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Urteilskopf

138 IV 148


21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft Baden und Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
1B_254/2012 vom 24. Mai 2012

Regeste

Telefonische Mitteilung des Haftentscheids an die Staatsanwaltschaft, wenn keine Untersuchungshaft angeordnet wird; Art. 222, 225 Abs. 1 und Art. 226 Abs. 2 und 5 StPO; Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 BV; Art. 5 EMRK.
Beantragt die Staatsanwaltschaft für eine beschuldigte Person die Anordnung bzw. Verlängerung von Untersuchungshaft, kann ihr das Zwangsmassnahmengericht einen negativen Entscheid telefonisch mitteilen, wenn die Staatsanwaltschaft nicht an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht teilnimmt. Einen gesetzlichen Anspruch darauf hat die Staatsanwaltschaft allerdings nicht. Die vorläufige Fortdauer der Haft, bis die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz über die vorsorgliche Inhaftierung während des Beschwerdeverfahrens entscheiden kann, ist in einem solchen Fall unter bestimmten Voraussetzungen rechtmässig (E. 3.1-3.4).

Sachverhalt ab Seite 149

BGE 138 IV 148 S. 149
Am 27. März 2012 wurde X. festgenommen. Gleichentags beantragte die Staatsanwaltschaft Baden beim Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, der Beschuldigte sei für die vorläufige Dauer von drei Monaten, d.h. bis zum 27. Juni 2012 in Untersuchungshaft zu versetzen. Das Zwangsmassnahmengericht wies diesen Antrag am 28. März 2012 ab und verfügte, X. sei aus der Haft zu entlassen. Der nicht an der Gerichtsverhandlung teilnehmenden Staatsanwaltschaft eröffnete es diesen Entscheid unverzüglich telefonisch. Daraufhin erhob die Staatsanwaltschaft innerhalb von weniger als zwei Stunden Beschwerde ans Obergericht des Kantons Aargau. Sie beantragte die Genehmigung der Untersuchungshaft und die Erteilung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde bzw. die vorläufige Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Am 29. März 2012 ordnete die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz vorsorglich die vorläufige Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft an. Am 11. April 2012 hiess das Obergericht die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gut, hob die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 28. März 2012 auf und ordnete über X. die Untersuchungshaft für die Dauer von drei Monaten, d.h. bis zum 27. Juni 2012 an.
Gegen diesen Entscheid hat X. am 30. April 2011 Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht erhoben. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und er sofort aus der Haft zu entlassen.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Staatsanwaltschaft sei nicht berechtigt gewesen, gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 28. März 2012 Beschwerde ans Obergericht zu erheben, weil sie nicht an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht teilgenommen habe. Demzufolge hätte die Vorinstanz auf die Beschwerde nicht eintreten dürfen.
BGE 138 IV 148 S. 150

3.1 Nach Art. 222 StPO (SR 312.0) kann die verhaftete Person Entscheide über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bei der Beschwerdeinstanz anfechten. Dasselbe Beschwerderecht steht nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung der Staatsanwaltschaft zu. Das Bundesgericht hat zusammenfassend erwogen, aufgrund der in Art. 111 BGG statuierten Einheit des Verfahrens müsse derjenige, der zur Beschwerde ans Bundesgericht berechtigt sei, sich am Verfahren vor allen kantonalen Instanzen als Partei beteiligen können. Dazu verlange das öffentliche Interesse an einer funktionierenden Strafjustiz, dass die Staatsanwaltschaft ein Beschwerderecht gegen einen die Haft aufhebenden Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts besitze (BGE 137 IV 230 E. 1 S. 232 mit Hinweisen).

3.2 Gemäss Art. 226 Abs. 5 StPO ist die beschuldigte Person unverzüglich freizulassen, wenn das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft nicht anordnet. Dieses Recht auf unverzügliche Freilassung ergibt sich aus dem Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), welches gestützt auf die Art. 31 BV und Art. 5 EMRK in strafrechtlichen Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden kann (vgl. auch Art. 36 BV). Verfügt das Zwangsmassnahmengericht die sofortige Freilassung, obwohl nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ein Haftgrund nach Art. 221 StPO besteht, kann das die Fortführung des Strafverfahrens indessen erschweren oder gar vereiteln. Um dies zu verhindern, besteht ein Interesse, dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Beschwerde an die Beschwerdeinstanz nach Art. 393 StPO zumindest vorübergehend die Freilassung verhindern kann (BGE 137 IV 230 E. 2.1 S. 233, BGE 137 IV 237 E. 2.1 S. 241). Zur Gewährleistung des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft ist erforderlich, die Freilassung des Beschuldigten aufzuschieben, bis die Beschwerdeinstanz über die Fortdauer der Haft während des Beschwerdeverfahrens im Sinne von Art. 388 lit. b StPO wenigstens superprovisorisch entscheiden kann (BGE 137 IV 237 E. 2.4 S. 244).
Vor dem Hintergrund des Anspruchs des Beschuldigten auf unverzügliche Freilassung gemäss Art. 226 Abs. 5 StPO muss die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde unmittelbar nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheids und grundsätzlich vor dem Zwangsmassnahmengericht ankündigen. Die Ankündigung hat zur Folge, dass die Haft nach dem Freilassungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts bis zur sofortigen Beschwerdeerhebung durch die Staatsanwaltschaft
BGE 138 IV 148 S. 151
fortbesteht. Um dem Erfordernis der unverzüglichen Beschwerdeerhebung im Anschluss an die Ankündigung nachzukommen, muss die Staatsanwaltschaft spätestens drei Stunden nach der Ankündigung beim Zwangsmassnahmengericht eine (wenigstens kurz) begründete Beschwerdeschrift einreichen und darin die Aufrechterhaltung der Haft beantragen. Diesfalls ist das Zwangsmassnahmengericht gehalten, den Beschuldigten weiter in Haft zu belassen und die Beschwerde mit dem Dossier und seiner allfälligen Stellungnahme verzugslos der Beschwerdeinstanz zu übermitteln (BGE 138 IV 92 E. 3.3 S. 97).
Nach dem Eingang der Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz hat deren Verfahrensleitung die erforderlichen Anordnungen im Sinne von Art. 388 StPO zu erlassen. Solche Anordnungen müssen aus Gründen der Dringlichkeit meist ohne Anhörung der betroffenen Person als superprovisorische Verfügung ergehen. Sie sind anschliessend nach Gewährung des rechtlichen Gehörs zu bestätigen oder zu ändern. Eine von der Staatsanwaltschaft unmittelbar nach Kenntnis des Haftentlassungsentscheids, aber vor der tatsächlichen Entlassung des Beschuldigten eingereichte Beschwerde hat somit zur Folge, dass die Untersuchungshaft vorläufig weiterbesteht, bis die zuständige Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz (superprovisorisch) über weitere Massnahmen im Sinne von Art. 388 StPO entscheiden kann. Es handelt sich dabei in der Regel um eine Verlängerung der Haft um einige Stunden, was im Interesse der Erreichung des Untersuchungszwecks bei bestehenden Haftgründen und zur Gewährleistung eines wirksamen Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft mit Art. 226 Abs. 5 StPO vereinbar erscheint (BGE 138 IV 92 E. 3.4 S. 98).

3.3 Das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau teilt der Staatsanwaltschaft einen negativen Entscheid, nämlich die Nichtanordnung der beantragten Untersuchungshaft, praxisgemäss vorab telefonisch mit, wenn die Staatsanwaltschaft wie vorliegend nicht an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht teilnimmt (vgl. Art. 225 Abs. 1 StPO). Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass die StPO eine telefonische Eröffnung des (negativen) Haftanordnungsentscheids nicht ausdrücklich vorsieht. Die nicht an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht teilnehmende Staatsanwaltschaft hat denn auch keinen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ihr ein solcher Entscheid vorab telefonisch mitgeteilt wird. Dies schliesst allerdings nicht aus, dass sich die beteiligten Behörden
BGE 138 IV 148 S. 152
hinsichtlich des Vorgehens in solchen Fällen untereinander absprechen. Sofern der Entscheid der nicht persönlich an der Verhandlung vertretenen Staatsanwaltschaft wie von Art. 226 Abs. 2 StPO vorgeschrieben (zusätzlich) unverzüglich schriftlich eröffnet wird, steht einer vorgängigen telefonischen Mitteilung nichts entgegen. Dieses Vorgehen ermöglicht es der Staatsanwaltschaft, ihre Beschwerde sofort anzukünden, selbst wenn sie nicht persönlich an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht vertreten ist. Die vorläufige Fortdauer der Untersuchungshaft ist in einem solchen Fall mit Art. 226 Abs. 5 StPO vereinbar, sofern die Abwesenheit der Staatsanwaltschaft an der Verhandlung nicht zu Verzögerungen führt. Insbesondere muss die Staatsanwaltschaft auch bei einem solchen Vorgehen spätestens drei Stunden nach der (mündlichen) Eröffnung des Entscheids gegenüber der beschuldigten Person beim Zwangsmassnahmengericht eine (wenigstens kurz) begründete Beschwerdeschrift einreichen und darin die Aufrechterhaltung der Haft beantragen (vgl. E. 3.2 hiervor).

3.4 Vorliegend hat die nicht persönlich an der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht vertretene Staatsanwaltschaft, nachdem ihr die Nichtanordnung der Untersuchungshaft vorab telefonisch mitgeteilt worden ist, innerhalb von drei Stunden nach der (mündlichen) Eröffnung des Entscheids gegenüber dem Beschwerdeführer eine begründete Beschwerdeschrift eingereicht und darin die Aufrechterhaltung der Haft beantragt. Dieses Vorgehen hat zu keinen weiteren Verzögerungen geführt und ist nach dem Gesagten nicht zu beanstanden. Damit erweist sich die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz hätte nicht auf die Beschwerde eintreten dürfen, als unbegründet.

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Fatti

Considerandi 3

referenza

DTF: 137 IV 230, 137 IV 237, 138 IV 92

Articolo: Art. 226 Abs. 5 StPO, Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 BV, Art. 5 EMRK, Art. 388 StPO seguito...