dürfe. Zur Sicherung dieses Ziels gibt es - wie dargelegt - die strafrechtlichen Zwangsmittel.
Im übrigen ist noch auf die Verordnung über die Vereinfachung im Zollverfahren vom 9. Mai 1990 hinzuweisen, wonach je nach den Umständen und Bedürfnissen ganz oder teilweise auf die formelle Überprüfung der Zolldeklaration (Art. 34 ZG) verzichtet werden kann (Art. 1 und 2 der Verordnung). Dabei hält die Verordnung ausdrücklich fest, dass vom Zollamt ohne formelle Prüfung angenommene Zolldeklarationen für den Aussteller verbindlich sind und bei Widerhandlungen die einschlägigen Strafbestimmungen gelten (Art. 3). Kann somit selbst eine Zolldeklaration ohne jegliche Prüfung seitens der Zollorgane strafrechtliche Folgen nach sich ziehen, muss das erst recht für eine Deklaration im EDV-Verfahren gelten, weil hier doch immerhin eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen wird. Auffallend ist auch hier, dass der Gesetzgeber (Art. 72a und 142 Abs. 2 ZG) Vereinfachungen im Zollverfahren nur zulässt, wenn der Abgabenbetrag nicht geschmälert wird (vgl. auch BBl 1972 II 233).

3. a) Der Beschwerdeführer rügt, der objektive Tatbestand von Art. 77 MWSTV sei ohnehin nicht erfüllt, weil von einer Gefährdung der Steuer durch das Versehen des Beschwerdeführers keine Rede sein könne. Gemäss Art. 68 MWSTV i.V.m. Art. 13 ZG seien sowohl der Spediteur als auch der Warenempfänger zollzahlungspflichtig und solidarisch für die Abgabe haftbar. Deshalb spiele der Vorsteuerabzug für die Frage der Gefährdung der Abgabe eine entscheidende Rolle; gleiches gelte auch für die vom Spediteur gemäss Art. 65 ff. ZG zu leistende Sicherheit, welche auch zum Tragen komme, wenn eine Belegrevision aufgrund eines Deklarationsversehens eine zu tiefe Abgabe aufdecke. Weil mit der Annahme der Deklaration auch feststehe, ob der Warenempfänger vorsteuerabzugsberechtigt
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sei, komme es damit in keinem Fall zu einer regelmässig erhöhten Gefährdung des Steuerbetreffnisses und damit des geschützten Rechtsgutes.
b) Gemäss Art. 41ter BV hat der Bund die Kompetenz, unter anderem auf Lieferungen von Gegenständen im Inland sowie auf Einfuhren eine Umsatzsteuer zu erheben. Entsprechend regelt die Mehrwertsteuerverordnung in den Art. 4-64 die Steuer auf den Umsätzen im Inland und in den Art. 65-80 diejenige auf den Einfuhren von Gegenständen (Art. 1 MWSTV). Die Art. 60-64 und 77-80 enthalten die Strafbestimmungen.
Bereits die Systematik dieser Bestimmungen zeigt, dass es sich um zwei verschiedene - wenn auch gleichartige - Steuern handelt, zu deren Sicherung je eigene Strafnormen aufgestellt worden sind. Aufgrund der gesonderten Regelung der Strafbestimmungen ist zu schliessen, dass es sich bei der Steuer auf den Umsätzen im Inland und derjenigen auf den Einfuhren von Gegenständen um zwei verschiedene Rechtsgüter handelt. Da die vorliegend zur Diskussion stehende Tatbestandsvariante des Art. 77 MWSTV als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet ist, stellt sich somit bloss die Frage, ob unrichtige Angaben eines Deklaranten regelmässig eine erhöhte Gefährdung der richtigerweise geschuldeten Einfuhrsteuer bewirken. Der Hinweis des Beschwerdeführers, dass auch der Warenempfänger einfuhrsteuerpflichtig sei, geht an der Sache vorbei. Denn dessen Steuerpflicht ändert nichts an der Tatsache, dass aufgrund der unrichtigen Deklaration der Einfuhrsteuerbetrag zu tief berechnet wird. Die Vorinstanz hält in diesem Zusammenhang fest, dass 30 bis 50 Prozent aller im EDV-Verfahren akzeptierten Deklarationen ohne jede weitere Prüfung verbindlich werden. Ausgehend von dieser Feststellung (Art. 277bis BStP) ist anzunehmen, dass eine zu tiefe Deklarierung des Warenwertes regelmässig eine erhöhte Gefährdung der Einfuhrsteuer bewirkt. Da der Beschwerdeführer einen zu geringen Warenwert deklarierte, erachtete die Vorinstanz den objektiven Tatbestand des Art. 77 MWSTV zu Recht als gegeben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass bei eingeführten Waren, die anschliessend der Umsatzsteuer im Inland unterliegen, diese Steuer faktisch als Sicherung der Einfuhrsteuer angesehen werden kann. Wollte man der Auffassung des Beschwerdeführers folgen, so hätte der Gesetzgeber bestimmen müssen, dass die Strafbestimmungen der Steuer auf der Einfuhr (Art. 77-80 MWSTV) nicht anwendbar sind, wenn auf eingeführten Waren die Steuer auf dem Umsatz im Inland vollständig entrichtet worden ist. Eine solche
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Bestimmung gibt es indessen nicht. Inwiefern nach Auffassung des Beschwerdeführers die Sicherstellung gemäss Art. 65 ff. ZG eine Gefährdung der Einfuhrsteuer bei unrichtiger Deklaration verhindern könnte, ist nicht nachvollziehbar; wenn der Plausibilitätstest die Falschdeklaration nicht entdeckt, kommt es bereits zu einer Gefährdung der Einfuhrsteuer, und zudem gibt es dann auch keinen Grund, eine Sicherstellung zu veranlassen (Art. 65 ff. ZG).

4. Der Beschwerdeführer macht geltend, der subjektive Tatbestand von Art. 77 MWSTV sei nicht erfüllt, weil dieser Bestimmung Ziff. 43 der Anlage B.1 des Kyoto-Abkommens vorgehe, wonach nur grobfahrlässiges Handeln strafbar sei.
Die Vorinstanz und die Beschwerdegegnerin verneinen die unmittelbare Anwendbarkeit der angerufenen Bestimmung.
a) Ein von der Bundesversammlung genehmigter Staatsvertrag wird mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden für die Vertragsstaaten völkerrechtlich verbindlich; er erlangt zusammen mit der völkerrechtlichen auch landesrechtliche Wirkung. Er kann vom Bürger vor Gericht angerufen bzw. von den Behörden als Grundlage einer Entscheidung herangezogen werden, wenn er unmittelbar anwendbar (self-executing) ist. Dies setzt voraus, dass die angerufene staatsvertragliche Regelung inhaltlich hinreichend bestimmt und klar ist, um im Einzelfall Grundlage eines Entscheides bilden zu können. Die erforderliche Bestimmtheit geht vor allem blossen Programmartikeln ab. Sie fehlt auch Bestimmungen, die eine Materie nur in Umrissen regeln, dem Vertragsstaat einen beträchtlichen Ermessens- oder Entscheidungsspielraum lassen oder blosse Leitgedanken enthalten, sich also nicht an die Verwaltungs- oder Justizbehörden, sondern an den Gesetzgeber richten (BGE 122 II 234 E. 4a; BGE 120 Ia 1 E. 5b mit Hinweisen).
b) Das Internationale Übereinkommen zur Vereinfachung und Harmonisierung der Zollverfahren vom 18. Mai 1973 (Kyoto-Abkommen; SR 0.631.20) trat für die Schweiz am 13. Juli 1977 in Kraft. Nach dessen Art. 2 verpflichtet sich jede Vertragspartei, die Vereinfachung und die Harmonisierung der Zollverfahren zu fördern und sich zu diesem Zweck unter den in diesem Übereinkommen vorgesehenen Bedingungen nach den Normen und empfohlenen Praktiken in den Anlagen zu diesem Übereinkommen zu richten.
Die Anlage B.1 über die Abfertigung zum freien Verkehr ist von der Schweiz ohne Vorbehalte angenommen worden. Ziff. 43 der Anlage B.1 lautet wie folgt: "Stellen die Zollbehörden fest, dass auf
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Grund von Fehlern in der Zolldeklaration Nachforderungen an Eingangsabgaben erforderlich werden, weitere Belege vorzulegen oder weitere Rechtsvorschriften anzuwenden sind, und ist nicht erwiesen, dass eine absichtliche Rechtsverletzung vorliegt, so unterrichten die Zollbehörden unverzüglich den Zollmeldepflichtigen. Sind sie überzeugt, dass es sich um unbeabsichtigte Fehler handelt und dass keine grobe Fahrlässigkeit von seiten des Zollmeldepflichtigen vorliegt, so gestatten sie ihm, die Zolldeklaration zu berichtigen und die erforderlichen zusätzlichen Formalitäten zu erfüllen, ohne ihn zu bestrafen."
Die Anlage H.2 (SR 0.632.20, S. 9), die von der Schweiz nicht ratifiziert worden ist, regelt die Zollzuwiderhandlungen. Gemäss Ziff. 23 legen die innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Strafen oder Bussen für die einzelnen Gruppen von Zollzuwiderhandlungen, die im Verwaltungswege erledigt werden können, fest und bestimmen die für die Festsetzung der Strafen oder Bussen zuständigen Zollbehörden. Irrtümer (d.h. Fehlen der betrügerischen Absicht) in der Zollanmeldung oder bei der Erfüllung anderer Zollförmlichkeiten sollten nicht geahndet werden, wenn grobe Fahrlässigkeit auszuschliessen ist und der zu wenig entrichtete oder zu Unrecht erstattete Betrag an Eingangs- oder Ausgangsabgaben oder an inneren Abgaben nicht die von den innerstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegte Grenze überschreitet (Ziff. 25).
c) Bereits der Wortlaut des Art. 2 des Kyoto-Übereinkommens, wonach sich die Vertragsparteien verpflichten, sich nach den Normen und empfohlenen Praktiken "zu richten", aber auch die Abfassung der Anlage B.1 insgesamt deuten darauf hin, dass die Regeln dem Vertragsstaat einen beträchtlichen Ermessens- und Entscheidungsspielraum einräumen. Ein Vergleich mit der Anlage H.2 macht schliesslich klar, dass die vom Beschwerdeführer angerufene Bestimmung keinen self-executing-Charakter besitzt. Während die Anlage B.1 die Abfertigung zum freien Verkehr zum Gegenstand hat, befasst sich die Anlage H.2 mit den Zollzuwiderhandlungen. Nur schon von daher wäre es systemwidrig, zur Regelung von Zollzuwiderhandlungen trotz entsprechender Bestimmungen in der Anlage H.2 eine solche aus der Anlage B.1 heranzuziehen. Gemäss Ziff. 23 der Anlage H.2 ist es Sache der einzelnen Vertragsstaaten, für Zollzuwiderhandlungen Strafen und Bussen aufzustellen. Die Ziff. 25 derselben Anlage, wonach Fehler in der Zollanmeldung oder bei der Erfüllung anderer Zollförmlichkeiten nicht strafbar sind, soweit sie nicht mindestens grobfahrlässig begangen
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wurden, enthält drei Einschränkungen. Erstens handelt es sich bei dieser Bestimmung bloss um eine empfohlene Praktik (siehe Randtitel). Zweitens bringt auch der Wortlaut "sollten nicht geahndet werden" klar zum Ausdruck, dass es sich nur um eine unverbindliche Anregung handelt, und drittens wird die Straflosigkeit noch an die Bedingung geknüpft, dass der gefährdete Abgabenbetrag eine vom innerstaatlichen Recht bestimmte Höhe nicht überschreitet. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie Ziff. 43 der Anlage B.1 zum Kyoto-Übereinkommen den self-executing-Charakter absprach.

5. Zusammenfassend hat die Vorinstanz somit kein Bundesrecht verletzt, indem sie den Beschwerdeführer wegen Widerhandlung gegen die Verordnung über die Mehrwertsteuer mit Fr. 240.-- büsste. Dies führt zur kostenpflichtigen Abweisung der Beschwerde (Art. 278 Abs. 1 BStP).

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2 3 4 5

Referenzen

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Artikel: Art. 77 MWSTV, Art. 72a ZG, Art. 65 ff. ZG, Art. 29 ff. ZG mehr...

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