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Urteilskopf

135 II 38


5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Carbura gegen Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_376/2008 vom 2. Dezember 2008

Regeste

Art. 102 BV, Art. 83 lit. j BGG, Art. 31, 33 und 34 VGG, Art. 5 VwVG, Art. 10 Abs. 2, Art. 38, 39 und 41 LVG, Art. 11 Abs. 2 Vorratshaltungsverordnung; Rechtsnatur der Genehmigung (bzw. deren Widerrufs) von Reglementsbestimmungen eines dezentralen Verwaltungsträgers.
Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht gegen einen Nichteintretensentscheid des Bundesverwaltungsgerichts (E. 1).
Gegen Entscheide eines Bundesamts über die Genehmigung von Reglementsbestimmungen eines externen Verwaltungsträgers kann von diesem beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde geführt werden (E. 2-4).

Sachverhalt ab Seite 39

BGE 135 II 38 S. 39
Die Schweizerische Zentralstelle für die Einfuhr flüssiger Treib- und Brennstoffe Carbura ist ein Verein im Sinne von Art. 60 ff. ZGB. Als Selbsthilfeorganisation der Pflichtlagerhalter verfolgt sie verschiedene Aufgaben im Bereich der obligatorischen Pflichtlagerhaltung zum Zweck der wirtschaftlichen Landesversorgung. Namentlich ist sie im Auftrag des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (nachfolgend: Bundesamt) zuständig für die Erteilung von Bewilligungen zur Einfuhr flüssiger Treib- und Brennstoffe, die der Pflichtlagerhaltung unterliegen, und überwacht die entsprechende Pflichtlagerhaltung. Zur Erreichung der Vereinszwecke kann die Carbura auf den der Einfuhrbewilligungspflicht unterliegenden Produkten Beiträge erheben, die im Einvernehmen mit dem Bundesamt festgesetzt werden. Mitglieder der Carbura können alle im schweizerischen Hoheits- oder Zollgebiet niedergelassenen und im Handelsregister eingetragenen natürlichen und juristischen Personen sowie Handelsgesellschaften sein, die lagerpflichtige Treib- und Brennstoffe importieren oder diese Importtätigkeit aufnehmen wollen (Art. 4 der Statuten vom 14. Mai 2003). Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement und das Bundesamt genehmigten die Statuten sowie verschiedene Reglemente und Durchführungsbestimmungen der Carbura.
Seit 1997 besteht die Pflichtlagergesellschaft für Mineralöle AG (PLG) mit Sitz in Zug und einem Aktionariat aus sieben Mitgliedern der Carbura, die für die so genannte stellvertretende Pflichtlagerhaltung zuständig ist. 1998 gründeten die Mitglieder der Carbura die vollständig der Carbura gehörende Tochtergesellschaft Carbura Tanklagergesellschaft (TLG) mit Sitz in Elgg für die so
BGE 135 II 38 S. 40
genannte gemeinsame Lagerhaltung. Die beiden Gesellschaften sind nicht Mitglieder der Carbura, da sie keine Importeure sind und sich ihre Tätigkeit auf die Lagerhaltung beschränkt.
Am 23. Oktober 2007 widerrief das Bundesamt mit Wirkung ab dem 15. Juni 2008 alle früher erteilten Genehmigungen der Bestimmungen des Reglements I für Importeure, der Durchführungsbestimmungen zum Pflichtlagerprogramm XIV, der Durchführungsbestimmungen zu den Investitionsentschädigungen sowie der Durchführungsbestimmungen für die Carbura Tanklager AG, die Rechte und Pflichten der gemeinsamen und stellvertretenden Pflichtlagerhaltung enthalten. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, diese Genehmigungen seien ohne hinreichende Rechtsgrundlage erteilt worden, soweit sie finanzielle Leistungen des Garantiefonds der Carbura beträfen. Gemäss der gesetzlichen Regelung könne solche Leistungen nur beanspruchen, wer Mitglied der Carbura sei. Aufgrund der Statuten der Carbura treffe dies aber auf die Pflichtlagergesellschaft für Mineralöle AG (PLG) und die Carbura Tanklagergesellschaft (TLG) nicht zu, die trotzdem Leistungen aus dem Garantiefonds der Carbura bezögen. Ohne Statuten- und Reglementsrevision, die es jedem Pflichtlagerhalter erlaube, Mitglied der Carbura zu werden, könnten die früher erteilten Genehmigungen der einschlägigen Reglements- und Durchführungsbestimmungen nicht aufrechterhalten werden.
Mit Urteil vom 1. April 2008 trat das Bundesverwaltungsgericht auf eine dagegen von der Carbura eingereichte Beschwerde nicht ein. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, die fraglichen Genehmigungsentscheide stellten keine anfechtbaren Verfügungen dar, weil es sich bei den genehmigten Bestimmungen um Rechtsetzungsakte und damit um Erlasse handle, gegen die beim Bundesverwaltungsgericht keine Beschwerde erhoben werden könne.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 14. Mai 2008 an das Bundesgericht stellt die Carbura die folgenden Anträge:
"1. Es sei der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. April 2008 aufzuheben und demgemäss sei die Nichtigkeit der Verfügung vom 23. Oktober 2007 des Beschwerdegegners betreffend Widerruf von Genehmigungsentscheiden festzustellen.
2. Eventualiter sei die Vorinstanz anzuweisen, auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 26. November 2007 einzutreten und die
BGE 135 II 38 S. 41
angefochtene Verfügung des Beschwerdegegners infolge Unzuständigkeit aufzuheben.
3. Subeventualiter sei das Verfahren zur Prüfung der Frage der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der materiellen Rechtsfragen zurückzuweisen.
..."
Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt, und weist die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurück zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Die Beschwerde richtet sich gegen einen verfahrensabschliessenden Nichteintretensentscheid des Bundesverwaltungsgerichts im Bereich des öffentlichen Rechts. Dieser prozessuale Endentscheid bildet ein zulässiges Anfechtungsobjekt der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht (Art. 82 lit. a in Verbindung mit Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG). Ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG liegt nicht vor; insbesondere ist der Ausnahmetatbestand von Art. 83 lit. j BGG nicht erfüllt, wonach die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen ist gegen Entscheide auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Landesversorgung, die bei zunehmender Bedrohung oder schweren Mangellagen getroffen worden sind. Die Beschwerde ist damit grundsätzlich zulässig.

1.2 Streitgegenstand ist einzig, ob das Bundesverwaltungsgericht zu Recht auf die bei ihm erhobene Beschwerde nicht eingetreten ist. Trifft dies zu, so hat es bei diesem Nichteintretensentscheid sein Bewenden. Erweist er sich hingegen als bundesrechtswidrig, so ist die Sache an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen zu weiterer Beurteilung des Falles. Das Bundesgericht könnte den Fall nicht direkt inhaltlich entscheiden, da das einerseits zu einer Verfahrensverkürzung führen würde und andererseits die Streitsache auch nicht liquid wäre. Insbesondere würde es an den dafür notwendigen tatsächlichen Feststellungen der gerichtlichen Vorinstanz fehlen. Soweit die Beschwerdeführerin Anträge stellt, die über eine reine Rückweisung hinausgehen, ist auf die Beschwerde mithin nicht einzutreten.
BGE 135 II 38 S. 42

2.

2.1 Gemäss Art. 102 BV stellt der Bund die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicher für den Fall machtpolitischer oder kriegerischer Bedrohungen sowie in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selbst zu begegnen vermag. Er trifft vorsorgliche Massnahmen und kann nötigenfalls vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abweichen.

2.2 Nach Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 8. Oktober 1982 über die wirtschaftliche Landesversorgung (Landesversorgungsgesetz, LVG; SR 531) arbeitet der Bund dafür mit den Kantonen und der Wirtschaft zusammen. Gemäss Art. 8 LVG kann der Bundesrat bestimmte lebenswichtige Güter, die eingeführt oder die im Inland hergestellt oder verarbeitet werden, der Pflichtlagerhaltung unterstellen. Für die Errichtung von Pflichtlagern schliesst der Bund mit Betrieben Verträge ab (Art. 6 Abs. 1 LVG). Solche Pflichtlagerverträge können vorsehen, dass die einzelnen Eigentümer von Lagern sich an der Äufnung von Garantiefonds und ähnlichen Einrichtungen ihres Wirtschaftszweiges zur Deckung der Lagerkosten und des Preisverlustes auf den Pflichtlagern beteiligen müssen (Art. 10 Abs. 1 LVG). Schaffung, Änderung und Aufhebung solcher Einrichtungen bedürfen der Genehmigung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements. Gründen die betreffenden Wirtschaftszweige für die Pflichtlagerhaltung Körperschaften oder ziehen sie solche zur Erfüllung dieser Aufgabe heran, so bedürfen auch deren Statuten der Genehmigung des Departements (Art. 10 Abs. 2 LVG). Nach Art. 11 Abs. 2 der Verordnung vom 6. Juli 1983 über die allgemeinen Grundsätze der Vorratshaltung (Vorratshaltungsverordnung; SR 531.211) müssen derartige Körperschaften Bestimmungen, welche die Rechte und Pflichten der Mitglieder näher regeln und sich auf Statuten stützen, die das Departement (in Anwendung von Art. 10 Abs. 2 LVG) genehmigt hat, dem Bundesamt zur Genehmigung vorlegen. Die Genehmigung der Beiträge an Garantiefonds erfolgt durch Verfügung.

2.3 Die Pflichtlagerhaltung untersteht der Kontrolle durch das Bundesamt (vgl. Art. 10 der Vorratshaltungsverordnung), das insbesondere darüber wacht, dass die Mittel von Garantiefonds und ähnlichen Einrichtungen zweckentsprechend verwendet werden und dass die erhobenen Beiträge im angemessenen Verhältnis zu den benötigten Mitteln stehen (vgl. Art. 11 Abs. 4 der Vorratshaltungsverordnung).
BGE 135 II 38 S. 43

2.4 Im vorliegenden Streitfall geht es in der Sache um Genehmigungsentscheide des Bundesamts. Allerdings steht nicht die ursprüngliche Genehmigung der umstrittenen Reglemente und Durchführungsbestimmungen zur Diskussion, sondern deren späterer Widerruf aufgrund nachträglicher Erkenntnisse des Bundesamtes, welche dieses im Rahmen seiner Kontrolltätigkeit gewonnen hat.

3.

3.1 Nach der Rechtsschutzbestimmung von Art. 38 LVG kann gegen Verfügungen der so genannten Bereiche (im Sinne von Art. 53 Abs. 2 LVG) und der herangezogenen Organisationen der Wirtschaft beim Bundesamt Beschwerde geführt werden (Abs. 1). Gegen Verfügungen letzter kantonaler Instanzen kann beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde geführt werden (Abs. 2). Im Übrigen richtet sich das Beschwerdeverfahren nach den allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege (Abs. 3).
Gemäss Art. 39 LVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht auf Klage Streitigkeiten zwischen Parteien von Pflichtlagerverträgen (lit. a), Pflichtlagerhaltern und Pflichtlagerorganisationen (lit. b) sowie Bund und Pflichtlagerorganisationen (lit. c).
Nach Art. 41 LVG beurteilen die Zivilgerichte Streitigkeiten über das Aussonderungsrecht, das Pfandrecht des Bundes an Pflichtlagern und allfällige Ersatzansprüche des Bundes sowie Anfechtungsklagen (in Anwendung von Art. 13-15 LVG).

3.2 Angefochten sind hier weder Verfügungen der Bereiche oder der herangezogenen Organisationen der Wirtschaft im Sinne von Art. 38 Abs. 1 LVG noch solche letzter kantonaler Instanzen gemäss Art. 38 Abs. 2 LVG. Ebenso wenig geht es um eine Streitigkeit nach Art. 41 LVG. Fraglich erscheint einzig, ob es sich um eine Pflichtlagerstreitigkeit gemäss Art. 39 LVG handelt, die vom Bundesverwaltungsgericht im Klageverfahren zu beurteilen wäre, oder ob gemäss Art. 38 Abs. 3 LVG die allgemeinen Bestimmungen der Bundesrechtspflege anwendbar sind.

3.3 Mit Blick auf Art. 39 LVG kommt höchstens der Tatbestand von lit. c in Frage, wonach bei Streitigkeiten zwischen dem Bund und Pflichtlagerorganisationen Klage beim Bundesverwaltungsgericht zu erheben ist. Nach Art. 5 Abs. 3 VwVG gelten Erklärungen von Behörden über die Ablehnung oder Erhebung von Ansprüchen, die auf dem Klageweg zu verfolgen sind, nicht als Verfügungen. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um solche Erklärungen.
BGE 135 II 38 S. 44
Pflichtlagerverträge gelten grundsätzlich als öffentlich-rechtliche Verträge (ALEX ACHERMANN-KNOEPFLI, Das Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung, insbesondere der Pflichtlagervertrag, Diss. Basel 1990, S. 132 ff.). Das Klageverfahren gemäss Art. 39 lit. c LVG ist, wie der Kontext der Rechtsordnung ergibt, auf die Beurteilung von inhaltlichen Streitigkeiten aus solchen öffentlich-rechtlichen Pflichtlagerverträgen zugeschnitten, in denen sich der Bund und die beteiligten Pflichtlagerorganisationen auf grundsätzlich gleicher Stufe gegenüberstehen. Bei der Genehmigung von Reglementen von Pflichtlagerorganisationen tritt das Bundesamt jedoch hoheitlich und nicht als Vertragspartei auf. In diesem Sinne hat es auch vorliegend gehandelt. Seine Entscheide über den Widerruf der fraglichen Genehmigungen sind daher jedenfalls nicht aus dem Grunde nichtig, weil das Klageverfahren anwendbar wäre und das Bundesamt nicht einseitig hätte vorgehen dürfen. Damit kommt es einzig darauf an, ob im Sinne von Art. 38 Abs. 3 LVG gegen den Widerrufsentscheid eine Beschwerdemöglichkeit an das Bundesverwaltungsgericht nach den allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege offensteht (dazu auch E. 4.8).

4.

4.1 Gemäss Art. 31 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (VGG; SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Art. 33 und 34 VGG nennen weitere Beschwerdemöglichkeiten in hier nicht vorliegenden Spezialfällen. In Art. 34 VGG handelt es sich immerhin um Sonderfälle, in denen der Verfügungscharakter der anfechtbaren Entscheide (insbesondere solche über Spitallisten und Tarife) fraglich ist.

4.2 Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, vorliegend sei nicht eine Verfügung angefochten, weil es sich bei den Reglementen, deren Genehmigung widerrufen wurde, um Erlasse handle. Gegen solche stehe aber keine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht offen. Die Anfechtung der Genehmigung eines Reglements bzw. ein Entscheid über den Widerruf einer solchen Genehmigung laufe auf eine Erlassanfechtung hinaus und sei deshalb unzulässig.

4.3 Verfügungen und Erlasse zählen zu den staatlichen Hoheitsakten. Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG sind Verfügungen Anordnungen
BGE 135 II 38 S. 45
der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten (lit. a), die Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten und Pflichten (lit. b) oder die Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten und Pflichten oder das Nichteintreten auf ein solches Begehren zum Gegenstand haben (lit. c). Als Verfügungen gelten mithin autoritative, einseitige, individuell-konkrete Anordnungen der Behörde, die in Anwendung von Verwaltungsrecht ergangen, auf Rechtswirkungen ausgerichtet sowie verbindlich und erzwingbar sind (vgl. etwa BGE 131 II 13 E. 2.2. S. 17; AEMISEGGER/SCHERRER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 30 zu Art. 82 BGG; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2008, Rz. 2.3; TSCHANNEN/ZIMMERLI, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 208 ff., insb. S. 213 ff.). Demgegenüber sind Erlasse (Rechtssätze) Anordnungen genereller und abstrakter Natur, die für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen gelten und eine unbestimmte Vielheit von Tatbeständen regeln ohne Rücksicht auf einen bestimmten Einzelfall oder auf eine einzelne Person, d.h. die letztlich Allgemeinverbindlichkeit beanspruchen (vgl. statt vieler AEMISEGGER/SCHERRER, a.a.O., N. 27 zu Art. 82 BGG; TSCHANNEN/ZIMMERLI, a.a.O., S. 85 f.).

4.4 Als staatliche Hoheitsakte ergehen Erlasse und Verfügungen in Ausübung hoheitlicher Funktionen. Sie gehen regelmässig von staatlichen Organen oder Behörden aus. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn Private bzw. dezentralisierte Verwaltungsträger in gesetzmässiger Weise damit betraut werden, hoheitlich zu handeln (vgl. TOBIAS JAAG, Die Abgrenzung zwischen Rechtssatz und Einzelakt, 1985, S. 15). Private oder dezentralisierte Verwaltungsträger können insbesondere nur dann Rechtssätze erlassen, wenn sie dazu gesetzlich ermächtigt sind (vgl. TSCHANNEN/ZIMMERLI, a.a.O., S. 94 f.).

4.5 Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine grundsätzlich auf dem Privatrecht beruhende Organisation der Wirtschaft, die in Anwendung von Art. 10 LVG zur Durchführung der Pflichtlagerhaltung herangezogen wird. Die Auffassung der Vorinstanz, wonach der Genehmigungsentscheid Teil des Rechtsetzungsverfahrens sei, würde voraussetzen, dass ein Reglement der Beschwerdeführerin einen hoheitlichen Erlass darstellt. Das erscheint fraglich. Einem solchen Reglement kommt zwar allenfalls ein gewisser
BGE 135 II 38 S. 46
generell-abstrakter Charakter zu. Es fehlt ihm aber die Hoheitlichkeit. Wohl erfüllt die Beschwerdeführerin durch ihre Mitwirkung am Pflichtlagersystem öffentliche Aufgaben des Bundes (vgl. ACHERMANN-KNOEPFLI, a.a.O., S. 135 f.). Sie kann in gewissen Bereichen, etwa bei der Erteilung von Einfuhrbewilligungen, auch verfügen. Rechtsetzende Befugnisse wurden jedoch nicht an sie delegiert. Nach Art. 52 Abs. 1 LVG können - abgesehen von der üblichen Delegation von Rechtsetzungsfunktionen innerhalb der ordentlichen Organisation der Bundesbehörden - lediglich der Delegierte für wirtschaftliche Landesversorgung (vgl. Art. 53 LVG) und die so genannten Bereiche der wirtschaftlichen Landesversorgung für die Ausführung der Massnahmen bei zunehmender Bedrohung (vgl. Art. 23-25 LVG) vom Bundesrat ermächtigt werden, allgemeinverbindliche Vorschriften zu erlassen. Die Beschwerdeführerin zählt nicht zu diesen Verwaltungsträgern mit Rechtsetzungsbefugnissen.

4.6 Selbst wenn den Reglementen der Beschwerdeführerin Erlasscharakter zugesprochen wird, schliesst dies eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht nicht aus. Verweigert oder widerruft die Aufsichtsbehörde die Genehmigung eines generell-abstrakten Akts, erfüllt dies gegenüber der Korporation oder Organisation, welche die fragliche Regelung getroffen hat, die Merkmale einer Verfügung. Damit wird gestaltend in die Rechtsverhältnisse des dezentralen Verwaltungsträgers eingegriffen, indem dem von ihm autonom beschlossenen Reglement die Rechtskraft versagt wird. Die davon betroffene Körperschaft oder Organisation kann die Verweigerung oder den Widerruf der Genehmigung auf dem Beschwerdeweg anfechten, wenn sie rechtsfähig und dazu legitimiert ist (vgl. dazu etwa AEMISEGGER/SCHERRER, a.a.O., N. 41 f. zu Art. 82 BGG; ATTILIO R. GADOLA, Der Genehmigungsentscheid als Anfechtungsobjekt in der Staats- und Verwaltungsrechtspflege, in: AJP 1993 S. 290 ff., insb. S. 295 und 300). Ob Dritte ebenfalls Beschwerde führen könnten, kann hier offenbleiben. Zwar sind vorliegend auch die Carbura Tanklager AG (TLG) und die Pflichtlagergesellschaft für Mineralöle (PLG) - die allerdings beide nicht selbständig als Beschwerdeführerinnen auftreten - vom Widerruf der streitigen Genehmigungen betroffen. Bei der einen Gesellschaft handelt es sich aber um eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Beschwerdeführerin und bei der anderen um eine Organisation, die einzig aus sieben Mitgliedern derselben besteht.
BGE 135 II 38 S. 47

4.7 Beispiele für die Anfechtbarkeit von Entscheiden über die Genehmigung von Erlassen oder von anderen Akten, die nicht die eigentlichen Voraussetzungen einer Verfügung erfüllen, finden sich etwa bei der Genehmigung von Tarifen (vgl. aus dem Bereich der Krankenversicherung das Urteil des Bundesgerichts 9C_599/2007 vom 18. Dezember 2007, wo es um eine nicht von Art. 34 VGG erfasste Genehmigung in Anwendung von Art. 61 Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung [KVG; SR 832.10] geht), bei der Genehmigung eines urheberrechtlichen Verteilungsreglements (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 2C_527/2007 vom 13. Mai 2008) oder, bei etwas anderer Ausgangslage, im Bereich des Grundstückerwerbs durch Personen im Ausland (vgl. BGE 130 II 290, insb. E. 2.6 S. 299 f.). Die Bejahung der Beschwerdefähigkeit solcher Entscheide rechtfertigt sich heute umso mehr, als das neue Bundesgerichtsgesetz die frühere Regelung von Art. 99 lit. a und b OG nicht übernommen hat, wonach die altrechtliche Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen über die Genehmigung von Erlassen und - grundsätzlich auch - von Tarifen unzulässig war (vgl. RHINOW/KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, 1996, Rz. 985). Immerhin ging der Gesetzgeber schon damals davon aus, es handle sich um Verfügungen, wie dem Wortlaut des Gesetzes bzw. dem ausdrücklichen Ausschluss der Beschwerde zu entnehmen ist (dazu PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, 1979, S. 73 N. 10.44).

4.8 Steht somit die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht offen, gibt es schliesslich erst recht keine Notwendigkeit für die Möglichkeit der Klageerhebung in Anwendung von Art. 39 lit. c LVG. Im öffentlichen Verfahrensrecht tritt die Klage grundsätzlich hinter die Beschwerdemöglichkeit zurück. Nur bei eigentlichen Koordinationsverhältnissen zwischen Gemeinwesen und Privaten oder zwischen verschiedenen Gemeinwesen findet die Klage in der Schweiz gemeinhin noch Anwendung. Namentlich die heutige Ordnung der öffentlichen Rechtspflege des Bundes beruht auf diesem Prinzip. Auch die Klage beim Bundesverwaltungsgericht ist gegenüber der Beschwerde subsidiär (Art. 36 VGG; dazu etwa MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 5.1 f.). Da vorliegend nicht von einem eigentlichen Koordinationsverhältnis zwischen dem Bund und der Beschwerdeführerin, sondern von einer beschwerdefähigen
BGE 135 II 38 S. 48
autoritativen Entscheidbefugnis des Bundesamts auszugehen ist, bleibt auch aus diesem Grund kein Raum für eine Klage (vgl. im Übrigen E. 3.3).

4.9 Demnach hat das Bundesamt seinen Genehmigungswiderruf zu Recht als Verfügung bezeichnet und mit einer entsprechenden Rechtsmittelbelehrung versehen.

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 1 2 3 4

Referenzen

BGE: 131 II 13, 130 II 290

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