Urteilskopf
125 III 401
69. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Oktober 1999 i.S. X. gegen Y.-Z. (Berufung)
Regeste
Art. 156 ZGB i.V.m.
Art. 275 ZGB und
Art. 315a ZGB;
Art. 53 OR und Art. 2 ÜbBest.BV; Zuständigkeit des Scheidungsrichters.
An bestehende Kindesschutzmassnahmen und Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist der Scheidungsrichter nicht gebunden, wenn sich seit Erlass der betreffenden Verfügungen die Verhältnisse geändert haben (E. 2b). Für die Regelung des persönlichen Verkehrs ist er auch dort sachlich zuständig, wo er beiden Ehegatten die elterliche Gewalt entzieht (E. 2c). Er missachtet den Vorrang des Bundesrechts nicht dadurch, dass er ohne Rücksicht auf ein vorausgegangenes Straferkenntnis die Frage eines Missbrauchs des Scheidungskinds abklärt (E. 3).
A.- X., Jahrgang 1953, und X.-Z. (heute: Y.-Z.), Jahrgang 1961, heirateten am 13. Dezember 1991. Für sie war es die dritte und für ihn die zweite Eheschliessung, und beide hatten sie Kinder aus früherer Ehe; die elterliche Gewalt über seine drei Kinder wurde damals der geschiedenen Ehefrau übertragen, während ihr Sohn aus erster Ehe fremdplatziert werden musste. Aus der Ehe der Parteien ging am 16. Juni 1992 das Mädchen M. hervor. Es lebt seit August 1995 bei einer Pflegefamilie in U., in der es schon zuvor betreut worden war.
B.- Nachdem ihnen bereits im September 1994 einmal die Obhut über ihre Tochter entzogen und dieser ein Beistand bestellt worden war, entzog die Vormundschaftsbehörde U. den Parteien im August/September 1995 erneut das Obhutsrecht über M., beliess das Kind an seinem bisherigen Pflegeplatz und schränkte unter anderem den persönlichen Kontakt von X. mit seiner Tochter auf Besuche in Anwesenheit der Pflegemutter oder einer vom Beistand des Kindes zu bestimmenden Drittperson ein; die dagegen erhobene Beschwerde von X. ist bei der Fürsorgedirektion des Kantons Glarus hängig. Das wegen Verdachts auf sexuelle Übergriffe auf das Mädchen M. gleichzeitig eröffnete Strafverfahren gegen X. wurde "mangels Nachweis einer strafbaren Handlung" fallen gelassen; der entsprechende Beschluss der kantonsgerichtlichen Strafkammer vom 14. Februar 1996 ist unangefochten geblieben.
C.- Auf Klage der Ehefrau vom 20. Februar 1996 hin schied das Kantonsgericht Glarus (II. Zivilkammer) die Ehe der Parteien. Es entzog beiden Ehegatten die elterliche Gewalt, errichtete eine Vormundschaft über M. und regelte den persönlichen Verkehr wie auch die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem Kind (Urteil vom 18. März 1997). Auf dem Rechtsmittelweg suchten beide Parteien, die Zuteilung der elterlichen Gewalt über ihre Tochter an sich zu erwirken, verbunden mit einer Anpassung der weiteren Kinderbelange. Das Obergericht des Kantons Glarus wies die Appellationen ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil bis auf die Regelung des Kontakts zwischen Eltern und Kind, den es für den Vater X. weitergehend einschränkte. Es strich sein Ferienbesuchsrecht und erlaubte ihm, seine Tochter an einem Tag pro Monat unter Überwachung durch eine Drittperson zu treffen. Die verbindliche Regelung der Modalitäten der elterlichen Kontakte mit dem Kind wurde dem Vormund aufgetragen (Urteil vom 21. November 1997 und 7. Mai 1999).
D.- Mit eidgenössischer Berufung beantragt X. dem Bundesgericht zur Hauptsache, ihm die elterliche Gewalt über M. zuzuscheiden,
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Y.-Z. ein angemessenes Besuchs- und Ferienrecht einzuräumen, eventuell gemäss dem angefochtenen Urteil, und sie zu angemessenen Unterhaltsbeiträgen für ihre Tochter zu verpflichten, eventuell gemäss dem bestätigten Kantonsgerichtsurteil; für den Fall, dass ihm die elterliche Gewalt und/oder die Obhut entzogen werden sollte, sei ihm ein uneingeschränktes, insbesondere unbegleitetes Besuchsrecht an zwei Wochenenden pro Monat sowie ein Ferienrecht im Umfange von vier Wochen jährlich einzuräumen.
Das Obergericht hat auf Abweisung der Berufung geschlossen, soweit darauf einzutreten sei. Die von Y.-Z. unaufgefordert eingelegte Berufungsantwort und Anschlussberufung wurde als verfrüht zurückgewiesen.
Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.
E.- Die gleichzeitig gegen das nämliche Urteil erhobene staatsrechtliche Beschwerde von X. hat die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte (5P. 254/1999).
Das Bundesgericht hat die Berufung abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte, und das obergerichtliche Urteil bestätigt.
Aus den Erwägungen:
2. Der Beklagte macht eine Verletzung von
Art. 315a ZGB geltend und bestreitet die Befugnis des Obergerichts, Kindesschutzmassnahmen anzuordnen. Nach Abs. 2 Ziffer 1 der genannten Bestimmung bleibe die Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde gegenüber jener der Gerichte nach
Art. 315a Abs. 1 ZGB vorbehalten, wenn das Kindesschutz- vor dem Scheidungsverfahren durchgeführt oder eingeleitet worden sei. Diese Voraussetzung sei offenkundig erfüllt.
a) Rechtlich geht es um die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen vormundschaftlichen Behörden und Scheidungsrichter für die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen (
Art. 315 und Art. 315a ZGB), dann aber auch um die Zuständigkeit für die Regelung der persönlichen Beziehungen der Eltern zu ihrem Kind (Art. 156 i.V.m.
Art. 275 Abs. 1 und 2 ZGB). Die Auslegung dieser Bundesrechtsbestimmungen folgt den allgemeinen Grundsätzen:
Ausgangspunkt bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente; dabei kommt es namentlich
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auf den Zweck der Regelung, die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, den Sinn der Norm zu erkennen (
BGE 125 II 192 E. 3a S. 196 mit Hinweisen). Vom Wortlaut kann abgewichen werden, wenn triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus Sinn und Zweck der Norm oder aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben (
BGE 125 II 113 E. 3a S. 117 mit Hinweisen).
Auf den 1. Januar 2000 wird eine Änderung des Zivilgesetzbuches in Kraft treten betreffend unter anderem Scheidung und Kindesrecht (AS 1999 S. 1118 ff., S. 1144). Vorarbeiten dazu dürfen bei der Auslegung berücksichtigt werden, wenn das geltende System nicht grundsätzlich geändert und nur eine Konkretisierung des bestehenden Rechtszustandes angestrebt wird oder Lücken des geltenden Rechts ausgefüllt werden (
BGE 124 II 193 E. 5d S. 201; RIEMER, Neuere privatrechtliche Bundesgerichtsentscheide zur Vorwirkung von Gesetzen, recht 11/1993 S. 223 ff.). Die Voraussetzungen sind bei den hier in Betracht fallenden Bestimmungen erfüllt, die im Parlament gemäss dem bundesrätlichen Entwurf unverändert angenommen wurden (Botschaft, BBl 1996 I 1ff., S. 27 Ziffer 144.2, S. 30 Ziffer 144.5 und S. 123 ff. Ziffer 233.6; AB 1996 S 766 und 1997 N 2715-2722 für Art. 133 Abs. 1 und 2 sowie AB 1996 S 772 und 1997 N 2739 bzw. 2743 für Art. 275 und Art. 315a).
b) Das Obergericht hat den Ehegatten die elterliche Gewalt über ihre Tochter in Anwendung von Art. 311 ZGB entzogen und damit im Rahmen der Ehescheidung eine Kindesschutzmassnahme getroffen. Es hat ferner den persönlichen Verkehr des Beklagten mit seiner Tochter eingeschränkt.
aa) Zuständig für Kindesschutzmassnahmen sind die vormundschaftlichen Behörden (
Art. 315 Abs. 1 ZGB), ausser der Richter habe nach den Bestimmungen über die Ehescheidung die Elternrechte und die persönlichen Beziehungen der Eltern zu ihren Kindern zu gestalten (
Art. 315a Abs. 1 ZGB); im Sinne von Gegenausnahmen zur richterlichen Zuständigkeit bleibt aber jene der vormundschaftlichen Behörden vorbehalten, wenn das Kindesschutzverfahren vor dem Scheidungsverfahren durchgeführt oder eingeleitet worden ist oder wenn die zum Schutz des Kindes sofort nötigen vorsorglichen Massnahmen vom Richter voraussichtlich
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nicht rechtzeitig getroffen werden können (Art. 315a Abs. 2 Ziffern 1 und 2 ZGB).
bb) Inhaltlich entsprechen die beiden ersten Absätze des Art. 315a ZGB dem bundesrätlichen Entwurf (Art. 316). Die sachliche Zuständigkeit des Scheidungsrichters für Kindesschutzmassnahmen wird in der Botschaft aus Gründen des Sachzusammenhangs und der Verfahrensökonomie als sinnvoll erachtet; zu den Vorbehalten findet sich keine nähere Begründung (BBl 1974 II 1 ff., S. 86 f. Ziffer 323.47). Die redaktionellen Änderungen der Kommission sollen dem Berichterstatter im Ständerat zufolge klarstellen, dass es hier um Kindesschutzmassnahmen gemäss Art. 307 ff. ZGB geht und nicht um andere Regelungen, die das Kind auch betreffen können, wie etwa die Regelung des Besuchsrechts (AB 1975 S 139); Berichterstatter Arnold hatte ferner in der Eintretensdebatte auf den Dualismus hingewiesen, dass namentlich der Scheidungsrichter und die Verwaltungsbehörde sich mit dem Kind aus gestörter Ehe zu befassen und ähnliche Entscheidungen, wenn auch in verschiedenen Verfahren, zu treffen hätten, was aber bis auf Weiteres in Kauf zu nehmen sei, zumal das Eherecht nicht Gegenstand der vorliegenden Revision sei; der Gesetzgeber werde für diesmal dafür besorgt sein müssen, dass die Kompetenzen klar abgegrenzt würden (AB 1975 S 107). Der ständerätliche Vorschlag wurde im Nationalrat in den hier wesentlichen Punkten diskussionslos angenommen (AB 1975 N 1788).
cc) Bedeutung und Tragweite der Regelung sind in der Lehre umstritten. Aus der Eindeutigkeit des Vorbehalts gemäss Art. 315a Abs. 2 Ziffer 1 ZGB wird gefolgert, der Richter dürfe die von den vormundschaftlichen Behörden vor Hängigkeit des Scheidungsprozesses getroffenen Massnahmen nicht ändern; seine Zuständigkeit sei vielmehr ausgeschlossen, wenn Kindesschutzmassnahmen der vormundschaftlichen Behörden noch in Kraft stünden (namentlich HENKEL, Die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen gemäss Art. 307 rev. ZGB, Diss. Zürich 1976, Druck 1977 S. 115 ff.). Nach einer engeren Auslegung soll der Richter befugt sein, die bereits bestehenden Massnahmen zu ergänzen oder durch schärfere zu ersetzen, aber nicht sie zu mildern oder aufzuheben (ausführlich: Hegnauer, Zur Abgrenzung der Kinderschutzbefugnisse der vormundschaftlichen Behörden und des Scheidungsrichters [
Art. 315a Abs. 1 und 2 Ziff. 1 ZGB], ZVW 1981 S. 58 ff.). Haben die Verhältnisse sich gegenüber den von den vormundschaftlichen Behörden beurteilten verändert, ist strittig, ob für die Änderung der bestehenden
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Kindesschutzmassnahmen generell die vormundschaftlichen Behörden zuständig sind (vgl. HINDERLING/STECK, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. Aufl. Zürich 1995, S. 493 bei und in Anm. 16) oder ob der Richter tätig werden darf, da er ja unter dieser Voraussetzung nicht die bestehende Anordnung anpasst, sondern eine neue Situation beurteilt (z.B. BREITSCHMID, Basler Kommentar, N. 8 zu Art. 315/315a ZGB). Die Fragen werden seit jeher unterschiedlich beantwortet, und das Bundesgericht hatte sich bislang nicht über den konkreten Einzelfall hinaus zu äussern (vgl. die vertiefte Darstellung bei Eckert, Compétence et procédure au sujet de l'autorité parentale dans les causes matrimoniales, Diss. Lausanne 1990, S. 139 ff. mit vielen Nachweisen).
dd) Das Obergericht hat bestehende Kindesschutzmassnahmen nicht nur verschärft (Entzug der elterlichen Gewalt statt der Obhut), sondern einen Sachverhalt beurteilt, wie er den vormundschaftlichen Behörden nicht vorgelegen hatte. Denn eine umfassende Begutachtung des Kindes M., auch bezüglich der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen, die den Beklagten belasten, ist erstmals im Appellationsverfahren erfolgt und hat den Sachverhalt insoweit verändert, als sich namentlich der Verdacht auf sexuelle Übergriffe des Beklagten auf seine Tochter erhärtete. Die vormundschaftlichen Behörden hatten demgegenüber zunächst auf blosser Vermutungsbasis Kindesschutzmassnahmen angeordnet, die im Beschwerdeverfahren - den Angaben des Beklagten zufolge - nach Eingang des kantonsgerichtlichen Strafkammerentscheids auf Zusehen hin gelockert wurden. Dem Obergericht haben somit veränderte Verhältnisse im Rechtssinne vorgelegen (allgemein:
BGE 100 II 76; z.B.
BGE 111 II 405 E. 3 S. 408, für das Besuchsrecht). Dass es diese selber beurteilen durfte, legen vorab Sachzusammenhang und Prozessökonomie nahe, wäre es doch ein Leerlauf, den Scheidungsrichter über die Zuteilung der elterlichen Gewalt ein Beweisverfahren durchführen zu lassen und ihm alsdann zu untersagen, jene Anordnungen im Interesse des Kindeswohls zu treffen, die den aktuellen, veränderten Verhältnissen entsprechen. Eine abweichende Sicht widerspräche dem auf eine klare Kompetenzabgrenzung gerichteten Zweck, aber auch der Idee, die hinter der richterlichen Zuständigkeit für Kindesschutzmassnahmen steht, dass nämlich alles in einem Verfahren geregelt werden soll. Die Revision des Scheidungsrechts hat diesen Gedanken aufgenommen und sieht in
Art. 315a Abs. 2 ZGB neu ausdrücklich vor, dass bestehende Kindesschutzmassnahmen auch vom Gericht den neuen Verhältnissen angepasst werden können; diese
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Öffnung und damit eine Erweiterung der richterlichen Befugnisse ist aus den erwähnten Gründen gesetzlich verankert worden (BBl 1996 I 124 Ziffer 233.61). Die Entziehung der elterlichen Gewalt macht das Verfahren vor den vormundschaftlichen Behörden betreffend Zuweisung der Obhut gegenstandslos (vgl. HEGNAUER, a.a.O., S. 65 Ziffer 11).
ee) Wie einleitend erwähnt (E. 2b/bb soeben), gilt die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Richter und vormundschaftlichen Behörden gemäss Art. 315a ZGB nur für Kindesschutzmass-nahmen (Art. 307 ff. ZGB), hingegen nicht für die Regelung des persönlichen Verkehrs. Diese obliegt nach Art. 275 ZGB der Vormundschaftsbehörde (Abs. 1) unter Vorbehalt der richterlichen Zuständigkeit nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft (Abs. 2). Eine - Art. 315a Abs. 2 Ziffer 1 ZGB entsprechend - vorbehaltene Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde, wenn sie Anordnungen über den persönlichen Verkehr vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bereits getroffen hat, fehlt im Gesetz und ist durch die Scheidungsrechtsrevision nicht nachgetragen worden (vgl. BBl 1996 I 159/160 Ziffer 244.1). Übereinstimmend geht die Lehre aber davon aus, dass der Richter in Ehesachen wie an vorbestehende Kindesschutzmassnahmen, auch an die von der Vormundschaftsbehörde bereits getroffenen Anordnungen über den persönlichen Verkehr gebunden ist (statt vieler: STETTLER, Das Kindesrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, III/2, Basel 1992, § 16/IV Bst. I Ziffer 2 S. 279; HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 24 zu Art. 275 ZGB). Auf Gesagtes kann deshalb verwiesen werden, so dass der Richter jedenfalls dann für die Regelung des persönlichen Verkehrs zuständig ist, wenn die Verhältnisse sich gegenüber den für die Anordnungen der Vormundschaftsbehörde massgebenden verändert haben.
c) Von der Frage nach der sachlichen Zuständigkeit des Scheidungsrichters für Kindesschutzmassnahmen und Anordnungen über den persönlichen Verkehr, wenn bereits entsprechende Verfügungen der vormundschaftlichen Behörden bestehen, ist die weitere Frage zu unterscheiden, wem die Befugnis zukommt, den persönlichen Verkehr zu regeln für den Fall, dass der Scheidungsrichter beiden Ehegatten die elterliche Gewalt entzieht. Das Obergericht hat dem Beklagten ein Besuchsrecht von einem Tag pro Monat eingeräumt und mit dem Vollzug der Auflage den Vormund beauftragt.
aa) Die Lehrmeinungen gehen in dieser Zuständigkeitsfrage wiederum auseinander: Zu Gunsten der Vormundschaftsbehörde, diesfalls
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den persönlichen Verkehr zu regeln, wird angeführt, dass weder die Vormundschaftsbehörde noch die Pflegeeltern oder der Heimleiter im Scheidungsprozess Partei seien und dass der Richter die Verhältnisse der künftigen Unterbringung nicht kenne und damit die für eine angemessene Regelung wesentlichen Umstände nicht umfassend überblicke (HEGNAUER, N. 26 zu
Art. 275 ZGB; gl.M. LÜCHINGER/GEISER, Basler Kommentar, N. 22 zu
Art. 156 ZGB). Befürwortet wird demgegenüber die Zuständigkeit des Scheidungsrichters aus Gründen der Prozessökonomie (z.B. HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 453 f. Anm. 22a, a.E.), wegen der grösseren Sachnähe (so SCHWENZER, Basler Kommentar, N. 7 zu
Art. 275 ZGB) oder unter Hinweis darauf, dass der Scheidungsrichter auf Grund der im Prozessverfahren ohnehin festzustellenden tatsächlichen Verhältnisse gewöhnlich auch ohne genaue Kenntnis der künftigen Vollzugsmassnahmen in der Lage sei, für die verschiedenen Fälle (Familien- bzw. Heim- oder Anstaltsversorgung) vorbehaltene Regelungen aufzustellen (BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 322 zu
Art. 156 ZGB). Die Argumente haben sich im Laufe der Zeit nicht gewandelt (vgl. die ausführliche Erörterung von ECKERT, a.a.O., S. 131 ff. mit vielen Nachweisen).
bb)
Art. 156 ZGB erklärt den Scheidungsrichter für sachlich zuständig, über die Gestaltung der Elternrechte und der persönlichen Beziehungen der Eltern zu den Kindern die nötigen Verfügungen zu treffen (Abs. 1) und den persönlichen Verkehr des Ehegatten mit den Kindern, die ihm entzogen werden, und den Beitrag, den er an die Kosten ihres Unterhalts zu entrichten hat, zu regeln (Abs. 2). Die Zuständigkeitsbestimmung wird in den für das Sachurteil massgebenden Gesetzesabschnitten jeweilen vorbehalten (z.B. für Anordnungen über den persönlichen Verkehr in
Art. 275 Abs. 2 ZGB). Die Neufassung von
Art. 156 Abs. 2 ZGB geht auf die Kindesrechtsrevision von 1976/78 zurück (BBl 1974 II 94 Ziffer 333; vorbehaltlos angenommen im Parlament: AB 1975 S 144 und N 1792), die mit
Art. 275 ZGB die Zuständigkeiten von Vormundschaftsbehörde (Abs. 1) und Richter (Abs. 2) konkretisieren musste und im Wesentlichen danach schied, ob es sich um ein eherechtliches Verfahren handelt oder nicht (vgl. BBl 1974 II 55 Ziffer 321.34; Berichterstatter Arnold, AB 1975 S 124). Die nationalrätliche Berichterstatterin Blunschy führte dazu aus, der Richter habe, wenn ein Ehescheidungsverfahren oder ein Eheschutzverfahren eingeleitet sei, die Verhältnisse ohnehin gründlich zu prüfen, er kenne die Akten, und es liege an ihm, auch über das Besuchsrecht der Kinder das Nötige
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zu bestimmen; es wäre eine Doppelspurigkeit, würde man in solchen Fällen zusätzlich noch die Vormundschaftsbehörden bemühen (AB 1975 N 1768). Der Vorbehalt zu Gunsten der Zuständigkeit des Richters in Ehesachen gab - im Unterschied zu
Art. 275 Abs. 3 ZGB - zu keinen weiteren Diskussionen Anlass. Das revidierte Scheidungsrecht entspricht in diesem Punkt dem bisherigen Recht (vgl. BBl 1996 I 123 Ziffer 233.61).
cc) Aus Botschaft und Beratung zur Revision des Kindesrechts lassen sich zumindest Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber eine klare Trennung richterlicher und vormundschaftsbehördlicher Zuständigkeiten gewollt hat; Doppelspurigkeiten sollten vermieden werden, wie dies vorab in
Art. 315a Abs. 1 ZGB deutlich zum Ausdruck kommt, wonach der Richter die nötigen Kindesschutzmassnahmen trifft und die vormundschaftlichen Behörden mit der Vollziehung betraut. Ferner hängen die Gründe für die Entziehung der elterlichen Gewalt gemäss
Art. 311 ZGB und die Gründe, die Einschränkungen des Rechts auf persönlichen Verkehr rechtfertigen können (
Art. 274 Abs. 2 ZGB), derart eng zusammen, dass der Richter, der die Frage zu beantworten hat, ob er im Kindesinteresse beiden Ehegatten die elterliche Gewalt entziehen muss, auf Grund der daraus gewonnenen Kenntnis des Einzelfalls gleichzeitig die Anordnungen über den persönlichen Verkehr treffen kann; voneinander abhängige Probleme sollten in einem Verfahren gelöst werden. Die Eröffnung eines zweiten nachgeordneten Erkenntnisverfahrens vor vormundschaftlichen Behörden mit ordentlichen Rechtsmitteln - neu (
Art. 44 lit. d OG) - bis vor Bundesgericht hätte zudem eine unerwünschte Verlängerung des Scheidungsverfahrens zur Folge. Klarheit in der Kompetenzausscheidung, Sachzusammenhang und Verfahrensbeschleunigung legen nahe, die Regelung des persönlichen Verkehrs auch dann dem Scheidungsrichter vorzubehalten, wenn er beiden Ehegatten die elterliche Gewalt entziehen muss. Die Lösung beachtet den Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils, der auch in Kinderbelangen gilt (HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 581; BÜHLER/SPÜHLER, N. 17 zu
Art. 156 ZGB). Ein allfälliger Mangel an Kenntnis über die Verhältnisse der künftigen Unterbringung kann durch Anhörung der Vormundschaftsbehörde behoben werden (
Art. 156 Abs. 1 ZGB und neu Art. 145 Abs. 2), die gerade für den Fall als unabdingbar angesehen wird, dass der Richter Kindesschutzmassnahmen und dabei vorab eine Entziehung der elterlichen Gewalt gegenüber beiden Ehegatten anzuordnen gedenkt (STETTLER, a.a.O., § 16/IV Bst. E Ziffer 2 S. 270;
BGE 125 III 401 S. 410
BÜHLER/SPÜHLER, N. 49 zu
Art. 156 ZGB); praxisgemäss wird der Richter in solchen Fällen ohnehin nur den Umfang des persönlichen Verkehrs (Häufigkeit und Dauer der Besuche) festlegen und dessen eigentliche Konkretisierung sinnvollerweise der vormundschaftlichen Behörde übertragen (vgl. dazu HINDERLING/STECK, a.a.O., S. 452 bei und in Anm. 18c und 19; HEGNAUER, N. 36 und N. 38 f. zu
Art. 275 ZGB). Das Vorgehen des Obergerichts verletzt Bundesrecht nicht.
3. Der Beklagte verweist auf den rechtskräftigen Beschluss der kantonsgerichtlichen Strafkammer, den Prozess "bezüglich des Vorhalts der sexuellen Handlungen mit einem Kind und der mehrfachen Schändung mangels Nachweis einer strafbaren Handlung gemäss
Art. 89 Abs. 1 Ziff. 1 StPO" fallen zu lassen. Eine Bundesrechtsverletzung erblickt er darin, dass das Obergericht sich als Zivilgericht nicht an das Erkenntnis des Strafrichters gebunden gefühlt habe, der rechtskräftig festgestellt hätte, dass ihm keine strafrechtlich relevanten sexuellen Übergriffe gegenüber seiner Tochter angelastet werden könnten. Soweit der Beklagte eine Verletzung der derogatorischen Kraft anspricht, ist die Frage im Berufungsverfahren zu prüfen (
BGE 122 III 101 E. 1 S. 102).
Art. 53 OR, der im ganzen Privatrecht anwendbar ist (
BGE 66 II 80 E. 1 S. 83), regelt die Unabhängigkeit des Zivilrichters gegenüber dem Strafgesetz, dem freisprechenden Urteil des Strafgerichts und dem Urteil des Strafrichters überhaupt; diese Unabhängigkeit betrifft die Bestimmungen über die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit bei der Beurteilung der zivilrechtlichen Schuld oder Nichtschuld und die Freisprechung (Abs. 1) sowie die strafgerichtlichen Erkenntnisse hinsichtlich Schuld und Schaden (Abs. 2). Die Rechtsprechung erblickt darin einen auf die Schuldfrage und die Schadensbestimmung beschränkten Eingriff des Bundesgesetzgebers in das grundsätzlich den Kantonen vorbehaltene Prozessrecht; für diese beiden Problemkreise ist eine Bindung des Zivilrichters an ein vorausgegangenes Strafurteil im Interesse des materiellen Bundesrechts ausgeschlossen, ansonsten aber steht es den Kantonen von Bundesrechts wegen frei, die Verbindlichkeit eines Strafurteils für den Zivilrichter vorzusehen, insbesondere was die Feststellung der Tat als solcher und deren Widerrechtlichkeit anbetrifft (
BGE 107 II 151 E. 5b S. 158 mit Hinweisen; ausführlich: BREHM, Berner Kommentar, N. 3 ff. und N. 22 ff. zu
Art. 53 OR, mit weiteren Nachweisen sowie das Urteil des Bundesgerichts vom 23. Mai 1990, E. 2b, in: SVA XVIII/1990-1991 Nr. 15 S. 74 f.;
BGE 120 Ia 101 E. 2e S. 107 f. mit einer Präzisierung für die Anwendung des Opferhilfegesetzes).
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Seine Unabhängigkeit in der Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts hindert den Zivilrichter zwar nicht daran, die Beweisergebnisse der Strafuntersuchung abzuwarten und mitzuberücksichtigen (Urteil des Bundesgerichts vom 31. März 1994, E. 3b, in: SJ 1994 S. 551 f.); dass er dannzumal nicht grundlos von der Auffassung des Strafrichters abgehen wird, ist jedoch eine Frage der Zweckmässigkeit und nicht ein Satz des Bundesrechts (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 7. Februar 1984 i.S. Sch., E. 2; vgl. dazu BREHM, N. 31 ff. zu Art. 53 OR, mit weiteren Nachweisen).
Dass das Obergericht gestützt auf kantonales Recht dafürgehalten hat, es sei als Zivilgericht an einen strafrichterlichen Entscheid nicht gebunden und dürfe die Frage einer möglichen sexuellen Ausbeutung von M. durch den Beklagten neu aufgreifen, verletzt weder die derogatorische Kraft noch sonst eine Bestimmung des Bundesrechts. Dafür nicht entscheidend ist, ob es sich beim "Fallenlassen" des Prozesses durch die kantonsgerichtliche Strafkammer um einen Freispruch oder um eine Einstellungsverfügung handelt; wenn jener im Gesetz ausdrücklich erwähnt wird, dann gilt die Unverbindlichkeit um so mehr bei dieser, wo sich das Strafgericht gar nicht mit dem Fall auseinandergesetzt hat (BREHM, N. 16 zu Art. 53 OR). Was die Anwendung des kantonalen Rechts und die Beweiswürdigung angeht, kann auf das Urteil über die staatsrechtliche Beschwerde verwiesen (5P. 254/1999 E. 3 und 4) und im vorliegenden Zusammenhang lediglich wiederholt werden, dass der Strafkammerentscheid keine Feststellung der behaupteten Art enthält, geschweige denn einen Freispruch des Beklagten darstellt (E. 3c).